Begegnung mit dem Buddhismus im Westen
Die Buddhismus-Rezeption in Europa vollzog sich - und vollzieht sich
noch immer - in enger Wechselwirkung mit allgemein kulturellen Entwicklungen
sowie auch in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der christlichen
Religion. Es handelt sich bei den Konversionen zum Buddhismus um
Ablösungsprozesse von der meist christlichen Herkunftsreligion. Was fasziniert westliche Anhänger am Buddhismus
bzw. was kritisieren sie an der ursprünglich eigenen Religion. Gibt es einen
christlich-buddhistischen Dialog?
Für den Dialog der katholischen Theologie mit den anderen Religionen
sind zweifellos die einschlägigen Aussagen des Zweiten Vatikanischen
Konzils von grundlegender und wegweisender Bedeutung, im besonderen die
"Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen
Religionen" (Nostra aetate); vor dem Hintergrund des unmittelbar
vorangehenden theologie- und missionsgeschichtlichen Verständnisses tritt
der neue, ja, revolutionäre Charakter dieser Formulierungen deutlich
hervor; und insbesondere im Vergleich zu mancher eher
apologetisch-abwehrenden Stellungnahme ist die Offenheit des Konzils von
großer Aktualität.
Nichtchristliche Religionen im Westen im Vormarsch
Dennoch muss festgestellt werden, dass die nichtchristlichen Religionen
in "Nostra aetate" in erster Linie als in anderen Kulturräumen
und -regionen beheimatete Religionen betrachtet werden. Die Präsenz der
nichtchristlichen Religionen im Westen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts
ist kein unmittelbares Thema. Die Problematik stellte sich auch zur Zeit des
Konzils nur in geringem Ausmaß, da die Gruppen, die von östlicher
Spiritualität und Religiosität herkamen, damals eine geringe Bedeutung
hatten und auch der Islam nicht als zahlenmäßig bedeutsame Religion in
europäischen Ländern präsent war. Diese Situation hat sich in Europa (und
Amerika) innerhalb der letzten dreißig Jahre signifikant gewandelt, sowohl
was die faktische Anhängerschaft betrifft als auch das gewandelte
gesellschaftliche Bewusstsein für diese neue religiöse Vielzahl in
europäischen Ländern.
Die Besonderheit der Situation
Die Fragen nun, die sich aus der Tatsache westlicher Anhänger östlicher
Religionen für Theologie und Kirche ergeben, sind in einigen Aspekten von
ganz anderer Art als bei der Begegnung mit diesen Religionen in ihren
Ursprungsländern: Erstens gehörte ein Großteil der westlichen Buddhisten
ursprünglich einer christlichen Konfession an, sodass deren Konversion eine
(kritische) Rückfrage an das Christentum bedeutet, wodurch der Dialog mit
Buddhisten, die sich ehemals als Christen verstanden, eine völlig neue
Dimension erhält. Zweitens wird die vielfach gebräuchliche unterordnende
Redeweise hinsichtlich nichtchristlicher Religionen einer bisher nicht
gekannten Infragestellung ausgesetzt, weil die Anhänger der neuen Religion
diese nicht nur als nicht dem christlichen Glauben untergeordnet betrachten,
sondern vielmehr als für sie überzeugender und in diesem Sinn als
überlegen erfahren. Schließlich wird drittens auch das Verständnis von
Neu-Missionierung bzw. Reevangelisierung einer gewissen Infragestellung
ausgesetzt: denn solche Konvertiten kennen das Christentum aus eigener
Erfahrung, und es ist die Frage, welche neue Botschaft ihnen vermittelt
werden sollte (am ehesten noch ein neues Verständnis des Überlieferten).
