Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Von Ulrich H.J. Körtner (Biografie)
Alle Religionen suchen nach einer Antwort auf die Frage nach dem
Sinn menschlichen Leidens. Doch es ist die Besonderheit des
Christentums, dass das Leiden des Menschen im Zentrum seines
Glaubens steht und als Quelle des Heils gedeutet wird. Alles
menschliche Leiden erhält seinen Bedeutung in der Verbindung mit
dem Tod Jesu, dessen Sinn sich nach christlicher Überzeugung erst
durch Jesu Auferweckung von den Toten ergibt. Was immer zum Glauben
an seine Auferstehung der Anlass gewesen sein mag: erst dieser
Glaube erfasst nach christlicher Überzeugung die wahre
Bedeutsamkeit des Todes Jesu, durch die alles sonstige Leiden in
neuem Licht erscheint.
Der Titel des Beitrages ist ein Zitat. Genauer gesagt, handelt es
sich um das Zitat eines Zitates, was für unser Thema, nämlich die
Frage nach christlichen Deutungsmöglichkeiten von Leiderfahrungen,
ein sachlich bemerkenswerter Umstand ist. Mit dem erschütternden
Ausruf: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?" stirbt Jesus nach der Darstellung des
Markusevangeliums am Kreuz. (Mk 15,35) Allerdings wissen wir nicht,
was sich historisch genau bei der Kreuzigung Jesu abgespielt hat.
Offenbar ist es der Evangelist Markus, welcher in seiner Schilderung
der Ereignisse aus theologischen Gründen dem sterbenden Jesus das
zitierte Wort in den Mund gelegt hat. Bemerkenswert ist jedenfalls,
dass es sich bei diesem letzten Ausspruch Jesu unmittelbar vor
Eintritt des Todes wiederum um ein Zitat handelt, nämlich um einen
Vers aus dem 22. Psalm.
Der Tod Jesu und die christliche Deutung des
Leidens
Der Umstand, dass Jesus von Nazaret nach der markinischen
Darstellung ausgerechnet mit einem alttestamentlichen Bibelwort auf
den Lippen stirbt, ist für die christliche Sicht seines Todes
ebenso bedeutsam wie für die christliche Deutung menschlichen
Leidens überhaupt. Es handelt sich hier um einen doppelten
Interpretationsvorgang. Einerseits wird das Leiden und Sterben Jesu
im Licht des 22.Psalms, der Klage eines unschuldig leidenden
Gerechten, gedeutet. Andererseits wird der Kreuzestod Jesu als
letzte Antwort auf die alttestamentliche Frage nach dem Sinn des
Leidens und der Erfahrung möglicher Gottverlassenheit verstehbar.
Die jüdische Weise, sich zum Leiden zu verhalten, für welche die
Gestalt des Hiob beispielhaft ist, erhält im Licht des Kreuzestodes
Jesu einen neuen Sinn.
Der Klageruf Jesu wird missverstanden
Jesu Klageruf in der Agonie - im Markusevangelium wie im
Matthäusevangelium übrigens das einzige Wort Jesu am Kreuz - wird
von den Umstehenden nicht verstanden. Markus wie Matthäus zitieren
Ps 22,2 im aramäischen Wortlaut, der Anlass zu einem
Missverständnis bietet. Jesu angstvoller Schrei: "Eloi, Eloi,
lema sabachthani?" wird von den Umstehenden missdeutet, als
rufe Jesus den Propheten Elia vom Himmel zu seiner Rettung. Die
Verständnislosigkeit der Menschen unter dem Kreuz versinnbildlicht
die Strittigkeit, welcher die christliche Deutung des Todes Jesu bis
auf den heutigen Tag ausgesetzt ist und bleiben wird. Das gilt von
allen christlichen Deutungen, welche der Tod Jesu im Laufe der
Geschichte des Christentums erfahren hat. Und derer gibt es bereits
im Neuen Testament mehrere. Wie zur christlichen Sicht des Todes
Jesu gehört folglich auch zum christlichen
Wirklichkeitsverständnis seine Strittigkeit wesensmäßig dazu.
