News 20. 06. 2011

Tagung über „Islamophobie und verwandte Phänomene“ in Wien

Mit „Islamophobie und verwandten Phänomenen“ setzte sich am Samstag eine hochkarätige Konferenz im Islamischen Zentrum Wien auseinander.

„Islamophobie“ ist ein viel diskutiertes Phänomen, das sich in Europa vor allem seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 entscheidend verstärkt hat. Sie ist auch Teil eines breiteren Trends der  generellen Skepsis gegenüber Religion, die sich vor allem in neuen organisierten Formen des Atheismus manifestiert. Die psychologischen Mechanismen und geschichtlichen Hintergründe dieser neuen Strömungen waren am Samstag Thema einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in Wien. Das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP), die Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) und das Institut für interkulturelle Islamforschung (INTIS) luden zur Tagung „Das Unbehagen mit der Religion. Islamophobie und verwandte Phänomene“ ins Islamische Zentrum Wien.

Warnung vor „diktatorisch-totalitärem Relativismus“

Tagungsleiter Raphael Bonelli, Psychiater und Direktor des "Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" warnte in seinem Vortrag vor Formen eines "diktatorisch-totalitären Relativismus". Religion zu kritisieren oder für falsch zu erklären sei sicherlich nicht krankhaft, im Gegensatz zu reflektierter Kritik reagierten im Alltag allerdings viele auf Religion mit überzogen feindlichen, unkontrollierten Emotionen, deren Ausmaß sich jeder Rationalität entziehe.

Die Ursache dafür liegt nach Meinung Bonellis in einer narzisstischen Kränkung. Narzisstisch veranlagte Menschen verspürten Schmerz darüber, etwas, was sie nicht wahrhaben wollten, könnte wahr sein. "Die Angst vor dem Auffliegen des Selbstbetrugs aufgrund der unmanipulierbaren Normengebung der Religion löst Abwehr aus", erklärte der Psychiater. Die Menschen fürchteten, ihr konstruiertes Selbstbild könnte an der Realität zerbrechen. Weiters könne auch das Fehlen einer Instanz für Geborgenheit Eifersucht und Neid gegenüber jenen auslösen, die sich in einer Religion beheimatet fühlten.

Ressentiments und Gewalt zwischen Angehörigen verschiedener Religionen sind laut Bonelli nicht religiös begründbar. Religionen seien friedlich, würden aber oft missbraucht, wenn Menschen sie nur zur Mobilisierung anderer für eigene Interessen benutzten, statt sie zu leben. Als Beispiele nannte Bonelli einerseits radikale islamische Fundamentalisten, andererseits aber auch fanatische Islamkritiker.

USA anders als Europa

Der Grazer Publizist Stephan Baier erläuterte, dass der Hauptgrund für den muslimischen Widerstand gegen eine "Verwestlichung" der eigenen Familien und Gesellschaften die Abwesenheit Gottes aus dem öffentlichen Leben in Europa sei: "Für einen gläubigen Muslim ist die Vorstellung eines von Gott 'freien', also 'gottlosen' Raumes reine Blasphemie. In Amerika käme niemand auf die europäische Idee, die öffentliche Präsenz von Religion für ein Zeichen von Rückschrittlichkeit und religiöse Menschen grundsätzlich für vormodern zu halten."

So sei heute in den USA diesbezüglich die Akzeptanz von praktiziertem Islam größer, denn das US-amerikanische "Dogma" vom eigenen Fortschritt sei "problemlos kompatibel mit gelebter und bekannter Religiosität". Am vehementesten widerspreche der Islam hingegen dem "Säkularisierungs-Dogma" Europas. Der muslimische Orient habe lange Zeit bewundernd auf das fortschrittlichere Europa geblickt. Spätestens mit der Revolution des Ayatollah Khomeini 1979 gewinne aber die längst vorhandene Gegenthese zu dem aus dem Westen importierten Säkularisierungs-Dogma weltpolitisches Gewicht, analysierte Baier.

Henckel-Donnersmarck für Erkennbarkeit der Religion in der Gesellschaft

Der Heiligenkreuzer Altabt Gregor Henckel-Donnersmarck plädierte bei seinem Vortrag für eben jene Erkennbarkeit der Religion in der Gesellschaft, die in den USA an der Tagesordnung steht. Die entsprechenden Freiheiten müssten gewährt werden, sie dürften allerdings nicht nur für die Mehrheitsreligion gelten, so Henckel-Donnersmarck. So sollte etwa gelten: Moscheen mit Minaretten in Europa, aber auch das Recht auf freie Glaubensausübung in den Ländern Vorderasiens oder in Saudi-Arabien. "Ich freue mich über das Minarett hier in Wien, das zum Himmel ragt. Und ich trage bewusst meinen Mönchshabit, weil in einigen Ländern auch Christen von Kleiderverboten betroffen sind", sagte der Zisterzienser-Ordensmann.

Am „Comeback des Interesses an Religion“ schreibt Henckel-Donnersmarck dem Islam einen großen Anteil zu. Viele Menschen hätten allerdings ablehnende Gefühle gegenüber der neuen Religiosität. Diese Reflexe richteten sich nicht so sehr gegen das Phänomen Islam, sondern gegen explizite Religiosität an sich. Denn religiöse Äußerungen störten den herrschenden Konsens, dessen Kennzeichen Relativismus sei. Als Christ sehe er dies freilich anders: "Ich finde das neue Interesse an Religion inspirierend. Als Christ freue ich mich jedenfalls, weil die neue Situation mitsamt ihren Chancen auch für das Christentum gilt", so Henckel-Donnersmarck.

(KAP, religion.ORF.at)

 

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