News 29. 09. 2011

 

Exorzismus: Erzdiözese Wien weist "Falter"-Bericht zurück

Die Erzdiözese Wien achtet "selbstverständlich die Grenze zwischen medizinischer Therapie und Seelsorge" und gab an „Befreiungsgebete nur auf ausdrücklichen Wunsch von Betroffenen“ zu vollziehen.

Die Erzdiözese Wien hat Presseberichte über angebliche Exorzismen oder entsprechende Patientenkontakte in einem Wiener Krankenhaus zurückgewiesen. Es würden "weder im SMZ Ost (Sozialmedizinisches Zentrum Ost) noch in irgendeinem anderen Krankenhaus Exorzismen gebetet", und auch seitens des für das Befreiungsgebet beauftragten Priesters der Erzdiözese Wien, Prof. Larry Hogan, keinerlei Gespräche mit Patienten in Spitälern in diese Richtung geführt, heißt es in einer von der Erzdiözese Wien veröffentlichten Erklärung.

„Befreiungsgebete“

Vorausgegangen war ein Bericht der Wiener Wochenzeitung "Falter", demzufolge es eine Kooperation in besagtem Krankenhaus zwischen einem Seelsorger der Erzdiözese Wien und einem Oberarzt der Neuropsychiatrischen Station des Spitals gegeben habe. Die Kirche achte "selbstverständlich die Grenze zwischen medizinischer Therapie und Seelsorge", wurde von Seiten der Erzdiözese dazu hervorgehoben. Außerdem würden "Befreiungsgebete" - um nichts anderes handle es sich nämlich bei dem missverständlichen und skandalumwitterten Wort "Exorzismus" - "ausschließlich Menschen angeboten, die darum bitten".

„Filme verzerren Bild des Exorzismus“

Wie der Pressesprecher der Erzdiözese, Michael Prüller, am Donnerstag im ORF-Mittagsjournal ergänzte, würden sich zunehmend mehr Menschen wegen Exorzismus an die Kirche wenden. In vielen Filmen sei eine völlig verzerrte Darstellung von Exorzismus und Besessenheit zu sehen. Exorzismus sei ein Gebet, das Menschen durch die Anrufung Gottes eine Befreiung von etwas ermöglicht, von dem sie glauben, dass es von ihnen Besitz ergriffen habe.

„Exorzisten schicken Betroffene häufig zum Arzt“

Seitens der Kirche würden Exorzismen nur auf Wunsch und in klarer Abgrenzung zur Schulmedizin angewendet. Gelegentlich würden auch Psychiater oder Psychotherapeuten Patienten, bei denen sie trotz Anwendung aller ihnen zur Verfügung stehenden Methoden keine Heilung erreichen, auf mögliche Hilfe durch ein kirchlicher Befreiungsgebet verweisen. Umgekehrt sei es aber viel häufiger der Fall, dass Exorzisten Betroffene zum Arzt oder Psychotherapeuten schicken, hob der Pressesprecher hervor.

Prüfung durch Wiener Spitäler

Überrascht über den "Falter"-Bericht hatte sich auch die Generaldirektion des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) gezeigt und erklärt: "Exorzismus oder exorzismusähnliche Interventionen werden in den Spitälern der Stadt Wien nicht geduldet". Derzeit finde eine Prüfung durch den KAV statt, ob in der jüngsten Vergangenheit gegen Dienstpflichten in diesem Zusammenhang verstoßen wurde.

Oberarzt sorgt für Diskussion

Der "Falter" verweist in seinem Bericht auf eine Tagung im Jahr 2007 in Graz, die dem Thema "Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" gewidmet war. U.a. sei dabei über die Frage diskutiert worden, ob es eine "Besessenheit jenseits der Psychose" gebe. "Die Organisatoren eines der Workshops beantworteten diese Frage mit Ja", so der "Falter". Was keiner großen Erwähnung wert wäre, würde es sich bei einem der Seminarleiter nicht um einen Oberarzt an der Neuropsychiatrischen Station SMZ-Ost, dem zweitgrößten Krankenhaus Wiens, handeln.

„Exorzist arbeitet mit Arzt zusammen“

Der Mediziner habe den "Besessenheits"-Workshop gemeinsam mit dem für das Befreiungsgebet beauftragten Priester der Erzdiözese Wien, Hogan, geleitet, heißt es im "Falter" weiter. Auf der Internetseite des Grazer Kongresses hätten die beiden schließlich angegeben, bei gewissen Patienten zusammenzuarbeiten.

Internationaler Cluster spricht von "Besessenheit"

Tatsächlich benennt selbst der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebene, international zur Klassifikation von Krankheiten gebräuchliche ICD-10-Cluster (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) im Bereich der sogenannten "dissoziativen Störungen" die Möglichkeit von "Trance- und Besessenheitszuständen".

„Wissenschaftliche Grundlagen“

Weiter heißt es in dem Cluster: "Körperliche Untersuchung und Befragungen geben keinen Hinweis auf eine bekannte somatische oder neurologische Krankheit." D.h. selbst im Fall einer Kooperation zwischen einem pastoralen kirchlichen Dienst und einem psychiatrischen Dienst könne man sich auf wissenschaftliche Grundlagen berufen, heißt es dazu von Seiten des Referats für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien.

Vertreibung böser Mächte

Allgemein wird unter dem Begriff "Exorzismus" die rituelle Vertreibung böser Mächte und Geister aus Personen, Lebewesen oder Gegenständen verstanden. Solche Praktiken gibt es in allen Kulturen. Sie sollen der ganzheitlichen Reinigung und Heilung dienen. Das Wort leitet sich vom griechischen Begriff "exorkizein" ab und bedeutet "herausbeschwören".

Bitte an Gott

Die katholische Kirche versteht unter dem Begriff eine Bitte an Gott, den Menschen aus der Macht des Bösen zu befreien. In einfacher Form wird er bei der Taufe vollzogen. Der sogenannte feierliche oder "Große Exorzismus" darf laut dem Kirchenrecht von 1983 nur nach Genehmigung des zuständigen Bischofs von einem geeigneten Priester vorgenommen werden.

Neue Richtlinien seit 1999

1999 legte der Vatikan neue Richtlinien vor, um stärker die Erkenntnisse der Medizin und Psychiatrie zu berücksichtigen. Die 90-seitige Sammlung von Gebeten, Segens- und Beschwörungsformeln ersetzte eine Fassung von 1614. Nach den neuen Regelungen muss ein Exorzist sorgfältig überprüfen, ob tatsächlich ein Fall von Besessenheit vorliegt. Gegebenenfalls sollte er sich mit Medizinern und Psychiatern beraten. Fälle tatsächlicher Besessenheit gelten als sehr selten.

 

(KAP)

 

Siehe auch

- Wiener Spitalpsychiater soll mit Exorzisten kooperiert haben

 
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