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Auferstehung und ewiges Leben - Grundzüge christlicher Eschatologie

Von Ullrich H. J. Körtner (Biografie)

 

Das neuzeitliche Bewusstsein hat nicht nur die Vorstellung einer Auferstehung der Toten abgeschüttelt, sondern letztlich überhaupt jede Jenseitsvorstellung verloren. Mit sinnlichen Bildern einer allgemeinen Totenauferstehung, eines Jüngsten Gerichts und eines ewigen Lebens ist auch der Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu selbst ins Wanken geraten. Doch stößt heute der Versuch das Leben als letzte Gelegenheit in vollen Zügen auszukosten, zunehmend auf Skepsis. Wie steht es eigentlich mit der Auferstehungshoffnung des christlichen Glaubens angesichts der Brüchigkeitserfahrung des menschlichen Lebens?

Hoffnung, und zwar über den Tod hinaus, ist nicht nur ein Grundelement aller Religionen, sondern in spezifischer Weise der Grundzug des überlieferten Christentums. Der erste Petrusbrief preist Gott um der Auferweckung Jesu von den Toten willen, durch welche die Christen zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren seien, deren Ziel das ewige Heil sei, "der Seelen Seligkeit", wie Luther übersetzt hat. Gleichsam im Umkehrschluss hat der Apostel Paulus erklärt: gäbe es keine allgemeine Auferstehung der Toten, so könne auch Jesus von Nazaret unmöglich von den Toten auferweckt worden sein. Dann aber falle der christliche Glaube wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hofften die Christen allein in diesem Leben auf Jesus als den Christus, so seien sie die bedauernswertesten Menschen, weil sie einer Illusion aufsäßen. Dann aber könnte man ihnen nur raten, sich an die Lebensweisheit des Königs Salomo zu halten, der im diesseitigen Leben die letzte Gelegenheit sah. "Wenn die Toten nicht auferstehen, dann, lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot!"

Streit um Historizität der Auferstehung Jesu

Während Paulus mittels solcher Argumentation die ersten Christen im Glauben an die allgemeine Totenauferstehung bestärken wollte, kehren der neuzeitliche Rationalismus und die Religionskritik der Moderne das paulinische Argument gegen das Christentum insgesamt. Der gegenwärtig neu aufgeflammte Streit um die Historizität der Auferstehung Jesu, welcher doch schon in den Anfängen der Aufklärungszeit geführt, wurde, verdeutlicht noch einmal den von Paulus aufgezeigten Zirkelschluss, der nun aber gegenläufig gelesen wird.

Wandlung des Auferstehungsglaubens

Verfolgt man in kurzen Zügen die Geschichte des neuzeitlichen Christentums, so fiel zunächst die traditionelle bzw. orthodoxe Lehre von den sogenannten letzten Dingen, auch Eschatologie genannt, welche das Ende der Welt als endzeitliches Gerichts- und Heilsdrama zu schildern wusste. Der christliche Auferstehungsglaube wurde jedoch nicht überhaupt verworfen, sondern im Sinn eines Unsterblichkeitsglaubens umgedeutet, der gegen Ende des 18, Jahrhunderts im allgemeinen Bewusstsein fest verankert war. Im weiteren Verlauf der neuzeitlichen Geistes- und Kulturgeschichte machte die kritische Vernunft freilich auch vor dem Unsterblichkeitsglauben nicht halt. Unter dem Eindruck der modernen Naturwissenschaften, der modernen Medizin und Tiefenpsychologie, aber auch in Verbindung mit dem sozialen Elend des entstehenden Industrieproletariats geriet jede Form des Unsterblichkeitsglaubens unter Illusions- bzw. Ideologieverdacht.

Seele ist Verständigungsmittel der Selbsterfahrung

Heutzutage gilt die Seele indes nicht länger als unumstößliche Tatsache, sondern lediglich als ein Verständigungsmittel der Selbsterfahrung, bei dem höchst strittig ist, ob ihm eine eigenständige ontologische Realität, z.B. Geist genannt, korrespondiert. Die philosophische und naturwissenschaftliche Bestreitung des Unsterblichkeitsglaubens, die nicht auf intellektuelle Zirkel beschränkt blieb, sondern durch die sozialistische Bewegung und die marxistische Theorie des dialektischen Materialismus, aber auch Autoren wie den Naturwissenschaftler Ernst Haeckel und die Freidenkerbewegung popularisiert wurde, verfehlte auch auf die Kirchen ihre Wirkung nicht. Seit der Jahrhundertwende ist auch innerhalb der Volkskirche die Erosion des christlichen Auferstehungsglaubens zu beobachten.

Vorstellung vom ewigen Leben schwindet

Auch die kirchliche Verkündigung und die wissenschaftliche Theologie wagen es nur noch ganz verhalten, von einer individuellen Hoffnung über den Tod hinaus zu sprechen. Die traditionelle Vorstellungswelt eines ewigen Lebens kommt in Predigten praktisch nicht mehr vor. Deren Bilder erscheinen als gar zu naiv, weshalb auch über die Dogmatik die "Nacht der Bildlosigkeit" (E. Hirsch) hereingebrochen ist. Der Grund liegt nicht allein in manchen Ungereimtheiten des traditionellen eschatologischen Lehrstücks, sondern eben auch im neuzeitlichen Verlust jeglicher Transzendenz und damit der Möglichkeit, dass theologische Aussagen über ein ewiges Leben anschlussfähig wären für eine Metaphysik, welche eine postmortale Existenz zu denken erlaubte. Der Verlust solcher Anschlussmöglichkeiten unterscheidet die heutige Situation der Theologie grundlegend z.B. von derjenigen der Reformatoren, zu deren Zeit die Annahme einer unsterblichen Seele philosophisch nicht in Zweifel gezogen wurde.

Verantwortung für das Heil verlagert sich hin zum Menschen

Die an sich auch theologisch zu bejahende Hinwendung zum Diesseits mündete in der Moderne in die reine, um nicht zu sagen platte Diesseitigkeit. Es gilt heute allgemein als ausgemacht, dass das Leben hier und jetzt die letzte Gelegenheit ist, weil sich Heil und Ende nicht mehr wie für das bisherige Christentum zusammendenken lassen. Mit der Abkehr von einem geschichtstranszendenten Heil ist jedoch keineswegs die Abkehr von jeglicher Heilsgeschichte verbunden. Vielmehr ist ein außerordentliches Heilspathos die Kehrseite neuzeitlicher Jenseitskritik. Es kommt in den verschiedensten Heilsprogrammen zum Zuge, in divergierenden Utopien des gesellschaftlichen, technologischen, ökonomischen oder auch medizinischen Fortschritts. Allerdings hat sich nun die Verantwortung für das Heil vom göttlichen auf das menschliche Subjekt verlagert. Man kann feststellen, dass sich das Verhältnis der beiden Subjekte geradezu verkehrt hat. War einstmals der Gott des Christentums um das -ewige- Heil seiner Geschöpfe besorgt, so erscheint er heute, sofern die religiöse Dimension nicht überhaupt ganz ausfällt, der Obhut aller Menschen guten Willens anvertraut.

