Uneinigkeit bei Theologen über „Memorandum“
Sind Kirchenreformen durch Forderungskataloge und
Resolutionen erreichbar? In dieser Frage scheiden sich vor dem Hintergrund
des in der Vorwoche veröffentlichten Memorandums "Kirche 2011 - ein
notwendiger Aufbruch" deutschsprachiger Theologieprofessoren und
-professorinnen auch in Österreich die Geister.
"Die Zeit des Resolutionismus ist
vorbei", Reformpapiere wie das Memorandum "bringen nichts", sagte der Wiener
Pastoraltheologe em.Prof. Paul Michael Zulehner am Dienstag gegenüber "Kathpress".
Der Linzer Dogmatiker Franz Gruber dagegen sieht als einer der Unterzeichner
den von Deutschland ausgegangenen Text als Ausdruck von Sorge über eine
drohende "Erosion" der Kirche.
Über 200 Unterschriften
Derzeit haben 208 Theologielehrende aus
Deutschland, der Schweiz und Österreich das Memorandum unterschrieben.
Darunter sind aus Österreich Heinrich Schmidinger (Rektor der Universität
Salzburg), Martin Jäggle (Dekan der Wiener Katholisch-Theologischen
Fakultät), Johann Pock (Wiener Ordinarius für Pastoraltheologie), der Grazer
Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann und der Innsbrucker Sozialethiker
Wolfgang Palaver.
Zulehner: Methode nicht zielführend
Im Memorandum aufgelisteten Forderungen
nach einer Neudefinition kirchlicher Ämter, Mitbestimmung der Gläubigen und
Respekt vor der Gewissensfreiheit in Bezug auf Lebensformen könne er -
Zulehner - vieles abgewinnen. Doch die Methode halte er nicht für
zielführend, sagte er. Tatsächliche Veränderungen in der Kirche seien nur
durch Koalitionen von Bischöfen und durch das lehramtliche Nachvollziehen
von in der seelsorglichen Praxis bereits vollzogenen Reformen möglich.
Zulehner verwies hier auf die Integration von wiederverheirateten
Geschiedenen in das sakramentale Leben. Die Bischöfe seien gut beraten,
Reformanliegen und -schritte an der Basis nicht unbegleitet und
unkontrolliert sich selbst zu überlassen. Ansonsten drohe die Kirchenleitung
vom konkreten Leben der Pfarrgemeinden immer mehr "abgespalten" zu werden,
verwies der Wiener Theologe auf entsprechende Erkenntnisse seiner
"Pfarrer-Studie" aus dem Vorjahr. Zulehner äußerte im "Kathpress"-Interview
die Einschätzung, dass im Vatikan Reformresolutionen "als Zeichen der Krise
und nicht als deren Lösung" betrachtet würden. Europa werde in Rom als vom
Relativismus angekränkelte Weltregion gesehen, in der die "liberale" Kirche
zum Absterben verurteilt sei.
Gruber: "Nicht als Brüskierung gemeint"
Der Linzer Dogmatiker Gruber hat laut
eigenen Worten das Memorandum deswegen unterzeichnet, weil er es für falsch
halte, angesichts der aktuellen Kirchenkrise "durchtauchen" zu wollen. Die
Krise müsse vielmehr als Anstoß genutzt werden, immer wieder vorgebrachte
Reformanliegen in Angriff zu nehmen, meinte Gruber am Dienstag gegenüber "Kathpress".
Sein Kollege Zulehner könne durchaus damit Recht haben, dass das Memorandum
"kirchenpolitisch unwirksam" bleibt; mit "Verstummen" oder gar der im
Memorandum angesprochenen "Grabesruhe" wäre jedoch auch nichts gewonnen.
Angesichts der hohen Austrittszahlen müsse die Kirche rasch handeln, so der
Linzer Theologe. Der Priestermangel bringe viele Gemeinden unter Druck, bei
Ausbleiben von Änderungen bei den Zulassungsbedingungen zum kirchlichen Amt
drohten weitere Einbrüche bei derzeit noch intakten Strukturen am Ort. Dem
Gegenargument, Reformen seien nur im Einklang mit der Weltkirche möglich,
hält Gruber entgegen, dass manche Formen kirchlichen Lebens durchaus
regional unterschiedlich lösbar wären, ohne die "katholische Identität" zu
untergraben. Die Kirche des 21. Jahrhunderts werde pluraler sein müssen;
diese Vielfalt gut zu "managen" stelle freilich hohe Ansprüche an die
Kirchenleitung. Aus der Unterzeichnung des Memorandums befürchtet Gruber
keine beruflichen Nachteile. Dies würde kein gutes Licht auf die
Meinungsfreiheit und auf den Umgang "mit der ehrlichen Sorge um die Kirche"
werfen. Das Memorandum sei in keinem "negativen Ton" gehalten und sicher
nicht als "Brüskierung" gemeint, greife es doch Anliegen breiter
Kirchenkreise und auch mancher Bischöfe auf. "Ich hoffe, dass unser Appell
gehört wird", schloss Gruber.
|