Ungarn: Besorgnis über antisemitische Aussagen von Jobbik-Partei
Vertreter des Judentums, aber auch der christlichen Kirchen haben sich besorgt über die antisemitische Polemik der rechtsextremen Jobbik-Partei in Ungarn geäußert. Eine gegen Juden gerichtete Parlamentsrede des Jobbik-Abgeordneten Zsolt Barath wurde von Primas Kardinal Peter Erdö, dem reformierten Bischof Gusztav Bölcskei sowie dem evangelischen Bischof Peter Gancz zurückgewiesen. Barath hatte kurz vor Ostern den Fall eines angeblichen Ritualmords, der sich zum Pessachfest vor 130 Jahren ereignet haben soll, als historisch bezeichnet.
In einem AP-Interview sagte der Budapester Rabbiner Shlomo Köves, was sich aktuell an offenem Antisemitismus im Lande ereigne, sei „ohne Beispiel in den vergangenen 20 Jahren der Demokratie“. Es sei „schlimmer als in jedem anderen europäischen Land“, so Köves weiter. Seit den Wahlen 2010 ist Jobbik mit insgesamt 47 Mandaten die drittstärkste Partei im ungarischen Parlament. Aktuelle Umfragen sprechen von 17 bis 23 Prozent der Wählerstimmen, die Jobbik aktuell erhalten würde.
Juden des Ritualmords beschuldigt
Es handelte sich dabei um die sogenannte Affäre von Tiszaeszlar. Im Jahre 1882 wurden die Juden von Tiszaeszlar beschuldigt, an einem jungen christlichen Mädchen einen Ritualmord begangen zu haben. Die damaligen progressiven politischen Kreise Ungarns protestierten heftig gegen die Anklage. Der Fall, der die ungarischen Juden zum Sündenbock machte, fand in ganz Europa einen großen Widerhall.
Anklage des Mädchenmords wiederholt
Barath wiederholte die damaligen Anklagepunkte gegen jüdische Einwohner von Tiszaeszlar. Nach den Worten des Abgeordneten hätten Juden das Mädchen ermordet, aber die Justiz sei bemüht gewesen, die Wahrheit zu verschleiern. Der Richter wäre gezwungen gewesen, auf Druck von außen, das heißt „auf Druck von jenen Kreisen, die die ungarische Wirtschaft auch schon damals fest in der Hand hatten“, die Beschuldigten freizusprechen.
Bischöfe: „Antisemitismus und Schüren von Hass“
Im Namen der Regierung reagierte Staatssekretär Janos Fonagy (FIDESZ/KDNP). Mit der Äußerung habe sich Jobbik dorthin bewegt, „wohin die Partei nach Meinung vieler gehört“. Er fügte hinzu, dass der Abgeordnete und diejenigen, die ihm Beifall spendeten, „mit dem Urteil der ungarischen Gesellschaft und der Welt rechnen“ müssten. In der Erklärung der Bischöfe heißt es, „die schamlose Wiederaufwärmung der Ritualmord-Beschuldigung von Tiszaeszlar“ sei zu verurteilen. „Der christliche Glaube und die christliche Liebe zum Mitmenschen lässt sich unter keinen Umständen mit Antisemitismus und Schüren von Hass gegen religiöse Gemeinschaften und Volksgruppen vereinbaren. Uns beunruhigt besonders, dass es zu dieser Hassrede im Parlament gekommen ist“.
Ritualmordhysterie in der Monarchie
Der Fall von Tiszeszlar hatte in der Monarchie großes Aufsehen erregt. Zahllose antisemitische Traktate nahmen die Anschuldigungen als gegebene Tatsache hin. Andererseits äußerte sich der im Turiner Exil lebende ungarische Nationalheld Lajos Kossuth eindeutig gegen die Ritualmordhysterie. Der Prozess zog sich hin, die Agitation erfasste das gesamte Land. Erst am 3. August 1883 erfolgte der Freispruch aller Angeklagten.
(APA/KAP)
15. 07. 2011
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