Phasen der Buddhismusrezeption in Europa
Die Begegnung der neuzeitlichen europäischen Kultur mit dem Buddhismus
steht im weiteren Kontext der Übermittlung des Gedankengutes östlicher
Religionen im generellen. Es handelt sich um übergreifende Prozesse der
Rezeption religiöser und ideeller Konzepte, insbesondere solcher indischen
und fernöstlichen Ursprungs. Dieser Hintergrund ist im vorliegenden
Kurzüberblick, der in erster Linie der Buddhismus-Rezeption nachgeht,
mitzubedenken. Die Begegnung zwischen östlichen Kulturen und dem Westen,
zwischen dem Buddhismus und dem Christentum, hat sich im Verlaufe der
Geschichte in unterschiedlichen Phasen und Zusammenhängen vollzogen. In
überblickshafter und schematisierender Weise kann man im Hinblick auf die
Präsenz östlicher Anschauungen im europäischen Kulturraum in der Neuzeit,
vor allem seit der Romantik - frühere Phasen können im vorliegenden
Beitrag nicht erörtert werden-, von drei Phasen sprechen.
Gelehrte entdecken die östliche Weisheit
Eine erste Etappe der Kenntnisnahme östlicher Weisheit erfolgte
literarisch, wissenschaftlich und philosophisch vor allem seit dem Beginn
des 19. Jahrhunderts; die Romantik, besonders die Brüder Schlegel, zeigte
Interesse am hinduistischen Schrifttum; Schopenhauer propagierte seine Sicht
des Buddhismus als einer nihilistischen Religion. Es erschienen auch für
einen größeren Kreis von Interessierten Darstellungen des Buddhismus, wie
z. B. das Werk "Die Religion des Buddha und ihre Entstehung" von
C. F. Koeppen (2 Bde., Berlin 1857-1859); die historisch-kritische
Wissenschaft und (seit etwa 1870) die Initiativen M. Müllers4, der als
Begründer der Religionswissenschaft als eigenes Fach gilt, befassten sich
mit dem Schrifttum der nichtchristlichen Religionen, nachdrücklich auch mit
zentralen Fragen des Buddhismus. Das Buddhismusbild der genannten Autoren,
im besonderen Schopenhauers, aber nachweislich auch die Arbeiten von Koeppen
und Müller haben den jungen Nietzsche stark beeinflusst; im Spätwerk
"Der Antichrist" (1888) stellt er den Buddhismus dem Christentum
mit zum Teil zustimmender Beurteilung gegenüber. Viele Philosophen,
Künstler und Dichter waren in den folgenden Jahrzehnten vom Buddhismus
fasziniert, sodass diese erste Phase wohl ihren Anfang im vorigen
Jahrhundert hatte, die in ihr begonnene Art der Rezeption des Buddhismus
jedoch bis in die Gegenwart weiterwirkt.
Östliche Weisheitslehrer im Westen
Eine neue Form der Präsenz des Buddhismus im Westen kennzeichnet die
zweite Phase: Sie ist charakterisiert durch das Auftreten östlicher
Weisheitslehrer in Amerika und Europa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts,
wobei eine wichtige Zäsur das "Weltparlament der Religionen"
darstellte, das anlässlich der Weltausstellung 1893 auf Initiative
unitarischer Gruppen stattfand. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten
sich die ersten buddhistischen und auch hinduistischen Gemeinden sowie vom
islamischen Sufismus inspirierte Gruppen in Europa und Amerika. Zu der
wissenschaftlich-distanzierten und literarisch-interessierten bzw.
philosophisch- faszinierten Befassung, die - wie erwähnt weiterhin besteht,
sind ausdrückliche Bekennergemeinden der östlichen Religionen
hinzugekommen. Es waren Konvertiten, die meist in der christlichen Religion
und in überproportionalem Ausmaß (vgl. M. Baumann, Deutsche Buddhisten.
Geschichte und Gemeinschaften, Marburg 1993, Seite 241) in der jüdischen
Religion aufgewachsen waren und bei ihrer Suche schließlich in den
östlichen Religionen die spirituelle Antwort fanden.
