Die Kreuzzüge
Bei Vorwürfen an die Kirche kommen neben Inquisition,
Hexenverbrennung und Papst Alexander VI. bald die Kreuzzüge als
Schandfleck der Kirche zur Sprache. Damit auch der mit der
islamischen Welt vom Zaun gebrochene Krieg. Eine jahrhundertelange
Konfrontation zwischen Christentum und Islam ist der Erbteil der
mittelalterlichen Geschichte und wirkt bis in die Gegenwart fort.
Mithilfe einer an Fakten orientierten, geordneten
Vergangenheitsbewältigung könnte ein Dialog der Weltreligionen
über die Zukunftsperspektiven gefördert werden.
Deus lo volt - Gott will es! Mit die diesem Kampfruf auf den
Lippen hefteten sich am 27. November 1095 die Zuhörer einer
aufrüttelnden Predigt Papst Urbans II. in Clermont Stoffkreuze auf
ihre Kleider zum Zeichen, dass sie bereit wären, in den Osten zu
ziehen, um Jerusalem aus der Gewalt der Muslime zu befreien. Gott
will es!
Kriegsgräuel im Namen Gottes
Gestärkt mit der Überzeugung, den Willen des Allerhöchsten
auszuführen, sammelten sich bald Ritterheere im Abendland, vor
allem in Frankreich, aber auch in Italien und in den Rheinlanden. Es
gelang ihnen nach unsäglichen Strapazen und erbitterten Kämpfen am
15. Juli 1099 Jerusalem einzunehmen, wo sie ein Blutbad anrichteten.
Der spätere erste lateinische König von Jerusalem, Gottfried von
Bouillon, soll dann ohne Waffen, nur mit einem Leinengewand angetan,
barfuss um die Stadt gezogen sein und unter Tränen und Gebeten in
der Grabeskirche Gott für seine Hilfe gedankt haben.Dieses uns ganz
absurd erscheinende Nebeneinander von Kriegsgräuel und religiöser
Inbrunst führt uns mitten in die Denkart und Empfindungswelt des
Mittelalters. Tatsächlich gibt es kaum eine andere Bewegung, die
diese Epoche so kennzeichnet und prägt, wie die Kreuzzüge.
Ständige Präsenz der Kreuzzugsidee
Vom späten 11. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert war der
Kreuzzugsgedanke ständig präsent - auch nachdem im Jahre 1291 der
letzte christliche Kämpfer in Akkon in Gefangenschaft geraten war.
Bis tief in die neuzeitlichen Jahrhunderte gab die Idee des
Kreuzzuges dem militärischen Kampf gegen die Türken den ideellen
Halt. Der bewaffnete Kampf zunächst gegen den Islam, bald aber das
gewaltsame Vorgehen gegen alle Menschen, denen man das Etikett
Feinde der Kirche, Feinde des Glaubens anhängen konnte, war keine
nebensächliche Episode, sondern bewegte die weltliche und die
kirchliche Elite des Mittelalters besonders das Papsttum - in hohem
Maße.
Kirchliche Lehre vom gerechten Krieg
Der Historiker hat die Aufgabe, nach Gründen und Folgen dieses
Phänomens zu fragen, bei dem das christliche universelle
Liebesgebot in einem schrillen Kontrast zum politischen und
militärischen Handeln steht. In der Tat ist die erste Voraussetzung
für den mittelalterlichen Kreuzzug die geistige Rechtfertigung des
Krieges als eines erlaubten, ja sogar als eines höchst
verdienstvollen Mittels zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Die
kirchliche Lehre vom gerechten Krieg war schon alt - sie ging in
ihren wesentlichen Teilen auf den Kirchenvater Augustinus zurück -
und gestattete die Verteidigung und Rückeroberung geraubten Gutes.
