News 24. 02. 2010

Missbrauchsfälle in Deutschland: Regierung und Kirche um Schadensbegrenzung bemüht  

Im Streit um die Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle sind katholische Kirche und Bundes-regierung um Schadensbegrenzung bemüht. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte am Mittwoch ihre Bereitschaft für ein Gespräch mit dem Vorsitz-enden der Deutschen Bischofs-konferenz, Robert Zollitsch.

Der Freiburger Erzbischof sagte, er sei zu einem Treffen bereit. Die Ministerin hatte der Kirche zuvor mangelnde Kooperation mit den Strafverfolgungs-behörden vorgeworfen. Daraufhin hatte Zollitsch der FDP-Politikerin maßlose Polemik vorgehalten und eine Entschuldigung binnen 24 Stunden gefordert. Unterdessen trat der Abt an der Schule des Benediktinerklosters Ettal in Bayern nach Bekanntwerden von neuen Missbrauchsfällen zurück.

Schlagabtausch oder mahnende Worte

Regierung und katholische Kirche waren am Mittwoch sichtlich um Entspannung bemüht. Die Ministerin werde Zollitsch auf dessen Kritik in angemessener Form schriftlich antworten, stehe aber auch für ein Gespräch zur Verfügung, sagte der Ministeriumssprecher mit Blick auf die Fristsetzung von Zollitsch. Aus Sicht der Ministerin gehe es nicht um einen Schlagabtausch mit Zollitsch, sondern um mahnende Worte, wie die Kirche auch mit den Opfern ins Gespräch kommen könne. Zollitsch betonte, einen Teil ihrer Aussage habe die Justizministerin inzwischen revidiert. Über das Katholische Büro in Berlin habe die Kirche Kontakt zum Justizministerium aufgenommen.

Merkel nimmt Kirche in Schutz

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, Kanzlerin Merkel habe keinen Zweifel, dass die Bischöfe die Opfer im Blick hätten und bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Freiburg ihre bisherigen Leitlinien überprüfen werden. Merkel begrüße, dass es ein Gespräch zwischen der Justizministerin und dem Erzbischof geben werde. Jetzt müsse man gemeinsam nach vorn zu schauen, damit Missbrauchsfälle künftig verhindert werden, sagte Wilhelm.

Bisher 120 Missbrauchsfälle

Bundesweit haben sich im Skandal um Missbrauch an Jesuiten-Kollegs und anderen katholischen Schulen bislang rund 120 Opfer gemeldet. "Ich erwarte, dass die Verantwortlichen der katholischen Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären", hatte Leutheusser-Schnarren-berger in der ARD gesagt und die Richtlinien der Kirche im Umgang mit Missbrauchsfällen durch Priester infrage gestellt. Zollitsch wies dies entrüstet zurück: "Ich erinnere mich keines zweiten Medienbeitrags eines Regierungsmit-glieds der Bundesrepublik, der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte." Er telefonierte wegen der Vorwürfe mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), zum Inhalt wurde nichts bekannt.

FDP steht hinter Leutheusser

Leutheusser-Schnarrenberger betonte am Mittwoch, die internen Richtlinien der Katholiken allein reichten nicht aus, um den sexuell missbrauchten Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen oder sie wirksam zu schützen. Sie schlug im Deutschlandradio Kultur erneut einen "runden Tisch" zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle vor, wie das in anderen europäischen Ländern üblich sei. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sprang ihrer Parteifreundin bei und zeigte sich "entsetzt" über den Umgang der Kirche mit den Fällen von sexuellem Missbrauch. "Zum Thema Aufklärung stelle ich mir etwas anderes vor", sagte sie. "Es ist die Pflicht einer Justizministerin, an dieser Stelle etwas zu sagen."

Anzeige gegen Zollitsch

Der Anwalt eines Opfers stellte am Mittwoch Strafanzeige gegen Zollitsch und seinen Vorgänger im Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann. Die Staatsanwaltschaft solle ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung einleiten, sagte Rechtsanwalt Christian Sailer aus dem fränkischen Marktheidenfeld der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Es besteht der Verdacht, dass die Verbrechen bis in die jüngste Zeit vertuscht und die Täter von einer Pfarrei in die andere versetzt wurden, um sich weiter an Jugendlichen zu vergehen." Die von ihm vertretene Frau sei in den 70er Jahren im Bistum Würzburg über Jahre hinweg sowohl körperlich misshandelt als auch sexuell missbraucht worden.

Abt von Ettal zurückgetreten 

Von dem Skandal ist auch die Schule des Benediktinerklosters Ettal nahe Garmisch-Partenkirchen betroffen, wo es zwischen 1950 und 1990 Missbrauchsfälle gab. Abt Barnabas Bögle trat deshalb von seinem Amt zurück, teilte das Erzbischöfliche Ordinariat am Mittwoch in München mit. Bögle übernehme die Verantwortung dafür, dass in einem Fall möglichen Missbrauchs gegen innerkirchliche Meldepflichten verstoßen worden sei.

Moralische Autorität beschädigt

Der Professor für katholische Dogmatik an der Universität Tübingen, Bernd Jochen Hilberath, sagte im Deutschlandradio Kultur, die moralische Autorität der Kirche als Institution sei durch den Skandal schwer beschädigt worden. Die katholische Theologin Marianne Heimbach-Steins warnte Bischöfe und Ordensobere vor Vertuschung und Verdrängung. "Es geht nicht um wenige Einzelfälle, sondern um ein verbreitetes Phänomen", sagte die Sozialethikerin der Universität Münster.

 

 

Link:

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