CHRISTENTUM - FESTE

Karfreitag

Karfreitag, der Tag des Kreuzes

Kreuzigung: Keine Erfindung der Römer

Wichtige Personen der Passionsgeschichte

Wer war schuld am Tod Jesu?

Die Machtspiele des Hohen Rates

Pilatus und die römischen Interessen

Schuldfrage bleibt letztlich offen

 

 

Karfreitag, der Tag des Kreuzes

Christen gedenken am Karfreitag des Leidens und Sterbens Jesu. Den Namen erhielt der Tag vom jüdischen Wort "Kara", das "Klage" bedeutet. Dieser Tag dient der Besinnung auf die Leiden Christi am Kreuz.

Strenger Fasttag

Der Karfreitag wird mindestens seit dem zweiten Jahrhundert gefeiert. Bis heute gilt er in der katholischen Kirche als strenger Fasttag: Gläubige, die älter als 14 Jahre sind, dürfen an diesem Tag kein Fleisch zu sich nehmen, Katholiken zwischen 18 und 60 ist am Karfreitag nur eine einmalige Sättigung erlaubt.
Ursprünglich durfte man an diesem Tag überhaupt nichts essen oder trinken.

Glocken schweigen.

Am Karfreitag schweigen die Glocken

15 Uhr gilt als jene Stunde, in der Jesus am Kreuz gestorben ist. In manchen Kirchen beginnt um diese Zeit auch der katholische Karfreitagsgottesdienst. Dieser ist von Trauer gekennzeichnet, aber auch von der Verehrung des Kreuzes: Das Zeichen eines gewaltsamen Todes ist zugleich Zeichen des Heils. Denn beim Kreuz ist es nicht geblieben. Durch das Kreuz kam Erlösung, nach dem Karfreitag kommt schließlich der Ostersonntag.

Heilige Gräber

Einer der bekanntesten Karfreitagsbräuche ist das Aufstellen des Heiligen Grabes in vielen katholischen Pfarrkirchen. Nach dem Karfreitagsgottesdienst und am Karsamstag können die Gläubigen bei einer Nachbildung des Grabes Jesu verweilen. Die historischen Wurzeln dieses Brauches gehen bis in die Kreuzfahrerzeit zurück. Damals entstanden in Europa Nachbildungen des Heiligen Grabes in Jerusalem. Bis heute werden in den meisten Pfarren Österreichs Heilige Gräber aufgestellt.

Aufklärerischer Kirchenputz

Im Barock kam es zu besonders kunstvollen Nachbildungen des Heiligen Grabes in Jerusalem, in denen die Monstranz zur Anbetung ausgesetzt wurde. Auch stellte man gerne "Heiliggrabtruhen" auf. Das sind Holzsärge mit Darstellung der Grabwächter und des Leichnams Jesu. In der Aufklärung räumte man damit auf. Die Verbote setzten sich allerdings im Alpenraum nur zum Teil durch. Unter Duldung Roms blieben – gerade auch in Österreich – viele barocke "Heilige Gräber" bestehen und wurden im 19. Jahrhundert sogar wieder nachgebaut.

Hoher evangelischer Feiertag

Für evangelische Christen gehört der Karfreitag zu den höchsten Feiertagen des Kirchenjahres. 

 

Kreuzigung: Keine Erfindung der Römer

Obwohl die Römer bei Hinrichtungsarten durchaus erfinderisch waren, stammt eine ihrer bekanntesten Methoden gerade nicht von ihnen: die Kreuzigung. Meder und Perser kreuzigten als erste. Diese Todesart galt im Altertum als besonders grausam.

Bereits die Meder und etwas später die Perser (ca. 5. Jahrhundert v. Chr.) brachten Querdenker, politische Gegner und Verbrecher ans Kreuz. Sogar Alexander der Große scheint diese besonders grausame Hinrichtungsmethode angewandt zu haben. Das hat er sich wahrscheinlich von den Persern abgeschaut. Die Römer übernahmen die Kreuzigung in ihren Todesstrafen-Katalog wahrscheinlich von den Karthagern, die mit den Phöniziern in Verbindung standen.