Kritik am christlichen Leidensverständnis
Wie die unterschiedlichen Deutungen des Todes Jesu in Geschichte
und Gegenwart, sieht sich auch das christliche Verständnis
menschlichen Leidens vielfältiger Kritik ausgesetzt. Die moderne
Religionskritik wirft dem Christentum vor, seine Deutung des Todes
Jesu resultiere aus einem sadistischen Gottesbild, welches
keineswegs zur Bewältigung oder gar zur Beseitigung menschlichen
Leidens beitrage, sondern im Gegenteil im Verlauf der bisherigen
Christentumsgeschichte zur Quelle neuen menschlichen Leidens
geworden sei. Die traditionelle christliche Leidenstheologie aber
sei eine religiöse Erscheinungsform des Masochismus, weil sie nicht
etwa dazu ermutige, gegen das Leiden aufzubegehren, sondern im
Gegenteil unter Verweis auf das Kreuz Christi die Bereitschaft zum
Leiden als christliche Tugend ausgäbe.
Gesellschaftliches Ziel ist meist
Leidensvermeidung
Abgesehen von solcher Kritik am Christentum, herrscht in unserer
mehr oder weniger hedonistisch eingestellten Gesellschaft ein
prinzipielles Unverständnis gegenüber jedwedem Versuch, dem Leiden
einen positiven Sinn abzugewinnen. Nicht Leidensbewältigung,
sondern Leidensvermeidung gilt als oberstes Ziel der Lebensführung.
Wo aber dennoch Leiden entsteht, wird nicht nach Wegen, es zu
ertragen, sondern nach solchen zu seiner möglichst raschen
Beendigung gesucht. Im Extremfall wird sogar der Wunsch laut, das
Leiden durch die Eliminierung der Leidenden aus der Welt zu
schaffen. Die öffentlich diskutierte Forderung nach einem Recht auf
freiwillige Euthanasie ist für diese Bewusstseinslage besonders
bezeichnend. Aber auch auf den Gebieten der genetischen Beratung und
pränatalen Diagnostik sowie der sogenannten prädiktiven Medizin
ist immer häufiger die Auseinandersetzung mit einer Sichtweise von
Leiden und Krankheit zu führen, welche a priori jede Möglichkeit
ausschließt, dass menschliches Leiden in irgendeiner Weise sinnvoll
sein könnte. Wie das Kreuz Christi ist also auch die christliche
Einstellung zum Leiden dem Konflikt der Interpretationen ausgesetzt.
Beide bedürfen daher einer kritischen Reinterpretation.
Entsprechend unserer Eingangsüberlegungen unternehmen wir zunächst
den Versuch einer heute theologisch vertretbaren Deutung des Todes
Jesu, um sodann zu fragen, welche Möglichkeiten zum Umgang mit der
Erfahrung menschlichen Leidens durch sie erschlossen werden.
Der Gekreuzigte wird verhöhnt
Unser weiteres Nachdenken über das Leiden Christi setzt bei
seiner neutestamentlichen Deutung im Lichte des 22. Psalms ein. Jesu
Schrei nach Gott ist der Anfang von Psalm 22, dessen übrige Motive
im markinischen Kreuzigungsbericht ebenfalls anklingen. So weiß
Markus zu berichten, man habe Jesu Kleider geteilt und verlost. (Mk
15,24) Dieser Zug seiner Erzählung ist aber eine Anspielung auf Ps
22,19, wo der alttestamentliche Beter klagt: "Sie teilen meine
Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand." Ferner
schildert Markus, wie die Schaulustigen den Gekreuzigten verspotten.
(Mk 15,29f) Sie schütteln ihre Köpfe und höhnen: "Ha, der du
den Tempel niederreißt und in drei Tagen aufbaust, rette dich
selbst und steige vom Kreuz herab!" Ebenso verhöhnen ihn auch
die Hohenpriester und Schriftgelehrten: "Anderen hat er
geholfen, sich selbst kann er nicht helfen. Der Messias, der König
von Israel! Er soll doch jetzt vom Kreuz herabsteigen, damit wir
sehen und glauben." (Mk 15,31) Und selbst seine
Leidensgenossen, zwei zusammen mit ihm gekreuzigte Verbrecher, haben
für Jesus nur beißenden Spott übrig. (Mk 15,32) Diese Szene
spielt auf die Klage des Beters in Ps 22,7-9 an: "Ich bin ein
Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.
