„Jesus Freaks“: Eine Jugendbewegung wird
erwachsen
Am „Freakstock“-Festival treffen sich jährlich
mehrere tausend Mitglieder der „Jesus Freaks“, einer
evangelikal-christlichen Jugendbewegung, die in den frühen 90er-Jahren in
Deutschland entstand und bereits eine bewegte Geschichte hinter sich hat.
Borgentreich ist eine Kleinstadt an
der Grenze von Nordrhein-Westfahlen zu Hessen. Etwa 10.000 Menschen leben
auf dem knapp 140 Quadratkilometer großen Gebiet der Gemeinde. Seit 2009
kommen einmal jährlich für einige Tage ein paar Tausend „Freaks“ dazu, wenn
Borgentreich Schauplatz des nach eigenen Angaben „größten alternative,
christlichen Festivals Europas“ wird: des „Freakstock“.
„Am Freakstock steht nicht die Musik
im Mittelpunkt“, sagt Martin Christian Hühnerhoff, Pressesprecher des
Festivals, im Gespräch mit religion.ORF.at. Wichtiger seien die familiäre
Atmosphäre, das Netzwerken und schließlich auch die vielen Workshops, die im
Zuge der Veranstaltung angeboten werden. Die Themen dieser Workshops bilden
ein breites Spektrum – von „missionarischen Gespräche“ über „Alkoholkonsum
und die Bibel“ bis hin zu „Homophobie“. Die Seminare böten „keine
fertigen Wahrheiten zum Abnicken, sondern ermutigen jeden einzelnen zum
Nachdenken und dazu sich einzubringen“, heißt es in einer Aussendung der
Organisatoren. „Es geht nicht um Konventionen, sondern darum, dass die
unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen und ihre Lebenserfahrungen, aber
auch ihre Sehnsüchte und Träume für einen glücklicheren Planeten teilen“,
sagt Hühnerhoff.
Startschuss 1991
Seinen Namen hat das Festival von
jener christlichen Gruppierung, die es veranstaltet: den „Jesus Freaks“.
„1991 trafen sich in einem Hamburger Wohnzimmer drei Leute, die eines
verband: Sie hatten Bock auf Jesus, von dem sie glaubten, dass er vor
zweitausend Jahren nicht nur gestorben, sondern auch auferstanden ist und
somit auch heute noch lebt und ein unmittelbares Interesse an den Menschen
hat“, heißt es auf der Homepage der Jesus Freaks Deutschland über deren
Anfänge. „Auf diesen Jesus waren sie abgefahren und wollten ihn unbedingt in
Aktion erleben.“ Die betont jugendliche Sprache, die sich schon in dieser
Beschreibung förmlich aufdrängt, ist eines ihrer Markenzeichen. Die „Jesus
Freaks“ verstehen sich als eine evangelikale Gemeindegründungsbewegung und
wollen verschiedenen jugendlichen Subkulturen, die in anderen christlichen
Strömungen keinen Platz finden, eine spirituelle Heimat bieten. Heute haben
sie laut eigenen Angaben etwa 3.000 bis 6.000 Mitglieder in ganz Europa.
Wie bei allen evangelikalen
Gruppierungen stehen auch bei den Jesus Freaks die persönliche Beziehung zu
Gott und die Bibeltreue im Vordergrund. Was sie schon laut Selbstdefinition
unterscheidet, ist die Art und Weise, wie sie ihren Glauben ausdrücken.
„Diese „Jesus Bewegung“ will Leute ermutigen, ihre eigenen Gemeinden zu
starten, mit ihrem Background, ihrem Stil und in ihrer Kultur“, heißt es auf
der Homepage. Die unterschiedlichen Backgrounds, Stile und
(Sub-)kulturen manifestieren sich auch am „Freakstock“. „Es bietet mit über
50 Bands eine beträchtliche Bandbreite an alternativer und härterer Musik“,
heißt es in einer Aussendung. „Das fängt an bei Singer & Songwriter-Nummern,
geht über Ska, Emo, Indiepop, Death Metal, Postcore Ambient Elektro bis zu
Mittelalter-Folk und Dirty Gospel.“
Krise und Konzil
2011 hatte das „Freakstock“ etwa 4.000 Besucher. Vor
wenigen Jahren waren es noch wesentlich mehr, laut Hühnerhoff sogar über
10.000. Grund für den starken Rückgang war eine interne Krise unter den
Jesus Freaks, die dafür gesorgt hat, dass die Bewegung sich trotz ihrer
relativ kurzen Geschichte bereits einer grundlegenden internen
Neuorientierung stellen musste. Bis zu dieser Krise gab es bei den „Jesus
Freaks“ eine streng hierarchische Struktur mit einem so genannten
„Ältesten-Kreis“ an der Spitze. Als die Bewegung mit der Zeit immer größer
wurde, kam es zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu
Meinungsverschiedenheiten, denen die Ältesten nicht mehr gewachsen waren.