Tagelange Qual

Die Kreuzigung galt als schmählichste Todesart. Meist wurde dem zum Tod Verurteilten Nägel durch die Handwurzeln – zwischen Elle und Speiche – getrieben. Das Gewicht des Leibes schnitt die Atemwege ab, weshalb der Tod wahrscheinlich durch Ersticken rasch eintreten konnte. Zur Verlängerung der Qualen wurden deshalb Fußstützen oder Sitzpflöcke angebracht. Unter Umständen trat der Tod dann erst nach einigen Tagen ein.

Jesus hat kein Kreuz getragen

Um die Verurteilten noch mehr zu erniedrigen, wurden sie am Tag ihrer Kreuzigung durch die Stadt bis zum Kreuzigungsort getrieben. Auf vielen Abbildungen wird Jesus gezeigt, wie er ein Kreuz trägt. Das stimmt nicht ganz: Die Gefangenen mussten die Querbalken des Kreuzes auf den Schultern tragen. Die Längsbalken waren an der Hinrichtungsstätte im Boden verankert. Auf einem Hügel vor Rom standen angeblich so viele Balken bereit, dass die Blutstätte wie ein kleiner Wald aussah.

Geißelung vor Kreuzigung

In Kriegszeiten wurden Deserteure, Überläufer und Rebellen gekreuzigt, sonst vor allem Sklaven. Der eigentlichen Hinrichtung ging meist eine Geißelung voraus. Dabei schlugen zwei Soldaten auf den Verurteilten mit Geißeln ein, sodass die Haut aufplatzte.

 

Wichtige Personen der Passionsgeschichte

Pontius Pilatus: Der bekannteste Beamte

Er ist der weltweit bekannteste Beamte: Jeden Sonntag wird sein Name bei christlichen Gottesdiensten im Glaubensbekenntnis öffentlich genannt. In den zeitgenössischen Quellen gilt er als skrupellos, menschenverachtend und grausam. In den Passionsberichten der Evangelien setzt er sich hingegen für Jesus ein. Pontius Pilatus: Ein Mann mit vielen Gesichtern.

Der unsensible Römer

Von 26 bis 36 nach Christus amtierte Pontius Pilatus als römischer Statthalter in Palästina. Das Bild, das die zeitgenössischen Quellen von Pontius Pilatus überliefern, ist ausgesprochen negativ: Er war grausam und ungerecht. Unter den gläubigen Juden richtete er willkürlich Blutbäder an. Verdächtige Personen ließ er verhaften und hinrichten. Er nahm auch keine Rücksicht auf das religiöse Empfinden der Juden. So bediente er sich für den Bau einer Wasserleitung aus dem Tempelschatz.

Realpolitiker

Nach anderer Einschätzung war Pilatus vor allem Realpolitiker, der freilich große Härte und sogar grausame Aktionen gegen jede Art von Widerstand gegen Rom in Kauf nahm. Er war ein glühender Diener der Sache Roms, liebte die römische Lebensweise und war vielleicht deshalb wenig sensibel für die Eigenheiten des jüdischen Volkes. Pilatus residierte in Cäsarea am Mittelmeer, einer hellenistischen Stadt mit Hafen, einem großen Theater und anderen Vergnügungseinrichtungen. Offenbar nur widerwillig reiste er zu den großen jüdischen Festzeiten nach Jerusalem, um dort nach dem Rechten zu sehen. So hielt sich Pilatus auch zu jenem Pessach-Fest in Jerusalem auf, als Jesus zum Tod verurteilt werden sollte.

Herr über Leben und Tod

Als Statthalter Roms stand ihm das "ius gladii" zu: Er allein konnte Todesurteile aussprechen und vollstrecken. So mussten die Vertreter des Hohen Rates, wenn sie ihren Tötungsbeschluss in die Tat umsetzen wollten, Jesus nach nächtlicher Sitzung zu Pilatus bringen. Ihm stellten sie Jesus als politischen Aufrührer vor. Auch wenn dies mit dem messianischen Anspruch Jesu nicht übereinstimmte, konnten sie nur so das Interesse des Pilatus wecken. Denn für religiöse Streitereien hatte Pilatus nichts übrig.