Buddhismus in Deutschland
Im Hinblick auf den Buddhismus in Deutschland wird diese Etappe in der
instruktiven Studie von Martin Baumann über die Geschichte des Buddhismus
in Deutschland in drei Perioden unterteilt: Die "Sammlungsbewegungen"
(1888-1916) und Gesellschaften, die durch die Übersetzungen von Karl Eugen
Neumann beeinflusst wurden und die unter anderen von Karl Seidenstücker geprägt
waren, sind zuerst zu nennen; Akademiker und Gebildete sind auch hier
führend; die zweite Periode, beginnend nach dem Ersten Weltkrieg, dauerte
bis zum Verbot buddhistischer Aktivitäten durch die Nationalsozialisten
(1918-1942); sie ist durch Persönlichkeiten wie Paul Dahlke und Georg Grimm
mitgeprägt und führt zu eigenständigen westlichen Interpretationen des
Buddhismus; die dritte Periode dient dem Wiederaufbau nach dem Krieg und der
Gründung neu strukturierter buddhistischer Gruppen ab Mitte der fünfziger
Jahre (wie z. B. Arya Maitreya Mandala) bis etwa Mitte der sechziger Jahre.
Ärzte als "Geburtshelfer" in Österreich
Die Geschichte des Buddhismus in Österreich ist mit jener in Deutschland
eng verbunden, im besonderen durch das Werk des schon erwähnten ersten
Übersetzers des Pali-Kanons, Karl Eugen Neumann (1865-1915). Der Vater
Neumanns war vom Judentum zum Katholizismus konvertiert; er selbst wurde zum
Buddhisten, promovierte nach dem Studium der Indologie,
Religionswissenschaft und Philosophie in Berlin 1891 in Leipzig und begann
in Wien ab 1892 mit der Übersetzung des Pali-Kanons. 1893 erschien die
Übersetzung des "Dhammapadam", im Jahr darauf machte er eine
Reise nach Indien und Ceylon. In den folgenden Jahren erschienen mehrere
Bände der Mittleren und Längeren Sammlung sowie andere Werke aus dem
Pali-Kanon. Die bisher weniger erforschte Geschichte des Buddhismus in
Österreich scheint ruhiger verlaufen zu sein als jene in Deutschland, wo
insbesondere in der Zwischenkriegszeit die buddhistischen Ideen - wie
erwähnt wurde - zu bedeutsamen Neuansätzen geführt haben. Von 1935 bis
1945 ist insbesondere das Wirken des Wiener Arztes Dr. Kropac zu nennen, der
ein Schüler des deutschen Buddhisten Dahlke war. Auch in der Folgezeit bis
in die Gegenwart herein sollten vielfach Ärzte aktiv an der Gestaltung des
österreichischen Buddhismus Anteil nehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb
der Mitgliederkreis weiterhin sehr klein. 1947 erfolgte die Gründung der
Buddhistischen Gesellschaft Wien; 1955 wurde Professor Hungerleider, ein
Schüler von Dr. Kropac, Präsident dieser Gesellschaft. Das Programm
bestand vor allem aus wöchentlichen Vorträgen. Die Buddhistische
Gesellschaft Wien befasst sich mit allen Richtungen des Buddhismus.
Die religiöse Subkultur im Westen
Die dritte Phase der Rezeption östlicher Ideen im Westen setzt in den
sechziger Jahren dieses Jahrhunderts ein, in denen östliche Gurus initiativ
zum Entstehen einer religiösen Subkultur beitrugen, in welcher meditative
Praktiken im Kontext eines alternativen Lebensstils eine große Bedeutung
hatten. Im Zusammenhang mit diesem kritischen, vor allem von Jugendlichen
getragenen Neuaufbruchs ist das Entstehen einer Vielzahl von religiösen
Gruppen vorwiegend östlicher Herkunft zu verstehen, die unter dem missverständlichen
Begriff "Jugendsekten" in den siebziger Jahren sehr deutlich in
das Blickfeld nicht nur der kirchlichen Öffentlichkeit traten.
"Zen-Boom" in den 70ern
Dieser alternativ-religiöse Umbruch forcierte auch das Interesse am
Buddhismus, insbesondere an dessen meditativen Möglichkeiten und Reichtum.
