Gewalt in Ägypten – Rückschlag für die
Demokratiebewegung?
Der Salzburger Kirchenhistoriker und Nahost-Experte
Prof. Dietmar Winkler analysiert im religion.ORF.at-Interview die jüngsten
Zwischenfälle in Ägypten.
Haben Sie die neuerlichen Gewaltakte
in Ägypten überrascht?
Selbstverständlich hat mich das
überrascht, weil ich von der Demokratiebewegung in Ägypten, die ich sehr
intensiv verfolgt habe, sehr angetan war. Es hat eigentlich danach
ausgesehen, als würden religiöse Konflikte keine Rolle mehr spielen. Da
haben junge Christen und Muslime Seite an Seite für mehr Demokratie und
Menschenrechte demonstriert. Jetzt sieht es leider so aus, als würden alte
Muster wieder hervorgekehrt werden.
Was halten Sie von der Theorie, dass
die jüngsten Gewaltakte von Kräften angestoßen wurden, die gegen diese
Demokratiebewegung arbeiten wollen?
Das kann durchaus sein, lässt sich aber
keineswegs nachweisen. Wenn tatsächlich noch Reste des Mubarak-Regimes am
Werk sind, dann ist die derzeitige Militärregierung umso mehr gefragt. Das
erste Zeichen, das jetzt gesetzt wurde – nämlich Leute vor Militärgerichte
zu stellen – halte ich aber für ein falsches. Da bin ich ganz auf der Seite
der Kopten, die eine öffentliche Diskussion zum Thema Gewalt und
Unterdrückung der christlichen Minderheit fordern.
Was sollte die Regierung Ihrer
Meinung nach tun?
Das Phänomenale an der ägyptischen
Gesellschaft ist ja, dass man sie nicht in verschiedene ethnische Gruppen
auseinanderdividieren kann, wie das in anderen Regionen der Fall ist. Egal
ob Christen oder Muslime – es sind immer Ägypter. Da hätte eine Regierung
eigentlich einen sehr guten Ansatz, weil es etwas gibt, was alle Ägypter
eint.
Gibt es Unterschiede zwischen
Christen und Muslimen in Ägypten, was ihre gesellschaftliche Stellung
betrifft?
Grundsätzlich findet man sowohl
Christen als auch Muslime in allen gesellschaftlichen Schichten. Es ist
allerdings schon so, dass die Christen traditionell einen besseren Zugang zu
Bildung haben. Gleichzeitig ist es aber so, dass den Christen der Aufstieg
in höhere staatliche Ämter oder auch im Militär bisher verwehrt geblieben
ist.
Wie würden Sie ganz allgemein das
Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Ägypten beschreiben?
Grundsätzlich – und das ist meine
persönliche Erfahrung aus zahlreichen Aufenthalten im Land – können Christen
und Muslime in Ägypten sehr gut miteinander. Das Problem ist, dass die
Kopten vielfach als Zielscheibe herhalten mussten, um das Regime Mubarak von
außen zu schwächen. Wenn dieses Muster weiter gespielt wird, wäre es
durchaus denkbar, dass jetzt versucht wird, auch die Demokratiebewegung und
die neue Regierung mit den gleichen Mitteln ins Wanken zu bringen.
Man versucht also, den sozialen
Frieden zu stören, indem man bei den Schwächsten ansetzt – und das ist die
christliche Minderheit.
Ja, so könnte man das sagen.
Anlass für die jüngsten
Gewaltausbrüche soll ja die Konversion einer Koptin zum Islam gewesen sein –
was dem vernehmen nach zur Folge hatte, dass die Frau in einer koptischen
Kirche festgehalten wurde. Abgesehen davon, dass das keineswegs bestätigt
ist –wäre das ein Einzelfall oder führt so etwas häufig zu Problemen?
Solche Fälle kommen Ägypten sehr oft
vor, das ist aber im Prinzip eine einfache Angelegenheit: Es ist per Gesetz
vorgeschrieben, dass eine Christin, die einen Muslim heiraten will,
konvertieren muss. Umgekehrt – also wenn eine Muslima einen Christen
heiraten möchte – geht das aber nicht. Wenn jemand vom Christentum zum Islam
konvertiert, gibt’s ein Fest, wenn jemand vom Islam zum Christentum
konvertiert, gibt’s Verfolgung. Ein Zwang ist also schon vom Recht her
gegeben und nicht für eine konkrete Person durch ihr Umfeld.
Sind diese interreligiösen Ehen
ihrer Erfahrung nach häufig?
Das ist durchaus ein gängiges Problem
überall im Nahen Osten, weil junge Menschen sich nun mal verlieben und dann
auch heiraten wollen. Was sich in der Demokratiebewegung als Wille der
ägyptischen Jugend herauskristallisiert hat, ist, dass sie ungeachtet der
Religion als ein Volk leben wollen.
Kann oder soll der „Westen“, die
Europäische Union, in Ägypten auf irgendeine Weise zu einer Beruhigung der
Situation beitragen? Oder muss man das Land und seine Gesellschaft sich
selbst überlassen, damit sie diese Probleme überwinden können?
Beides. Einerseits muss die ägyptische
Gesellschaft das selbst durcharbeiten. Die koptische Forderung einer
öffentlichen Diskussion über Gewalt gegen Christen ist ein guter Anfang.
Andererseits ist es aber auch sehr wichtig, dass die EU und auch die
einzelnen Staaten derartige Ereignisse nicht unbemerkt lassen und darauf
reagieren. Diese Reaktionen werden in Ägypten auch sehr massiv wahrgenommen
und bewirken tatsächlich etwas.
Ist dieser neuerliche Zwischenfall
ein Rückschlag in der Demokratiebewegung Ägyptens?
Ob er zu einem Rückschlag führt, lässt
sich noch nicht wirklich sagen. Momentan ist er ein massiver Einschnitt, der
in dieser Wucht nicht zu erwarten war. Die Frage ist, ob die
Demokratiebewegung und die jungen Leute stark genug sind, um sich davon
nicht irritieren zu lassen. Dazu bedarf es aber auch einer Aufklärung der
Regierung über die Hintergründe. Wenn hier zu schnell agiert wird und die
vermeintlichen Drahtzieher wirklich vor ein Militärgericht gestellt und
exemplarisch bestraft werden, führt das sicherlich nicht zu einer
Entspannung der Situation. Solche Religionskonflikte sind ein langer
Prozess, der durchdiskutiert werden muss. Je weniger die Leute im religiösen
Umfeld gebildet sind, desto leichter lassen sie sich instrumentalisieren.
Eine öffentliche Debatte könnte zu mehr religiöser Bildung führen und damit
die Instrumentalisierung des Einzelnen unterbinden.
Brigitte Krautgartner, Michael Weiß,
religion.ORF.at
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