Feature 08. 09. 2011

 

„Jesus Freaks“: Eine  Jugendbewegung wird erwachsen

Am „Freakstock“-Festival treffen sich jährlich mehrere tausend Mitglieder der „Jesus Freaks“, einer evangelikal-christlichen Jugendbewegung, die in den frühen 90er-Jahren in Deutschland entstand und bereits eine bewegte Geschichte hinter sich hat.

Borgentreich ist eine Kleinstadt an der Grenze von Nordrhein-Westfahlen zu Hessen. Etwa 10.000 Menschen leben auf dem knapp 140 Quadratkilometer großen Gebiet der Gemeinde. Seit 2009 kommen einmal jährlich für einige Tage ein paar Tausend „Freaks“ dazu, wenn Borgentreich Schauplatz des nach eigenen Angaben „größten alternative, christlichen Festivals Europas“ wird: des „Freakstock“.

„Am Freakstock steht nicht die Musik im Mittelpunkt“, sagt Martin Christian Hühnerhoff, Pressesprecher des Festivals, im Gespräch mit religion.ORF.at. Wichtiger seien die familiäre Atmosphäre, das Netzwerken und schließlich auch die vielen Workshops, die im Zuge der Veranstaltung angeboten werden. Die Themen dieser Workshops bilden ein breites Spektrum – von „missionarischen Gespräche“ über „Alkoholkonsum und die Bibel“ bis hin zu „Homophobie“. Die Seminare böten „keine fertigen Wahrheiten zum Abnicken, sondern ermutigen jeden einzelnen zum Nachdenken und dazu sich einzubringen“, heißt es in einer Aussendung der Organisatoren. „Es geht nicht um Konventionen, sondern darum, dass die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen und ihre Lebenserfahrungen, aber auch ihre Sehnsüchte und Träume für einen glücklicheren Planeten teilen“, sagt Hühnerhoff.

Startschuss 1991

Seinen Namen hat das Festival von jener christlichen Gruppierung, die es veranstaltet: den „Jesus Freaks“. „1991 trafen sich in einem Hamburger Wohnzimmer drei Leute, die eines verband: Sie hatten Bock auf Jesus, von dem sie glaubten, dass er vor zweitausend Jahren nicht nur gestorben, sondern auch auferstanden ist und somit auch heute noch lebt und ein unmittelbares Interesse an den Menschen hat“, heißt es auf der Homepage der Jesus Freaks Deutschland über deren Anfänge. „Auf diesen Jesus waren sie abgefahren und wollten ihn unbedingt in Aktion erleben.“ Die betont jugendliche Sprache, die sich schon in dieser Beschreibung förmlich aufdrängt, ist eines ihrer Markenzeichen. Die „Jesus Freaks“ verstehen sich als eine evangelikale Gemeindegründungsbewegung und wollen verschiedenen jugendlichen Subkulturen, die in anderen christlichen Strömungen keinen Platz finden, eine spirituelle Heimat bieten. Heute haben sie laut eigenen Angaben etwa 3.000 bis 6.000 Mitglieder in ganz Europa.

Wie bei allen evangelikalen Gruppierungen stehen auch bei den Jesus Freaks die persönliche Beziehung zu Gott und die Bibeltreue im Vordergrund. Was sie schon laut Selbstdefinition unterscheidet, ist die Art und Weise, wie sie ihren Glauben ausdrücken. „Diese „Jesus Bewegung“ will Leute ermutigen, ihre eigenen Gemeinden zu starten, mit ihrem Background, ihrem Stil und in ihrer Kultur“, heißt es auf der Homepage. Die unterschiedlichen Backgrounds, Stile und (Sub-)kulturen manifestieren sich auch am „Freakstock“. „Es bietet mit über 50 Bands eine beträchtliche Bandbreite an alternativer und härterer Musik“, heißt es in einer Aussendung. „Das fängt an bei Singer & Songwriter-Nummern, geht über Ska, Emo, Indiepop, Death Metal, Postcore Ambient Elektro bis zu Mittelalter-Folk und Dirty Gospel.“

Krise und Konzil

2011 hatte das „Freakstock“ etwa 4.000 Besucher. Vor wenigen Jahren waren es noch wesentlich mehr, laut Hühnerhoff sogar über 10.000. Grund für den starken Rückgang war eine interne Krise unter den Jesus Freaks, die dafür gesorgt hat, dass die Bewegung sich trotz ihrer relativ kurzen Geschichte bereits einer grundlegenden internen Neuorientierung stellen musste. Bis zu dieser Krise gab es bei den „Jesus Freaks“ eine streng hierarchische Struktur mit einem so genannten „Ältesten-Kreis“ an der Spitze. Als die Bewegung mit der Zeit immer größer wurde, kam es zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu Meinungsverschiedenheiten, denen die Ältesten nicht mehr gewachsen waren. „Einige Leute wollten einen anderen Weg mit einer starken Führung einschlagen, während andere Vielfalt suchten“, sagt Martin Christian Hühnerhoff über die damalige Auseinandersetzung. Persönliche Konflikte unter den „Ältesten“ trugen das Ihre zur Krise bei. Als Lösungsversuch wurde ein „Konzil“ einberufen, im Zuge dessen etwa 130 „Jesus Freaks“ über ihre Zukunft diskutierten. Das Ergebnis war eine Charta, die heute das Grundgerüst der Bewegung bildet. „Der Konzilprozess war der Versuch, sich inmitten eines Haufens von Fragen um Jesus zu versammeln“, heißt es zu Beginn des Texts. „Wir haben erlebt, wie er anfängt, die widerstreitenden Meinungen zu versöhnen und wie er zeigt, wie sie sich genial ergänzen können. Diese Charta ist ein Ausdruck davon und gleichzeitig eine (inhaltliche und strukturelle) Hilfestellung, wie wir Vielfalt in Einheit leben können.“