Da Jerusalem einen magischen Klang hatte und als unmittelbares
Erbteil des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers Jesus Christus
angesehen wurde, empfanden es viele als unerträglich, gerade diese
Stadt, bei der sich Irdisches und Apokalyptisches mischte, in der
Hand der muslimischen Eroberer zu wissen. Dass das Heilige Land
schon seit mehreren Hunderten von Jahren nicht mehr unter
christlicher Herrschaft stand, tat dabei nichts zur Sache. Aber
diese Idee des gerechten Krieges erfuhr in den Jahrzehnten vor dem
Aufruf von 1095 - der übrigens zunächst nur als päpstliche
Initiative zu einem Hilfsunternehmen für das in Bedrängnis
geratene byzantinische Reich gedacht war - eine Steigerung zum
Heiligen Krieg, also formal dem jihad des Islams ähnlich, ohne mit
ihm in innerer Verbindung zu stehen.
Muslime galten als Heiden
Die kirchliche Elite dieser Zeit, überwiegend der
feudal-aristokratischen Führungsschicht zugehörig, interpretierte
einen Krieg im Dienst der Kirche - hüten wir uns, für diese Epoche
eine deutliche Trennung zwischen "kirchlich" und
"weltlich" vorzunehmen - als Vasallenpflicht gegenüber
dem Dominus dominantium, also gegenüber dem als obersten Lehensherm
gedachten Christus, wodurch das Waffenhandwerk in die Nähe des
heiligen, moralischen Tuns rückte. Die spanische Reconquista war
dafür gleichsam ein Übungsgelände. Damit verquickt war die
Rechtfertigung des Heidenkrieges, den die abendländischen Fürsten
und Bischöfe jahrhundertelang gegen die Wikinger, Slawen, Ungarn
oder Araber geführt hatten und der ganz offensichtlich zur
Erhaltung von Kirche und Glauben gedacht war. Die Muslime aber
galten den Menschen des Mittelalters als Heiden.
Tradition der Wallfahrt war mitentscheidend
Niemand von den in Clermont Anwesenden hätte den Aufruf Urbans
II. befolgt, wäre nicht schon seit langem die Wallfahrt eine
traditionsreiche Einrichtung im Abendland gewesen, die ja als
Bußauflage kirchlich gefordert war. Unter den überregionalen
Pilgerwegen stand neben Rom und Santiago de Compostela die heilige
Stadt Jerusalem sehr hoch im Rang: Seit Jahrhunderten zogen Menschen
aller sozialen Schichten ins Heilige Land, von der Überzeugung
geleitet, daselbst besondere Gnadengaben zu erhalten. Entgegen einer
weitverbreiteten Meinung behinderten die islamischen Machthaber dort
den Pilgerverkehr nur in ganz seltenen Ausnahmefällen. Im 11.
Jahrhundert schwoll dann der Pilgerstrom so stark an, dass die
Kreuzfahrer sehr lange ihr Tun gar nicht anders denn als Wallfahrt
begreifen konnten.
Vom Pilger zum Kreuzfahrer
Ihre Selbstbezeichnung blieb somit bis ins 13. Jahrhundert
peregrini, Pilger. Erst später taucht der Begriff crucesignatus,
Kreuzfahrer, auf. Den Kreuzfahrer unterschied allerdings vom
traditionellen Pilger die Bewaffnung. So hat denn in der
Fachwissenschaft die Definition vom Kreuzzug als einer
"bewaffneten Pilgerfahrt" breite Zustimmung gefunden.
Selbst die Fürsten Europas, sogar der Kaiser und die Könige von
Frankreich und England, empfingen, wenn sie zum Kreuzzug aufbrachen
- neben dem Waffensegen - die alten Pilgersymbole wie Stab und
Tasche.
