Fachartikel

Kirche und interreligiöser Dialog - Konsequenzen aus "Nostra Aetate"

Von Michael L. Fitzgerald (Biografie)

 

Der interreligiöse Dialog erlangt für die Kirche steigende Bedeutung. Mit dem 2. Vatikanischen Konzil weitete er sich auf Juden, Muslime und Religionen des asiatischen Kontinents aus.

Es ist nicht übertrieben, den interreligiösen Dialog als unerwartetes Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils zu werten. Das Vorbereitungskomitee hatte ihn nicht als eigenständigen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt. Wohl gab es Vorreiter für den Dialog mit dem Islam, wie Massignon. Für den Dialog mit dem Hinduismus leisteten Monchanin und Le Saux Pionierarbeit. De Lubac war Schrittmacher für den Dialog mit dem Buddhismus. Es erwuchs aber keine Bewegung für den interreligiösen Dialog vergleichbar der liturgischen, biblischen oder ökumenischen, die der Arbeit des Konzils die Bahn brachen.

Juden von der Anklage des "Gottesmordes" freisprechen

Wie allgemein bekannt, wurde die Frage des interreligiösen Dialoges auf Wunsch von Papst Johannes XXIII. auf die Tagesordnung des Konzils gesetzt. Von Jules Isaac darauf angesprochen, stimmte Johannes XXIII. zu, dass es an der Zeit wäre, die Juden von der Anklage des "Gottesmordes" freizusprechen. Er vertraute die Vorbereitung einer diesbezüglichen Erklärung Kardinal Augustin Bea an, dem Leiter des Sekretariates für die Förderung der Einheit der Christen.

Dialog auf Muslime ausgeweitet

Die Nachricht über den interreligiösen Dialog mit dem Judentum versetzte die arabische Welt in Aufruhr. Die katholischen Ostkirchen wiederum sahen die Gefahr der Fehlinterpretation einer solchen Erklärung und der Änderung der Politik des Heiligen Stuhles gegenüber Israel. Bei der Präsentation des Entwurfes vor den Konzilsvätern wurde dann eine Ausweitung unter Einbeziehung der Muslime vorgeschlagen.

Buddhismus und Hinduismus dürfen nicht aus dem Auge verloren werden

In weiteren Debatten verlangten die Bischöfe Asiens, dass auch die großen Religionen ihres Kontinentes, nämlich Buddhismus und Hinduismus, nicht aus den Augen verloren werden dürften. Schrittweise entwickelte sich also die kurze Erklärung zur Judenfrage zu einem umfassenderen Dokument: "Nostra Aetate ", "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen ".

Kirche als Volk Gottes, das sich seiner Identität bewusst werden soll

Die Debatte über die nichtchristlichen Religionen hatte ihren Einfluss auf das Vatikanische Konzil insgesamt. Sie spiegelt sich in der Vision, die das Konzil von der Kirche entwirft, wider. Diese wird nicht länger als eine "perfekte Gesellschaft" gesehen, losgelöst von der Welt, sondern als eine Gemeinschaft, die Volk Gottes ist und sich ihrer eigenen Identität bewusst werden soll, durch eine dynamische Beziehung zur modernen Welt. Parallel dazu wurde diese konziliare Vision von Kirche durch die erste Enzyklika von Papst Paul VI, "Ecclesiam Suam ", unterstrichen, die ausdrücklich dem Thema Dialog gewidmet war.

Kirche wird zum Zeichen der Brüderlichkeit und ermöglicht Dialog

Die bedeutendste Erklärung zum Dialog findet sich im Konzilsdokument "Gaudium et Spes ", Art. 92. Dort heißt es, dass die Kirche selbst kraft ihrer Sendung "zum Zeichen jener Brüderlichkeit, die einen aufrichtigen Dialog ermöglicht und gedeihen lässt" wird. Es ist wert, auf den Begriff "Zeichen" eigens hinzuweisen: "Lumen Gentium ", Art. 1, erklärt, dass die Kirche "in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" ist. Daher muss die Kirche ein Zeichen für die notwendige Bedingung eines Dialoges sein. Nur darf sie nicht das Monopol auf den Dialog beanspruchen.

Gemeinsamen Weg als Geschwister gehen

Die Gründe für diesen Dialog sind vor allem: Gott ist beides, der Ursprung und das Ziel des Menschen. Deswegen sind wir alle berufen, Geschwister zu sein. Darum sollten wir den Weg miteinander gehen. Und so "müssen wir aus derselben menschlichen und göttlichen Berufung ohne Gewalt und ohne Hintergedanken zum Aufbau einer wahrhaft friedlichen Welt zusammenarbeiten".

Zur katholischen Einheit des Gottesvolkes sind alle berufen

Bezüglich des Gottesvolkes erklärt "Lumen genitum": "Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind" (Art. 13). Dies wird noch weiter ausgeführt: Katholiken sind "der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert" (Art. 14). Mit denen, die getauft sind, aber sich nicht zum katholischen Glauben in seiner Gesamtheit bekennen, weiß sich die Kirche "verbunden" (Art. 15). Schließlich sind diejenigen, die noch nicht das Evangelium angenommen haben, auf verschiedene Weisen auf das Gottesvolk "hingeordnet" (Art. 16). Und diese verschiedenen Weisen werden anschließend durch die folgende Aufzählung illustriert: "In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist", d.h. die Juden; dann diejenigen, "welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime"; aber auch die anderen, "die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen"; und letztlich die, "die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen" (Art. 16).