Und die Repräsentanten des westlichen Buddhismus selbst, der nun schon auf
zwei bis drei Generationen in Amerika und Europa zurückblicken konnte,
reagierten ihrerseits auf dieses Interesse. Es waren vor allem Zen-Kurse,
die großen Zulauf fanden. Martin Baumann spricht in seiner Studie über die
deutschen Buddhisten dieser Zeit von einem
"Meditations-Buddhismus", wobei "der erste mehrtägige Zen-Kurs,
ein sogenanntes Sesshin, als Eckdatum der Phasenunterscheidung
(fungiert)"; dieses Sesshin fand 1964 in Roseburg (östlich von
Hamburg, im "Haus der Stille") statt und wurde von Fritz
Hungerleider, dem österreichischen Buddhisten, geleitet, der zu Beginn der
sechziger Jahre bei einem mehrmonatigen Japanaufenthalt den Zen-Buddhismus
intensiver kennen gelernt hatte. Viele Zen-Meister kamen von Asien,
insbesondere von Japan, nach Europa und Amerika, und in der Folge kann man
zu Beginn der siebziger Jahre einen "Zen-Boom" feststellen. Ab
Mitte/Ende der siebziger Jahre kommt es zu einer neuen Welle der Gründung
buddhistischer Zentren, vor allem tibetischer Prägung, die bis zu Beginn
der neunziger Jahre immer stärkeres Gewicht gewannen.
Buddhismus wird offiziell anerkannt
In Österreich verlief die Entwicklung anders, und sie war in den letzten
beiden Jahrzehnten im besonderen durch die staatliche Anerkennung der
Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft geprägt. Fritz
Hungerleider, der 1920 in Wien als Sohn eines jüdischen Vaters und einer
katholischen Mutter geboren wurde, 1938 mit den Eltern vor den
Nationalsozialisten fliehen musste, war von 1955 bis 1976 Präsident der
Buddhistischen Gesellschaft Wien. Schon 1974 hatte Professor Hungerleider um
die Anerkennung des Buddhismus als offizielle Religion angesucht, was aber
ebenso abgelehnt worden war wie der auf Initiative seines Nachfolgers Dr.
Walter Karwath durch Dr. Drach eingereichte Antrag. Erst Jahre später, am
11. Februar 1983 erfolgte die offizielle Anerkennung der Österreichischen
Buddhistischen Religionsgesellschaft durch den Staat. Im Unterschied zu
Deutschland und der Schweiz gehört somit der Buddhismus seit mehr als einem
Jahrzehnt zu den staatlich anerkannten Religionen dieses Landes. Zehn Jahre
später, im Mai 1993, wurde unter dem Titel "Weisheit und Mitgefühl.
Buddhismus in Österreich" ein großes Festprogramm der einzelnen
buddhistischen Gruppen veranstaltet, das in der Öffentlichkeit eine starke
Resonanz fand. Ein Blick in die Programme der Österreichischen
Buddhistischen Religionsgesellschaft zeigt die vielfältigen Aktivitäten
und Richtungen. 1976 ist der erste Jahrgang des "Bodhi-Baum.
Zeitschrift für Buddhismus" erschienen, und seit 1991 erscheint
"Ursache & Wirkung", die Zeitschrift der Buddhistischen
Kultusgemeinschaft Österreichs.
Die buddhistische Kultusgemeinde
In der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft überlegt
man Perspektiven für die Zukunft. Abschließend sei noch auf die Gründung
des "Dhammazentrums Nyanaponika" hingewiesen, das am 2. Dezember
1994 der Öffentlichkeit im Nyanaponika-Studienzentrum in Wien der
Öffentlichkeit vorgestellt wurde. In Österreich, wo insgesamt nur eine
einzige buddhistische Kultusgemeinde für das gesamte Staatsgebiet
existiert, sind alle traditionellen Richtungen vertreten, und es finden sich
auch neue Ansätze, wie z. B. Sanghamitta (wörtlich: Freunde des Sangha),
wobei ausdrücklich ein "Buddhismus im Westen" angestrebt ist; er
wurde begründet von Claudia Rom, deren geistliche Lehrerin die deutsche
buddhistische Nonne Ayya Khema ist und die als ihren weltlichen Lehrer
Walter Karwath nennt.