Kreuzzüge aufgrund päpstlicher Initiative
Es ist ja kein Zufall, dass es ein Papst war, der zum Kreuzzug
aufrief. In der Tat stellt der Aufstieg des Papsttums von einer eher
lokalen, römischen Größe zu einer universalen Instanz in Kirche
und Welt seit der Mitte des 11. Jahrhunderts eine weitere wichtige
Voraussetzung für die Kreuzzugsbewegung dar. Alle mittelalterlichen
Kreuzzüge entsprangen einer päpstlichen Initiative! Sie waren also
im engsten Sinn kirchlich sanktionierte Unternehmen; wenn auch kein
einziger Inhaber des Stuhles Petri selbst die Reise in den Orient
antrat, so standen doch einige knapp davor. Der Humanistenpapst Pius
II. - als Enea Silvio Piccolomini Sekretär des Habsburgers
Friedrich III. - bereitete sich 1464 auf das Besteigen der Schiffe
in Ancona vor, aber der Tod kam ihm dazwischen. Von den Päpsten
gingen denn auch die Kreuzfahrerprivilegien aus, d.h. alle
Teilnehmer kamen in den Genuss kirchlich garantierter Rechte, von
denen die Exkommunikation der Feinde als garantierter Schutz von
Person und Eigentum der folgenreichste, ein vollkommener Ablass für
die Teilnehmer der wichtigste war. Dabei ist festzuhalten, dass der
Ablass, also der Nachlass der zeitlichen Sündenstrafen, den
zeitgenössischen Theologen durchaus nicht recht klar war. Die
einfacheren Teilnehmer erblickten in ihm ganz ohne Zweifel ein
Mittel, direkt ihre Schuld und Sündenstrafen loszuwerden und in den
Himmel zu kommen und, sollten sie unterwegs den Tod erleiden, dazu
noch die Märtyrerpalme zu erringen. Dieser geistliche Lohn wog bei
den Zeitgenossen sehr schwer und ließ sie die ungeheuren Strapazen
und materiellen Entbehrungen auf sich nehmen.
Soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen
Damit sind wir in der Aufzählung der Gründe für die Entstehung
der Kreuzzüge bei den sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen
angelangt. Denn entgegen einer weit verbreiteten Meinung war der
Kreuzzug für die allerwenigsten Teilnehmer ein Geschäft oder
Möglichkeit, sich im Heiligen Land eine opulente Herrschaft zu
erwerben. Man sollte die Entstehung der lateinischen Fürstentümer
in der Levante nicht als Vorboten europäischer Kolonisation
begreifen. Freilich begünstigte die starke Zunahme der Bevölkerung
in großen Teilen des Abendlandes das Auswandern der "nicht
erstgeborenen Söhne" in die Ferne. Aber wichtiger als diese
demographischen Phänomene war die Entstehung und das Aufblühen der
abendländischen Ritterschaft mit ihrem Ethos des Kampfes und der
Vasallentreue gegenüber einem Herrn, die erst die Bildung von
trainierten und schlagkräftigen Heeren ermöglichte.
Negative Folgen der Kreuzzugbewegung überwiegen
klar
Versucht man einen Blick auf die Folgen der mittelalterlichen
Kreuzzugsbewegung zu werfen, so überwiegt zweifellos die negative
Seite. Abgesehen davon, dass eine dauerhafte Sicherung der
Eroberungen im Heiligen Land selbst nicht gelang, sodass die
lateinische Herrschaft im Orient immer auf den Nachschub aus dem
Westen angewiesen blieb, absorbierte der Kreuzzug als Unternehmen
ein hohes Maß an materiellen und menschlichen Ressourcen, die - ich
gebe zu, hier anachronistisch zu argumentieren - wohl anderwärtig
nutzbringender hätten eingesetzt werden können. Positiv schlägt
immerhin zu Buche, dass die italienischen Seestädte wirtschaftlich
gewannen, ja dass der Mittelmeerhandel überhaupt durch die
Kreuzzüge kräftig expandierte. Eine der unmittelbarsten Folgen der
Kreuzzüge war die Entstehung der Ritterorden: der Templer, der
Johanniter und der Deutschen Ordensritter. Zweifellos erweiterte
sich das Weltbild der Europäer. Idee und Erlebnis der Kreuzzüge
haben in der Geschichtsschreibung und in der ritterlich-höfischen
Dichtung einen ebenso idealistischen wie romantischen Niederschlag
gefunden.