Die Erklärung "Nostra Aetate"

Dieser Text erhält eine breitere Darstellung in jenem Dokument, die Erklärung "Nostra Aetate ".

In der Einleitung wird auf die gemeinsamen Bande der Menschheit verwiesen. Diese sind nicht nur statisch angesichts der Tatsache, dass der gemeinsame Ursprung alle Völker zu einer einzigen Gemeinschaft führt, sondern sie sind dynamisch, weil die Menschheit sich auch auf dasselbe letzte Ziel hinbewegt. Aus diesem Grund erwarten die Menschen Antwort auf die ungelösten Rätsel ihres Daseins, wie den Sinn des Lebens und des Todes und das, was nach dem Tod kommt (Art. 1), von den verschiedenen Religionen.

Östliche Religion

Es wird in ihnen allgemein anerkannt, dass die Menschheit sich nicht alleine überlassen ist, sondern dass eine "verborgene Macht" sie leitet und ihre Ereignisse lenkt: "Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen religiösen Sinn". Dies wird weiter anhand der großen religiösen Systeme des Ostens, des Hinduismus und Buddhismus, dargestellt. Gewisse Elemente dieser Religionen werden kurz, aber genau ausgeführt: die mythischen und philosophischen Dimensionen des Hinduismus, wie auch seine asketischen Lebensformen und Meditationspraktiken; die Antwort des Buddhismus auf das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt und die Suche nach vollkommener Befreiung oder höchster Erleuchtung (Art. 2). Es sollte hier vielleicht doch vermerkt werden, dass nicht alle östlichen Religionen aufgelistet werden. Die Religion der Jaina oder der Sikhs beispielsweise findet keine Erwähnung. Dies bedeutet aber keineswegs, dass sie verworfen seien oder nicht Respekt verdienten. Sie sollten als in der allgemeinen Formulierung: "die übrigen in der ganzen Welt verbreiteten Religionen" (Art. 2), beinhaltet angesehen werden.

Haltung der Kirche gegenüber Religionen von Respekt geprägt

"Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist". Die Anerkennung, dass Religionen Wahrheit und Heiligkeit beinhalten, schließt den Verdacht aus, dass die Religionen außerhalb des Christentums ein Werk des Teufels seien. Die Haltung der Kirche ist deswegen von Respekt geprägt. Sie hat hohe Achtung vor den Elementen dieser Religionen, die "einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet". Auf dieser Basis sind die Christen dringend aufgerufen, "mit Klugheit und Liebe" den Dialog mit Angehörigen anderer Religionen aufzunehmen und mit ihnen zusammenzuarbeiten (Art. 2). Diese Ermutigung gilt nicht nur allgemein im Blick auf die vorher genannten Religionen, sondern auch für die im folgenden beschriebenen.

Künftig gegenseitiges Verstehen mit Muslimen

Die erste ausführlich gewürdigte Gruppe sind die Muslime. Für sie ist die Kirche mit "Hochachtung" erfüllt. Diese Betonung mag banal aussehen. Doch muss betont werden, dass in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart die Beziehungen zu Muslimen nicht spannungsfrei waren und sind. "Nostra Aetate" geht nun mehr ins Detail, was den Glauben der Muslime an den Einen Gott, an die Propheten, an Jesus als einen Propheten, an das Jüngste Gericht und das Leben danach betrifft. Das Dokument bezieht sich sodann auf ihre Antworten im Glauben, die sich auf die beiden Ebenen des rituellen (Gebet, Fasten) und des moralischen Lebens beziehen. Jenseits der vagen Feststellung, dass "es ... zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam", erfolgt die dringende Bitte, sich aufrichtig um ein gegenseitiges Verstehen zu bemühen. Dies sollte zu einer Zusammenarbeit zum Nutzen aller führen, nämlich "gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen" (Art. 3). Hier gibt es also ein richtiges Programm.

Im Dialog mit Juden müssen sich Christen auf ihre Wurzeln besinnen

Schließlich kommt die Erklärung zu ihrem Ausgangspunkt zurück, zu den Beziehungen mit den Juden. Die Anerkennung beruht auf dem besonderen Verhältnis der Christenheit zum Judentum. Dieses führt zu einem inneren Dialog für Christen, die sich ihrer Wurzeln besinnen und deshalb das Alte Testament, die jüdische Abstammung Jesu Christi und die jüdischen Ursprünge der ersten liturgischen Feiern der Kirche schätzen lernen.

