News 13. 01. 2012

Wiener Vaticanum-Tagung: „Erinnerung an die Zukunft"

Der Beginn des 2. Vatikanischen Konzils jährt sich heuer zum 50sten Mal. Aus diesem Anlass hat in dieser Woche an der Universität Wien ein Symposium mit dem Titel "Erinnerung an die Zukunft" stattgefunden.

Für einen neuen Zugang in der modernen Bibelwissenschaft plädiert der Wiener Theologe und Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger. Eine Bibelauslegung, die sich allein auf die historisch-kritische Methode stützt, "greift zu kurz" - es brauche eine Kombination mit den vorneuzeitlichen Auslegungen und Zugängen etwa der Kirchenväter, erklärte der Theologe am Freitag in Wien.

Historisch-kritische Methode braucht Ergänzung

Die historisch-kritische Methode, die die biblischen Texte aus ihrem jeweiligen Entstehungskontext heraus zu interpretieren versucht, wurde zuletzt von Papst Benedikt XVI. im ersten Band seiner "Jesus von Nazareth"-Trilogie kritisch befragt. Auch der Papst plädierte in dem Buch nicht für eine Ersetzung der historisch-kritischen Forschung, sondern für eine Ergänzung durch andere Methoden. Dieser Ansatz trägt den Namen "kanonische Exegese", da sie neben der historischen Detailforschung immer auch die kirchliche Lehrtradition und ein umfassendes Schriftverständnis zugrunde legt.

Offenbarungsverständnis

Ausdrücklich wies auch Schwienhorst-Schönberger bei der Tagung darauf hin, dass die historisch-kritische Methode "viele Wahrheiten über die Heilige Schrift hervorgebracht" habe - es bleibe dennoch "ein Unbehagen", wo die Offenbarung Gottes allein auf historisch exakt beschreibbare Prozesse reduziert werde. Die vormoderne Exegese habe hingegen ein stärker dialogisch und personal geprägtes Offenbarungsverständnis vertreten. Die Kombination beider Ansätze finde sich in der Offenbarungskonstitution des Konzils "Dei verbum". Schwienhorst-Schönberger: "Die Vermittlung beider Modelle ist die Aufgabe zukünftiger Bibelwissenschaften".

Streit um Zukunft der Kirche ist Streit ums Konzil

Hinter der aktuellen Debatte um den zukünftigen Kurs der Kirche steht für den Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück ein Streit um die Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). Schließlich habe das Konzil im Unterschied zu vorherigen Konzilien eine dezidiert pastorale und keine dogmatische Ausrichtung gehabt. Dadurch eröffnen die Konzilsbeschlüsse - trotz "universalkirchlich verbindlicher Weichenstellungen" - bis heute einen Interpretationsspielraum, der von Reformern wie Reform-Gegnern unterschiedlich genutzt werde, so Tück.  

Aggiornamento

Der Theologe erinnerte in diesem Zusammenhang an die Grundintention, die Papst Johannes XXIII. bei der Einladung zum Konzil geleitet habe: das "Aggiornamento", also die Öffnung der Kirche zur Welt. In der Folge seien bei den Konzilsberatungen zahlreiche "Kommunikationsbarrieren" aufgebrochen worden und Neuland betreten worden - etwa im Blick auf das Verhältnis zu den anderen Religionen, im Blick auf die Juden, beim Kirchenverständnis (Abkehr von einer "societas perfecta") oder bei der Wertung der modernen Welt an sich.

Aufbruch gefährdet

Den damit verbundenen "dialogischen Aufbruch" sieht Tück indes gegenwärtig "wieder gefährdet". Lauter würden die Stimmen, die nach einer erneuten "Abgrenzung" von Kirche und Welt verlangen, die "Kirche als Gegenwelt zum forcierten Pluralismus der Spätmoderne" verstehen und auf Restauration drängten. Dabei entspreche laut Tück "weder die chamäleonhafte Anpassung an die Trends der Zeit noch die antimodernistische Restauration der Kirche als Bastion" den Grundanliegen des Konzils.

Bruch oder Kontinuität?

Eines dieser Grundanliegen sei etwa das Hören auf die "Zeichen der Zeit". Er sehe jedoch "bei vielen Kirchenvertretern ein unterentwickeltes zeitdiagnostisches Sensorium", auf der anderen Seite gebe es "bei vielen Zeitdiagnostikern ein unterentwickeltes Glaubensbewusstsein". Tück: "Beide müssten sich ergänzen und an einer neuen Synthese arbeiten."