Alle, die mich sehen, spotten meiner, verziehen die Lippen und
schütteln den Kopf: ‚Er warfs auf den Herrn, der möge ihm
helfen; er rette ihn, denn er hat ja Gefallen an ihm.‘" Da
ist niemand, der Jesus beistünde, niemand, um mit Ps 22,12 zu
sprechen, der ihm hülfe.
Jesus als der leidende Gerechte im Psalm 22
Es sind nicht nur diese Einzelzüge des 22. Psalms, welche im
markinischen Passionsbericht durchscheinen. Vielmehr kann sich der
Gekreuzigte insgesamt im leidenden Gerechten des 22. Psalms
wiederfinden, welcher klagt: "Mich umgeben mächtige Stiere,
Büffel von Basan umringen mich. Sie sperren den Rachen wider mich
auf wie ein reißender brüllender Löwe. Wie Wasser bin ich
hingeschüttet, es lösen sich all meine Gebeine; mein Herz ist
gleich dem Wachs geworden, zerflossen in meiner Brust. Trocken wie
Scherben ist mein Gaumen, und meine Zunge klebt an meinem Schlund;
in den Staub des Todes legst du mich. Denn Hunde lagern rings um
mich, und mich umkreist die Rotte der Übeltäter; sie durchbohren
mir Hände und Füße. Ich kann all meine Gebeine zählen; sie aber
schauen her, sehen ihre Lust an mir." (Ps 22,13-1)
Wie kann man die Aufzeichnungen Markus' deuten
Mit Bedacht also hat Markus dem sterbenden Christus den
Anfangsvers von Psalm 22 in den Mund gelegt. Allerdings ist nun nach
der theologischen Absicht seiner Verwendung zu fragen. Stirbt Jesus
in völliger Verzweiflung? Historisch ist diese Möglichkeit gewiss
nicht auszuschließen. Aber wir fragen im Augenblick ja nach der
theologischen Deutung, welche der Tod Jesu durch Markus erfahren
hat. Um ihre Absicht zu verstehen, ist es notwendig, dass wir den
22. Psalm bis zum Ende lesen. Er schließt nun nicht mit der
verzweifelten Klage, sondern mündet in den Lobpreis Gottes, der
wider alle Erwartung am Ende den Beter aus dem Rachen des Todes
errettet hat. "Verkünden", so heißt es in Ps 22,23-25,
"will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde
will ich dich preisen: `Die ihr den Herrn fürchtet, preiset ihn!
Ihr alle vom Stamme Jakobs, ehret ihn, bebet vor ihm, ihr alle vom
Stamme Israels! Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut des
Elenden Elend und nicht sein Angesicht vor ihm verborgen, und da er
zu ihm schrie, hat er ihn erhört.‘" Die Möglichkeit, dass
Jesus in völliger Verzweiflung starb, wird nicht dadurch
ausgeschlossen, dass Markus in irgendeiner Weise andeutete, Jesus
selbst habe den 22. Psalm bis zum Ende gebetet, sondern es ist die
christliche Gemeinde, welche dies in ihrem Gottesdienst tut, im
Glauben an die Auferweckung Jesu von den Toten.
Erst durch die Auferstehung erlangt Jesu Tod
seine Bedeutung
Der Glaube an die Auferstehung des Gekreuzigten ist die
Voraussetzung dafür, dass Markus das Leiden und Sterben Jesu
überhaupt im Lichte von Psalm 22 deuten kann. Erst die Auferweckung
des Gekreuzigten erschließt die Bedeutsamkeit seines Todes im Sinne
des christlichen Glaubens. Die bildhafte Rede von seiner
Auferstehung, aus der die Erfahrung gläubiger Gewissheit spricht,
ist also das christliche Interpretament für die Bedeutung, welche
das Kreuz Christi für unser eigenes Leben, aber auch für Jesus wie
für Gott selbst hat. Die exegetische Feststellung, dass der Glaube
an die Auferweckung Jesu die sachliche Voraussetzung der
neutestamentlichen Darstellung seines Leidens und Sterbens ist,
schwächt allerdings nicht die bei Markus dargestellte
Gottverlassenheit Jesu am Kreuz ab. Die dem christlichen Glauben
gewisse Auferweckung Jesu mildert nicht die Härte seines Todes.
