News 10. 09. 2010

Jesus auf der Zielgerade: Erfolgreiche Passionsspiele in Oberammergau

Ein Gelöbnis aus dem Jahr 1633 verpflichtet die Oberammergauer alle zehn Jahre die Passion aufzuführen. Dieses Jahr wird noch bis 3. Oktober gespielt, trotz kalter Witterung. Nach 104 Vorstellungen werden 30 Millionen Euro Reingewinn in der Ortskassa über bleiben.

Das Wetter kannte kein Erbarmen - oft musste Jesus bei den diesjährigen Oberammergauer Passionsspielen frieren. Selbst an manchen Sommerabenden fegte ein empfindlich kalter Wind über die riesige Freilichtbühne des Passionsspielhauses. Und der ließ die beiden sich abwechselnden Christus-Darsteller mit nichts als einem Lendenschurz am Leib bei der Kreuzigungsszene vor Kälte bibbern. Für die restlichen knapp 20 Aufführungen im kühlen Herbst sind Christus und Co. jedenfalls abgehärtet.

Bilanz am 3. Oktober

Erst wenn am 3. Oktober der Vorhang zum letzten Mal fällt, wird Bilanz gezogen. Doch schon jetzt steht fest: Die 104 Vorstellungen sind zu 99,8 Prozent ausgebucht, wie Verkaufsleiter Werner Herrlinger ausgerechnet hat. Zusammen macht das rund eine halbe Million Besucher aus aller Herren Länder.

 Das hätten sich die Dorfbewohner nicht träumen lassen, als sie im Pestjahr 1633 gelobten, alle zehn Jahre die Passion zu spielen, wenn sie fortan von der Seuche verschont blieben. Der Überlieferung nach raffte der "schwarze Tod" von da an keine Menschenseele im Ort der Herrgottschnitzer mehr dahin. Premiere für die Einlösung des Versprechens im Jahr 2010 war am 15. Mai. Das halbe Dorf mit seinen gut 5000 Einwohnern ist fünfmal pro Woche auf oder hinter der Bühne aktiv.

150 Euro für eine Kreuzigung

Die fast hundertprozentige Auslastung der Vorstellungen wiegt umso schwerer als USA-Reiseveranstalter vom Rückgaberecht für Arrangements mit ein oder zwei Übernachtungen rege Gebrauch machten. Die Angst der Amerikaner vor neuen Terroranschlägen auf Flugzeuge ist nur einer der Gründe. Ihre Karten gingen in den deutschen Markt, wo eine große Nachfrage nach Tickets bestand - und das bei Preisen zwischen knapp 50 und gut 150 Euro für einen Spitzenplatz.

Großes Interesse in Neuseeland und Japan

 "Nach wie vor kommt aber fast die Hälfte aller Zuschauer aus dem englischsprachigen Raum", weiß Frederik Mayet, in Personalunion einer der beiden Christus-Darsteller und Sprecher der Passionsspiele. Steigendes Interesse wird in Neuseeland und Japan registriert. Für die Gemeinde als Veranstalter hat sich der jahrelange Aufwand allemal gelohnt. Der Reingewinn dürfte an die 30 Millionen Euro betragen. Davon muss der Ferienort unweit von Garmisch-Partenkirchen freilich zehn Jahre zehren, die nächsten Passionsspiele sind schließlich erst wieder 2020.

Nur Einheimische dürfen mitmachen

Um auf der Bühne eine der begehrten Hauptrollen spielen zu können, haben sich mehrere Oberammergauer - nur Einheimische dürfen mitmachen - ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub genommen. Als Ausgleich bekommen die Laiendarsteller von der Gemeinde eine Gage. Von wegen aber "Jesus Christ Superstar": "Ein Jesus verdient nicht wesentlich mehr als ein Techniker hinter der Bühne", verrät Mayet, der für seinen "Kollegen" Andreas Richter gleich mitspricht.

