US-Studie: Religion wird in Österreich aussterben
Eine auf Volkszählungs-Daten und einem mathematischen Modell basierende
Studie aus den USA sagt voraus, dass die Religion in neun Ländern der Welt
aussterben wird. Darunter ist auch Österreich. Der österreichische
Religionswissenschafter Johann Figl rät den Autoren, sich in den
Themenbereich Religion einzuarbeiten, bevor sie derartige Prognosen
erstellen.
Die Studie, die laut einem Bericht auf der Homepage der
BBC bei einer Tagung der „American Physical Society“ Ende März in Dallas
vorgestellt wurde, bezieht sich auf die stetig steigenden Zahlen derer, die
„keine religiöse Zugehörigkeit“ bei Volkszählungen angeben.
In neun Ländern, Australien, Österreich, Kanada,
Tschechien, Finnland, Irland, den Niederlanden, Neuseeland und der Schweiz,
würde demnach die Religion in Zukunft fast komplett verschwinden.
Religionen wie Sprachen?
Für die Analyse wurde ein mathematisches System
verwendet, das in ähnlicher Form schon für andere Bevölkerungsentwicklungen
in verschiedenen Bereichen verwendet wurde. So wurde unter anderem das
langsame Verschwinden von seltenen Sprachen untersucht. Grundsätzlich geht
es dabei um die Konkurrenz zwischen den Sprechern verschiedener Sprachen und
der „Nützlichkeit“ der Fähigkeit, seltene Sprachen zu sprechen. "Es gibt
viele Sprachen auf der Welt, die langsam verschwinden", erklärt einer der
Studienautoren, Richard Wiener von der "Research Corporation for Science
Advancement", auf Anfrage von religion.ORF.at. "Wir gehen davon aus, dass
sich Religionen ähnlich verhalten könnten."
Im BBC-Artikel erkärte Wiener die angenommen Gründe
hinter dieser angeblichen Entwicklung: „Die Idee ist eigentlich recht
einfach. Sie postuliert, dass soziale Gruppen, die mehr Mitglieder haben,
attraktiver für Außenstehende sind. Und sie postuliert, dass soziale Gruppen
auch einen sozialen Status oder eine soziale Nützlichkeit aufweisen.“
Die „Nützlichkeit“ von Religion
Für das Sprachen-Beispiel bedeute das, so Wiener, dass
eine Sprache, die von vielen Menschen gesprochen wird, für den Einzelnen
nützlicher ist als eine sehr seltene Sprache. Für Religionen gehen sie von
der gleichen Regel aus, ungeachtet dessen, dass in vielen Teilen der Welt
gerade jene religiösen Gruppen, die selbst nur Minderheiten darstellen, den
meisten Zulauf erfahren. "Wenn eine Gruppe weniger Mitglieder hat, tendiert
sie dazu, weniger attraktiv zu sein", erklärt Wiener gegnüber
religion.ORF.at "Aber gleichzeitig kann sie andere Eigenschaften haben, die
sie wiederum attraktiver machen." Über einen langen Zeitraum gesehen würden
größere Gruppen aber dennoch immer größer werden, während kleinere dazu
tendieren, zu verschwinden.
Zwar gaben die Autoren zu, dass bei der Entscheidung
über die individuelle Religionszugehörigkeit eine Menge Faktoren
mitspielten, die die Studie nicht erheben könne. Allerdings, so Wiener,
liefere sie dennoch zumindest eine „Annäherung“ an die Realität. Für die
Stadt Wien sagt er voraus, dass im Jahr 2050 bereits 60 Prozent ohne
religiöses Bekenntnis sein werden.
Figl: Aussterben unwahrscheinlich
Der Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft an
der Universität Wien, Prof. DDr. Johann Figl, kann der Studie nicht viel
abgewinnen. „Natürlich stimmt es, dass jene Menschen, die keiner Religion
offiziell angehören, immer mehr werden“, sagt Figl im Interview mit
religion.ORF.at, „aber das heißt nicht, dass die Religiosität an sich
verschwindet.“ Ein Aussterben der Religion in Österreich hält er demnach für
ausgeschlossen. Zwar gebe es durchaus Verschiebungen in der religiösen
Landschaft, aber gleichzeitig auch religiöse Gruppen, die im Wachsen
begriffen seien. „Es mag sein, dass die eine oder andere Form der
institutionalisierten Religion mit der Zeit verschwindet – dafür gibt es
genug Beispiele in der Geschichte. Aber es wird immer andere Formen geben,
die an ihre Stelle treten.“
Auch den Vergleich mit dem Aussterben von Sprachen kann
der Religionswissenschafter nicht nachvollziehen: „Religionen haben eine
grundlegend andere Funktion als Sprachen, die weit über ihre unmittelbare
Nützlichkeit hinaus geht“, erklärt Figl. Diese „Nützlichkeit“ hänge bei
Religionen – im Unterschied zu Sprachen – nicht direkt mit der Anzahl ihrer
Mitglieder zusammen.
„Diese Studie bietet zwar eine interessante
Perspektive, die mir so noch nicht untergekommen ist“, so Figl, „aber
grundsätzlich würde ich den Naturwissenschaften schon raten, sich vor
derartigen Behauptungen ein bisschen in das Themenfeld Religion
einzuarbeiten.“
Michael Weiß, religion.ORF.at
|