Christliche Theologie im Dialog mit dem Hinduismus
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich das Verhältnis der Kirche
zur Welt und im besonderen zu den anderen Religionen gewandelt. Dieses
geänderte Religionsverständnis wurde von Katholiken einerseits begrüßt,
weil eine "exklusive" Kirche in der heutigen Gesellschaft keinen
Platz mehr hat, andererseits fühlten sie sich aber in der Intimsphäre
ihres Glaubens bedroht, wenn sozusagen alle Menschen aller Religionen im
Himmel Platz finden sollten. Der erstmaligen grundsätzlich positiven
Wertung der Religionen durch ein Konzil ging eine enorme theologische Arbeit
voraus. Dieser Beitrag befasst sich mit den ersten Schritten einer Theologie
im speziell indischen Kontext.
Ein Dialog mit den anderen Religionen - in unserem Fall mit dem
Hinduismus - wurde erst möglich, als der hohe spirituelle Wert ihrer
Traditionen erkannt wurde. Gleichwohl ist auch heute noch das Verhältnis zu
den Hindus von der ablehnenden Haltung der Kirche in der Vergangenheit
ziemlich belastet. Wir müssen also unseren Blick zunächst auf diese
vor-konziliare Zeit einer "exklusiven Kirche" richten, um dann
etwas zum heutigen Dialog und seinen Problemen sagen zu können.
Die "exklusive" Kirche
Der Text, der das exklusive Kirchenverständnis in der Vergangenheit
prägte, stammt von Fulgentius von Ruspe, einem Schüler des Kirchenlehrers
Augustinus. Er wurde später im Konzil von Florenz (1442) von den Bischöfen
übernommen: "Die römische Kirche glaubt fest, bekennt und verkündet,
dass niemand außerhalb der katholischen Kirche, nicht nur Heiden, sondern
auch Juden, Häretiker und Schismatiker, ewiges Leben finden kann. Sie
werden ins ewige Feuer gehen, das für den Teufel und seine Engel bereitet
ist." Dieser Passus hat weithin die pastorale und missionarische
Orientierung der Kirche bestimmt. Er hat zugleich auch das Bild der Kirche
in den Augen der Angehörigen von anderen Religionen, gerade auch der
Hindus, geprägt und damit unübersteigbare Hürden aufgerichtet.
Gottes Heil außerhalb der Kirche gab es nicht
Der Text muss aus dem institutionellen Kirchenverständnis des
ausgehenden Altertums heraus verstanden werden: Gott hat sein endgültiges
Wort des Heils in Jesus Christus gesprochen; dieses Wort ist der Kirche
anvertraut. Nachdem das Christentum die offizielle Religion des
Römerreiches geworden war, das die damals bekannte Welt beherrschte, gab es
keine Entschuldigung mehr, außerhalb der Kirche zu bleiben. Gottes Heil
schien in der Kirche institutionalisiert. Andere Religionen, die ihren
Anhängern Heil versprachen, wurden als falsch und irreführend
qualifiziert. Sie wurden als fruchtlose menschliche Versuche angesehen,
über die irdische Welt hinauszureichen. Oft sah man in ihnen sogar das Werk
des Teufels, der Menschen in die Irre führt. Diese Sicht war dann auch das
gängige Kirchenverständnis des Mittelalters. Zur Zeit der Entdeckung neuer
Kontinente am Ende des 16. Jahrhunderts stand die Kirche vor der Aufgabe,
einer Welt, die - im damaligen Verständnis - in Dunkel und Unwissenheit
lebte und kein Heil kannte, die Wahrheit und Erlösung des wahren Glaubens
zu bringen. Es gab keinerlei Dialog, nur Predigt mit der Einladung zum
Eintritt in die Kirche.
Erstes Auftauchen des Christentums in Indien
In Indien gab es lange Zeit keine wirkliche Begegnung der Christen mit
dem Hinduismus. Als später die Portugiesen Goa und einige Hafenstädte an
der indischen Westküste eroberten und als Handelszentren ausbauten,
brachten sie auch ihr Christentum mit, und zwar in der Form der
"westlichen" Kirche - als Religion der politisch und
wirtschaftlich überlegenen Eroberer. Wer Christ wurde, nahm einen
portugiesischen Namen an und adoptierte westliche Lebensformen. Es gab
einzelne, großartige Versuche, Christentum in den Formen der kulturellen
und religiösen Tradition des Landes zu leben. Berühmt wurde der Jesuit de
Nobili, der sich von westlichen Lebensformen abwandte und das streng
asketische Leben eines Sanyasi führte. Aber der Versuch wurde nicht
anerkannt. Christentum war in den Augen der Hindus die Religion der
Ausländer. Möglichkeiten, die christliche Botschaft in Indien heimisch zu
machen, wurden verabsäumt. Das bedeutendste Beispiel sei hier kurz
skizziert.