Faszination Buddhismus
Die genannten drei unterschiedlichen Etappen der Rezeption
nichtchristlicher Religionen und insbesondere des Buddhismus im Westen
bestehen in der Gegenwart zusammen weiter. Sie führen zu einem komplexen,
bisweilen unübersehbaren Geflecht von Tendenzen und religiösen
Gruppierungen, auch innerhalb einer einzelnen Religion. Der Buddhismus ist
zu einer in Europa gelebten und praktizierten Religion geworden. Der
interreligiöse Dialog beginnt an Ort und Stelle. Es ist zum einen ein
Dialog mit Menschen christlicher Herkunft, die sich aber schließlich dem
Buddhismus zugewandt haben, zum anderen ein Gespräch mit den aus den
Ursprungsländern des Buddhismus kommenden Repräsentanten dieser Religion,
den Mönchen und Meditationslehrern, die in den Zentren des westlichen
Buddhismus wirken. Es ist ein Gespräch mit Anhängern einer bedeutsamen
Weltreligion. Auch wenn die Mitgliederzahlen in Relation zur
Gesamtbevölkerung relativ gering sind, so darf nicht die große
Ausstrahlung buddhistischer Ideen auf weite Kreise der Bewohner übersehen
werden, und insbesondere auch nicht der Einfluss auf Christen. Die
Faszination dieser Religion hat nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
Es stellt sich nun die Frage, welche Motive es insbesondere waren und sind,
die auf den westlichen Menschen wirken. Diese werden im zweiten Teil des
Beitrags als die wesentlichen Themen für einen interreligiösen Dialog zu
erörtern sein.
Beweggründe haben sich verändert
Der Vorgang der Konversion besteht darin, dass man die herkömmliche
Religion verlässt und sich den Anschauungen der neuen Religion existentiell
in Leben und Praxis zuwendet. Die Motive hierfür waren in den
unterschiedlichen Phasen wohl verschieden. Man kann aber sagen, dass die
frühen Buddhisten des Westens sich der neuen Religion vor allem aus
intellektuellen, theoretischen Motiven zugewandt haben. Die jüngere
Generation, die die letzten zwei bis drei Jahrzehnte der Rezeption geprägt
und den Gedanken der spirituellen Praxis in den Vordergrund gestellt hat,
wurde mit dem Stichwort "Meditativer Buddhismus" erfasst . Es kann
aber sicherlich keine genaue zeitliche Trennung der beiden Motive festgelegt
werden. Mit beiden ist außerdem noch ein weiterer Beweggrund verbunden, der
hier eigens genannt werden muss, nämlich die Überzeugung, dass sowohl die
Lehre als auch die religiöse Praxis von jeglichem Zwang frei sein sollten.
Auch dieser Aspekt der entschiedenen Toleranz ist bei den hauptsächlichen
Konversionsmotiven, die hier kurz vorgestellt werden, jeweils mitzubedenken.
Bei den frühen Buddhisten des Abendlandes war die Lehre des Buddhismus das
Entscheidende. Sie erblickten in ihm "eine wissenschaftliche, eine
Erkenntnisreligion", wie Karl Seidenstücker sagt (K. Seidenstücker,
Was bringt uns die Zukunft?, in: Buddhistische Warte, 1. Jg., 1907, Seite
265 (zitiert nach M. Baumann, Deutsche Buddhisten, Seite 58). Eine
vernünftige Religion war angestrebt, die auch mit der modernen
Naturwissenschaft in Übereinstimmung gebracht werden könnte.