Kirche verurteilt alle Formen des Antisemitismus

Infolgedessen ist es falsch, die Rolle des Judentums auf die Vorbereitung des Christentums zu reduzieren. Es muss als eine eigenständige Religion angesehen werden, die sich nach Christus gesondert entwickelt hat und ihre eigene Gültigkeit hat. Deshalb hat das Judentum einen permanenten Wert, der sich auf Gottes Verheißung stützt. Die Juden dürfen nie wieder "als von Gott verworfen" dargestellt werden. Weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied, noch den heutigen Juden könne der Tod Christi zur Last gelegt werden. Deswegen verurteilt die Kirche alle Formen von Antisemitismus (Art. 4).

Diskriminierung auf Grund der Religion scharf verurteilt

"Nostra Aetate" endet mit einer scharfen Verurteilung jeglicher Diskriminierung, die menschliche Würde oder davon sich ableitende Rechte betrifft. So wird eine Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Stand oder Religion zurückgewiesen (Art. 5). Hier gibt es einen Bezug zum grundlegenden Dokument über die religiöse Freiheit, "Dignitatis Humanae ". Dieses ruft dazu auf, nach einer Freiheit zu suchen, "die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist" (Art. 3). Die Referenz auf die Sozialnatur zeigt überdies, dass das Konzil unterstrich, dass alle Menschen von der Gesellschaft, der sie angehören, geprägt werden. Deshalb sollte besonders in religiösen Belangen keinerlei Zwang ausgeübt werden (Art. 10). Die Forschung muss frei sein und soll mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustausches und des Dialoges geführt werden. Dialog kann so ein wirksames Mittel für den Fortschritt sein, indem Menschen "einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sie sich bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen" (Art. 3).

Pflicht der Kirche, Christus als die Wahrheit zu verkündigen

Das Hochhalten der Prinzipien der Religionsfreiheit und die Annahme einer positiven Haltung gegenüber anderen Religionen mindern keinesfalls die Bedeutung des Sendungsbewusstseins der eigenen Kirche. Die Kirche hat ihrem göttlichen Auftrag treu zu bleiben: "Lehret alle Völker" (Mt 28, 19). Als "Lehrerin der Wahrheit" hat die Kirche die Pflicht, "die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen" ("Dignitatis Humanae", Art. 14). Unablässig verkündet sie "Christus, der ist `der Weg, die Wahrheit und das Leben' " ("Nostra Aetate ", Art. 2). Es bleibt ihre Pflicht, "das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und als Quelle aller Gnaden zu verkünden" ("Nostra Aetate ", Art. 4).

Spannung zwischen Dialog und Verkündigung

So bleibt eine gewisse Spannung zwischen Dialog und Verkündigung bestehen. Man könnte ja fragen, wozu der Dialog, wenn es das Ziel sein muss, Menschen zu Christus zu bekehren? Oder, anders gesehen, warum Christus verkünden, wenn die Menschen ohnehin in ihren eigenen Religionen den Weg zum Heil finden können?

Geist wirkt auch außerhalb der Kirche in den Herzen

Die Spannung kann nur gelöst werden durch eine Annäherung an das Wesen der Kirche als Sakrament, als Zeichen des Heiles. Hier gilt nur ein Weg des HeiIes, auf dem der Christ in das Ostergeheimnis eintritt: "...dem Tod Christi gleichgestaltet, geht er, durch Hoffnung gestärkt, der Auferstehung entgegen". Dies gilt nicht nur für die Christen, sondern für alle Menschen guten Willens, "in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein" (" Gaudium et Spes ", Art. 22). Der Geist wirkt auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der Kirche in den Herzen der Menschen und in ihren Traditionen. Das bleibt die Basis für den respektvollen Dialog zwischen Christen und den Angehörigen anderer Religionen. Aber der Geist, der in dieser Weise wirkt, ist eben der Geist Christi, der Zeugnis ablegt darüber, was einmal und für immer im Leben erreicht wurde, Tod und Auferstehung Christi. Die Kirche verkündet mit Respekt und steter Dialogbereitschaft gegenüber den anderen Religionen ihre feste Überzeugung, dass Christus der eine und einzige Retter der Menschheit ist.

 

Artikel bearbeitet von ORF ON

 

>> Juden von der Anklage des "Gottesmordes" freisprechen

>> Dialog auf Muslime ausgeweitet

>> Buddhismus und Hinduismus dürfen nicht aus dem Auge verloren werden

>> Kirche als Volk Gottes, das sich seiner Identität bewusst werden soll

>> Kirche wird zum Zeichen der Brüderlichkeit und ermöglicht Dialog

>> Gemeinsamen Weg als Geschwister gehen

>> Zur katholischen Einheit des Gottesvolkes sind alle berufen

>> Die Erklärung "Nostra Aetate"

>> Östliche Religion

>> Haltung der Kirche gegenüber Religionen von Respekt geprägt

>> Künftig gegenseitiges Verstehen mit Muslimen

>> Im Dialog mit Juden müssen sich Christen auf ihre Wurzeln besinnen

>> Kirche verurteilt alle Formen des Antisemitismus

>> Diskriminierung auf Grund der Religion scharf verurteilt

>> Pflicht der Kirche, Christus als die Wahrheit zu verkündigen

>> Spannung zwischen Dialog und Verkündigung

>> Geist wirkt auch außerhalb der Kirche in den Herzen

 
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