Österreichs Aleviten sind selbstständig
Vor zwei Wochen hat der Verfassungsgerichtshof
entschieden, dass die Absage des Kultusamts an die österreichischen
Aleviten, die eine eigene Bekenntnisgemeinde gründen wollten,
verfassungswidrig war. Gestern wurden die Aleviten offiziell als „Islamische
Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ anerkannt.
Österreichs Aleviten sind seit
Donnerstag eine eigene „eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“. Der
dementsprechende Bescheid des Kultusamts wurde nur zwei Wochen nach dem
Urteil des Verfassungsgerichtshofs, das die ursprüngliche Ablehnung
aufgehoben hatte, fertiggestellt.
Über eineinhalb Jahre mussten die
Aleviten warten. Schon im März 2009 beantragten sie beim Kultusamt im
Bildungsministerium die Anerkennung als „eingetragene religiöse
Bekenntnisgemeinschaft“. Dieses ließ sich lange Zeit, um schließlich eine
Absage zu erteilen. Der Grund: Mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft gebe
es bereits eine Vertretung aller Muslime Österreichs, neben der keine zweite
Gemeinschaft mit dem Label „islamisch“ zulässig sei.
Verfassungs- und menschenrechtswidrig
Genau diese Begründung wurde vor
zwei Wochen, am 1.12.2010 vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig
eingestuft. „Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die
Vorgangsweise der Bundesministerin nicht der Verfassung entspricht“, lautete
das offizielle Statement der Obersten Richter. Nirgends in den einschlägigen
österreichischen Gesetzen stehe, dass es nur eine einzige islamische
Religions- bzw. Bekenntnisgemeinschaft geben dürfe. Im Gegenteil: „Eine
solche Ansicht verletzt den Artikel 9 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (Recht auf Religionsfreiheit).“
Im Gegensatz zur Prüfung des ursprünglichen Antrags der
Aleviten, die eineinhalb Jahre gedauert hat, reagierte das Kultusamt auf das
Urteil des VfGh sehr schnell. Schon gestern, am 16.12. bekamen die Aleviten
den Bescheid über ihre Anerkennung als „eingetragene religiöse
Bekenntnisgemeinde“. „Nachdem Österreich in der Vergangenheit wegen der
langen Prüfungszeiten, vor allem bei den Zeugen Jehovas, in der
internationalen Kritik stand, haben in diesem Fall sowohl der VfGh als auch
wir versucht, möglichst schnell zu handeln“, sagt Oliver Henhapel vom
Kultusamt gegenüber religion.orf.at.
Nagelprobe für IGGiÖ
Für die IGGiÖ könnte die Anerkennung der Aleviten zur
Nagelprobe geraten. Was den Aleviten erlaubt wird, muss theoretisch auch für
andere islamische Strömungen gelten. Sollten also in Zukunft beispielsweise
die Schiiten beschließen, dass sie eine eigene Bekenntnisgemeinschaft sein
wollen, müsste der Gesetzgeber auch dieses Ansuchen ernst nehmen – wenn auch
in diesem Fall der Beweis, dass im Glauben wesentliche Unterschiede
bestehen, schwieriger wäre als bei den Aleviten. Das bestätigt auch der
Wiener Religionsrecht-Experte Richard Potz. „Dieses Urteil war
vorherzusehen. Es ist klar, dass keine Gemeinschaft in eine Vertretung
hineingezwungen werden kann, zu der sie nicht gehören will.“ Damit sei auch
der Weg für potentielle Abspaltungen von der IGGiÖ in Zukunft geebnet. „Es
gibt keinen Grund mehr, anderen Gemeinschaften das Recht auf die Bezeichnung
„islamisch“ zu verwehren“, so Potz.
Ob künftig weitere islamische Strömungen versuchen
werden, sich von der IGGiÖ abzuspalten, lasse sich aus heutiger Sicht aber
kaum vorhersehen. „Vor allem, weil die einzelnen islamischen Rechtsschulen
in Österreich in letzter Zeit eher zusammen- als auseinandergerückt sind.“
Rechtlich spricht aber nichts mehr dagegen.
Michael Weiß, religion.orf.at |