Zwickmühle der Macht? 

Im Prozess Jesu geriet Pilatus in eine Zwickmühle: Einerseits war er dem Kaiser Rechenschaft schuldig. Andererseits musste er sich auch mit den Spitzen des jüdischen Volkes gut stellen, die sich gerne beim Kaiser beschwerten. Letztlich fällte er – wohl nicht ohne Druck durch den Hohen Rat – das Urteil über Jesus: Tod durch Kreuzigung.

Anzeige in Rom

Im Jahre 36 wurde Pilatus – nach Beschwerden aus Jerusalem – vom Kaiser endgültig nach Rom abberufen, um sich für seine Taten zu verantworten. Für die höchsten römischen Behörden war Pilatus im politisch schon damals sensiblen Palästina offenbar untragbar geworden.

Kajaphas: Oberster Priester und Politiker

Mit den Römern hatte Kajaphas sich arrangiert. Das zeigt seine lange Amtszeit. Ob der Hohepriester Kajaphas auch der Drahtzieher in den Machtspielen gegen Jesus war, ist ungewiss. Die Hardliner gegen den "Wunderrabbi" aus Galiläa ließ er jedenfalls gewähren.

Großer Einfluss

Kajaphas (auch: Kaiphas), der Hohepriester in der Passionsgeschichte, hatte das Amt von etwa 18 bis 37 nach Christus inne. Er war ein Schwiegersohn seines Vorgängers Hannas. Ein Hohepriester stand als Vorsitzender des Hohen Rates (Synhedrium) an der Spitze der obersten jüdischen Behörde. Ihm war es auch vorbehalten, die kultischen Handlungen am Großen Versöhnungstag zu verrichten. Doch es war Brauch, dass er auch an jedem Sabbath, an den Neumondfesten und den drei Wallfahrtsfesten den Kult im Tempel verrichtete.

Arrangement mit den Römern

Insgesamt war der Hohepriester ein hochgeachteter und wichtiger Mann und Schaltstelle der Juden zu den römischen Besatzern. Die lange Amtszeit des Kajaphas und das Schweigen der außerbiblischen Quellen über ihn deuten darauf hin, dass er sich mit den Römern gut arrangiert hatte. Im Fall Jesu brauchte er allerdings Pilatus, der als römischer Statthalter allein das Recht hatte, Todesurteile zu vollstrecken.

Ökonomische Interessen

Als Hoherpriester hatte Kajaphas für Ruhe und Ordnung zu sorgen. So war es unausweichlich, dass in den Sitzungen des Hohen Rates schließlich auch über Jesus von Nazareth diskutiert wurde: Denn der "Wunderrabbi" aus Galiläa legte das Gesetz nicht immer im Sinne der Priesterschaft aus und übte Kritik am Jerusalemer Tempelbetrieb. Diese öffentliche Tempelkritik Jesu, die auch die wirtschaftliche Ader der Priesterschaft traf, konnte Kajaphas nicht dulden. Allerdings ist in der heutigen Forschung umstritten, ob Kajaphas selbst die treibende Kraft im Prozess Jesu war. Wahrscheinlich ließ er bloß eine starke Gruppe im Hohen Rat gewähren, die Jesus rasch und ohne Aufsehen aus dem Weg räumen wollte.

Judas Iskarioth: Der enttäuschte Idealist?

Kaum eine andere Gestalt des Neuen Testaments wird so negativ gezeichnet und hat die Menschen aus diesem Grund so beschäftigt wie Judas Iskarioth. Dass er Jesus an dessen Gegner ausgeliefert hat, steht fest. Aber warum er das getan hat, obwohl er zu den engsten Vertrauten Jesu zählte, kann man nur vermuten.