„Einige Leute wollten einen anderen Weg mit einer starken Führung
einschlagen, während andere Vielfalt suchten“, sagt Martin Christian
Hühnerhoff über die damalige Auseinandersetzung. Persönliche Konflikte unter
den „Ältesten“ trugen das Ihre zur Krise bei. Als Lösungsversuch wurde ein
„Konzil“ einberufen, im Zuge dessen etwa 130 „Jesus Freaks“ über ihre
Zukunft diskutierten. Das Ergebnis war eine Charta, die heute das
Grundgerüst der Bewegung bildet. „Der Konzilprozess war der Versuch, sich
inmitten eines Haufens von Fragen um Jesus zu versammeln“, heißt es zu
Beginn des Texts. „Wir haben erlebt, wie er anfängt, die widerstreitenden
Meinungen zu versöhnen und wie er zeigt, wie sie sich genial ergänzen
können. Diese Charta ist ein Ausdruck davon und gleichzeitig eine
(inhaltliche und strukturelle) Hilfestellung, wie wir Vielfalt in Einheit
leben können.“
„Die Vielfalt hat sich durchgesetzt“, sagt auch Martin
Christian Hühnerhoff. „Früher waren die Jesus Freaks sehr radikal und
meinten: ‚Was die Kirche macht ist uns egal, wir machen es richtig.‘ Die
Ansichten haben sich heute geändert und die Jesus Freaks verstehen, dass es
viele Wege gibt, mit Gott unterwegs zu sein.“ Ein Drittel der Jesus Freaks
wollten diesen Weg nicht mehr mitgehen und verabschiedeten sich rund um das
„Konzil“ von der Bewegung. Seit damals steht an der Spitze der „Jesus
Freaks“ ein „Leitungskreis“, der sich aus einem Organisationsteam,
regionalen Gemeindeleitern und einigen Einzelpersonen „mit überregionalem
Blick und Leitungsbegabung“ auseinandersetzt. Grundsätzlich zeigt sich die
Bewegung bewusst basisdemokratisch. Die Wertvorstellungen der Jesus Freaks
sind gemäß der evangelikalen Tradition weiterhin grundsätzlich
wertkonservativ, allerdings werden Übertretungen im Sinne der neuen Vielfalt
eher toleriert als in anderen Bewegungen. Auch die Beziehungen zu anderen
christlichen Konfessionen haben sich verändert: Am „Freakstock“ treten seit
einigen Jahren auch immer wieder Kleriker anderer christlicher Kirchen als
Gastredner auf, das Gelände in Borgentreich gehört der koptischen Kirche.
Zwei „Freaks“ in Österreich
In Österreich fristen die Jesus Freaks indes ein
Schattendasein. Der 45-jährige Wiener Klaus Botschen versucht zusammen mit
seiner Frau Ramona seit Jahren, in Wien eine „Jesus Freaks“-Gemeinde
aufzubauen. Im Moment sind sei laut eigenen Angaben die
einzigen beiden in Österreich. Trotzdem leisten sie sich einen Gebetsraum,
für den sie monatlich 550 Euro Miete bezahlen – aus eigener Tasche. „Zu
Beginn hat es eigentlich ganz gut funktioniert“, erzählt Klaus Botschen im
Interview mit religion.ORF.at, „wir hatten relativ schnell 20 bis 30 Leute
beisammen, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Gottesdienst getroffen haben,
damals noch in meiner Wohnung.“ Genauso schnell habe sich die Gruppe dann
aber wieder verlaufen. Seither bestehen die Jesus Freaks in Österreich aus
dem Ehepaar Botschen und einigen wenigen losen Kontakten. Dennoch
wollen sie es – zumindest vorerst – weiter versuchen. Als nächster Schritt
soll die Homepage erneuert werden, um neue Interessenten auf ihn aufmerksam
werden. Botschen selbst ist eigentlich nicht mehr Teil jener jugendlichen
Zielgruppe, an die sich die „Jesus Freaks“ ursprünglich wenden wollten. In
Österreich ortet er ein „generelles Desinteresse der Jugend an
Verbindlichkeiten“, das er als möglichen Grund für seine bisher fruchtlosen
Bemühungen sieht.
In Deutschland sind die „Jesus Freaks“ zwar nach wie
vor weiter verbreitet, die schnell wachsende Bewegung, die sie vor ihrer
Krise waren, sind sie allerdings nicht mehr. Vielleicht liegt das auch
daran, dass die „Jesus Freaks“ älter geworden sind. Das zeigt sich auch am
Freakstock selbst, wo sich das Durchschnittsalter der Besucher seit den
90ern deutlich gesteigert hat. Viele der Menschen, die von Beginn an Teil
der Bewegung waren, sind inzwischen in den 40ern, verheiratet und haben
Kinder. Auch am Freakstock wird das deutlich: Neben Bier, Parties und Musik
aller möglichen Stilrichtungen wird seit einigen Jahren auch ein
Kinderprogramm angeboten. Die „Jesus Freaks“ sind erwachsen geworden.
Michael Weiß, religion.ORF.at
Mitarbeit: Anna Stoss
Links:
Jesus Freaks
Deutschland
Jesus Freaks
Österreich
Freakstock Festival
2005 erschien das Buch "Freaks für Jesus - die etwas anderen Christen"
von Klaus Farin im Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin. Erhältlich auf
der Homepage des
Archivs für Jugendkulturen.
|