Konversionsmotiv: Vernünftigkeit und
Gewaltfreiheit
Dieses Argument, das viele ältere Buddhisten bestimmte, wirkt noch stark
weiter; als Beispiel dafür sei das über 700 Seiten umfassende Werk des
österreichischen Buddhisten Walter Karwath "Buddhismus für das
Abendland" (Wien 1971, 2. verbesserte Auflage Wien 1983) genannt, das
schon im Untertitel "Freiheit durch Erkenntnis" zum Ausdruck
bringt, worum es primär geht. Es ist eine Bekenntnisschrift zu einem
selbständigen, autonomen, von Bevormundung freien religiösen
Selbstverständnis. Es wird an den Verstand und die Vernunft appelliert, mit
denen der Leser das Dargelegte überprüfen solle. Der Verfasser, der - wie
er im Vorwort sagt - "selbst als Christ geboren und aufgewachsen ist,
kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man Europäer bleiben und sich doch
vollkommen vom Christentum lösen bzw. darüber hinaus wachsen kann."
(W. Karwath, Buddhismus, Seite 10). W. Karwath versteht sich keiner
bestimmten Schule oder Richtung angehörig, sondern "ist schlicht und
einfach Buddhist" (W. Karwath, Buddhismus, Seite 11 ). Karwath ist der Meinung, dass der Buddhismus eine Religion ist, die dem
heutigen Europäer besser entspricht als das Christentum. Als befreiend wird
erlebt, dass Gott als höchstes Wesen nicht mehr zentral ist. Es bleibt
nämlich für ihn ein Gegensatz, sich an einen Gottvater anzulehnen und
gleichzeitig das Prinzip des Bewusstseins wahrer Freiheit und alleiniger
Verantwortung zu befolgen. (Vgl. W. Karwath, Buddhismus, Seite 11)
Kritik am Christentum
Der Begeisterung für die "Vernunft Struktur" des Buddhismus
entspricht die heftige Ablehnung der als fremdbestimmt verstandenen
Glaubensstruktur des Christentums. Kritisiert wird auch der herrschende
Totalitätsanspruch und die resultierende Intoleranz, sowie die destruktiven
Auswirkungen des Christentums in der Geschichte des Abendlandes Kahl.
Außerdem werden der kirchliche Machtanspruch, die Ketzer- und
Hexenverfolgungen, die Judenpogrome und auch die problematische Haltung
deutscher und österreichischer Bischöfe in der nationalsozialistischen
Zeit vor Augen gestellt. An den genannten Motiven ist unschwer ablesbar,
dass die rationalistische Kritik der Aufklärung und die atheistische
Religionskritik des 19. und 20. Jahrhunderts im Selbstverständnis einiger
westlicher Buddhisten eine wichtige Rolle bei der Abkehr vom Christentum
spielen bzw. positiv formuliert, dass die Begegnung mit dem Buddhismus als
einer Religion, die diese sehr belastende Hypothek nicht hat, eine
befreiende Erfahrung sein konnte.
Konversionsmotiv: Die meditative Dimension
Zweifellos hat die meditative Dimension des Buddhismus wie überhaupt der
östlichen Religionen schon seit Beginn seiner Rezeption im Westen eine
wichtige Rolle gespielt. Und sie ist auch dort anzutreffen, wo der eher
rationale Aspekt in der Begegnung mit dem Buddhismus überwiegt.
Es scheint jedoch, dass diese Dimension nicht der Hauptgrund für die
Rezeption war: die meditativen Praktiken wurden dem religiösen bzw.
wissenschaftlich-weltanschaulichen Interesse untergeordnet. Seit den
sechziger Jahren aber wurde diese letztere Dimension zur zentralen; Diese
Dimension findet sich im "Meditations-Buddhismus"', in dessen
westlichen Anfangsphasen Zen eine Schlüsselrolle spielte.
Ausgangspunkt für den interreligiösen Dialog
Wenn das Christentum ernstlich mit dem Buddhismus im Westen ins Gespräch
kommen will, hat Dialog von diesen beiden Grundlagen auszugehen: Auf der
einen Seite ist die rationale und ethische Dimension, die mit dem
Toleranzverständnis in engem Zusammenhang steht, zu bedenken, und
andererseits die meditative Dimension einzubeziehen, die die Spiritualität
östlicher Religionen, insbesondere des Buddhismus, wesentlich prägt. Die
folgenden Überlegungen stellen einen Versuch in dieser Richtung dar, wobei
schwerpunktmäßig auf die meditative Komponente eingegangen werden soll.