 „Die Vielfalt hat sich durchgesetzt“, sagt auch Martin Christian Hühnerhoff. „Früher waren die Jesus Freaks sehr radikal und meinten: ‚Was die Kirche macht ist uns egal, wir machen es richtig.‘ Die Ansichten haben sich heute geändert und die Jesus Freaks verstehen, dass es viele Wege gibt, mit Gott unterwegs zu sein.“ Ein Drittel der Jesus Freaks wollten diesen Weg nicht mehr mitgehen und verabschiedeten sich rund um das „Konzil“ von der Bewegung. Seit damals steht an der Spitze der „Jesus Freaks“ ein „Leitungskreis“, der sich aus einem Organisationsteam, regionalen Gemeindeleitern und einigen Einzelpersonen „mit überregionalem Blick und Leitungsbegabung“ auseinandersetzt. Grundsätzlich zeigt sich die Bewegung bewusst basisdemokratisch. Die Wertvorstellungen der Jesus Freaks sind gemäß der evangelikalen Tradition weiterhin grundsätzlich wertkonservativ, allerdings werden Übertretungen im Sinne der neuen Vielfalt eher toleriert als in anderen Bewegungen. Auch die Beziehungen zu anderen christlichen Konfessionen haben sich verändert: Am „Freakstock“ treten seit einigen Jahren auch immer wieder Kleriker anderer christlicher Kirchen als Gastredner auf, das Gelände in Borgentreich gehört der koptischen Kirche. 

Zwei „Freaks“ in Österreich

In Österreich fristen die Jesus Freaks indes ein Schattendasein. Der 45-jährige Wiener Klaus Botschen versucht zusammen mit seiner Frau Ramona seit Jahren, in Wien eine „Jesus Freaks“-Gemeinde aufzubauen. Im Moment sind sei laut eigenen Angaben die einzigen beiden in Österreich. Trotzdem leisten sie sich einen Gebetsraum, für den sie monatlich 550 Euro Miete bezahlen – aus eigener Tasche. „Zu Beginn hat es eigentlich ganz gut funktioniert“, erzählt Klaus Botschen im Interview mit religion.ORF.at, „wir hatten relativ schnell 20 bis 30 Leute beisammen, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Gottesdienst getroffen haben, damals noch in meiner Wohnung.“ Genauso schnell habe sich die Gruppe dann aber wieder verlaufen. Seither bestehen die Jesus Freaks in Österreich aus dem Ehepaar Botschen und einigen wenigen losen Kontakten. Dennoch wollen sie es – zumindest vorerst – weiter versuchen. Als nächster Schritt soll die Homepage erneuert werden, um neue Interessenten auf ihn aufmerksam werden. Botschen selbst ist eigentlich nicht mehr Teil jener jugendlichen Zielgruppe, an die sich die „Jesus Freaks“ ursprünglich wenden wollten. In Österreich ortet er ein „generelles Desinteresse der Jugend an Verbindlichkeiten“, das er als möglichen Grund für seine bisher fruchtlosen Bemühungen sieht.

In Deutschland sind die „Jesus Freaks“ zwar nach wie vor weiter verbreitet, die schnell wachsende Bewegung, die sie vor ihrer Krise waren, sind sie allerdings nicht mehr. Vielleicht liegt das auch daran, dass die „Jesus Freaks“ älter geworden sind. Das zeigt sich auch am Freakstock selbst, wo sich das Durchschnittsalter der Besucher seit den 90ern deutlich gesteigert hat. Viele der Menschen, die von Beginn an Teil der Bewegung waren, sind inzwischen in den 40ern, verheiratet und haben Kinder. Auch am Freakstock wird das deutlich: Neben Bier, Parties und Musik aller möglichen Stilrichtungen wird seit einigen Jahren auch ein Kinderprogramm angeboten. Die „Jesus Freaks“ sind erwachsen geworden.

 

Michael Weiß, religion.ORF.at

Mitarbeit: Anna Stoss

 

Links:

Jesus Freaks Deutschland

Jesus Freaks Österreich

Freakstock Festival

 

2005 erschien das Buch "Freaks für Jesus - die etwas anderen Christen" von Klaus Farin im Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin. Erhältlich auf der Homepage des Archivs für Jugendkulturen.

 

 
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