"Teufel" Judas

In den Evangelien wird das Bild des Judas eindeutig negativ gezeichnet: Er ist der Verräter, der Jesus ausgeliefert hat, bezeugt die Bibel einstimmig. Er war "ein Teufel" unter den zwölf Aposteln, wagt das Johannesevangelium zu sagen. Er war geldgierig, so steht es beim Evangelisten Matthäus. Und er hat sich selbst umgebracht, behauptet das Neue Testament. Bei genauerer Analyse der Texte zeigt sich jedoch, dass sie wenig historisch Verlässliches über Judas Iskarioth aussagen. Aber was man tatsächlich herausfiltern kann, ergibt ein durchaus differenziertes Bild.

Der Mann aus Karioth?

Manche Forscher vermuten, der Zuname "Iskarioth" deute darauf hin, dass Judas der Sekte der Sikkarier angehört habe. Das würde bedeuten, dass er ein radikaler Kämpfer für die Befreiung Israels von der römischen Herrschaft gewesen sein musste. Neuere Thesen gehen davon aus, dass "Isch-Karioth" eher als "Mann aus Karioth" zu deuten ist. Der Ort Karioth liegt im Süden Palästinas. Judas wäre demnach der einzige im Zwölferkreis um Jesus gewesen, der nicht aus Galiläa, sondern aus dem Süden stammte. Er wäre so von Anfang an ein Außenseiter gewesen. Allerdings würde dies auch darauf hinweisen, dass Judas ein großer Idealist gewesen sein musste: Nicht jeder gibt seine Heimat auf, um in einer ziemlich entfernten Gegend mit einem Wanderprediger umherzuziehen.

Politischer Eiferer?

 Wenn die These vom "Mann aus Karioth" zutrifft, ist die Frage naheliegend, warum Judas seine Heimat verlassen hat, um Jesus in Galiläa nachzufolgen. Vielleicht ist die Vermutung, dass dahinter politische Motive steckten, doch nicht so weit hergeholt. Judas könnte in Jesus tatsächlich den neuen Messias erhofft haben, der Israel von der Besatzung der Römer befreien würde. Sollte er dies erwartet haben, könnte er Jesus an den Hohen Rat aus großer persönlicher Enttäuschung ausgeliefert haben. Denn zum Guerilla-Krieg hat Jesus nicht aufgerufen. Hier bleibt allerdings ein weites Feld für Spekulationen.

Verrat durch einen Apostel

Wenn er von Jesus enttäuscht war, hätte Judas beschließen können, fortan nicht mehr mit Jesus und den Aposteln verkündigend durchs Land zu ziehen. Dass er es aber dabei nicht bewenden ließ, sondern Jesus an dessen Gegner auslieferte, zeugt von grenzenloser Enttäuschung. Für die Jerusalemer Urgemeinde dürfte das ein Trauma gewesen sein: Dass Jesus von einem der Zwölf – also einem seiner engsten Vertrauten – verraten und so in den Tod geschickt wurde. Und das hat man Judas nicht so leicht vergessen.

Selbstmord?

Dass Judas sich selbst das Leben genommen haben soll, stößt in der Bibelwissenschaft heute zum Teil auf Skepsis. Denn davon ist nur im Matthäusevangelium und in der Apostelgeschichte die Rede – und zwar mit einigen Widersprüchen. Die ältesten Quellen hingegen schweigen sich aus. Es ist durchaus möglich, dass Judas nach der Kreuzigung Jesu wieder in sein Heimatdorf Karioth zurückkehrte und so aus dem Gesichtsfeld der Jerusalemer Gemeinde verschwand. Dieses Verschwinden des Verräters könnte das Gerücht von seinem schlimmen Ende begünstigt haben.

Wer war schuld am Tod Jesu?

"Ihr seid Christusmörder!" Mit diesem historisch unhaltbaren Vorwurf hatte man einen Vorwand für schreckliche Verbrechen am jüdischen Volk konstruiert. Zumindest seit dem Mittelalter war dieser Vorwurf eine der wichtigsten religiösen "Begründungen" für Judenverfolgungen.

Keine "billigen Antworten"

Theologisch betrachtet muss sich ohnehin jeder selbst an die Brust klopfen: Denn wenn Gott seine Liebe darin zeigt, dass er in Jesus von Nazareth für jeden einzelnen bis in das tiefste Leid hinabsteigt, ja bis ans Kreuz geht, kann sich niemand von der Schuldfrage ausnehmen. Historisch betrachtet bleibt aber die Frage: Wer waren die Drahtzieher im Prozess Jesu? Wer war verantwortlich für seinen Tod?