Der Versuch, "den Tod mit dem Glück zu versöhnen"

Die Haltung reiner Diesseitigkeit wirkt sich im 20. Jahrhundert auch auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod aus. Die moderne Einstellung zum Tode artikuliert sich als Idee des natürlichen Todes, die einen doppelten Inhalt hat. Sie erhebt den Anspruch, sowohl ein aufgeklärtes, rationales Todeswissen als auch eine gesellschaftliche Utopie zu sein. Der Deutung des Todes als biologisch natürliches Lebensende korrespondiert die Zielvorstellung einer egalitären Gesellschaft, in welcher der Tod zur Unzeit durch physische oder strukturelle Gewalt, gesundheitsschädliche Produktionsverhältnisse und vermeidbare Krankheiten ausgeschlossen ist, so dass der Tod als natürliches Ende eines ausgeschöpften und sinnerfüllten Lebens akzeptiert werden kann. Es handelt sich mit anderen Worten um den utopischen Versuch, "den Tod mit dem Glück zu versöhnen".

Fragwürdigkeit  der Hinauszögerung des Lebens

Immer deutlicher werden die destruktiven Tendenzen einer reinen Diesseitigkeit. Eine zu beobachtende neue Religiosität, die auch über den Tod hinaus fragt, dabei freilich eher durch die fernöstliche Vorstellung der Reinkarnation fasziniert ist, speist sich ganz offenkundig aus dem Unbehagen gegenüber einem geistlosen erkenntnistheoretischen und ökonomischen Materialismus, der das Leben mit maschinenartigen Regelkreisen verwechselt und dessen Ideologie seine Anhänger wie seine Opfer um das Leben betrügt. Allmählich tritt ins Bewusstsein, dass der sogenannte natürliche Tod in Wahrheit ein höchst künstlicher ist, nämlich "die Frucht der kunstvollen Selbstmanipulation des Menschen und seiner Lebensumstände". Zunehmend wird heute gefragt, ob Lebensverlängerung um jeden Preis ein Selbstzweck ist oder ob sich die verbleibende Lebensqualität nicht umgekehrt proportional zur medizinisch verlängerten Lebensdauer verhält.

Versuch einer Rekonstruktion des Sinns christlicher Auferstehungshoffnung

Diese Aufgabe besteht nicht nur gegenüber nichtchristlichen Religionen, sondern ist auch eine binnenkirchliche Herausforderung, lässt sich doch beobachten, dass Reinkarnationsvorstellungen, die durch die östlichen Weltreligionen beeinflusst sind, inzwischen selbst unter Kirchenmitgliedern Anhänger finden." Darin ist mit Ernst jedoch nicht eine Weiterentwicklung des Christentums, sondern das Symptom einer neuen Form von nachchristlicher Religiosität zu sehen, welche sich vom herkömmlichen Christentum darin grundlegend unterscheidet, dass an keinen personhaften Gott mehr geglaubt wird, sondern die prozesshaft gedachte Natur religiös bzw. spirituell gedeutet und verehrt wird. Insofern ist der Versuch einer Rekonstruktion des Sinns der christlichen Auferstehungshoffnung gleichzeitig ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit neuen Formen der Naturreligiosität.

Der Begriff "Eschatologie"

Die kritische Aneignung überlieferter Glaubensinhalte des Christentums setzt freilich voraus, dass deren erkenntnistheoretischer Status geklärt wird. Beim Begriff "Eschatologie" handelt es sich um einen theologischen Fachausdruck, der erst im 17. Jahrhundert geprägt wurde. Im Sinne dieses aus dem Griechischen hergeleiteten Begriffes sind die Eschata die letzten Dinge oder Geschehnisse am Ende der Geschichte. Die lateinische Bezeichnung des in Rede stehenden dogmatischen Lehrstücks lautete denn auch "De novissimis". So sehr dieses Lehrstück traditionellerweise kosmologisch ausgerichtet ist, hat es doch einen existentiellen Bezug zum Glauben. In diesem Lehrstück geht es nämlich um die Beantwortung der Frage: "Was darf ich hoffen?" Nun unterscheidet sich die Frage nach dem Hoffenswerten nach Kant von derjenigen nach dem Wissbaren. Sofern daher Aussagen über die christliche Hoffnung den Anspruch erheben, ein übernatürliches Offenbarungswissen zu formulieren, ist ihr Charakter als Ausdruck einer Hoffnung bereits verfehlt.

Hoffnung beruht auf Wirken und Leben Jesu

Nun handelt die Eschatologie von einer Hoffnung, die nicht ins Blaue hofft, sondern den Anspruch erhebt, begründet zu sein. Der Grund dieser Hoffnung aber liegt ihrem Selbstverständnis nach nicht im bloßen Wünschen, sondern in einem geschichtlichen Ereignis und einer mit ihm verbundenen Erfahrung. Es ist die Erfahrung des Neuen, welche vom Wirken, Leben und Geschick Jesu von Nazaret ausgeht. Eschatologie handelt also gleichermaßen von der Erfahrung des Neuen wie auch von der Hoffnung auf dessen endgültige Vollendung. Wegen dieser doppelten Hinsicht auf die Wirklichkeit des Neuen unterscheidet man dogmatisch auch zwischen einer präsentischen und einer futurischen Eschatologie.

Die Predigt Jesu vom Reich Gottes

Es fragt sich nun, wie von diesem Neuen bzw. dieser Art von Zukunft, welche der Inhalt christlicher Verkündigung ist, sachgemäß gesprochen werden und wie es gedacht werden kann. Zunächst werden wir sagen können, dass eschatologische Aussagen der sprachliche Ausdruck nicht nur einer vagen Hoffnung, sondern einer subjektiv begründeten Gewissheit sind, welche freilich vom intersubjektiven Wissen unserer raumzeitlichen Erfahrungswelt unterschieden werden muss. Paradigmatische Bedeutung kommt dabei der Predigt Jesu vom Reich Gottes zu. Jesus hat von der endzeitlichen Gottesherrschaft und also von jener eschatologischen Erneuerung der Schöpfung in Gleichnissen gesprochen. Die Gleichnisse Jesu aber haben metaphorischen Charakter. Sie sprechen vom Neuen, das Gott schafft, in der Sprache der Bilder. Das Neue selbst bleibt unanschaulich, weil es seiner Prämisse nach nicht aus der Wirklichkeit ableitbar ist. Doch die von Jesus gewählten Metaphern stellen gewissermaßen eine Regel der Reflexion bereit, um jenes Neue denken und aussprechen zu können.

