News 10. 06. 2010 |
Deutschland: Kirche fordert radikale Abkehr von der KernenergieIn die aktuelle Diskussion in Deutschland um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hat sich nun auch die katholische Kirche eingeschaltet und übt Kritik an der von der Bundesregierung angestrebten Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten.So heißt es laut "Kathpress" in einer von der Diözese Hildesheim beim diözesaneigenen "Forschungsinstitut für Philosophie Hannover" (FIPH) in Auftrag gegebenen Stellungnahme, dass Kernenergie "nicht die Lösung des Klimaproblems" darstelle. Die von der Regierung angestrebte Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten verstoße gegen das fundamentale Prinzip des Gemeinwohls und verhindere zudem einen "rechtzeitigen und wirksamen Einstieg in einen nachhaltigen Umgang mit Energie auf dieser Welt". Es müsse bei dem bereits beschlossenen Ausstieg bleiben, alles andere sei angesichts unabsehbarer Risiken unverantwortlich. Auf dem Gebiet der Diözese Hildesheim liegen u.a. das Atomlager Asse und das aus Einrichtungen zur Zwischenlagerung, Weiterbehandlung und möglichen Endlagerung radioaktiven Abfalls bestehende Atommülllager Gorleben. Eine "Verletzung der fundamentalen Gemeinwohlpflichten"Kritik übt das FIPH insbesondere daran, dass der nun anstehenden Laufzeitverlängerung keine ernsthafte öffentliche Debatte vorausgegangen sei. Auch gebe es kein ernsthaftes Konzept zur Endlagerung der Brennrückstände. "Dass ein solches Konzept bis heute nicht vorliegt, macht den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu einer Verletzung der fundamentalen Gemeinwohlpflichten politischer und wirtschaftlicher Eliten", so das FIPH. "Bezeichnend" sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Internationale Atomenergiebehörde, deren Gründungsmitglied auch der Heilige Stuhl ist, den Fragen der Entsorgung "keine wirkliche Aufmerksamkeit" widme. Zudem sei der Beitrag der Kernenergie zur Einsparung von CO2 gemessen am Gesamtausstoß klimaschädlicher Gase gering, heißt es in der Stellungnahme weiter. "Die Kernenergie ist im Vergleich mit den anderen Verursachern zwar CO2-arm, aber sie ist deshalb keineswegs klimaneutral". Kernenergie bleibe daher nicht zuletzt angesichts der Endlichkeit der Uranreserven eine "Übergangstechnologie" von "verhältnismäßig kurzer Reichweite, bei der Aufwand und Ertrag in einem negativen Verhältnis zueinander stehen". Klimawandel nötig zur GrundlagenreflexionInsgesamt dürfe die Diskussion über Kernenergie "nicht unabhängig von der Diskussion über den Klimawandel" geführt werden. Daher mahnt das FIPH zu einer Grundlagenreflexion. Der Klimawandel, der zugleich mit sozialen Verteilungskämpfen und Kriegen einhergeht, stelle die Menschheit vor eine "global notwendige Energiewende", insofern er anzeigt, "dass mit unseren kulturellen Lebensformen etwas Grundsätzliches nicht mehr stimmt". Gefordert seien nicht nur technische Innovationen, sondern auch eine Veränderung der Gewohnheiten und eine Neubesinnung auf das "Prinzip des Gemeinwohls" als Basis jeder "Ethik der Nachhaltigkeit". So besage dieses Prinzip u.a., die zukünftigen Auswirkungen des eigenen Handelns mit großer Vorsicht zu bedenken. "Keine Kultur kommt ohne die Einsicht aus, dass unmittelbare Bedürfnisbefriedigung schaden kann", so die Stellungnahme. Den Schaden angesichts des aktuellen Klimawandels tragen dabei gerade nicht in erster Linie die Verursacher, sondern die Entwicklungs- und Schwellenländer. "Gedankenlose Ressourcenverschwendung"Auch philosophisch bedeutet der Klimawandel laut FIPH eine Herausforderung. So stehe gegenwärtig im Zentrum der Betrachtung stets die Frage nach der Gerechtigkeit unter den heute Lebenden. Dagegen nötige der Klimawandel, dass Solidarität "nach vorn hin geöffnet" werden müsse, d.h. auf die zukünftig Lebenden. Zugleich mahne das Prinzip des Gemeinwohls über die bloße Nachhaltigkeit hinaus auch Selbstachtung ein. Diese werde jedoch verspielt durch rücksichtslose Naturausbeutung und "gedankenlose Ressourcenverschwendung". Nähme man diese Ausweitung der Verantwortung ernst, so das FIPH, so hätten weder Atomkraftwerke noch die aktuellen Zwischen- und Endlager, deren technische Ausstattung umstritten ist, gebaut werden dürfen. Man habe mit der Atomenergie "ein Flugzeug gestartet, ohne am Ankunftsort eine Landebahn zu haben". Bundesregierung für Verlängerung der LaufzeitenDie Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken über das von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Atomkonsens vereinbarte Maß hinaus ist ein zentrales energiepolitisches Vorhaben der Regierungskoalition aus Union und FDP. Im Gespräch sind verschiedene Varianten mit Verlängerungen von bis zu 28 Jahren. Dies würde heißen, dass das letzte Atomkraftwerk von heute an gerechnet erst in etwa 40 Jahren abgeschaltet würde. Die schwarz-gelbe Koalition will ihre Entscheidung über die künftige Energiepolitik Ende Juli treffen.
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