Die christliche Botschaft in der indischen Renaissance
Der Beginn des 19. Jahrhunderts brachte in Bengalen eine Renaissance des
Hinduismus. Sie war der Anfang einer politischen Bewegung, die
schlussendlich zur Unabhängigkeit Indiens von der britischen Krone führte.
Hand in Hand mit ihr ging ein Neuerwachen der alten kulturellen und
spirituellen Traditionen Indiens. 1828 gründete Ram Mohan Roy den "Brahmo
Samaj" als Sammelpunkt dieser Bewegung, die sich um die Erneuerung des
Hinduismus bemühte. Ihr zweiter Führer war Keshab Chandra Sen (1838-1884).
Nach jahrelangem Studium war er zur Überzeugung gekommen, dass sich keine
andere Religion mit der Botschaft Jesu vergleichen lässt: "Es war Jesu
einziges Ziel auf Erden, die Menschen empor zu führen zum himmlischen
Licht." Indiens Sehnsucht nach Gott ist in ihm erfüllt. Er kam ja
nicht, um religiöse Traditionen abzuschaffen, sondern sie zu erfüllen (Mt
5,17). Das gilt nach Keshab nicht nur vom Judentum, sondern ebenso gut vom
Hinduismus. Es war für ihn kein Problem, gleichzeitig Hindu und Christ zu
sein; Hindu als Erbe der kulturellen Fülle und der spirituellen Traditionen
seines Landes, Christ im Glauben an Jesus, und in ihm tief verbunden mit
Gott. Aber Keshab konnte nicht Christ werden. Keine christliche Gemeinde, ob
katholisch, anglikanisch oder protestantisch, hätte ihn aufgenommen, wenn
er sich nicht zuvor von seiner Hindu-Tradition losgesagt hätte. Man konnte
sich eben das Christentum nur in westlichem Gewand vorstellen.
Das Zweite Vatikanische Konzil
Die Ablehnung des Hinduismus hatte aber noch tiefere Gründe:
traditionelle Theologie glaubte an eine Gegenwart und ein Wirken Gottes in
der Kirche allein. Ihr zufolge sind andere Religionen nicht in Gottes
Heilsplan eingeschlossen, sie sind nur Menschenwerk und führen in die Irre.
Erst im Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche den gemeinsamen Ursprung
aller Religionen in Gott eingesehen: "Ohne Unterlass hat Gott für das
Menschengeschlecht gesorgt, um allen das ewige Leben zu geben, die das Heil
durch Ausdauer im guten Handeln suchen" (DV 3). Es gibt letztlich nur
einen einzigen allumfassenden Heilsplan Gottes: "Alle haben Gott als
ein und dasselbe letzte Ziel. Seine Vorsehung, die Bezeugung seiner Güte
und seine Heilsratschlüsse erstrecken sich auf alle Menschen, bis die
Erwählten vereint sein werden in der Heiligen Stadt, deren Licht die
Herrlichkeit Gottes sein wird" (NA 1). Aber dessen ungeachtet lehnten
auch in der nachkonziliaren Zeit viele kirchliche Kreise das gemeinsame
Beten des Papstes mit Vertretern aller Religionen in Assisi ab. Noch einmal
musste der Papst es in seinem Rundschreiben über die Mission gleichsam
rechtfertigen: "Das inter-religiöse Treffen in Assisi hatte den Sinn -
mit Ausschluss jeder Form von Indifferentismus - meine Überzeugung
auszudrücken, dass jedes authentische Gebet vom Heiligen Geist inspiriert
ist, der in geheimnisvoller Weise in jedem Menschenherzen weilt" (RM
29). Das Konzil hat also das Bewusstsein der erleuchtenden und heiligenden
Gegenwart Gottes in Menschen aller Religionen erneut geweckt und so
gegenseitiges Verstehen und Zusammenarbeit für das Wohl der Menschen
vorbereitet.