Die Rede von Jesu Auferstehung

In analoger Weise muss auch die Rede von der Auferstehung Jesu verstanden werden. Ihr sachlicher Gehalt besteht in der Behauptung, dass jene unableitbare Erneuerung der Schöpfung, von welcher Jesus in seinen; Gleichnissen gesprochen hat, an ihm selbst Wirklichkeit geworden ist. Die Rede von Jesu Auferstehung bzw. Auferweckung greift auf unsere Erfahrungswelt zurück. Aufstehen bzw. Aufgeweckt werden sind Vorgänge unserer Alltagswelt. Die christliche Verkündigung aber gebraucht diese Bilder als Metaphern für das unableitbare Neue, welches mit der Ostererfahrung der Jünger in die Welt eingebrochen ist, für die Gewissheit also, dass Jesus von Nazaret nicht im Tod geblieben, sondern bei Gott ist und als Geist gegenwärtig ist, wo in Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe entsteht. Dieses Neue aber lässt sich nicht begrifflich, sondern eben nur metaphorisch aussagen. Wir können auch sagen, es handelt sich um die Sprache absoluter Metaphern, die wohl begrifflich interpretiert, aber nicht durch die Sprache abstrakter Begriffe ersetzt werden kann.

Spannung zwischen Bekenntnis und Welterfahrung

Die Gewissheit des Glaubens hat freilich die Gestalt einer angefochtenen Zuversicht. Eben weil die Wirklichkeit des Neuen, welches an der Auferweckung Jesu von den Toten festgemacht wird, im Widerspruch zur vorfindlichen Wirklichkeit steht, besser gesagt: weil die vorgefundene Wirklichkeit der Ansage eines gänzlich Neuen im Sinne der Erlösung und Vollendung der Welt widerspricht, lebt die Hoffnung des Glaubens in der unauflösbaren Spannung zwischen dem Bekenntnis und der Welterfahrung. Wenn man die Hoffnungssätze christlicher Eschatologie als Postulate in der Sprache der Metapher kennzeichnen will, so ist hinzuzufügen, dass diese Postulate nicht so sehr den Charakter einer Denknotwendigkeit und auch nicht einer Forderung, sondern denjenigen einer Bitte haben, welche die göttliche Verheißung nicht wörtlich, wohl aber beim Wort nimmt

Fragwürdige Idee des natürlichen Todes

Religionskritik mag in der christlichen Auferstehungshoffnung nur ein Wunschdenken erkennen, welches der Härte des Todes ausweicht. Doch ist umgekehrt zu fragen, ob nicht gerade die Hoffnung auf Auferstehung eine realistischere Einstellung zum Tod als die moderne Idee des natürlichen Todes impliziert, weil sie den Versuch, "den Tod mit dem Glück zu versöhnen", als Illusion durchschaut und das Leben in seiner prinzipiellen Gebrochenheit und Fragmenthaftigkeit thematisiert. In Fortführung der kulturgeschichtlichen Einsichten von Philippe Aries möchte ich die These vertreten, dass das heute gesellschaftlich konsensfähige Modell des natürlichen Todes in Wahrheit eine Erscheinungsform des verwilderten Todes ist, mit welchem der Mensch um seines Menschseins willen keinen Frieden machen darf. Fragwürdig ist die Idee des natürlichen Todes auch deshalb, weil sie einer problematischen Idee der Ganzheitlichkeit aufsitzt.

Das Leben als Fragment

Die Idee des natürlichen Todes scheitert nicht nur an der Realität des unausrottbaren Bösen, sondern auch an der Fragmenthaftigkeit menschlichen Lebens. An dieser zerbricht der Mythos der Ganzheitlichkeit, ohne welchen sich der Tod nicht mit dem Glück versöhnen lässt. Dass unser Leben ein Fragment ist, gilt in doppelter Hinsicht. Zwar ist der Tod insofern eine natürliche Gegebenheit, als unser Lebensende biologisch vorprogrammiert ist. Doch tut sich in jedem Sterben eine Differenz zwischen Ende und Vollendung des Lebens au£ Dem Tod eignet keineswegs nur das Moment der Erfüllung, sondern auch des Abbruchs und der Zerstörung. Jedes Leben, ob kurz oder lang, ist nicht nur möglicherweise reich an Erfahrungen des Gelingens, sondern auch an solchen des Scheiterns, der Schuld und des Verlustes. Insofern vollendet der Tod nicht das unvollständig gebliebene Leben, sondern verendgültigt dessen Unvollkommenheit.

Das Erleben des Todes der Anderen

Wesenshaft fragmentarisch ist das menschliche Leben aber auch darum, weil der Mensch nur im Gegenüber zu anderen als ein Selbst existieren kann. Eben deshalb bleibt Ganzheitlichkeit ebenso eine Illusion wie die Idee, den eigenen Tod als Tat zu deuten, in welcher wir selbst unser eigenes Leben vollenden. Diesen Umstand können wir uns unter anderem daran bewusst machen, dass wir nicht den eigenen Tod, sondern den Tod der anderen erleben. Mit den anderen, die zu unserem eigenen Leben gehören wie umgekehrt wir zu dem ihrigen, stirbt immer ein Stück von uns selbst. Ganzheitlichkeit und Vollendung des eigenen Lebens wären darum nur um den Preis der Beziehungslosigkeit zu erreichen. Eine derartige Auffassung von Ganzheitlichkeit ist nicht nur aporetisch, weil menschliche Subjektivität eben nur intersubjektiv gegeben ist, sondern auch strukturell mitleidlos, weil es den leidenden Mitmenschen und die Opfer der Geschichte geflissentlich übersieht.