Die historisch gewachsene und die universelle Ebene
Wenn es zu einer Begegnung der Religionen kommen soll, so sind zuerst
jene Ebenen zu suchen, wo diese so stattfinden kann, sodass keine der
Religionen ihre eigenen Grundüberzeugungen in Frage stellen müsste. Diese
Ebenen können hauptsächlich in zwei Bereichen gefunden werden, die man an
jeder Religion unterscheiden kann: 1. eine historisch gewachsene,
spezifische Dimension: Hierher gehören die vorstellungsbezogenen,
lehrmäßigen Elemente, aber auch die emotional-affektiven Ausdrucksweisen
wie Kult, religiöser Kunst-Ausdruck, spezifisches Ethos etc. Auch die
gesamte konkrete Geschichte einer Religion, mit all ihrem Heil und Unheil,
das sie bewirkt hat, ist hier mitzubedenken; 2. eine universale Dimension:
Es ist der allgemein-menschliche Anspruch, den eine Religion stellt, und der
Aspekt in ihr, der den Menschen als Menschen betrifft: in der Fähigkeit,
die Bedingungen und Konditionen seiner Zeit und Umwelt zwar nicht verlassen
zu müssen, aber in gewissem Sinn relativieren zu können; es ist das
Ungegenständliche, das Nichtdefinierbare, das Überbegriffliche in der
Religion, das hier gemeint ist, und das letztlich auf die absolute
Wirklichkeit bezogen ist.
Der innere Verbindung zwischen historischer und universeller Ebene
Die Ebene der konkreten Ausdrucksgestalt einer Religion hat - über die
notwendige kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte hinausgehend -
eine bleibende Bedeutung im interreligiösen Dialog. Die geistig-universale
Bedeutung des Menschen und seiner religiösen Erfahrung ist zuinnerst mit
der vorstellungsmässigen, konkret - inhaltlichen Ebene verbunden. Es
scheint nicht möglich zu sein, eine Ebene von der anderen loszulösen, z.
B. die Rede vom Absoluten und Göttlichen in einen gleichsam
geschichtsleeren allgemeinen Raum hineinzustellen. Es ist Aufgabe jeder
Religion, die Erfahrung des Absoluten zugänglich, d.h. aussprechbar, zu
machen und erlebbar zu vermitteln. Religion versucht das Unnennbare mit
konkreten Namen zu umschreiben und das Unerforschliche und dessen Willen in
bestimmten moralischen Handlungsweisen zu befolgen. Erst dieser innere
Konnex gibt jeder Religion ihre eigene geschichtsprägende und
kulturtragende Gestalt. Diese jeweilige Eigentümlichkeit und historisch
mitbedingte Form sowie die verschiedenen Weisen, vom Absoluten zu sprechen,
führen naturgemäß zu den bekannten äußeren Unterschieden in den
Vorstellungen und Handlungsweisen der Religionen. Die Bilder vom Absoluten
sind natürlich sehr verschieden, wenn man ihre Sprachgestalt und ihre
assoziierten Vorstellungsinhalte in Betracht zieht; gleichwohl aber
verweisen sie - recht verstanden - in die Dimension der Unverfügbarkeit des
Göttlichen und beziehen sich so gesehen auf ein gemeinsames Ziel, nämlich
den Menschen konkret vor das Absolute zu stellen. So besteht zwar
keinesfalls eine Einheit in den Vorstellungen, wohl aber eine vergleichbare
Intention, die die verschiedenen Religionen mit diesen Vorstellungen
anzielen.