Frühe Wertschätzung des spirituellen Reichtum Indiens
Eine vertiefte Wertschätzung der Spiritualität des Hinduismus durch
Christen hat dennoch schon vor dem Konzil begonnen. Wir lassen einen Pionier
der christlichen Begegnung mit dem Hinduismus zu Wort kommen, den
gebürtigen Luxemburger Peter Johanns. Er kam nach eingehenden indologischen
Studien 1921 nach Kalkutta und war Mitbegründer der interkonfessionellen
Zeitschrift "Light of the East", in der er 146 Beiträge zu einer
christlichen Sicht des spirituellen Hinduismus veröffentlichte, die er dann
in seinem Werk "To Christ through the Vedanta" sammelte. Es war
damals ein bahnbrechendes Werk, gleich einer einsamen Stimme, begr-ündet in
hochgradiger Sachkenntnis, so dass es für die Weiterentwicklung des Dialogs
maßgebend werden konnte. Wir folgen dem umfangreichen Artikel
"Hinduismus". (Dieser wurde erstmalig von der Catholic Truth
Society, London, veröffentlicht. Neuauflage R. de Smet & J. Neuner,
Religious Hinduism, St. Paul's, Bombay 1996, Seiten 31-64).
Die Botschaft des Hinduismus
Johanns fasst die geschichtliche Entwicklung des Hinduismus als "die
intensivste Suche nach dem Göttlichen, die die Welt kennt" zusammen:
Wie die Christen, so halten auch die Hindus ihre heiligen Bücher für
inspiriert. Sie wissen um ihre Auserwählung, Gottes Gnade und um die
Erhabenheit der Liebe Gottes. Zu den tiefsten Einsichten des Hinduismus
gehört nach Johanns "die Lehre von der Selbstsucht des Menschen als
dem größten Übel in
der Welt: Nach seinem erhabenen Ursprung aus Gott wandte sich dieses
Geschöpf von Gott und von seinem eigenen Wesen ab und identifizierte sich
bloß mit der materiellen Welt, mit seinem Leib. Um Frieden zu finden, muss
er sich von seinem weltlichen Selbst abwenden, auf Gott hin. Die Umkehr kann
nur durch die Liebe Gottes stattfinden, die zu völliger Hingabe und
Unterwerfung führt". - Die Bezeichnung Gottes als "Saccidananda"
(sat = Sein, cit = Wissen, Ananda = Wonne) nennt er die höchste denkbare
Definition Gottes. "Wenn Sein und Wissen in absoluter Identität
verbunden sind, verschwindet jeder Gegensatz. Wir finden uns in der
absoluten Transzendenz."
Dreifacher Weg zur Vereinigung mit Gott
Den dreifachen Weg zur Vereinigung mit Gott sieht der Hindu als "karma
marga", Weg der Werke, und als "jnana marga", Weg der
Erkenntnis, und als "bhakti marga", Weg der Liebe, analog zum
christlichen Weg der Reinigung, der Erleuchtung und der Einigung. Der Mensch
lernt, zuerst seine Werke zu tun "ohne auf zeitliche Vergeltung zu
warten. Durch die Selbstlosigkeit unseres Verhaltens reinigen wir uns und
bereiten wir uns auf die Erleuchtung vor ... nur Liebe kann das Einswerden
mit Gott finden".
Defizite des Hinduismus
Johanns ist sich bei aller Bewunderung der tiefen Einsichten und
spirituellen Erfahrungen im Hinduismus der negativen Seiten der Philosophie
und der sozialen Ordnung im Hinduismus wohl bewusst. Das Bewusstsein der
radikalen Absolutheit Gottes kann freilich auch zu einem pantheistischen
Weltverständnis führen oder wenigstens zu einer Herabminderung irdischen
Seins als bloßen Scheins, "maya", wie die Wellen eines Stromes,
die sich formen und wieder zerfließen. Die großen philosophischen Systeme
sind diesen Gefahren nicht immer entgangen. Aber es wäre völlig
unberechtigt, Hinduismus einfach mit Pantheismus gleichzusetzen. Freilich
begründet der Hinduismus auch die soziale Struktur des Volkes, das
Kastenwesen, mit dem göttlichen Ursprung des Menschen, und damit wird auch
die Unberührbarkeit der Kastenlosen religiös sanktioniert. Die überreiche
Mythologie entfaltet zwar tiefe Einsichten in die Fülle göttlichen Lebens
und Waltens, kann aber andererseits zu sehr irdischen anthropomorphen
Vorstellungen und zu vielen Formen des Aberglaubens führen. Aber es wäre
ungerecht, nur diese Schattenseiten zu sehen.