Die Existenz einer Grundpassivität

Überdies gehört zu den anthropologischen Gegebenheiten nicht nur die Interpersonalität bzw. Sozialität des Menschen, sondern auch eine eigentümliche strukturelle Passivität. Wohl lebt der Mensch sein Leben als tätiges Leben. Doch inmitten seines Tätigseins, welches wir auch als Selbstverwirklichung bezeichnen können, bestimmt ihn eine eigentümliche, von allen Passivitätserfahrungen nochmals zu unterscheidende Grundpassivität. Sie besteht darin, dass wir uns vor allem Tun und Lassen, allem Handeln und Erleiden immer schon gegeben sind und schließlich entzogen werden. Nicht allein, dass wir sterben müssen, sondern auch, dass wir geboren werden, gehört zu unserem Menschsein. Eben darum, weil unsere Endlichkeit nicht allein mit unserer Sterblichkeit zusammenfällt, sondern auch unsere Geburtlichkeit einschließt, wir also vielleicht unser eigenes Ende, niemals aber unseren Anfang herbeiführen können, ist es problematisch, wenn der Tod von manchen Philosophen und Theologen als Tat des Menschen interpretiert wird, in welcher der Mensch sich selbst vollende. Es mag uns gelingen, unser Sterben und das Leiden anzunehmen. Doch nicht jeder stirbt bei vollem Bewusstsein. Und auch dann gelingt es uns allenfalls partiell, das Leiden wirklich in das eigene Leben zu integrieren. Statt dem Leben, wie es in der Philosophie unseres Jahrhunderts vor allem Martin Heidegger gesehen hat, einen letzten Sinn zu verleihen, kann der Tod im Gegenteil auch als Inbegriff der Sinnlosigkeit verstanden werden.

Christliche Hoffnung im Angesicht des Todes

Fragen wir nun nach der christlichen Hoffnung im Angesicht des Todes und im Blick auf die Fragmenthaftigkeit menschlichen Daseins, so deutet sie das menschliche Leben in der Perspektive seiner Gottesrelation. Im Licht der Gottesbeziehung aber erscheint die Fragmenthaftigkeit einerseits als Gericht über den Menschen, andererseits als Existenz, die unter der Verheißung steht, dadurch einen unzerstörbaren Sinn zu erlangen, dass sich Gott selbst auf endgültige Weise auf den Menschen bezieht und nicht ohne seine Geschöpfe sein will. Um den Sinn der christlichen Hoffnung zu verstehen, ist es notwendig, sich den Unterschied zwischen unserem Sterben und dem Tod selbst bewusst zu machen. Die Auferstehungshoffnung des christlichen Glaubens wäre missverstanden, wenn sie lediglich als Versuch verstanden würde, sich über das eigene Sterbenmüssen hinwegzutrösten. Ihr Inhalt ist vielmehr die Überwindung des Todes, und zwar zunächst des Todes derer, die bereits gestorben sind und täglich sterben. Die christliche Hoffnung ist Hoffnung im Angesicht des Todes des anderen und somit Ausdruck einer Solidarität mit dem Mitmenschen, die sich auch praktisch zu bewähren hat. Sie ist mit das genaue Gegenteil eines Heilsegoismus, der nur um das eigene Leben und dessen mögliche postmortale Fortexistenz besorgt ist.

Fragmenthaftigkeit erscheint in neuem Licht

Unter diesem Blickwinkel erscheint auch die Fragmenthaftigkeit unseres Lebens in einem neuen Licht. Hierzu hat der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer unter dem Eindruck der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs in einem Brief an seine Eltern geschrieben, seine Generation empfinde das Unvollendete, Fragmentarische des Lebens wohl besonders stark. "Aber gerade das Fragment kann ja auch wieder auf eine menschlich nicht mehr zu leistende höhere Vollendung hinweisen. Daran muss ich besonders beim Tode so vieler meiner besten ehemaligen Schüler denken. Wenn auch die Gewalt der äußeren Ereignisse unser Leben in Bruchstücke schlägt, wie die Bomben unsere Häuser, so soll doch möglichst noch sichtbar bleiben, wie das Ganze geplant und gedacht war, und mindestens mir immer noch zu erkennen sein, aus welchem Material hier gebaut werden sollte. Diesen Gedanken hat Bonhoeffer in einem anderen Brief weiter ausgeführt: "Es gibt schließlich Fragmente, die nur noch auf den Kehrichthaufen gehören (selbst eine anständige `Hölle' ist noch zu gut für sie), und solche, die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen ich denke zum Beispiel an die Kunst der Fuge [von J.S.Bach]. Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sich immer stärker häufenden, verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kontrapunkt vom Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so dass schließlich nach dem Abbruch - höchstens noch der Choral: "Vor Deinen Thron tret ich hiermit" - intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden."

Die Auferweckung Jesu als Grund christlicher Hoffnung

Die Vollendung unseres wesenhaft fragmentarischen Lebens ist der Inhalt der christlichen Hoffnung im Angesicht des Todes. Es ist dies eine solidarische Hoffnung, welche nicht so sehr als Ausdruck des eigenen Lebenswillens, sondern als Gestalt der Nächstenliebe verstanden werden muss, die über den Tod hinaus fortdauert und im Gedächtnis der Toten und ihrer Leiden Gestalt gewinnt. Ihren Grund aber hat diese Hoffnung in der christlichen Gewissheit der Auferweckung Jesu von Nazaret.

Auferstehung ist ein metaphorisches Interpretament

Wir sagten ja bereits, dass die Rede von der Auferweckung Jesu von den Toten ein metaphorisches Interpretament sei. Was aber ist das durch dieses Interpretament Interpretierte? Fragen wir nach dem, was historisch verifizierbar ist, so handelt es sich darum, dass die Jünger Jesu nach dessen Tod zu der für sie völlig überraschenden Gewissheit gelangten, dass Jesus nicht, wie seine schmachvolle Hinrichtung am Kreuz hätte vermuten lassen können, von Gott verstoßen, sondern von diesem angenommen worden ist. Möglicherweise ist diese Gewissheit durch eine Vision des Petrus und weitere Visionen vermittelt worden. Dann können wir sagen, dass Jesus seinen Jüngern lebend in Erinnerung trat. Diese Art der Vergegenwärtigung des Gekreuzigten als eines Lebenden wurde von den Jüngern als ein Handeln Gottes begriffen. Er war es, der ihnen Jesus von Nazaret als einen Lebenden vor Augen stellte.

Die Ostererfahrung der Jünger

Wir wollen keine psychologischen Mutmaßungen über die Ostererfahrung der Jünger anstellen, sondern nach dem sachlichen Gehalt ihrer Verkündigung der Auferstehung Jesu von den Toten fragen. Sachlich ist die Ostererfahrung der ersten Jünger in zweifacher Richtung zu deuten. Zum einen hat sie für die Jünger eine legitimatorische Funktion gehabt. Indem sie Jesus bei sich durch Gott selbst lebend in Erinnerung gerufen wussten, sahen sie die Verkündigung des irdischen Jesus vom Reich Gottes und von der Sündenvergebung allein aus Gnade bestätigt. Die Gewissheit seiner Auferweckung bedeutete also die Legitimation der göttlichen Vollmacht, aus welcher heraus Jesus gewirkt hatte. Die Erfahrung der Vergegenwärtigung Jesu im Bewusstsein der Jünger muss natürlich auch auf Jesus selbst hin ausgelegt werden, nämlich als Hineinnahme Jesu in das Leben Gottes.

