News 17. 12. 2010

Österreichs Aleviten sind selbstständig

Vor zwei Wochen hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Absage des Kultusamts an die österreichischen Aleviten, die eine eigene Bekenntnisgemeinde gründen wollten, verfassungswidrig war. Gestern wurden die Aleviten offiziell als „Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ anerkannt.

Österreichs Aleviten sind seit Donnerstag eine eigene „eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“. Der dementsprechende Bescheid des Kultusamts wurde nur zwei Wochen nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, das die ursprüngliche Ablehnung aufgehoben hatte, fertiggestellt.

Über eineinhalb Jahre mussten die Aleviten warten. Schon im März 2009 beantragten sie beim Kultusamt im Bildungsministerium die Anerkennung als „eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“. Dieses ließ sich lange Zeit, um schließlich eine Absage zu erteilen. Der Grund: Mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft gebe es bereits eine Vertretung aller Muslime Österreichs, neben der keine zweite Gemeinschaft mit dem Label „islamisch“ zulässig sei.

Verfassungs- und menschenrechtswidrig

Genau diese Begründung wurde vor zwei Wochen, am 1.12.2010 vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig eingestuft.  „Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Vorgangsweise der Bundesministerin nicht der Verfassung entspricht“, lautete das offizielle Statement der Obersten Richter. Nirgends in den einschlägigen österreichischen Gesetzen stehe, dass es nur eine einzige islamische Religions- bzw. Bekenntnisgemeinschaft geben dürfe. Im Gegenteil: „Eine solche Ansicht verletzt den Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Religionsfreiheit).“

Im Gegensatz zur Prüfung des ursprünglichen Antrags der Aleviten, die eineinhalb Jahre gedauert hat, reagierte das Kultusamt auf das Urteil des VfGh sehr schnell. Schon gestern, am 16.12. bekamen die Aleviten den Bescheid über ihre Anerkennung als „eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinde“. „Nachdem Österreich in der Vergangenheit wegen der langen Prüfungszeiten, vor allem bei den Zeugen Jehovas, in der internationalen Kritik stand, haben in diesem Fall sowohl der VfGh als auch wir versucht, möglichst schnell zu handeln“, sagt Oliver Henhapel vom Kultusamt gegenüber religion.orf.at.

Nagelprobe für IGGiÖ

Für die IGGiÖ könnte die Anerkennung der Aleviten zur Nagelprobe geraten. Was den Aleviten erlaubt wird, muss theoretisch auch für andere islamische Strömungen gelten. Sollten also in Zukunft beispielsweise die Schiiten beschließen, dass sie eine eigene Bekenntnisgemeinschaft sein wollen, müsste der Gesetzgeber auch dieses Ansuchen ernst nehmen – wenn auch in diesem Fall der Beweis, dass im Glauben wesentliche Unterschiede bestehen, schwieriger wäre als bei den Aleviten. Das bestätigt auch der Wiener Religionsrecht-Experte Richard Potz. „Dieses Urteil war vorherzusehen. Es ist klar, dass keine Gemeinschaft in eine Vertretung hineingezwungen werden kann, zu der sie nicht gehören will.“ Damit sei auch der Weg für potentielle Abspaltungen von der IGGiÖ in Zukunft geebnet. „Es gibt keinen Grund mehr, anderen Gemeinschaften das Recht auf die Bezeichnung „islamisch“ zu verwehren“, so Potz.

Ob künftig weitere islamische Strömungen versuchen werden, sich von der IGGiÖ abzuspalten, lasse sich aus heutiger Sicht aber kaum vorhersehen. „Vor allem, weil die einzelnen islamischen Rechtsschulen in Österreich in letzter Zeit eher zusammen- als auseinandergerückt sind.“ Rechtlich spricht aber nichts mehr dagegen.

 

Michael Weiß, religion.orf.at

 
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