Kultureller Austausch fand kaum statt
Den kulturellen Austausch zwischen dem Christentum und dem Islam
durch die Kreuzzugsbewegung selbst kann man vernachlässigen, denn
zu wirklichen Kontakten zwischen der lateinischen Elite der
Kreuzfahrerstaaten und den führenden Vertretern der islamischen
Welt in Damaskus, Bagdad oder Kairo kam es nicht. Der Austausch von
Geschenken, gelegentliche Besuche oder Gastmähler und noble Gesten
über im Grunde prinzipiell nie überwundene Grenzen hinweg waren
ebenso punktuelle oder marginale Phänomene wie das Erlernen der
Sprachen und die Annahme von Lebensgewohnheiten. Die Befruchtung der
abendländischen Kultur durch arabisch-muslimische Geistigkeit
vollzog sich vornehmlich in und über Spanien.
Krieg als Mittel gegen alle Feinde
Als weitgehend negative Folge der Kreuzzugsbewegung muss wohl
auch die Tatsache angesehen werden, dass das Papsttum ein
militärisches Kampfmittel in die Hand nahm, das, mit dem
allerhöchsten Segen versehen, überall dort eingesetzt werden
konnte, wo wirklichen oder vermeintlichen Feinden der Kirche
anderweitig nicht beizukommen war. Deshalb ließen zusätzliche
Pervertierungen der Kreuzzüge nicht lange auf sich warten:
Kreuzzüge gegen die Albigenser und Kreuzzüge gegen die Hussiten.
Sie alle wurden im Zeichen des Kreuzes gegen Christen selbst
geführt, und schon ab dem frühen 13. Jahrhundert wird der Kreuzzug
selbst gegen politische Gegner des Papsttums, vor allem in der
italienischen Staatenwelt, gepredigt!
Kluft zu anderen Religionen vergrößert
Sogar katastrophal wirkten sich die Kreuzzüge a la longue auf
religiösem Gebiet aus, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits
war es der tragische vierte Kreuzzug zu Beginn des 13. Jahrhunderts,
der mit seiner Eroberung von Konstantinopel und der vorübergehenden
Zerschlagung des byzantinischen Reiches die bis dahin gar nicht so
unüberwindbare Kluft zwischen der lateinischen und der griechischen
Christenheit so unheilvoll vertiefte, dass alle späteren
Unionsversuche am dort auf gebauten Misstrauen scheiterten und
natürlich indirekt der osmanischen Expansion vorarbeiteten.
Andererseits bewirkten die Kreuzzüge in der islamischen Welt selbst
eine wachsende Feindseligkeit gegenüber dem Christentum. Diese ging
zunächst einmal zu Lasten der christlichen Minderheiten in der
Levante, dann aber wurde sie zu jener unüberwindlichen Barriere,
die eine der Voraussetzungen für die osmanische Expansion zwischen
dem 14. und dem 18. Jahrhundert bildete und die das Abendland bis in
die jüngste Vergangenheit vom Morgenland unüberbrückbar trennte.
Idee des heiligen islamischen Krieges wurde
geweckt
Die Idee des djihad, des Heiligen Krieges, auf der islamischen
Seite war wie ein schlafendes Ungeheuer, das durch die Kreuzzüge
geweckt wurde. Tatsächlich waren die späteren Eroberungen des
Sultans Saladin, die die lateinischen Besitzungen im Heiligen Land
auf einen kümmerlichen Rest reduzierten, im Namen des djihad
erfolgt. Seit damals sollte er nicht mehr zur Ruhe kommen. Die
Kreuzzüge bedeuten in den christlich-muslimischen Beziehungen einen
Knick, man muss aus heutiger Lage leider sagen, einen echten Bruch.