Nach Darstellung der neutestamentlichen Evangelien wird der
Auferstandene an seinen Wundmalen erkannt. Es ist der auferweckte
Gekreuzigte, an den die Christen als ihren Messias glauben. Auch ist
zu beachten, dass sich die Gebetsklage in Ps 22,2 von der in den
Psalmen wiederholt geäußerten Bitte, Gott möge den Beter nicht
verlassen, deutlich unterscheidet. Der Beter des 22. Psalm glaubt
sich einerseits wirklich von Gott verlassen und richtet dennoch,
darin Hiob vergleichbar, seine Klage an diesen Gott. Obwohl er
annehmen muss, dass ihn Gott verlassen hat, gibt er seinerseits Gott
nicht auf, sondern hält auf paradoxe Weise an ihm fest. Auch die
christliche Deutung des Todes Jesu im Lichte seiner Auferweckung hat
dieser Paradoxie Rechnung zu tragen, weil andernfalls der letzte
Sinn dieses Todes verfehlt wird. Die Bedeutsamkeit der
Gottverlassenheit Jesu soll im folgenden Abschnitt
systematisch-theologisch bedacht werden.
Die Gottverlassenheit Jesu
Wir fragen zunächst, worin eigentlich die Gottverlassenheit Jesu
besteht. Erst einmal scheint sie zu besagen, dass Gott nicht
eingreift, um Jesu Hinrichtung zu verhindern. Sie ist die äußerste
Steigerung der Einsamkeit aller Sterbenden, deren Härte in diesem
Fall darin besteht, dass es sich um die Gottverlassenheit eines
gänzlich Unschuldigen handelt. Jesus durchleidet also nicht nur die
Folter seiner Peiniger, die Schmähungen seiner Feinde und die
Qualen des Sterbens, sondern überdies noch die Erfahrung der
Abwesenheit Gottes. Die Härte seines Leidens besteht darin, dass er
sich, wiewohl Gott treu bis zum letzten Atemzug, von diesem selbst
dem Tod preisgegeben weiß. Dass Jesus nicht länger die Nähe
Gottes spürt, liegt offenbar nicht an der Schwachheit seines
Glaubens, sondern im Gegenteil darin, dass es Gott selbst ist, der
sich ihm entzieht.
Die Abwesenheit Gottes wird zur entscheidenden
Frage
Für das neuzeitliche Denken ist die Erfahrung der Abwesenheit
Gottes prinzipiell geworden. Die Welt stellt sich der modernen
Vernunft dar als eine Welt etsi Deus non daretur. So stellt sich
nicht nur im Blick auf den Tod Jesu, sondern ganz grundsätzlich die
Frage, wie sich die vom christlichen Glauben im Anschluss an das
Judentum behauptete Allmacht und Güte Gottes mit seiner Abwesenheit
in einer Welt des Leidens und der Ungerechtigkeit verträgt. Die
Antwort der neuzeitlichen Philosophie auf diese Frage besteht in der
Behauptung des Todes Gottes. Angesichts des millionenfachen Leides
lässt sich Gottes Güte offenbar nur im Falle seiner Nichtexistenz
rechtfertigen. Die christliche Denkfigur, welche am Kreuz auf
Golgota nicht nur einen unschuldigen Menschen, sondern den
menschgewordenen Sohn Gottes sterben sieht, wird abgewandelt zur
Idee des Todes Gottes.