Die Begegnung mit Gott im Hinduismus
Auch darf man nicht einfach den indischen Polytheismus als Vielheit der
Gottheiten missverstehen. In seiner tief greifenden Studie (siehe: Religious
Hinduism, Seite 117-129) stellt P. Fallon, ein Schüler von Johanns, fest,
dass es im Hinduismus nur ein letztes Absolutes gibt, das völlig
gestaltlose Brahma. Die Götter sind nicht Personen in unserem Sinn, sondern
Personifikationen, die Gegenstand der Verehrung werden. Vishnu und Siva
werden in den ihnen zugehörigen Gemeinschaften und Sekten als absolute
Gottheit verehrt. Sie stellen zwei Weisen dar, Gott zu begegnen: Siva, den
absolut Transzendenten, der in den unzugänglichen Bergen des Himalaja wohnt
und in seinem Weltentanz zugleich wonnevoller Schöpfer aller Herrlichkeit
und wilder Zerstörer ist. Oder Vishnu, Gott des weiten Himmels und der
Meere, Schützer und Erhalter der Welt, Gegenstand liebender Verehrung, der
sich in zehn Avataras - irdischen Selbstoffenbarungen - mitteilt. Andere
zahllose Gottheiten sind Teiloffenbarungen des Absoluten, durch die wir mit
dem ewig unfassbaren göttlichen Geheimnis verbunden sind.
Das alles soll keineswegs als ein Versuch verstanden werden, Hinduismus
in seiner ungeheuren Vielheit und Verschiedenheit ganz einfach darzustellen.
Es soll nur deutlich machen, wie christliche Forscher in durchaus positiver
und verstehender Weise den Reichtümern der religiösen Tradition Indiens
begegnet sind.
Die Begegnung christlicher Theologie mit dem Hinduismus
Von einer solchen Begegnung kann man erst in der nach-konziliaren Epoche
reden. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts studierten indische
Seminaristen ihre Theologie anhand lateinischer Textbücher, die allesamt im
Westen verfasst wurden. Auch nach der Unabhängigkeit Indiens (1947) wurden
Versuche, den christlichen Glauben mit einem indischen Hintergrund
darzustellen – wie z.B. die Menschwerdung Christi mit den indischen
Avataras zu vergleichen - mit Zurückhaltung aufgenommen. Sie wurden sogar
von Indern beargwöhnt, weil man doch den christlichen Glauben nicht mit
anderen Religionen vergleichen könne.
Die Wurzeln christlichen Denkens
Das Konzil bedeutete einen tiefen Einschnitt. Die Verwurzelung
christlichen Lebens in der Kultur der Völker und die Begegnung mit ihren
religiösen Traditionen war durch Jahrhunderte verabsäumt worden. Indische
Theologen wurden sich bewusst, wie sehr unser ganzes christliches Denken und
Sprechen vom Westen geprägt ist: Natürlich entfaltete sich christliches
Leben zunächst im Mittelmeerraum und wurde der Glaube zuerst in Denkmustern
griechischer Philosophie formuliert. Im Mittelalter wurde sodann die
Scholastik das Medium der christlichen Lehre.
Die Entwicklung einer christlich-indischen Spiritualität
Aber auch Indien hat das Recht und die Pflicht, die tiefe
Gotteserfahrung, die in den Upanischaden zu uns kommt, im Licht der
christlichen Botschaft zu lesen!
Es entwickelte sich eine christlich-indische Spiritualität: Ihr erstes
Anliegen bleibt die Hinführung zur inneren Wahrnehmung des eigenen Daseins
vor Gott, ohne die religiöse Begriffe und Formeln leer und steril sind.
Wenn Gott, wie das Konzil neu erkannt hat, allen Menschen aller Zeiten mit
seiner heilbringenden Gnade gegenwärtig ist, müssen wir dann nicht als
Inder den Reichtum, der in den heiligen Büchern zu uns kommt, in unser
christliches Leben hineinnehmen, sodass wir ganz Inder und ganz Christen
sein können? Nur so kann sich indische Theologie entwickeln: Nicht im
Gegensatz zu westlichen Traditionen, sondern als Bereicherung aller Kirchen
in einem umfassenderen Verständnis des Wortes Gottes.
Der Umgang Asiens mit der westlichen Theologie
Es war zu erwarten, dass das Verlangen nach neuen Formen der
Verkündigung, die der asiatischen Welt entsprechen und im Herzen ihrer
Völker ein Echo finden, zum zentralen Problem der Synode Asiens würde. Die
Bischöfe von Vietnam etwa erklärten im Vorfeld: "Westliche, vor allem
scholastische Theologie entspricht nicht dem religiösen Bewusstsein Asiens.