Sie bleiben ein treffendes Beispiel für eine seit dem Mittelalter
bis in unsere Tage fortwährende interreligiöse Belastung.
Perspektiven für die Zukunft
Es ist ein alter Traum, den Historiker in unbedachten
Augenblicken träumen mögen und dem viele Menschen sogar ersehnen:
Sie sollten aus ihrer dichten Kenntnis der Vergangenheit solide
Prognosen für die Zukunft erstellen. Dieser Illusion soll Einhalt
geboten werden. Der Historiker kann nur versuchen, mit seinem Wissen
über diese von der Konfrontation zwischen Christentum und Islam
geprägten Epoche zum gedeihlicheren Zusammenleben zwischen den
Nachgeborenen der ehemaligen Kontrahenten beizutragen.
Verwendung des Kreuzzugbegriffes
Der Begriff Kreuzzug konnte bis in die jüngste Vergangenheit hin
elektrisieren und vermag dies wohl noch heute. Dabei sind natürlich
nicht mehr die Kriege von damals gemeint, die die Christenheit unter
Leitung des Papstes gegen innere und äußere Feinde der Kirche,
besonders gegen die Muslime, geführt hat. Vielmehr könnte auch ein
Zusammenschluss für friedliche Anstrengungen, um ein hehres Ziel zu
erreichen und das Böse zu bekämpfen, Kreuzzug genannt werden. Im
angloamerikanischen Raum wurden im 19. und 20. Jahrhundert
beispielsweise viele solche crusades geführt: z.B. the great
crusade zur Beseitigung des Analphabetismus, the agrarian crusade
zur Belebung der Landwirtschaft in den amerikanischen Südstaaten,
the new crusade als Kennzeichnung der sozialen Aufgabe des
Christentums, the hibernian crusade als ein Feldzug der katholischen
Abstinenzlerverbände bis hin zur Kreuzzugsidee als Mittel der
Werbung für ein Produkt auf dem Markt: die Firma Kellogg lancierte
in den Fünfzigerjahren einen "Cornflake Crusade".
Deklaration von Kriegen als Kreuzzüge
Mag man über diese Inflation der Kreuzzüge noch lächeln, so
wird man bei den großen Kriegen dieses 20. Jahrhunderts, die als
Kreuzzüge deklariert wurden, schon sehr viel nachdenklicher. Der
Erste Weltkrieg wurde von den Alliierten als ein Kreuzzug der
zivilisierten, ja der christlichen Welt gegen den Pangermanismus und
den preußischen Militarismus deklariert. Die Nationalsozialisten
ihrerseits rührten die Propagandatrommel, indem sie den
Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion als "Kreuzzug gegen den
Bolschewismus" rechtfertigten. Auch in Frankreich sprach man
1944 von einer croisade antinazie; ja sogar der Vietnamkrieg bekam
noch vereinzelt die Etikette eines Kreuzzuges umgehängt. In diesem
Bereich ist Nüchternheit angesagt. Vor Begriffen, die aufpeitschen
und zu pseudo-religiös motivierter Gewalt verleiten, muss gewarnt
werden. Anders ausgedrückt: die Kreuzzüge sind definitiv als
historisch abzustellen.