Mensch muss alleine mit dem Leid fertig werden
Es handelt sich bei solcher Transformation der christlichen
Deutung des Kreuzes Christi um eine mythisch formulierte, jedoch
atheistisch gemeinte Entmythisierung der Rede von Gott. Dabei macht
es im Grunde keinen Unterschied, ob nun Gott, wie es bei Nietzsche
heißt, von den Menschen getötet wird, oder ob er, wie manche
moderne Theologen behaupten, seiner Liquidierung durch seinen
Rückzug aus der Welt zuvorgekommen ist. Ob Gott nun gestorben oder
aber für die Dauer des Bestehens der Welt abwesend ist, kommt im
Endeffekt auf dasselbe heraus, nämlich darauf, dass der autonom
gewordene, besser gesagt, der zur Autonomie verurteilte Mensch an
die Stelle Gottes treten muss, ob er nun will oder nicht, um an
seiner Stelle die Existenz der Welt angesichts des Bösen und des
Leidens zu rechtfertigen.
Der Gottglaube in der Aufklärung
Entmythisierend gemeint, handelt die neuzeitliche Rede vom Tod
Gottes eigentlich nicht von Gott selbst, sondern von einem
geistesgeschichtlichen Vorgang der Aufklärung, bei welchem der
Mensch seinen bisherigen Gottesglauben als Projektion durchschaut.
Verfolgt man jedoch die religionskritische Rede vom Tod Gottes über
Nietzsche und Jean Paul zu Hegel zurück, stellt man fest, dass ihre
Wurzeln in die christliche Überlieferung zurückreichen. Sie
begegnet uns z.B. als Spitzenaussage lutherischer Christologie in
einem Passionslied von Johannes Rist aus dem Jahr 1641: "O
große Not! / Gott selbst liegt tot. / Am Kreuz ist er gestorben; /
hat dadurch das Himmelreich / uns aus Lieb erworben." (zitiert
nach E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der
Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und
Atheismus, Tübingen41982, S. 84) Hegel, der die Rede vom
Tod Gottes im Sinne eines spekulativen Karfreitags interpretiert,
hat auf die traditionsgeschichtliche Herkunft solcher Rede
ausdrücklich hingewiesen.(G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die
Philosophie der Religion, Bd. II,2 (PhB 63), Hamburg 1966, S. 172.)
Der Tod Gottes in der christlichen
Trinitätslehre
Verständlich wird die christliche Rede vom Tod Gottes bzw. vom
gekreuzigten Gott, die sich bereits in der Alten Kirche - allerdings
mit antijudaistischer Stoßrichtung - bei Melito von Sardes und
Tertullian findet (Vgl. Melito u Sardes, SC 123, S. 116, § 96;
Tertullian, Adv. Marc. II 16, CSEL 47, S. 356, Z. 20-22), freilich
nur im Rahmen der christlichen Trinitätslehre, derzufolge nicht
Gott überhaupt, sondern eine der drei göttlichen Personen,
nämlich der fleischgewordene Logos, den Tod erlitten hat. Die
chalcedonensische Zweinaturenlehre mit ihrer Lehre von der
communicatio idiomatum ließ die altkirchliche Christologie selbst
vor theopaschitischen Formulierungen nicht zurückschrecken.
Allerdings sind die Konsequenzen, welche solche Aussagen für den
Gottesbegriff insgesamt haben, in der älteren Theologie nicht
hinreichend bedacht worden. Zu fragen ist nämlich nicht nur, was -
trinitarisch gesprochen – der Tod Jesu für den ewigen Logos,
sondern auch, was er für den Vater und in der Einheit beider für
den Geist bedeutet.