Historische Quellen spärlich

Die komplizierte geschichtliche Situation verbietet leichtfertige und pauschale Verurteilungen. Auch ist die Quellenlage spärlich: Nur die Passionsberichte in den vier Evangelien berichten vom Prozess und der Kreuzigung Jesu. Diese Berichte sind aber keine historischen Protokolle, sondern Glaubenszeugnisse. Trotzdem teilen die Forscher heute nicht mehr die Skepsis aus früheren Jahren, man könne die geschichtlichen Abläufe der Passion Jesu überhaupt nicht mehr rekonstruieren. Im Gegenteil: Durch intensive Forschung zeigte sich, wie verlässlich die Evangelien sogar historische Details überliefern. Freilich ist zur Unterscheidung von Glaubensaussagen ohne bedeutende geschichtliche Relevanz einerseits und historischen Fakten andererseits eine präzise bibelwissenschaftliche Arbeit nötig.

Die Machtspiele des Hohen Rates

Die Drahtzieher im Prozess Jesu saßen wahrscheinlich im Hohen Rat (Synhedrium), der obersten jüdischen Behörde für religiöse aber auch profane Angelegenheiten zur Zeitenwende. Dennoch: Auch in diesem altehrwürdigen Gremium hatte Jesus Freunde. Die aber konnten nicht viel ausrichten.

Es steht fest, dass sich ab einem gewissen Zeitpunkt der Hohe Rat mit Jesus von Nazareth in Sitzungen beschäftigt hat. Der im Johannesevangelium überlieferte Aufruf, man solle dem Hohen Rat melden, wo Jesus sich aufhält, könnte durchaus historisch sein. Möglicher Weise ist Judas Iskarioth einem solchen Aufruf gefolgt. Er hat ja – so der biblische Bericht – die Knechte des Hohenpriesters Kajaphas zum Garten Getsemani geführt, wo Jesus gefangen genommen wurde.

Sympathisanten Jesu

Es ist allerdings unglaubwürdig, dass sich der gesamte Hohe Rat gegen Jesus gestellt hat. Die Bibel selbst sagt anderes: Nikodemus, ein Mitglied des Synhedriums, sucht Jesus bei Nacht auf. Offenbar ist er ein Anhänger Jesu, bekennt sich aber aus Angst nicht offen zu seiner Sympathie für den Wanderprediger aus Galiläa. Josef von Arimathäa, ebenfalls "Ratsherr", stellt nach dem Tod Jesu sein Familiengrab zur Verfügung. In der Forschung gilt als gesichert, dass Josef von Arimathäa eine historische Person ist, deren Name von den ersten Christen in dankbarem Gedenken überliefert wurde. Denn dieser Ratsherr machte sich vor dem Paschafest kultisch "unrein", wenn er den Leichnam vom Kreuz abnahm und bestattete. Er hat offenbar viel für Jesus gewagt und womöglich seine eigene Karriere aufs Spiel gesetzt.

Wo Jesus bei der Hierarchie aneckte

Die Sympathisanten für Jesus waren im Hohen Rat aber aller Wahrscheinlichkeit nach in der Minderheit. Jesus hat das jüdische Gesetz, die Thora, nicht immer im Sinne der einflussreichen Priesterschaft ausgelegt. Er ist im Gegenteil mit der jüdischen Hierarchie nie zimperlich umgegangen. Seine besondere Zuwendung zu den Armen und Notleidenden, den Randgestalten der Gesellschaft, verband Jesus mit offener Kritik an den glaubenseifrigen Pharisäern und der selbstgerechten Priesterschaft. Das bedeutet nicht, dass er die Hierarchie grundsätzlich ablehnte. Im Gegenteil, er hatte auch Freunde offenbar bis in Kreise des Hohen Rates. Doch seine öffentliche Kritik am Jerusalemer Tempelbetrieb, in dem ökonomische Gesichtspunkte oftmals wichtiger waren als die Gottesverehrung, traf schließlich die wirtschaftliche Grundlage der Sadduzäer. Sie stellten im Hohen Rat eine Zweidrittelmehrheit. Aus ihren Reihen dürften auch die schärfsten Gegner Jesu gekommen sein.

