Sammlung koptischer Handschriften bringt neue Einblicke in Bibel
Der Universität Wien wurde eine der größten Fotosammlungen von Blättern
alter koptischer Bibeln übergeben. Damit sind neue Erkenntnisse möglich.
Etwa, wie in früheren Übersetzungen aus Frauen Männer wurden.
Im Laufe der
letzten 40 Jahre sammelte und fotografierte der deutsche Ägyptologe und
Koptologe Karlheinz Schüssler über 240.000 Seiten
alter koptischer Bibeln und vereinte sie zur größten Fotosammlung koptischer
Handschriften. Sein Lebenswerk hat Schüssler nun der Universität Wien
übergeben. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät wird seine
Forschungsarbeit im Rahmen des hierfür neu gegründeten "Research Centre for
Early Christian-Coptic Studies" weiter geführt.
Überraschende Erkenntnisse
Durch die Sammlung Schüsslers bietet sich eine der
raren Gelegenheiten die koptischen Bibeln (fast) vollständig zu betrachten.
Einige Geheimnisse des frühen Christentums warten damit darauf, gelüftet zu
werden. Dabei haben die Forscher spannende Details gefunden. Zum Beispiel,
dass der Apostel Paulus an einer Stelle eine Frau begrüßte und diese dabei
auch zu den Aposteln zählte. Diese wurde jedoch in den Übersetzungen
kurzerhand zum Mann gemacht.
So steht im Römerbrief von Paulus (16:7): "Grüßt
Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören […]; sie sind angesehene
Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt." In dieser
deutschen Übersetzung wird Junias als Mann dargestellt. Laut Hans Förster,
Forscher am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie,
aber ein Übersetzungsfehler. Denn im Griechischen laute der Akkusativ für
die weibliche als auch für die männliche Form Junian.
Aus Frau wurde Mann
In der koptischen Version ist jedoch von Junia die
Rede: "Die koptische Sprache dekliniert die Namen nicht, weshalb wir in der
koptischen Überlieferung den eindeutigen Beweis haben, dass Junia sehr wohl
von Paulus als weibliche Apostelin gegrüßt wird", sagt Förster. Paulus
verwendete in seinen Briefen seine eigenen Kriterien für die Verwendung des
Apostel-Begriffs und beschränkte sich nicht auf die auserwählten 'Zwölf'.
Sein Apostel-Begriff ist demnach weiter gefasst und bezieht sich auf den
wörtlichen Sinn – „Gesandter“.
Neue Einsichten
„Spannend ist es auf jeden Fall, dass
hier eine Frau zu den Aposteln gezählt wird. Dies bringt für uns neue
Einsichten, die zuvor nicht in Erwägung gezogen wurden. Der große Nutzen
dieser Sammlung liegt darin, dass wir Dinge, die wir als gefestigt erachten,
neu überprüfen können“, so Förster im Interview mit religion.orf.at. Ab dem Mittelalter sei es in unserer Gesellschaft
etwa nicht mehr vorstellbar gewesen, dass an dieser Stelle eine Frau erwähnt
worden sein könnte.
In den letzen Jahren hat allerdings die These verstärkt
in der Wissenschaft Einzug gehalten, dass es sich bei Junia um eine Frau
gehandelt haben könnte. In neueren Ausgaben der Lutherübersetzung wird
bereits darauf hingewiesen.
"In den koptischen Texten ist es nun eindeutig, dass eine Frau gemeint war",
so Hans Förster zu religion.orf.at.
Beantwortung offener Fragen
Mit den frühagyptischen Übersetzungen ergibt sich nun
die Möglichkeit eine Reihe weiterer Fragen zu beantworten. Wie sah die Bibel
ursprünglich aus? Wie feierten die koptischen Christinnen und Christen
zwischen dem 4. und 8. Jhdt. ihre Gottesdienste, und welche liturgischen
Elemente sind heute noch erhalten? Für diese Fragen müssen die ältesten
vorhandenen Übersetzungen herangezogen werden, zu denen neben lateinischen
und syrischen auch die koptischen – also frühägyptischen – zählen.
Sammlerleidenschaft
Karlheinz Schüssler hat sich dem Zusammentragen dieser
Handschriften verschrieben. Der deutsche Koptologe wechselte zwar nach
seinem Studium der Theologie und Ägyptologie in Münster in die
Privatwirtschaft, blieb aber seiner Leidenschaft treu. Auf diversen
Urlaubsreisen und mit viel Geduld hat er in den letzten vierzig Jahren die
einzelnen Blätter koptischer Handschriften im Vatikan, in Kairo, Barcelona,
London oder Paris ausfindig gemacht, abfotografiert und zu ihren
ursprünglichen Codices in seiner mehrbändigen "Biblia Coptica"
zusammengeführt.
Schüsslers Arbeit äußerst hilfreich
"Schüsslers Arbeit war ein großer und wichtiger
Schritt: Nur wenn wir einen homogenen Text haben, können wir damit auch
sinnvoll arbeiten, ihn richtig verstehen und interpretieren", so Förster.
Förster kooperiert bereits seit fünf Jahren mit dem passionierten
Handschriftensammler und arbeitet derzeit an einer
kritischen Edition des Johannesevangeliums.
(Ernst Pohn, religion.orf.at / Universität Wien)
Link:
Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie
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