News 03. 12. 2009 |
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Schmelztiegel Istanbul: Religiöse Minderheiten schwindenZu osmanischen Zeiten waren die Stadtviertel Fener und Balat am Goldenen Horn klassische Wohnbezirke der Christen in Istanbul. Heute zieht es die christliche Minderheiten in modernere Wohngegenden der Metropole. Ähnlich verhält es sich mit der jüdischen Bevölkerung, bestätigt der Istanbuler Historiker Naim Güleryüz gegenüber der APA. (Von Hermine Schreiberhuber)Die jüdische Gemeinde ist nach den Worten von Güleryüz heute in ganz Istanbul verstreut. In ihrer Wochenzeitung "Shalom" - mit Texten in Türkisch bzw. Ladino, der judeo-spanischen Sprache der Sephardim - erscheinen heutzutage mehr Todesanzeigen als Anzeigen über Geburten, bedauert der jüdische Historiker. Er selbst lebt im asiatischen Teil der Bosporus-Metropole. Ein Beobachter der religiösen Szene in Istanbul wiederum meint, der Anschlag auf die Neve-Shalom-Synagoge im traditionellen Galata-Viertel 2003 habe auch dazu beigetragen, dass die Juden dort nicht mehr so gerne leben. Dieses Bethaus gleicht heute einer vergitterten Festung. Nachfahren spanischer JudenEtwa 20.000 Juden zählt die jüdische Gemeinschaft in der Türkei, die große Mehrheit - 18.000 - ist in Istanbul wohnhaft, weitere leben in den großen Städten Ankara, Izmir und Edirne. Zu 96 Prozent sind die türkischen Juden heute Sephardim, Abkömmlinge spanischer Juden, die nach der Vertreibung durch die Katholischen Könige 1492 im Ottomanen-Reich Aufnahme fanden. Der Anteil der Juden aus Osteuropa, der Aschkenasen, ist gering, ihnen steht eine der rund 20 funktionierenden Synagogen in der Stadt zur Verfügung, erläuterte Güleryüz jüngst in einem Vortrag im Jüdischen Museum in Wien. 2500 griechisch-orthodoxe ChristenFür die griechisch-orthodoxe Kirchen-gemeinde ist die Überalterung ein großes Problem, wie der Sprecher des Ökumenischen Patriarchen Barholomaios, Dositheos Anagnos-topoulos, im Gespräch mit Journalisten hervorhebt. Das Durchschnittsalter betrage 75 Jahre, und auch bei potenziellen Rückkehrern sei es so hoch; meist lassen diese Kinder und Enkel in Westeuropa oder Amerika zurück. Wie er selbst: Die Töchter von Anagnostopoulos leben in Deutschland, wo er eine Karriere als Biochemiker hinter sich ließ. Nur mehr 70 alteingesessene griechisch-orthodoxe Familien leben heute nach seinen Angaben am Bosporus. 1960 verzeichnete Istanbul noch 100.000 Griechen, heute ist die Gemeinde auf nur mehr rund 2.500 geschrumpft. Sorge auf BildungssektorTürkische Gesetze diskriminieren engste Familienangehörige der "Rum", wenn sie nicht in der Türkei geboren wurden. In den Dokumenten der in der Türkei Geborenen steht "Rum" (Rom) vermerkt, eine gängige Bezeichnung für Christen schlechthin. Doch selbst Kinder griechischer Rückkehrer dürfen die ethnischen Minderheiten-Schulen Istanbuls nicht besuchen, ebenso wenig wie die Kinder armenischer (Arbeits-)Immigranten aus der Republik Armenien. Auf dem Bildungssektor herrscht Sorge. "Wenn Fanatiker viel Geld in die Hand nehmen, etwa bei Ausbildungsstätten", dann sei Gefahr im Verzug, so ein Insider. Anagnostopoulos setzt seine Hoffnungen in die Jugend. Gebildete Jugendliche hinterfragen oft Dinge, die der türkische Lehrplan ausspart. 600 bulgarisch-orthodoxe ChristenSeitens der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche wird der gemäßigt-islamischen Regierungspartei AKP Lob wegen ihrer finanziellen Mithilfe bei der Renovierung von Baudenkmälern gezollt. Demetrios Atanasov, im Phanar für ökonomische Agenden zuständig, betont, diese Regierung sei die erste, die finanzielle Zuschüsse leiste. So habe die Istanbuler Stadtverwaltung zur Renovierung der "Eisernen Kirche", der Kathedrale der Bulgarisch-Orthodoxen am Goldenen Horn, und des Friedhofs der Gemeinde beigetragen. Dahinter steckt freilich ein Deal: Die Türkei zahlt zur Kirchenrenovierung dazu, Bulgarien zur Erneuerung der Moschee von Plovdiv. Laut Atanasov, der in seiner Kirche den Titel Arkon (Oberster Großprotektor) führt, hat die bulgarisch-orthodoxe Gemeinde in Istanbul etwa 600 Seelen. Das westlich geprägte IstanbulAuch im lebendigen zentralen Bezirk Beyoglu, nahe dem belebten Taksim-Platz, hat sich einiges geändert. Auf der Geschäftsstraße Istiklal Caddesi flanieren vor allem junge Menschen, modisch gekleidet, sie bevölkern die Boutiquen, Cafes und Restaurants. Doch es ist gar nicht so einfach, in diesem modernen Geschäftsviertel ein Esslokal zu finden, wo man auch ein Gläschen zum Abendessen trinken kann. Seit der Bezirk von der moderat-islamischen Regierungspartei AKP regiert wird, schenken viele Restaurants keinen Alkohol mehr aus. In Beyoglu finden sich das österreichische katholische St.Georgs-Kolleg und -Spital sowie die katholische St. Antonius-Kirche. Von den insgesamt 13 Klosterschwestern sind elf im Krankenhaus tätig.
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