Ewige Zusammengehörigkeit Jesu und Gottes

Man könnte geneigt sein, Jesu Hineinnahme in das Leben Gottes in Analogie zu unserer menschlichen Erinnerung eines Verstorbenen zu denken In diese Richtung weist der in der neueren Theologie formulierte Gedanke der Verewigung des gelebten Lebens. Doch wenn hier schon das Bild der Erinnerung bzw. des Gedächtnisses angewandt werden soll, so wäre zu betonen, dass Gott Jesus Lebend in Erinnerung ruft. Andernfalls käme ja die Verewigung seines gelebten Lebens der endgültigen Ratifizierung seines Totseins gleich. Die Rede von der Auferweckung Jesu aber beinhaltet, dass Jesus nicht als Objekt, sondern als Subjekt Anteil am ewigen Leben Gottes hat. Seine Subjekthaftigkeit wird für die Glaubenden erfahrbar als seine Wirksamkeit in Gestalt des das Leben und die Gemeinschaft der Glaubenden bestimmenden Geistes. Im Hinblick auf Jesu Gottesrelation ist seine Subjekthaftigkeit als die ewige Zusammengehörigkeit Jesu und Gottes anzusetzen, genauer gesagt, als ewige Beziehung, wie dies schon die altkirchliche Trinitätslehre unternimmt.

Die Welt ist ein Teil Gottes

Der Sinn der Trinitätslehre besteht darin, dass Jesu ewige Beziehung zu Gott nicht nur im Hinblick auf den Menschen Jesus von Nazaret, sondern auch im Rückblick auf Gott selbst zu denken ist. Ohne auf alle Schwierigkeiten der christlichen Trinitätslehre eingehen zu können, lässt sich als ihr Grundgedanke festhalten, dass Gott selbst nicht beziehungslos ist, und zwar nicht nur auf die Welt als seine Schöpfung, sondern auf sich selbst. Er ist in sich Beziehung. Die von ihm erschaffene Welt ist Gott nicht einfach äußerlich verbunden, sondern hat Anteil an seinem inneren Leben selbst. Sie ist von ihm unterschieden, weil sie nur so als sein eigenständiges Gegenüber denkbar ist, und steht doch in einer inneren Beziehung zu ihm.

Jesus ist in seinem Vater und wir sind in ihm

Auch Jesu ewige Beziehung zu bzw. sein ewiges oder auch definitives Zusammensein mit Gott ist daher nicht exklusiv, sondern inklusiv zu werten. Wie Jesus von Nazaret als Erstling der Schöpfung, so soll die gesamte Schöpfung in das ewige Leben Gottes hineingenommen werden, in welcher auch sie ihren Ursprung hat. Das Johannesevangelium bringt diesen Gedanken zum Ausdruck, wenn es Jesus als den Christus rufen lässt: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben!" (Joh 14,19) Diese Kunde aber wird vom johanneischen Christus dann derart entfaltet, dass am Ende der Zeiten offenbar wird, "dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch"( Joh 14,20) . Das Sein Christi in Gott wie umgekehrt Gottes Sein in Christus und die Hineinnahme der Glaubenden in dieses ewige Zusammensein sind letztlich nur trinitarisch zu denken. Unter eschatologischem Aspekt also kann die Trinitätslehre als der Versuch begriffen werden, die christologisch begründete Hoffnung des Glaubens nicht nur zu bekennen, sondern auch zu denken. Doch wie dies unter gegenwärtigen erkenntnistheoretischen Bedingungen noch möglich sein soll, ist die entscheidende Frage heutiger Eschatologie.

Wie kann man an eine postmortale Existenz glauben?

Wir sahen, dass die vorneuzeitlich metaphysischen Voraussetzungen hinfällig geworden sind, um eine postmortale Existenz des Menschen oder auch eine neue Welt im Sinne der biblischen Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde denken zu können. Gibt es dennoch wenigstens ansatzweise eine Möglichkeit, das zu denken, was der Glaube in der Sprache absoluter Metaphorik als Hoffnung zum Ausdruck bringt? Wirft man einen Blick auf die zeitgenössische Theologie, scheint die Antwort eher negativ ausfallen zu müssen. Zunächst ist positiv zu würdigen, dass die neuere Theologie, jedenfalls die evangelische Theologie, eine Abkehr vom Platonismus und einem substanzontologisch gedachten Leib-Seele-Dualismus vollzogen hat. Weil der Mensch eine zwar in sich dialektische, jedoch unteilbare leiblich-seelische Einheit darstellt, stirbt mit dem Leib der ganze Mensch. (Vgl. E. Jüngel, Tod, Gütersloh 1983, 57ff) Allerdings fragt sich dann, wie unter der Voraussetzung der sogenannten Ganztodhypothese eine postmortale Existenz gedacht werden soll. Sofern diese Frage nicht überhaupt abgewiesen wird, sucht die zeitgenössische Theologie die biblische Rede von der Auferstehung der Toten im Sinne einer Verewigung unseres gelebten Lebens, gewissermaßen als dessen ewiges Gedächtnis in Gott, zu denken.

Die Möglichkeit einer ewigen Erinnerung

Der Gedanke einer ewigen Erinnerung hat den Vorzug, dass er an unserer eigenen Erfahrung Halt findet. Gerade die Analogie zu unserer Erfahrungswelt lässt freilich auch die Problematik eines solchen Denkansatzes hervortreten. Zum einen führt er dazu, Gott auf theistische bzw. anthropomorphe Weise als Subjekt zu denken, das am Ende der Menschheitsgeschichte bzw. des Kosmos als letztes Überlebendes übrig bleibt. Zum anderen aber erlaubt es der Gedanke der Verewigung gelebten Lebens bestenfalls, die Toten als Objekte göttlicher Erinnerung zu denken, nicht aber als eigenständige Subjekte. Mag Gott die Verstorbenen auch erinnern wollen, wie sie gelebt haben, so sind sie im Modus der Erinnerung doch tot. Einzig Gott bliebe als lebendes Subjekt übrig, während die Verstorbenen das Objekt seiner Erinnerung würden. Entgegen seiner Intention führte der Gedanke der Verewigung des gelebten Lebens selbst zur Ratifizierung des Todes. Der theistische Gott wäre also mit seiner Erinnerung an die vergangene Schöpfung allein; dagegen aber steht die biblische Grundaussage, dass Gott der auf ewig in Beziehung zu seiner Schöpfung stehen will, dann völlig beziehungslos geworden wäre.

