News 18. 01. 2010

Serbisch-orthodoxe Bischöfe wählen am Freitag ihren 45. Patriarchen

Nach dem Tod von Patriarch Pavle I. Mitte November wählt die serbisch-orthodoxe Kirche ihr 45. Oberhaupt. Die Wahltagung der Kirchenversammlung (Sabor) ist für Freitag (22. Jänner) in Belgrad angesetzt.

Mindestens zwei Drittel der derzeit 45 serbischen Bischöfe müssen anwesend sein. Wie viele Tage sie brauchen werden, um einen neuen Patriarchen zu wählen, lässt sich angesichts des komplizierten Wahlverfahrens schwer prognostizieren.

Amtseinführung bereits am 27. Jänner

Früheren Medienspekulationen zufolge soll das neue Kirchenoberhaupt bereits am 27. Jänner in Belgrad ins Amt eingeführt werden, wenn der Tag des Heiligen Sava begangen wird. Sava gründete die serbisch-orthodoxe Kirche im 13. Jahrhundert. Ein Bericht der russischen Agentur Itar-Tass, wonach der russische Patriarch Kyrill Ende Jänner zur Amtseinführung anreisen will, hat diese Gerüchte jüngst erhärtet.

"Apostolische Wahl"

Die Wahlversammlung tagt unter dem Vorsitz des dienstältesten Bischofs, dem Wladika von Sabac, Lavrentije (Trifunovic). Der Patriarch wird nach der sogenannten "apostolischen Wahl" unter den Bischöfen (Wladikas) gewählt, die mindestens fünf Jahre im Amt sind. Ihre Zahl beläuft sich derzeit auf 33. Altersbeschränkungen wurden trotz Bemühungen einiger Bischöfe, die einen zu jungen oder zu alten Patriarchen verhindern wollten, nicht eingeführt.

Letztlich entscheidet das Los

Zunächst werden drei Anwärter herausgefiltert, wobei bei mehreren Voten jeweils mindestens 50 Prozent plus eine Stimme auf eine Person entfallen muss. Liegt keine derartige Mehrheit vor, muss die Abstimmung wiederholt werden, bis das der Fall ist. Die drei Kuverts mit je einem Namen der drei werden dann in die  leeren Buchdeckel des Heiligen Evangeliums gesteckt. Das Los entscheidet, wer neuer Patriarch wird, indem ein Mönch, der älteste Klostervorsteher, einen Umschlag zieht. Die Amtseinführung des neuen Patriarchen findet in den darauffolgenden Tagen in der Belgrader Domkirche statt, zu einem späteren Termin auch in Pec, dem im Westkosovo gelegenen alten Patriarchensitz.

Machtkampf

Die "apostolische" Patriarchenwahl wurde 1967 eingeführt, um den Einfluss des kommunistischen Regimes Jugoslawiens auf die Wahl zu verringern. Der verstorbene Patriarch Pavle war aber 1990 das erste Kirchenoberhaupt, das durch das Los bestimmt wurde. Er selbst beharrte auf der Beibehaltung dieses Wahlmodus. Vor zehn Jahren wurde jedoch zwischenzeitlich die Patriarchenwahl per Stimmenmehrheit eingeführt; fünf Jahre später kehrte man aber zu den Regeln von 1967 zurück. Unterdessen läuft in Kirchenkreisen ein Machtkampf, wenn sich die Bischöfe auch in den vergangenen Wochen in Schweigen gehüllt haben. Medien in Podgorica berichteten kürzlich, das Interims-Oberhaupt, der montenegrinische Metropolit Amfilohije (Radovic), der als einer der Favoriten auf das Patriarchenamt gilt, habe kaum Siegeschancen: Die Bischöfe aus Bosnien, die fast die Hälfte der Sabor-Mitglieder stellen, widersetzten sich Amfilohije aus nicht-ideologischen Gründen.

Wahlkampf

Unter den bosnischen Bischöfen soll sich der Wladika von Tuzla, Vasilije (Kacavenda), in den vergangenen Wochen intensiv um die Unterstützung seiner Amtskollegen bemüht haben. Er gilt in der für ihren Konservativismus bekannten serbischen Kirchen als Traditionalist. Sein luxuriös und kitschig möblierter Amtssitz im ostbosnischen Bijeljina lieferte wiederholt Stoff für Boulevardblätter. Der 72-Jährige soll gute Kontakte zur russischen Orthodoxie haben und ist vor allem als feuriger Anhänger der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic in Erinnerung geblieben.

Viele Kandidaten

Ein weiterer bosnischer Kandidat ist der weltoffenere 43-jährige Bischof von Herzegowina, Grigorije (Duric). Unter den Kandidaten befindet sich auch der 63-jährige Bischof von Backa, Irinej (Bulovic), der im Ausland höchstes Ansehen als Theologe genießt. Für gute Kontakte zu anderen Religionsgemeinschaften ist auch Wladika Lavrentije bekannt, der jahrelang im Westeuropa und Australien tätig war.

Regierung wünscht sich Befürworter der EU-Annäherung Serbiens

Die serbische Regierung wünscht sich wohl einen Befürworter der EU-Annäherung Serbiens an der Spitze der Kirche, wie sie vor allem unter den jüngeren Bischöfen vermutet werden. Im krassen Gegensatz dazu steht der höchste serbisch-orthodoxe Würdenträger im Kosovo, Wladika Artemije (Marko Radosavljevic), der sich, seit der Kosovo seine Unabhängigkeit ausgerufen hat, jeder Zusammenarbeit mit westlichen Staaten widersetzt. Auch der einst für seine Kriegshetze und engen Kontakte zum Regime von Slobodan Milosevic bekannte "rote" Wladika Filaret (Micovic) wäre wohl kaum ein Patriarch nach den Wünschen der serbischen Regierung.

Patriarch Pavle

Der am 15. November im Alter von 95 Jahren verstorbene Patriarch Pavle (Gojko Stojcevic), ehemals Bischof von Prizren (Kosovo) und Raska (Südwestserbien), war wegen seiner bescheidenen Lebensweise beliebt. Als Patriarch gelang es ihm während der Jugoslawien-Kriege in den 90er Jahren aber nicht, sich energisch der Kriegshetze, gegen die auch der Klerus nicht immun war, entgegenzustellen. Einen Papstbesuch in Belgrad hielt der betagte Kirchenführer bis zuletzt für "verfrüht".

 
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