Nacht-und-Nebel-Aktion

Die Gefangennahme Jesu und die nächtliche Sitzung im Hohen Rat zeugen von großer Eile. Man will keine Zeit verlieren: Das Paschafest steht bevor, an dem nach jüdischem Gesetz niemand hingerichtet werden darf. Es ist unwahrscheinlich, dass mitten in der Nacht – es muss bald nach Mitternacht gewesen sein – der gesamte Hohe Rat zu einer Sitzung zusammentrat. Es war eher ein Verhör, zu dem einige Mitglieder des Synhedriums eilig zusammengetrommelt wurden. Ein Todesurteil wurde wahrscheinlich gar nicht gefällt. Aber es fiel die Entscheidung, Jesus an Pilatus auszuliefern, der allein das Recht hatte, Todesurteile zu fällen und zu vollstrecken.

Pilatus und die römischen Interessen

Die Römer waren an Jesus erstaunlich uninteressiert. Jedenfalls war der "Wunderrabbi" aus Galiläa offenbar weder vorbestraft noch einschlägig amtsbekannt, als er vor Pilatus geführt wurde. Sonst wäre eine Verurteilung rasch über die Bühne gegangen.

"Hier entscheide ich!" Der römische Statthalter scheint sich zunächst gegen eine Verurteilung Jesu gesperrt zu haben. Dass er das aus Sympathie für Jesus tat, ist kaum plausibel. Es passt eher zum Charakter des Statthalters – wie ihn außerbiblische Quellen beschreiben – dass sich Pilatus nicht zum Exekutivbeamten des Hohen Rates abstempeln lassen wollte. Er handelte also nach dem Motto: "Wer leben oder sterben soll, bestimme ich!"

Jesus: Politischer Rebell?

Kreuzigung galt im Römischen Reich als die qualvollste und schmählichste Hinrichtungsart. Das Schild, das nach biblischem Bericht am Kreuz hing, begründete das Todesurteil: "Der König der Juden." Demnach wurde Jesus als politischer Aufrührer verurteilt. Immer wieder wurde deshalb vor allem in populärwissenschaftlichen Jesus-Büchern spekuliert, Jesus sei ein Revolutionär gewesen, der Israel mit Gewalt von der Besatzungsmacht habe befreien wollen. Deshalb sei er wegen Rebellion gegen die Staatsmacht von den Römern hingerichtet worden.

Pilatus: "Religion ist mir gleichgültig."

So stimmig die Version vom politischen Rebellen Jesus klingt, hat sie doch in den Quellen keinerlei Anhaltspunkt. Im Gegenteil: Jesus wollte offenbar jedem Verdacht entgehen, als "politischer" Messias zu gelten, der für Israel ein neues Reich aufrichten will. Ihm ging es vielmehr darum, dass sich das jüdische Volk für das nun schon anbrechende Reich Gottes bereit machte. Aber da viele in Jesus den gekommenen "Messias", den "Gesalbten" erblickten, übersetzten die Drahtzieher aus dem Hohen Rat diesen Begriff für Pilatus ins Politische: Jesus beanspruche, König des jüdischen Volkes zu sein. Religiöse Streitigkeiten waren Pilatus gleichgültig. Jesus als politischen Aufrührer darzustellen, musste die Sache für Pilatus interessant machen, auch wenn der Vorwurf nicht mit dem Selbstverständnis Jesu übereinstimmte.

Angst um Karriere

Pilatus wollte sich zwar nicht zum Handlanger der Hohenpriester degradieren lassen. Der Fall Jesus war es ihm allerdings auch nicht wert, seine politische Karriere aufs Spiel zu setzen. Der im Johannesevangelium überlieferte Zuruf der Volksmenge: "Wenn du ihn nicht verurteilst, bist du kein Freund des Kaisers", beinhaltet eine handfeste Drohung. Eine Anzeige in Rom, dass Pilatus nicht die Interessen des Imperiums vertrete, hätte eine ernste Gefahr für seine politische Zukunft bedeutet. So gab er offenbar dem Druck der einflussreichen Kreise aus dem Hohen Rat nach, ohne das Gesicht zu verlieren: Er ließ die Volksmenge entscheiden.

