News 11. 05. 2011

Gewalt in Ägypten – Rückschlag für die Demokratiebewegung?

Der Salzburger Kirchenhistoriker und Nahost-Experte Prof. Dietmar Winkler analysiert im religion.ORF.at-Interview die jüngsten Zwischenfälle in Ägypten.

Haben Sie die neuerlichen Gewaltakte in Ägypten überrascht?

 

Selbstverständlich hat mich das überrascht, weil ich von der Demokratiebewegung in Ägypten, die ich sehr intensiv verfolgt habe, sehr angetan war. Es hat eigentlich danach ausgesehen, als würden religiöse Konflikte keine Rolle mehr spielen. Da haben junge Christen und Muslime Seite an Seite für mehr Demokratie und Menschenrechte demonstriert. Jetzt sieht es leider so aus, als würden alte Muster wieder hervorgekehrt werden.

 

Was halten Sie von der Theorie, dass die jüngsten Gewaltakte von Kräften angestoßen wurden, die gegen diese Demokratiebewegung arbeiten wollen?

 

Das kann durchaus sein, lässt sich aber keineswegs nachweisen. Wenn tatsächlich noch Reste des Mubarak-Regimes am Werk sind, dann ist die derzeitige Militärregierung umso mehr gefragt. Das erste Zeichen, das jetzt gesetzt wurde – nämlich Leute vor Militärgerichte zu stellen – halte ich aber für ein falsches. Da bin ich ganz auf der Seite der Kopten, die eine öffentliche Diskussion zum Thema Gewalt und Unterdrückung der christlichen Minderheit fordern.

 

Was sollte die Regierung Ihrer Meinung nach tun?

 

Das Phänomenale an der ägyptischen Gesellschaft ist ja, dass man sie nicht in verschiedene ethnische Gruppen auseinanderdividieren kann, wie das in anderen Regionen der Fall ist. Egal ob Christen oder Muslime – es sind immer Ägypter. Da hätte eine Regierung eigentlich einen sehr guten Ansatz, weil es etwas gibt, was alle Ägypter eint.

 

Gibt es Unterschiede zwischen Christen und Muslimen in Ägypten, was ihre gesellschaftliche Stellung betrifft?

 

Grundsätzlich findet man sowohl Christen als auch Muslime in allen gesellschaftlichen Schichten. Es ist allerdings schon so, dass die Christen traditionell einen besseren Zugang zu Bildung haben. Gleichzeitig ist es aber so, dass den Christen der Aufstieg in höhere staatliche Ämter oder auch im Militär bisher verwehrt geblieben ist.

 

Wie würden Sie ganz allgemein das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Ägypten beschreiben?

 

Grundsätzlich – und das ist meine persönliche Erfahrung aus zahlreichen Aufenthalten im Land – können Christen und Muslime in Ägypten sehr gut miteinander. Das Problem ist, dass die Kopten vielfach als Zielscheibe herhalten mussten, um das Regime Mubarak von außen zu schwächen. Wenn dieses Muster weiter gespielt wird, wäre es durchaus denkbar, dass jetzt versucht wird, auch die Demokratiebewegung und die neue Regierung mit den gleichen Mitteln ins Wanken zu bringen.

 

Man versucht also, den sozialen Frieden zu stören, indem man bei den Schwächsten ansetzt – und das ist die christliche Minderheit.

 

Ja, so könnte man das sagen.

 

Anlass für die jüngsten Gewaltausbrüche soll ja die Konversion einer Koptin zum Islam gewesen sein – was dem vernehmen nach zur Folge hatte, dass die Frau in einer koptischen Kirche festgehalten wurde.  Abgesehen davon, dass das keineswegs bestätigt ist –wäre das ein Einzelfall oder führt so etwas häufig zu Problemen?

 

Solche Fälle kommen Ägypten sehr oft vor, das ist aber im Prinzip eine einfache Angelegenheit: Es ist per Gesetz vorgeschrieben, dass eine Christin, die einen Muslim heiraten will, konvertieren muss. Umgekehrt – also wenn eine Muslima einen Christen heiraten möchte – geht das aber nicht. Wenn jemand vom Christentum zum Islam konvertiert, gibt’s ein Fest, wenn jemand vom Islam zum Christentum konvertiert, gibt’s Verfolgung. Ein Zwang ist also schon vom Recht her gegeben und nicht für eine konkrete Person durch ihr Umfeld.

 

Sind diese interreligiösen Ehen ihrer Erfahrung nach häufig?

 

Das ist durchaus ein gängiges Problem überall im Nahen Osten, weil junge Menschen sich nun mal verlieben und dann auch heiraten wollen. Was sich in der Demokratiebewegung als Wille der ägyptischen Jugend herauskristallisiert hat, ist, dass sie ungeachtet der Religion als ein Volk leben wollen.

 

Kann oder soll der „Westen“, die Europäische Union, in Ägypten auf irgendeine Weise zu einer Beruhigung der Situation beitragen? Oder muss man das Land und seine Gesellschaft sich selbst überlassen, damit sie diese Probleme überwinden können?

 

Beides. Einerseits muss die ägyptische Gesellschaft das selbst durcharbeiten. Die koptische Forderung einer öffentlichen Diskussion über Gewalt gegen Christen ist ein guter Anfang. Andererseits ist es aber auch sehr wichtig, dass die EU und auch die einzelnen Staaten derartige Ereignisse nicht unbemerkt lassen und darauf reagieren. Diese Reaktionen werden in Ägypten auch sehr massiv wahrgenommen und bewirken tatsächlich etwas.

 

Ist dieser neuerliche Zwischenfall ein Rückschlag in der Demokratiebewegung Ägyptens?

 

Ob er zu einem Rückschlag führt, lässt sich noch nicht wirklich sagen. Momentan ist er ein massiver Einschnitt, der in dieser Wucht nicht zu erwarten war. Die Frage ist, ob die Demokratiebewegung und die jungen Leute stark genug sind, um sich davon nicht irritieren zu lassen. Dazu bedarf es aber auch einer Aufklärung der Regierung über die Hintergründe. Wenn hier zu schnell agiert wird und die vermeintlichen Drahtzieher wirklich vor ein Militärgericht gestellt und exemplarisch bestraft werden, führt das sicherlich nicht zu einer Entspannung der Situation. Solche Religionskonflikte sind ein langer Prozess, der durchdiskutiert werden muss. Je weniger die Leute im religiösen Umfeld gebildet sind, desto leichter lassen sie sich instrumentalisieren. Eine öffentliche Debatte könnte zu mehr religiöser Bildung führen und damit die Instrumentalisierung des Einzelnen unterbinden.

 

Brigitte Krautgartner, Michael Weiß, religion.ORF.at

 

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