Tagung über „Islamophobie und verwandte Phänomene“ in Wien
Mit „Islamophobie und verwandten Phänomenen“ setzte sich am Samstag eine
hochkarätige Konferenz im Islamischen Zentrum Wien auseinander.
„Islamophobie“ ist ein viel diskutiertes Phänomen, das
sich in Europa vor allem seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001
entscheidend verstärkt hat. Sie ist auch Teil eines breiteren Trends der
generellen Skepsis gegenüber Religion, die sich vor allem in neuen
organisierten Formen des Atheismus manifestiert. Die psychologischen
Mechanismen und geschichtlichen Hintergründe dieser neuen Strömungen waren
am Samstag Thema einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in Wien. Das
Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP), die
Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) und das Institut für interkulturelle
Islamforschung (INTIS) luden zur Tagung „Das Unbehagen mit der Religion.
Islamophobie und verwandte Phänomene“ ins Islamische Zentrum Wien.
Warnung vor „diktatorisch-totalitärem Relativismus“
Tagungsleiter Raphael Bonelli, Psychiater und Direktor
des "Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" warnte in
seinem Vortrag vor Formen eines "diktatorisch-totalitären Relativismus".
Religion zu kritisieren oder für falsch zu erklären sei sicherlich nicht
krankhaft, im Gegensatz zu reflektierter Kritik reagierten im Alltag
allerdings viele auf Religion mit überzogen feindlichen, unkontrollierten
Emotionen, deren Ausmaß sich jeder Rationalität entziehe.
Die Ursache dafür liegt nach Meinung Bonellis in einer
narzisstischen Kränkung. Narzisstisch veranlagte Menschen verspürten Schmerz
darüber, etwas, was sie nicht wahrhaben wollten, könnte wahr sein. "Die
Angst vor dem Auffliegen des Selbstbetrugs aufgrund der unmanipulierbaren
Normengebung der Religion löst Abwehr aus", erklärte der Psychiater. Die
Menschen fürchteten, ihr konstruiertes Selbstbild könnte an der Realität
zerbrechen. Weiters könne auch das Fehlen einer Instanz für Geborgenheit
Eifersucht und Neid gegenüber jenen auslösen, die sich in einer Religion
beheimatet fühlten.
Ressentiments und Gewalt zwischen Angehörigen
verschiedener Religionen sind laut Bonelli nicht religiös begründbar.
Religionen seien friedlich, würden aber oft missbraucht, wenn Menschen sie
nur zur Mobilisierung anderer für eigene Interessen benutzten, statt sie zu
leben. Als Beispiele nannte Bonelli einerseits radikale islamische
Fundamentalisten, andererseits aber auch fanatische Islamkritiker.
USA anders als Europa
Der Grazer Publizist Stephan Baier erläuterte, dass der
Hauptgrund für den muslimischen Widerstand gegen eine "Verwestlichung" der
eigenen Familien und Gesellschaften die Abwesenheit Gottes aus dem
öffentlichen Leben in Europa sei: "Für einen gläubigen Muslim ist die
Vorstellung eines von Gott 'freien', also 'gottlosen' Raumes reine
Blasphemie. In Amerika käme niemand auf die europäische Idee, die
öffentliche Präsenz von Religion für ein Zeichen von Rückschrittlichkeit und
religiöse Menschen grundsätzlich für vormodern zu halten."
So sei heute in den USA diesbezüglich die Akzeptanz von
praktiziertem Islam größer, denn das US-amerikanische "Dogma" vom eigenen
Fortschritt sei "problemlos kompatibel mit gelebter und bekannter
Religiosität". Am vehementesten widerspreche der Islam hingegen dem
"Säkularisierungs-Dogma" Europas. Der muslimische Orient habe lange Zeit
bewundernd auf das fortschrittlichere Europa geblickt. Spätestens mit der
Revolution des Ayatollah Khomeini 1979 gewinne aber die längst vorhandene
Gegenthese zu dem aus dem Westen importierten Säkularisierungs-Dogma
weltpolitisches Gewicht, analysierte Baier.
Henckel-Donnersmarck für Erkennbarkeit der Religion in der Gesellschaft
Der Heiligenkreuzer Altabt Gregor Henckel-Donnersmarck
plädierte bei seinem Vortrag für eben jene Erkennbarkeit der Religion in der
Gesellschaft, die in den USA an der Tagesordnung steht. Die entsprechenden
Freiheiten müssten gewährt werden, sie dürften allerdings nicht nur für die
Mehrheitsreligion gelten, so Henckel-Donnersmarck. So sollte etwa gelten:
Moscheen mit Minaretten in Europa, aber auch das Recht auf freie
Glaubensausübung in den Ländern Vorderasiens oder in Saudi-Arabien. "Ich
freue mich über das Minarett hier in Wien, das zum Himmel ragt. Und ich
trage bewusst meinen Mönchshabit, weil in einigen Ländern auch Christen von
Kleiderverboten betroffen sind", sagte der Zisterzienser-Ordensmann.
Am „Comeback des Interesses an Religion“ schreibt
Henckel-Donnersmarck dem Islam einen großen Anteil zu. Viele Menschen hätten
allerdings ablehnende Gefühle gegenüber der neuen Religiosität. Diese
Reflexe richteten sich nicht so sehr gegen das Phänomen Islam, sondern gegen
explizite Religiosität an sich. Denn religiöse Äußerungen störten den
herrschenden Konsens, dessen Kennzeichen Relativismus sei. Als Christ sehe
er dies freilich anders: "Ich finde das neue Interesse an Religion
inspirierend. Als Christ freue ich mich jedenfalls, weil die neue Situation
mitsamt ihren Chancen auch für das Christentum gilt", so
Henckel-Donnersmarck.
(KAP, religion.ORF.at)
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