Der Mensch müsste als Subjekt erhalten bleiben

Soll die Auferstehungshoffnung als Hoffnung für den Menschen ausgesagt werden, so muss der Mensch über seinen Tod hinaus als Subjekt gedacht werden können. Aus diesem Grunde wird in der angelsächsischen Theologie, neuerdings auch von kontinentaleuropäischen evangelischen Theologen, der alte Gedanke einer unsterblichen Seele wieder aufgegriffen, welche als Zentrum unserer Subjektivität und als Bedingung für die Kontinuität zwischen altem und neuem Menschen fungieren soll. (Vgl. Th. Mahlmann, Auferstehung der Toten und ewiges Leben, in: K. Stock (Hg.), Die Zukunft der Erlösung. Zur neueren Diskussion um die Eschatologie, Gütersloh 1994, Seite 108-131) Als substanzontologischer Gedanke allerdings dürfte sich die Annahme einer unsterblichen Seele, in welch modifizierter Form immer, erledigt haben.

Die menschliche Existenz in Gottes Wort

Soll die Subjektivität des Auferstehungslebens angedacht werden, ist bei der Überlegung anzuknüpfen, dass Gott wesensmäßig Beziehung ist und definitiv in Beziehung zu seiner Schöpfung steht. Nicht eine wie auch immer substanzhaft zu denkende Seele, sondern einzig Gottes Treue, die sich unter raumzeitlichen Bedingungen in menschlichen Worten als Verheißung ausspricht, ist als Grund einer postmortalen Hoffnung anzunehmen. Genauer gesagt ist, es die im Glauben vernommene Anrede Gottes. "Wo und mit wem Gott redet", so hat Luther in einer Auslegung zu Gen 26,24 erklärt, "im Zorn und auch in der Gnade [!], der ist gewiss unsterblich. Die Person des redenden Gottes und sein Wort besagen, dass wir solche Geschöpfe sind, mit denen Gott auf ewig und unsterblich reden will." (WA 43, 481, 32-35) Der Bezug der Eschatologie zum Begriff des Wortes Gottes ist mit dem Gedanken der Schöpfung ex nihilo durch das Wort zu verbinden. Demnach ist der Schluss zu ziehen, dass die eschatologische Existenz des Menschen wie der Welt als Neuschöpfung durch das göttliche Wort zu denken ist.

Gott ist im menschlichen Geist allgegenwärtig

Ein solcher Gedanke impliziert nun einen Gottesbegriff, nach dem es zu Gott selbst gehört, mit den Menschen auf ewig in Beziehung zu stehen und nicht nur für sie, sondern auch in ihnen lebendig zu sein. So etwas lässt sich gewiss nicht in raumzeitlichen Kategorien denken. Es ist aber die Konsequenz der christlichen Rede von der Auferweckung Jesu bzw. einer trinitarisch zu entfaltenden Christologie. Was die Kontinuität zwischen dem alten und dem neuen Menschen gewährleistet, ist nicht eine quasi substanzhafte Seele, sondern die Tatsache, dass Gott dem Menschen sowohl transzendent als auch immanent ist, und zwar in Person seines Geistes. Wenn der johanneische Christus vom Sein der Glaubenden in ihm selbst spricht, so kann Paulus mit gleichem Recht auch umgekehrt sagen, im Glauben lebe nicht mehr er selbst, sondern Christus in ihm.(Gal 2,20) Was durch den Glauben im Menschen wohnt, ist der Geist Christi, der nichts anderes ist als der Geist seiner Liebe. Wir dürfen dann wohl sagen, dass es die je mich meinende Liebe Gottes ist, welche sich durch den Tod hindurch hält und gewissermaßen den Anknüpfungspunkt für die Neuschöpfung des Menschen bildet. (Vgl. auch W. Härle, a.a.0. (Anm. 4), Seite 635f )

Die Liebe Gottes besteht ewig

Was den Tod des Menschen überdauert, ist also Gottes Bund mit ihm, der aus Liebe geschlossen ist, wie überhaupt Liebe das Wesen Gottes ist. (Vgl. 1 Joh 4,16) Diese Liebe ist dann stärker als bloß eine liebevolle Erinnerung: Sie ist stark wie der Tod und ruft neu ins Sein, was im Tod endgültig der Vernichtung preisgegeben zu sein scheint.( Vgl. Hoheslied 8,6f) Wenn man schon von Verewigung des gelebten Lebens bzw. seiner Verwesentlichung sprechen will, so muss wohl genauer gesagt werden, dass es sich um die Verewigung der Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch als einer lebendigen Beziehung handelt. Eine lebendige Beziehung aber besteht immer nur intersubjektiv, so dass folglich der Gedanke einer ewigen Beziehung der Liebe zwischen Gott und Mensch eine Verewigung unserer immer nur relational zu denkenden Subjektivität impliziert.

Christliche Anschauungen unterscheiden sich stark von östlichen Religionen

Die Perspektive einer dauerhaften Subjekthaftigkeit des Menschen unterscheidet nun deutlich die christliche Eschatologie von den Lehren der östlichen Weltreligionen und ihrer Auffassung von Reinkarnation. Neureligiöse Adaptionsversuche in Europa und Nordamerika übersehen leicht, dass der östliche Gedanke der Reinkarnation dem aus der jüdisch-christlichen Tradition hergeleiteten Subjektbegriff glatt widerspricht. Aus christlicher Sicht mag man, wie es der evangelische Theologe Paul Tillich getan hat, in der Reinkarnation zwar keinen christlich-theologisch verwendbaren Begriff, wohl aber ein Symbol sehen, welches auf die höheren oder niederen Kräfte hinweist, die in jedem Lebewesen vorhanden sind und zu der Annahme führen, dass die Verewigung gelebten Lebens unterschiedliche Grade der Erfüllung erreichen kann. (Siehe P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, Seite 470f) Die christliche Tradition kennt ihrerseits das Problem, dass einerseits die Aufnahme der Glaubenden bei Gott allein auf Grund ihres Glaubens verkündigt wird, andererseits aber mit einem Gericht nach den Werken gerechnet wird.