Vielschichtigkeit des Gottesbegriffes
Neuere Entwürfe einer christlichen Gotteslehre kommen darin
überein, dass die theologische Bedeutsamkeit des Todes Jesu
trinitarisch entfaltet werden muss. Mithin ist auch die
Gottverlassenheit des Gekreuzigten als trinitarisches Geschehen zu
deuten. Indem der Sohn leidet, leidet auch der Vater und in der
Einheit von Vater und Sohn der Geist. Versucht man diesen Gedanken
zu denken, kann freilich der Gottesbegriff nicht länger in seiner
herkömmlich theistischen Fassung gebraucht werden, der zufolge Gott
als eine überweltliche Person zu denken ist. Der trinitarisch zu
denkende Gott transzendiert den Begriffneuzeitlicher Personalität
bzw. Subjektivität. Sofern dies nicht beachtet wird, gerät der
Versuch, die neuzeitliche Rede vom Tod Gottes theologisch
aufzunehmen, in desaströse Widersprüche. Je mehr man jedoch
"das ganze Kreuzesgeschehen als Gottesgeschehen versteht, um so
mehr zerbricht der einfache Gottesbegriff. Er tritt dem Erkennenden
gleichsam trinitarisch auseinander. Von der Außenseite des
Geheimnisses, das ‚Gott‘ genannt wird, kommt man in seinen
Innenraum, der trinitarisch ist." (Moltmann, Der gekreuzigte
Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie,
München 1981, S. 189)
Die Dreifachheit Gottes muss als Dreieinigkeit
gesehen werden
Der katholische Theologe Karl Rahner hat die weitreichende These
aufgestellt, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen der
sogenannten immanenten und der sogenannten ökonomischen
Trinitätslehre unangemessen sei. Statt zwischen Gottes Wesen und
seinem trinitarischen Handeln unterscheiden zu wollen, müsse im
Ausgang vom Kreuzestod Christi der Gedanke formuliert werden, dass
die Trinität das Wesen Gottes sei und umgekehrt, so dass folglich
die ökonomische Trinität mit der immanenten Trinität Gottes
identisch sei. (vgl. K. Rahner, Bemerkungen zum dogmatischen Traktat
"De Trinitate", in: ders. Schriften zur Theologie IV,
Zürich'1967, S. 103-133, hier S. 115ff) Gottes Einheit, Selbigkeit
und Einfachheit ist somit von seiner Dreifaltigkeit nicht zu
unterscheiden, sondern als Dreieinigkeit zu denken. Das aber
bedeutet nichts Geringeres, als dass der christliche Gottesgedanke
nicht eine bloße Modifikation, sondern eine fundamentale
Revolutionierung des Monotheismus darstellt. Über die
theopaschitische Rede vom gekreuzigten Gott bzw. vom Tod Gottes
hinaus ist der Kreuzestod Jesu in der Gottverlassenheit auf
trinitarische Weise als Leiden Gottes zu interpretieren. Die
neuzeitliche Rede vom Tod Gottes, deren Atheismus negativ auf den
Theismus der metaphysischen Tradition bezogen ist, ist ihrem Wesen
nach untrinitarisch und insofern theologisch nicht ohne weiteres zu
übernehmen. Ist der Kreuzestod Jesu als ein trinitarisches
Geschehen zu begreifen, dann kann theologisch verantwortbar
allenfalls so vom Tode Gottes gesprochen werden, dass solche
Redeweise zugleich entscheidend modifiziert wird.
Gott leidet als Vater mit dem Sohn
Trinitarisch gedacht, bedeutet nun die Gottverlassenheit Jesu am
Kreuz nicht einfach die Abwesenheit eines monotheistischen Gottes,
der dadurch in einen Widerspruch zu seiner Allmacht und Güte
gerät. Vielmehr greift der als Gott angerufene Vater nicht ein,
weil das, was sich am Kreuz ereignet, vereitelt würde, wenn Gott so
eingriffe, wie es menschlicher Wunschvorstellung entspräche. Die
christliche Theologie deutet den Kreuzestod Jesu als Geschehen der
Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen, welcher Gott von Hause
aus negiert, selbst dort, wo er ihn religiös verehrt. Die Weise, in
welcher Jesus in völliger Gemeinschaft mit Gott lebt, führt dazu,
dass er genau jene Ablehnung erfährt, welche Gott selbst gilt.