800 Mitwirkende

Freuen dürfen sich auch die vielen im Volk mitspielenden Kinder. Pro Vorstellung gibt es fünf Euro. "Da kann sich einer am Ende ein schönes neues Fahrrad kaufen", meint Mayet. Bis zu 800 Mitwirkende - vom Säugling im Tragetuch der Mutter bis zum Greis - stehen bei den Massenszenen wie dem Einzug in Jerusalem auf der Bühne. Mayet: "Jeder vom Volk muss an mindestens 80 Tagen da sein, das wird auch kontrolliert, allein schon wegen der Honorare."

Auf der Bühne und hinter der Bühne weht ein guter Geist"

Positiv fällt die Bilanz auch bei Spielleiter Christian Stückl aus. "Ich war noch nie so zufrieden wie dieses Mal", sagt der Regisseur. Er muss es wissen, denn er leitet die Passion nach 1990 und dem Millennium 2000 nun zum dritten Mal und hat manchen Streit um eine zeitgemäße Inszenierung vom Zaun gebrochen. "Auf der Bühne und hinter der Bühne weht ein guter Geist", meint der 48-Jährige, der aus einer typischen Oberammergauer Laienschauspielerfamilie stammt und schon als Kind mitwirkte.

"Worüber lacht Gott?"

 "Die Leute sind noch immer voll konzentriert und haben ihren Spaß", sagt Stückl im oberbayerischen Dialekt. Den legt der Kettenraucher auch in Fernsehinterviews nicht ab oder im Gespräch mit Prominenten wie etwa vor einigen Wochen, als Bundespräsident Christian Wulff eine Aufführung im Schnitzerdorf sah. Voll eingeschlagen hat nach Überzeugung Stückls auch die Verlegung des zweiten Passionsspielteils in den Abend. Damit nutzt der Regisseur die Abenddämmerung für stimmungsvolle Effekte auf der Bühne. Er wagt die Prognose: "Das wird nie mehr anders sein." Bei der Frage nach seiner eigenen Zukunft als Chef der Passionsspiele im Jahr 2020 gibt sich Stückl zunächst bedeckt. Er fragt zurück: "Worüber lacht Gott?" und liefert die Antwort augenzwinkernd gleich mit: "Über Planung." Dann sagt er: "Ich weiß es wirklich nicht. Bis dahin ist noch eine lange Zeit." Nach einer Atempause fügt er aber gleich hinzu: "Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, es nicht mehr zu machen. Was tu' ich denn dann?"

"Traditionell wird nach der letzten Vorstellung viel geweint"

Diese Frage werden sich auch viele Mitwirkende stellen, wenn am Abend des 3. Oktober die letzte Vorstellung der Passion 2010 vorüber ist. Sie fallen schon am nächsten Tag in ein tiefes Loch. Von der Nominierung über das Textstudium und die monatelange Probenarbeit bis hin zu 20 Wochen Aufführungen am Stück hat "der Passion", wie die Einheimischen ihre Leidenschaft männlich statt weiblich aussprechen, eineinhalb Jahre lang ihr Leben geprägt. Mancher Darsteller hat seine Mitspieler in dieser Zeit öfter gesehen als seinen Lebenspartner. "Traditionell wird nach der letzten Vorstellung viel geweint", verrät Christus-Darsteller Mayet. "Die Leute liegen sich schluchzend in den Armen, denn es wird ihnen plötzlich bewusst, dass mit einem Mal alles vorbei ist."

Friseure haben einige Tage viel Arbeit

Vorbei ist es nach der letzten Vorstellung auch mit den langen Haaren und den Rauschebärten der Männer. Oberammergaus Friseure haben dann einige Tage viel Arbeit. Erst am Aschermittwoch des Jahres 2019, gut ein Jahr vor der Premiere der Spiele 2020, heißt es in Oberammergau wieder: Haare und Bart wachsen lassen.

 
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