Relecture

Schließlich verwies Tück auf eine "dritte Lesart" des Konzils jenseits der aktuellen Konfliktlinien: Diese Lesart - auch von Papst Benedikt XVI. favorisiert - stehe für eine "geduldige Relecture der Konzilsdokumente" und vor allem für eine Absage an die These eines Bruchs zwischen einer vor- und einer nachkonziliaren Kirche. Dieser Lesart gehe es um "Kontinuität im Grundsätzlichen und Wandel im Blick auf Einzelfragen".

Hünermann: Zweites Vatikanum ist Maßstab für Zukunft der Kirche

Die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) für die zukünftige Entwicklung der Kirche hat der Tübinger Theologe Peter Hünermann unterstrichen. Das Konzil habe "die Weichen gestellt für die Orientierung der Kirche in diesem Jahrtausend" - und wenn heute neu um die Frage der Öffnung der Kirche zur Welt und ein Einlassen auf die Moderne gerungen werde, so müsse man "diesen Streit ausdrücklich begrüßen", so Hünermann im Gespräch mit "Kathpress". Notwendig wäre heute ein "neuer Rezeptionsprozess" - von der pfarrlichen Basis bis hinauf in die römische Kurie -, d.h. eine Relecture der Konzilstexte und eine neue Besinnung auf Elemente wie Synodalität und Pluralität in der Kirche.

Pluralismus als "gemeinsame Wahrheitssuche"

"Das Reformpotenzial des Konzils ist noch längst nicht ausgeschöpft", so Hünermann. Eine Umsetzung der "eigentlich ungeheuerlichen Kehrtwende von 1.500 Jahren Staatskirchentum hin zu einer Kirche, die sich auf die Moderne einlässt" brauche mitunter mehrere Generationen. Daher sei ein Streit über die Deutung der Konzilsdokumente auch unerlässlich. Nicht in Frage komme für ihn allerdings eine "Rückkehr vor das Konzil", wie sie etwa der Piusbruderschaft vorschwebe: "Das kann nicht der Weg der Kirche in die Zukunft sein."

Pluralität bedeutet nicht Relativismus

In dem Rezeptionsprozess des Konzils müsse daher deutlich herausgearbeitet werden, dass etwa die Anerkennung und Wertschätzung religiöser Pluralität, wie sie das Konzil vorgemacht habe, nicht "Relativismus" bedeute, sondern auf einer "gemeinsamen Wahrheitssuche" unter "Anerkennung bleibender Differenzen" beruhe. Wo unterschiedliche religiöse Traditionen und selbst innerkirchlich unterschiedliche theologische Strömungen ernsthaft miteinander ins Gespräch kommen, bestehe immer die Möglichkeit, dass am Ende etwas Neues entstehe - so sei es auch beim Konzil selbst gewesen, in dem zum Teil sehr unterschiedliche Schulen und Denkweisen aufeinandergeprallt seien.

Synodalität stärken

Konkret könne die Kirche heute vom Konzil etwa lernen, das Instrument der Synodalität neu einzusetzen, um so den Papst "aus seiner alleinverantwortlichen Position zu befreien". Die Kirchengeschichte kenne zum Beispiel die Tradition des Konsistoriums, d.h. eines den Papst einschließenden, beratenden und Beschluss-fassenden Kreises von Kardinälen, ähnlich dem Heiligen Synod in der Ostkirche.

Dialogprozesse

Auf der Ebene der Ortskirchen müsste ebenfalls die Tradition synodaler Versammlungen neu aufgegriffen werden, um so das Bewusstsein für eigene Entscheidungsspielräume zu stärken. Auch Dialogprozesse, wie sie u.a. in der Kirche in Österreich stattgefunden haben und in Deutschland derzeit laufen seien notwendige Schritte. Das alles würde die Position des Papstes laut Hünermann "gerade nicht schwächen, sondern im Gegenteil stärken", da es zugleich "Kreativität freisetzt".

Kein neues Konzil

Für ein neues Konzil sieht Hünermann die Zeit noch nicht reif. Zu viele Vorarbeiten etwa im Bereich der Ökumene wären da noch zu leisten, "da die Menschen gerade in diesem Bereich Fortschritte erwarten". Dennoch gebe es einen gewissen Reformdruck, der allerdings vor allem in der lateinischen Kirche anzutreffen sei. Dem müsse man nicht gleich mit einem neuen Konzil, sondern mit etwa mit einer "Generalsynode der lateinischen Kirche" entgegnen - "denn unsere Probleme sind nicht unbedingt auch die Probleme etwa der unierten Ostkirchen".

 

 

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