Die Schlüsselrolle der meditativen Dimension des Buddhismus
Im Gespräch zwischen Christen und Buddhisten wird unschwer deutlich,
dass im Hinblick auf die zentralen Grundlagen der jeweiligen Religion
wesentliche Differenzen bestehen. Dazu gehören insbesondere die Frage nach
der letzten Realität (Gott bzw. Nirvana), dem Wesen des Menschen
(Nichtseelenlehre oder personales Selbst) und dem (Weiter-) Leben nach dem
Tod (Ewiges Leben bzw. Wiedergeburtslehre). Trotz dieser Differenzen in der
"Lehre" kann der Praxis ursprünglich buddhistischer
Meditationsformen eine den christlichen Glauben selbst vertiefende und
bereichernde Bedeutung zukommen. Gerade die meditative Dimension des
Buddhismus hat im interreligiösen Dialog eine Schlüsselrolle. Es ist zwar
zu beachten, dass jede meditative Praxis ursprünglich in einer bestimmten Religion entstanden ist bzw. sich in ihr ausdifferenziert hat.
Die betreffende Religion hat unzweifelhaft zurückgewirkt auf die Art der
meditativen Praxis; Zen z. B. ist nicht ohne seinen buddhistischen
Hintergrund zu verstehen.
Herausfilterung ursprünglicher Merkmale der Meditationspraxis
Wenn es gelingt, die allgemein anthropologische Dimension einer
Meditationspraxis gewissermaßen herauszulösen aus dem lehrmäßigen und
institutionellen Kontext einer spezifischen Religion, dann ist auch ihre
Rezeption in von der Ursprungsreligion verschiedenen Kontexten prinzipiell
denkbar. Dass dies im Grunde möglich ist, zeigt wohl am deutlichsten die
Zen-Rezeption im Westen; dafür war es notwendig, die universalreligiöse
Dimension des Zen herauszustellen: Zen war als eine universelle Möglichkeit
des Menschen schlechthin, also jedes Menschen, gedacht, also prinzipiell
auch für Nichtbuddhisten praktizierbar. Dies hat im 20. Jahrhundert zu
einem Prozess geführt, in dem eine interkulturelle Übernahme von
Meditationspraktiken möglich geworden ist. Heinrich Dumoulin meint,
"dass mit dem 20. Jahrhundert eine neue Epoche der Zen-Geschichte
beginnt" (H. Dumoulin, Zen im 20. Jahrhundert, 1990, Seite 10). Das
Neue an dieser Situation ist die Tatsache, dass Zen damit eine weltweite
Bedeutung in der Geistesgeschichte der Menschheit erlangt hat.
Neue Akzente für die Religionen
Über die Mediationspraxis kann das Christentum sicherlich vom Buddhismus
lernen. Welche Inhalte und Werte der Buddhismus vom Christentum rezipieren
kann, dies muss der buddhistische Dialogpartner selbst entscheiden. Im
besonderen ist hier auf jene christlichen Überzeugungen hinzuweisen, die
über die grundlegende Bedeutung für den eigenen Glauben hinausgehend eine
im Prinzip universelle Geltung haben können: Im sittlichen Bereich wäre
die Aufforderung zu aktiver Weltgestaltung und karitativen Aktivitäten zu
nennen (Vgl. dazu: Dalai Lama, Logik der Liebe. Aus den Lehren des
Tibetischen Buddhismus für den Westen, München 1991, Seite 79 u. a.). Im
theologisch-anthropologischen Gebiet ist auf das personale Verständnis der
höchsten Wirklichkeit zu verweisen sowie auf die besondere Bedeutung der
Individualität und Einmaligkeit des Menschseins. Dass ein wechselseitiges
Aneignen und Lernen möglich ist, vor allem innerhalb der tendenziell
universellen Werte beider Religionen, dies kann wohl nicht geleugnet werden.
Ein solcher Dialog führt zu gewissen neuen Gewichtungen in den Religionen,
die einander begegnen: Der christliche Glaube akzentuiert aufgrund dieser
Begegnung z. B. die mystische bzw. meditative Dimension. Solche Vertiefung
ist ein Gewinn für beide Dialogpartner: Und die Religionen, die sich auf
solche Begegnungen einlassen, kommen dadurch auch ihrem eigenen und
eigentlichen Ziel näher, nämlich für das Heil der Menschen dazusein und
ihnen den Weg zur Erfahrung der letzten Wirklichkeit zu weisen.
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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