Die Vorstellung des Fegefeuers

Offenbar steht die Vorstellung der Reinkarnation der katholischen Lehre vom Fegefeuer, d.h. einem postmortalen Ort der Läuterung, näher als der protestantischen Eschatologie, welche auf Grund der paulinischen Rechtfertigungslehre die Unterscheidung zwischen Person und Werk betont. Im Unterschied zu östlichen Reinkarnationslehren ist freilich auch die katholische Lehre vom Fegefeuer am positiven Begriff des individuellen Selbst ausgerichtet. Nicht das kosmische Schicksal eines apersonalen Karmas, sondern die postmortale Reifung des individuellen Selbst ist das Thema der traditionellen Fegefeuerlehre. Die protestantische Theologie aber hat diese Lehre und mit ihr die Vorstellung einer postmortalen Weiterentwicklung des Subjektes ganz aufgegeben. Freilich ist auch die traditionelle evangelische Lehre von einem Zwischenzustand zwischen dem Tod und der allgemeinen Auferstehung der Toten zum Jüngsten Gericht mit theoretischen Schwierigkeiten behaftet, weil dieser als ein körperloser Zustand gedacht wurde, welcher der christlichen Anthropologie widerspricht, wonach der Mensch nicht reiner Geist, sondern ein beseelter Leib, d.h. eine leiblich-seelische Einheit bildet.

Vollendung des Menschen nach dem Tod?

Grundsätzlich ergibt sich das Problem, dass eine Entwicklung nicht ohne die Dimension der Zeit zu denken ist, die Ewigkeit aber nicht als unendliche Zeit, sondern als das Jenseits der Zeit bzw. als deren Fülle zu bestimmen ist. Gegenüber östlichen Reinkarnationsvorstellungen wie auch gegenüber der traditionellen katholischen Lehre vom Fegefeuer möchte ich eine theologische Antwort zu geben versuchen, welche vom Gedanken des fragmentarischen Lebens ausgeht. Eschatologisch gewendet, bedeutet dann die Lehre von der Rechtfertigung, d.h. von der unverdienten Annahme des sündigen Menschen, dass nicht er, sondern der ihn gnädig annehmende Gott das Subjekt seiner Vollendung ist. Indem das individuelle Leben in seiner Unvollkommenheit in die komplexe Relationalität des göttlichen Lebens hineingenommen wird, erfährt es seine Vollendung, ohne dass seine Fragmentarität damit aufgehoben wäre. Im Bild gesprochen, ist das einzelne Leben wie ein Mosaikstein, der in sich unvollkommen ist, seine Vollkommenheit aber dadurch erlangt, dass er in ein ihn selbst transzendierendes Bild eingefügt wird. So ist theozentrisch eine Vollendung des Menschen zu denken, welche auf zeithafte Entwicklungsvorstellungen verzichten kann.

Die physische Komponente der Auferstehung

Wie schon gesagt wurde, lässt sich eine solche Vorstellung nicht in raum-zeitlichen Kategorien denken. Auch die physische Vorstellung einer leiblichen Auferstehung der Toten bleibt ein bildhaftes Deutungsmittel. Doch hat gerade dieses Bild einen bleibenden Sinn, weil es die anthropologische Einsicht zur Geltung bringt, dass der Mensch nicht nur in seiner Relation zu Gott, sondern auch zur Welt, an der er mittels seines Leibes partizipiert, ein Subjekt ist. Die Subjektivität des Menschen, welche kraft der göttlichen Liebe durch den Tod hindurch gerettet wird, ist die relationale Subjektivität eines raum-zeitlich existierenden Wesens. Zur Subjektivität des Menschen, die kraft der göttlichen Liebe in einer ewigen Beziehung zu Gott steht, gehört die raum-zeitliche Geschichte dieses Menschen. Die ewige Beziehung Gottes zum Menschen schließt überdies seine ewige Beziehung zur gesamten Schöpfung ein, deren Teil der Mensch ist. Diese beiden Gesichtspunkte werden durch die Bildwelt der leiblichen Auferweckung der Toten wie auch eines neuen Himmels und einer neuen Erde zum Ausdruck gebracht.

Wichtig ist die Hoffnung in der Gegenwart

Mehr zu sagen wäre theologisch nicht zu verantworten. Das von der christlichen Hoffnung gedanklich Intendierte kann eben nur in der Sprache letzter Metaphorik ausgesagt werden. Und diese Sprache ist noch einmal nach ihrem anthropologischen bzw. existentiellen Sinn zu befragen. Statt zu fragen, was nach dem Tode kommt, ist nach der christlichen Hoffnung im Hier und Jetzt zu fragen, d.h. in Erwartung unseres eigenen bevorstehenden Todes sowie angesichts des Todes aller anderen, die vor und neben uns starben und sterben. Ist der Auferstehungsglaube letztlich nichts anderes als die Form des christlichen Gottesbegriffs, demzufolge Gott seinem Wesen nach Liebe ist, so besteht sein existentieller Sinn in der Gewissheit, dass uns - wie Paulus im Römerbrief schreibt - nichts von der Liebe Gottes scheiden kann, nicht einmal der Tod. (Röm 8,38f) Doch nun ist zu fragen, welche praktischen Konsequenzen diese Gewissheit für die eigene Lebensführung hat und wie diese Hoffnung im Angesicht des Todes zu bewähren ist.

Praktische Bedeutung der leiblichen Auferstehung

Gerade der Gedanke der leiblichen Auferstehung hat einen eminent praktischen Sinn, verleiht er doch unserer Leiblichkeit eine ewige Bedeutung. Als raum-zeitliche Wesen verweist uns der christliche Glaube an den leiblich existierenden Mitmenschen und unsere gemeinsame Welt. Darum ist an der Pervertierung der christlichen Auferstehungshoffnung zu einem heilsegoistischen und weltflüchtigen Jenseitsglauben Kritik zu üben. In diesem Sinne hat Dietrich Bonhoeffer geschrieben: "Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen; nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, dass mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben." (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1985, Seite 175) Gerade weil der Auferstehungsglaube eine Kritik platter Diesseitigkeit impliziert, verweist er uns doch auf das Leben im Hier und Jetzt. Wer im christlichen Sinne auf die Auferweckung der Toten hofft, gleicht, wie Sören Kierkegaard geschrieben hat, einem Ruderer, der sein Ziel im Rücken hat, dessen Blick also nicht unmittelbar auf die Zukunft, sondern auf die im Horizont dieser Zukunft stehende Gegenwart gerichtet ist. (Vgl. S. Kierkegaard, Christliche Reden (1848), GW, 20. Abt., übers. v. E. Hirsch; Gütersloh 1981, Seite 77 (= X 77)) Er weiß sich aber nicht nur in intensiver Weise an das Diesseits bzw. die Gegenwart verwiesen, sondern auch an seinen Nächsten. Denn wenn der Auferstehungsglaube die Hoffnungsgestalt der Überzeugung ist, dass Gottes Wesen in der Liebe besteht, so ist Nächstenliebe die Weise, auf welche dieser Glaube praktisch bewährt wird. "Was ein Mensch im Glauben für sich erhofft, das glaubt und erhofft er auch für die Anderen." (T. Koch, a.a.0. (Anm. 4), Seite 482) Was er für sich und die anderen erhofft, das gilt es aber auch im Handeln praktisch zu bewähren.