Sie ist zu rationalistisch. Wahrheit kann nicht bloß analysiert werden, ihr
Geheimnis kann man nicht einfach erklären. Schweigen kann da oft besser
sein als Worte."
Relativismus als Gefahr für den Glauben in unserer Zeit
In den letzten Jahrzehnten haben sich also Ansätze einer asiatischen
Theologie entwickelt. Diese müssen natürlich aus Asien kommen. Für die
Einheit und Reinerhaltung des Glaubens mag sich die Glaubenskongregation in
Rom verantwortlich fühlen. Es ist begreiflich, dass es dabei zu Spannungen
kommt. Die Verurteilung des Theologen Tissa Balasuriyas (Sri Lanka) und die
Anschuldigungen gegen die Schriften Tony de Mellos (Indien) haben bereits
öffentliches Echo gefunden. Man soll die Sorge Roms durchaus verstehen.
Auch Kardinal Ratzinger hat wohl recht, wenn er in Relativismus und
Indifferentismus die Hauptgefahren des Glaubens in unserer Zeit sieht. Man
muss auch in neuen Anliegen und Ansätzen, die da aufbrechen und wachsen
müssen, die latenten Gefahren aufspüren, die auf Abwege führen können.
Aber um wirklich weiter zu kommen, sollte man sich doch zunächst über
diese Probleme in persönlicher Verbundenheit und im Bewusstsein des
gemeinsamen Glaubens verständigen können!
Kardinal Ratzinger formuliert die Gefahr des Relativismus
Kardinal Ratzinger sah die Gefahr des Relativismus in der Überbetonung
der spirituellen Erfahrung in Indien: indische Spiritualität beruhe nicht
auf Autorität, sondern letztlich auf Wahrnehmung (anubhava). Niemand aber
kann - so Ratzinger - seine Erfahrung als Norm für andere aufstellen. Wenn
nun jeder seiner Erfahrung folge, könne es keine Einheit im Glauben geben.
So fürchtete Ratzinger, dass in Indien die vedische Weisheit mit der
biblischen Botschaft als gleichberechtigt angesehen würde. Bischof Gali,
Vorsitzender der "doctrinal Commission" der indischen
Bischofskonferenz, gab in seiner Antwort zu, dass es unter einzelnen
Theologen Abweichungen gebe. Dann aber zitierte er die Erklärung der
"Indian Theological Association" von 1989: "Wir schauen auf
Christus als den, der sich entäußert hat. Seine ,kenosis` bedeutet, dass
er sich nicht an seinen göttlichen Status klammert. Sie ist ein Akt
unbedingter Hingabe an den Vater ... Christus ist wesentlich der Weg zum
Vater, er ist theozentrisch. Wer auf dem Weg ist, hat auch das Ziel. - In
unserem Verhältnis zu anderen Religionen folgen wir diesem Christus, der
zum Vater führt. Er ist mit den Anhängern aller Religionen auf ihrem Weg
zum Absoluten." (Nr.22)
Die Stellung Jesu in der heutigen Zeit
Es geht in den Spannungen zwischen einigen indischen Theologen und
römischen Behörden letztlich um das Verständnis Jesu, seine Person und
Sendung, in der pluralistischen Welt von heute. In dieser Auseinandersetzung
mit Rom aber ist die Offenheit für andere Religionen und Spiritualitäten
doch als gemeinsame Gesprächsbasis anerkannt. Ratzinger selbst hat es
deutlich formuliert: Die Zeit der Ausschließlichkeit und Isolierung des
Christentums ist vorbei. Die Hinwendung zum Glauben an Jesus besteht
"nicht in Zerstörung, sondern Umformung. Bekehrung zerstört nicht die
Religionen und Kulturen, sondern formt sie neu ... Was in den Religionen am
besten ist, das ist auferstanden". (Nr.l2)
Ein gemeinsames Bewusstsein ist gefordert
Konfrontation und Verurteilungen bleiben fruchtlos und vergiften die
Atmosphäre. Wir brauchen das Bewusstsein der Gemeinsamkeit und des
demütigen Suchens nach Formen und Formeln, in denen indisches Leben, Denken
und Beten - die ja alle ihre letzten Quellen in Gott haben - im christlichen
Lehren und Feiern Gestalt gewinnen kann.
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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