Heilige Kriege müssen abgelehnt werden
Die Idee des Heiligen Krieges ist in einer bestimmten Periode des
abendländischen Mittelalters aus verschiedenen Faktoren irgendwie
erklärbar. Sie widerspricht aber diametral der christlichen Lehre
und muss als schwerer Schatten auf der Geschichte der Kirche
gewertet werden. Schon längst hat sich die offizielle kirchliche
Doktrin von ihr verabschiedet. Aber die Stimmen, die gegen religiös
motivierte Kriege - und diese scheinen mit besonderer Erbitterung
und Grausamkeit geführt zu werden -protestieren, müssten viel
lauter schreien und die schreckliche historische Erfahrung ständig
wach halten. In einer Zeit, in der der religiöse Fundamentalismus
an Kraft und Einfluss gewinnt, ist es sehr sinnvoll, an das
fundamentalistische Mittelalter mit seinem Gregor VII. zu erinnern,
der wegen seines christlichen Fanatismus von einem seiner
innerkirchlichen Gegner als "heiliger Satan" bezeichnet
wurde. Dies gilt natürlich nicht nur für das Christentum, sondern
auch für den Bereich des Islams, wo in den letzten Jahrzehnten der
djihad mehr als einmal von seinen Ketten gelöst wurde.
Rückeroberung als Rechtfertigung für
Kreuzzüge
Die mittelalterlichen Kreuzfahrer handelten im guten Glauben und
in der Überzeugung, den Muslimen das Land Christi wieder zu nehmen,
das diese einst den Christen geraubt hatten. Später rechtfertigten
die spanischen Ritter ihr Tun als Re-conquista, als sie die Mauren
immer weiter nach Süden trieben. Vorher stellten Sultan Saladin und
die Mamluken durch ihre Rückeroberung des Heiligen Landes einen
ihrer Überzeugung nach gestörten Rechtszustand wieder her. Die
österreichischen Habsburger hinwieder vertrieben die Türken aus
Ungarn, nachdem diese dort über 150 Jahre geherrscht hatten. Auch
die Balkanvölker schüttelten - zumeist mit religiöser Motivation
- die osmanische Herrschaft ab, die teilweise ein halbes Jahrtausend
gedauert hatte. Diese Rechtfertigung der Rückeroberung führt heute
in ein ganz heikles Kapitel des Völkerrechtes hinein. Mir scheint,
dass die von den Juristen angebotene Lösung der Selbstbestimmung
eines Volkes auch manche Fragen offen lässt. (Was geschieht etwa,
wenn ein Volk vertrieben, zerstreut oder umgebracht wird und sich
deshalb nicht mehr äußern kann? Beispiele aus dem 20. Jahrhundert
weiß jeder sofort zu nennen.) Auch hier nützt vielleicht die
historische Erfahrung, dass ein Teil irgendeinmal verzichten muss,
um durch diesen heroischen Akt den Frieden zu ermöglichen.
Jahrhundertelang verzichteten die christlichen Fürsten und das
Papsttum eben nicht auf Jerusalem und das Heilige Land und
übersahen dabei beharrlich die Stelle im Johannes-Evangelium
(18,36), wo das Reich Christi als eben nicht von dieser Welt
deklariert wurde.
Zusammenspiel weltlicher und kirchlicher Gewalt
Ermöglicht wurden die mittelalterlichen Kreuzzüge unter anderem
dadurch, dass die geistliche und die weltliche Gewalt aufs engste
ineinander verzahnt waren. Das Papsttum rief zum Kreuzzug auf und
verpflichtete die Fürsten und die adelige Elite mit Aussicht auf
geistlichen Lohn zum Kampf und verwendete dann den Kreuzzugszehnten
für sehr profane Politik. Umgekehrt veranlassten Fürsten die
kirchlichen Instanzen zur Kreuzzugspredigt, wenn sehr weltliche
Interessen auf dem Spiel standen. Im Abendland gehört diese
Verquickung von Thron und Altar der Vergangenheit an, und die Kirche
sollte damalige Kompromisse heute nicht mehr eingehen. Es sind
kleinere Übel, die weltliche Herrschaft mit sich bringt. Aber ist
diese historische Erfahrung in allen Ländern fruchtbar geworden?
Wie wird diese Altlast in islamischen Ländern, die gerade unter dem
geistlichweltlichen Machtkomplex der Abendländer in der
Vergangenheit so entsetzlich zu leiden hatten, bewältigt?
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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