Praktische Konsequenzen christlicher Hoffnung

Die praktischen Konsequenzen christlicher Hoffnung im Angesicht des Todes können hier nur angedeutet werden. Doch seien wenigstens die wichtigsten Gesichtspunkte benannt. Weil der Auferstehungsglaube Hoffnung auf eine höhere, vom Menschen selbst nicht zu leistende Vollendung ist, impliziert er die Absage an den strukturell mitleidlosen Mythos von der Ganzheitlichkeit des Menschen, mithin auch an jeden utopischen Weltverbesserungsglauben, der über kurz oder lang totalitär wird. Gleichwohl motiviert der Auferstehungsglaube dazu, dem Tod zu widerstehen, und zwar nicht nur dem eigenen Tod, sondern vor allem dem Tod des anderen. Er motiviert zum Einsatz für Lebensverhältnisse, in denen Menschen der Tod zur Unzeit erspart bleibt. Weil der Auferstehungsglaube dem Individuum von Gott her eine ewige Bedeutung verleiht, besteht nicht nur ein Zusammenhang zwischen dem christlichen Auferstehungsglauben und dem Begriff der individuellen Freiheit des Menschen, sondern dieser Glaube beinhaltet auch die Kritik an jeder Form der Unterdrückung und Erniedrigung des Menschen. Weil Gott das Leben des Menschen will, wiewohl er Sünder ist, steht der Auferstehungsglaube im Widerspruch zu jedem Versuch von Menschen, auf Kosten anderer zu leben oder gar ihren physischen Tod in Kauf zu nehmen. Weil der christliche Glaube die Subjekthaftigkeit des Menschen noch über seinen Tod hinaus von Gott anerkannt weiß, stellt er sich gegen jede Form, in welcher Menschen zu bloßen Objekten und zum Mittel zum Zweck degradiert werden.

Hoffnung auf Auferstehung schafft Solidarität

Die Hoffnung auf Auferstehung als Hoffnung für die anderen impliziert ferner den Widerstand gegen jede Verdrängung der Toten, der Opfer der Geschichte und ihrer Leiden. Dem Glauben an die Auferstehung der Toten korrespondiert ein solidarisches Handeln, welches dem Nächsten auch über dessen Tod hinaus hoffend die Treue hält. Der Gedanke der ewigen Erinnerung der Toten in Gott hat insofern ein Wahrheitsmoment, als das Gedächtnis der Leidenden und der Toten ein wesentlicher Bestandteil christlicher Praxis ist. So begreift sich auch die Kirche als Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Nicht nur die Bekämpfung von Leiden und seiner Ursachen, sondern auch das Gedächtnis der Leidenden gehört zur Praxis des Glaubens.

Das Gebet als Ausdruck christlicher Hoffnung

Eine weitere Gestalt christlicher Hoffnung ist schließlich das Gebet. Im Gebet wird unser fragmentarisches Leben vor Gott gebracht, werden die Leidenden und die Toten erinnert und Gott in Erinnerung gerufen. So muss das Gebet nicht als Alternative zum Handeln gesehen werden, sondern als dessen Korrelat, dient es doch der Vergewisserung jener Hoffnung, aus welcher der Glaube handelt. "Grundlegend ist nicht die vorwärtstreibende Tat, sondern das Denken, das Eingedenken, das Gedächtnis." (H.Luther, a.a.0. (Anm. 22), Seite 424 a) Im Gebet kommt der Glaube vor Gott zur Besinnung. Will das Handeln nicht besinnungslos oder aktionistisch werden und angesichts unseres täglichen Scheiterns in Hoffnungslosigkeit umschlagen, so bedarf es des Gebets zur Vergewisserung wie auch zur Einsicht in die Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten, die mit der Fragmenthaftigkeit unseres Lebens gegeben sind. Gerade indem das Gebet auf das solidarische Handeln des Glaubens bezogen ist, ist es eine Gestalt der Liebe, die stärker ist als der Tod.

 

Gekürzt und bearbeitet von Ernst Pohn

 

>> Streit um Historizität der Auferstehung Jesu

>> Wandlung des Auferstehungsglaubens

>> Seele ist Verständigungsmittel der Selbsterfahrung

>> Vorstellung vom ewigen Leben schwindet

>> Verantwortung für das Heil verlagert sich hin zum Menschen

>> Der Versuch, "den Tod mit dem Glück zu versöhnen"

>> Fragwürdigkeit  der Hinauszögerung des Lebens

>> Versuch einer Rekonstruktion des Sinns christlicher Auferstehungshoffnung

>> Der Begriff "Eschatologie"

>> Hoffnung beruht auf Wirken und Leben Jesu

>> Die Predigt Jesu vom Reich Gottes

>> Die Rede von Jesu Auferstehung

>> Spannung zwischen Bekenntnis und Welterfahrung

>> Fragwürdige Idee des natürlichen Todes

>> Das Leben als Fragment

>> Das Erleben des Todes der Anderen

>> Die Existenz einer Grundpassivität

>> Christliche Hoffnung im Angesicht des Todes

>> Fragmenthaftigkeit erscheint in neuem Licht

>> Die Auferweckung Jesu als Grund christlicher Hoffnung

>> Auferstehung ist ein metaphorisches Interpretament

>> Die Ostererfahrung der Jünger

>> Ewige Zusammengehörigkeit Jesu und Gottes

>> Die Welt ist ein Teil Gottes

>> Jesus ist in seinem Vater und wir sind in ihm

>> Wie kann man an eine postmortale Existenz glauben?

>> Die Möglichkeit einer ewigen Erinnerung

>> Der Mensch müsste als Subjekt erhalten bleiben

>> Die menschliche Existenz in Gottes Wort

>> Gott ist im menschlichen Geist allgegenwärtig

>> Die Liebe Gottes besteht ewig

>> Christliche Anschauungen unterscheiden sich stark von östlichen Religionen

>> Die Vorstellung des Fegefeuers

>> Vollendung des Menschen nach dem Tod?

>> Die physische Komponente der Auferstehung

>> Wichtig ist die Hoffnung in der Gegenwart

>> Praktische Bedeutung der leiblichen Auferstehung

>> Praktische Konsequenzen christlicher Hoffnung

>> Hoffnung auf Auferstehung schafft Solidarität

>> Das Gebet als Ausdruck christlicher Hoffnung

 
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