Kleine, verhetzte Menschenmenge

Kurz vor dem Paschafest drängten sich in den Jerusalemer Gassen unvorstellbare Massen von Menschen. Wahrscheinlich hatte sich nur eine kleine Menge Schaulustiger versammelt, um den Urteilsspruch mitzuerleben. Es war also keineswegs "das Volk", das die Kreuzigung Jesu verlangte, sondern eine kleine Menge von zum Teil "gekauften" Leuten, die im Sinne jener Exponenten des Hohen Rates agierten, für die der Tod Jesu beschlossene Sache war. Die Jünger Jesu waren aus Angst bereits nach Galiläa geflohen, nur einige Frauen aus der Anhängerschaft Jesu harrten in Jerusalem aus. Pilatus war der Ausgang des Prozesses wahrscheinlich persönlich gleichgültig. Mit der "Volksbefragung" der Menschenmenge hat er sich geschickt aus der Affäre gezogen.

Schuldfrage bleibt letztlich offen

Wer historisch gesehen den Tod Jesu zu verantworten hat, ist heute nur noch schwer zu sagen. Es können nur plausible Vermutungen angestellt werden: Einige Hardliner aus dem Hohen Rat dürften die Drahtzieher gewesen sein. Und Pilatus war die politische Karriere ohnehin wichtiger als ein gerechter Prozess: Er hat das Todesurteil zu verantworten.

Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass es nur ein kleiner, aber einflussreicher Kreis war, der Jesus beseitigen wollte. Im Volk war Jesus größtenteils beliebt. Und bis in hohe pharisäische, aber auch priesterliche Kreise hatte Jesus Sympathisanten. Doch mit seiner deutlichen Kritik am Jerusalemer Tempelbetrieb hatte Jesus endgültig seine Gegner gefunden: Einige Hardliner im Hohen Rat, denen Jesu Kritik zu weit ging, drängten offenbar auf eine gründliche "Lösung" des Falles Jesus.

Pilatus

Dem römischen Statthalter Pontius Pilatus war der "politische Sessel" wichtiger als ein gerechter Prozess. Wie ihn die zeitgenössischen Quellen beschreiben, kannte er keine Skrupel, wenn es um die Durchsetzung seiner Macht ging. Er hatte das Recht, Todesurteile auszusprechen und sie zu vollstrecken. Bei ihm liegt so gesehen die Hauptverantwortung. Er hat das Todesurteil auf seinem Richterstuhl rechtskräftig gefällt.

Und die Jünger?

Sind auch die Apostel und die anderen Jünger mitverantwortlich am Tod Jesu? Hätten sie überhaupt etwas ausrichten können, wenn sie sich für Jesus eingesetzt hätten? Tatsache ist, dass sie Angst um ihren eigenen Kopf und Kragen hatten. Sie haben Jesus im Stich gelassen. Kein Wunder, dass sie sich dann hinter verschlossenen Türen verschanzten. Das wird vielleicht nicht nur die Angst gewesen sein, dass es ihnen so ergehen könnte wie Jesus, sondern auch ihr eigenes schlechtes Gewissen.

"Er starb für uns"

Seit frühester Zeit – so bereits in den Glaubensformeln, die Paulus zitiert – herrschte in der Kirche die Überzeugung, dass Jesus für alle Sünder in den Tod gegangen ist. Wie es geschehen kann, dass "einer für die vielen" stirbt und sie aus Sünde und Tod befreit, kann freilich nicht bloß "mit dem Kopf" nachvollzogen werden. Die historische Schuldfrage wird dadurch aber auf alle Fälle stark relativiert. Statt sich auf die Suche nach "Sündenböcken" für den Tod Jesu zu machen, müsste jeder von seiner eigenen Schuld und Schwachheit betroffen sein.

 

 

 

 

 

 

 
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