News 03. 08. 2011

Sammlung koptischer Handschriften bringt neue Einblicke in Bibel

Der Universität Wien wurde eine der größten Fotosammlungen von Blättern alter koptischer Bibeln übergeben. Damit sind neue Erkenntnisse möglich. Etwa, wie in früheren Übersetzungen aus Frauen Männer wurden.

Im Laufe der letzten 40 Jahre sammelte und fotografierte der deutsche Ägyptologe und Koptologe Karlheinz Schüssler über 240.000 Seiten alter koptischer Bibeln und vereinte sie zur größten Fotosammlung koptischer Handschriften. Sein Lebenswerk hat Schüssler nun der Universität Wien übergeben. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät wird seine Forschungsarbeit im Rahmen des hierfür neu gegründeten "Research Centre for Early Christian-Coptic Studies" weiter geführt.

Überraschende Erkenntnisse

Durch die Sammlung Schüsslers bietet sich eine der raren Gelegenheiten die koptischen Bibeln (fast) vollständig zu betrachten. Einige Geheimnisse des frühen Christentums warten damit darauf, gelüftet zu werden. Dabei haben die Forscher spannende Details gefunden. Zum Beispiel, dass der Apostel Paulus an einer Stelle eine Frau begrüßte und diese dabei auch zu den Aposteln zählte. Diese wurde jedoch in den Übersetzungen kurzerhand zum Mann gemacht.

So steht im Römerbrief von Paulus (16:7): "Grüßt Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören […]; sie sind angesehene Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt." In dieser deutschen Übersetzung wird Junias als Mann dargestellt. Laut Hans Förster, Forscher am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie, aber ein Übersetzungsfehler. Denn im Griechischen laute der Akkusativ für die weibliche als auch für die männliche Form Junian.

Aus Frau wurde Mann

In der koptischen Version ist jedoch von Junia die Rede: "Die koptische Sprache dekliniert die Namen nicht, weshalb wir in der koptischen Überlieferung den eindeutigen Beweis haben, dass Junia sehr wohl von Paulus als weibliche Apostelin gegrüßt wird", sagt Förster. Paulus verwendete in seinen Briefen seine eigenen Kriterien für die Verwendung des Apostel-Begriffs und beschränkte sich nicht auf die auserwählten 'Zwölf'. Sein Apostel-Begriff ist demnach weiter gefasst und bezieht sich auf den wörtlichen Sinn – „Gesandter“.


Neue Einsichten

„Spannend ist es auf jeden Fall, dass hier eine Frau zu den Aposteln gezählt wird. Dies bringt für uns neue Einsichten, die zuvor nicht in Erwägung gezogen wurden. Der große Nutzen dieser Sammlung liegt darin, dass wir Dinge, die wir als gefestigt erachten, neu überprüfen können“, so Förster im Interview mit religion.orf.at. Ab dem Mittelalter sei es in unserer Gesellschaft etwa nicht mehr vorstellbar gewesen, dass an dieser Stelle eine Frau erwähnt worden sein könnte.

In den letzen Jahren hat allerdings die These verstärkt in der Wissenschaft Einzug gehalten, dass es sich bei Junia um eine Frau gehandelt haben könnte. In neueren Ausgaben der Lutherübersetzung wird bereits darauf hingewiesen.
"In den koptischen Texten ist es nun eindeutig, dass eine Frau gemeint war", so Hans Förster zu religion.orf.at.
 

Beantwortung offener Fragen

Mit den frühagyptischen Übersetzungen ergibt sich nun die Möglichkeit eine Reihe weiterer Fragen zu beantworten. Wie sah die Bibel ursprünglich aus? Wie feierten die koptischen Christinnen und Christen zwischen dem 4. und 8. Jhdt. ihre Gottesdienste, und welche liturgischen Elemente sind heute noch erhalten? Für diese Fragen müssen die ältesten vorhandenen Übersetzungen herangezogen werden, zu denen neben lateinischen und syrischen auch die koptischen – also frühägyptischen – zählen.

Sammlerleidenschaft

Karlheinz Schüssler hat sich dem Zusammentragen dieser Handschriften verschrieben. Der deutsche Koptologe wechselte zwar nach seinem Studium der Theologie und Ägyptologie in Münster in die Privatwirtschaft, blieb aber seiner Leidenschaft treu. Auf diversen Urlaubsreisen und mit viel Geduld hat er in den letzten vierzig Jahren die einzelnen Blätter koptischer Handschriften im Vatikan, in Kairo, Barcelona, London oder Paris ausfindig gemacht, abfotografiert und zu ihren ursprünglichen Codices in seiner mehrbändigen "Biblia Coptica" zusammengeführt.

Schüsslers Arbeit äußerst hilfreich

"Schüsslers Arbeit war ein großer und wichtiger Schritt: Nur wenn wir einen homogenen Text haben, können wir damit auch sinnvoll arbeiten, ihn richtig verstehen und interpretieren", so Förster. Förster kooperiert bereits seit fünf Jahren mit dem passionierten Handschriftensammler und arbeitet derzeit an einer kritischen Edition des Johannesevangeliums.

 

(Ernst Pohn, religion.orf.at / Universität Wien)
 


Link:

Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie

 

 
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