Indem er diese Ablehnung freiwillig und gewaltfrei erträgt,
verkörpert er die Liebe Gottes, welcher gerade so zwischen sich und
dem Menschen die Versöhnung stiftet, dass er seinerseits auf die
gewaltsame Durchsetzung seines Rechtes verzichtet. In der
Gottverlassenheit Jesu leidet nicht allein der Sohn, sondern auch
der Vater, welche dieses Leiden in gegenseitigem Einverständnis auf
sich nehmen, um so die Unversöhntheit der Welt durch den Geist
bedingungsloser Liebe zu überwinden. Insofern ist nun aber die
Abwesenheit Gottes auf paradoxe Weise die Gestalt seiner dichtesten
Präsenz. Und eben diese paradoxe Anwesenheit Gottes in Gestalt
seiner Abwesenheit kommt darin zum Ausdruck, dass der Gekreuzigte
nach dem Bericht der ersten beiden Evangelien in der Form der Klage
an jenem Gott festhält, der ihn verlassen hat.
Mit dem Verlassen Jesu leidet Gott selbst
Das Leiden Christi muss also trinitarisch als Teilhabe Gottes am
Leiden selbst verstanden werden. Das bedeutet, dass der Tod Jesu
nicht so zu verstehen ist, als ob ein theistischer Gott einen
anderen an seiner Stelle sterben ließe, auch nicht, dass die durch
die Römer verfügte Todesstrafe als göttliches Todesurteil zu
verstehen wäre. Und ebenso wenig darf der Tod Jesu als die
Entgegennahme eines Gott dargebrachten Menschenopfers aufgefasst
werden. In der Gottverlassenheit Jesu leidet vielmehr Gott selbst.
Die Gottverlassenheit und das Gottesleiden, seine Abwesenheit und
seine Anwesenheit gehören als voneinander nicht zu trennende
Aspekte der trinitarischen Teilhabe Gottes am Kreuzesgeschehen
zusammen. Sie sind freilich nicht auf eine einzige Aussage zu
reduzieren, weil andernfalls die unableitbare Freiheit des
göttlichen Leidens, welche die Weise seines Liebens ist, zur
metaphysischen Notwendigkeit verkehrt würde. Die Gottverlassenheit
Jesu und die gleichzeitige Teilhabe Gottes an seinem Leiden müssen
vielmehr als zwei unterschiedliche Weisen der Verborgenheit Gottes
gedacht werden. (Vgl. G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens
II, Tübingen 21982, S. 204f) Diese Sichtweise verdankt
sich freilich der Gewissheit der Auferweckung des Gekreuzigten,
durch welche Gottes Wesen als Liebe auf endgültige Weise offenbar
wird.
Gottes Abwesenheit wird zum Beleg seiner
Gegenwart
Im Lichte der Auferweckung Jesu von den Toten gewinnt Gottes
Verborgenheit einen neuen Sinn. Während das neuzeitliche
Bewusstsein die Verborgenheit Gottes als seine Abwesenheit und -
letztlich konsequent als seine Nichtexistenz deutet, begreift der
Glaube genau umgekehrt Gottes Verborgenheit als Voraussetzung und
Bedingung seiner Gegenwart, und zwar seiner Gegenwart als Geist im
Glauben. Die theologische Interpretation des Kreuzes Christi
erfordert es also, zwischen der Logik der Abwesenheit und derjenigen
der Verborgenheit zu unterscheiden. Während die Logik der
Abwesenheit nur die Alternative von Dasein und Nicht-Dasein kennt,
besagt die Logik der Verborgenheit, dass etwas zugleich nicht da
sein und doch auf paradoxe Weise da sein kann. Der am Kreuz Christi
auf paradoxe Weise abwesende und doch anwesende Gott ist nun auch in
der Gegenwart nur auf verborgene Weise gegenwärtig, nämlich
"als der Verborgene, der nicht anders zum Vorschein kommt als
so, dass er endlichen Menschen in ihrer Gespaltenheit den getrosten
Mut zum Leben (und zum Sterben) gibt, das heißt, biblisch
gesprochen, in ihnen Glaube, Liebe, Hoffnung wirkt".
Gott erkennen, als mündige Menschen
In diesem Sinne hat der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer
die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz interpretiert. Im Lichte der
Einsamkeit des sterbenden Christus hat er zugleich umgekehrt die
spezifisch moderne Erfahrung der Abwesenheit Gottes theologisch zu
deuten versucht. Während für Hegel die Rede vom Tod Gottes eine
Möglichkeit bot, den kulturgeschichtlichen Tatbestand des
neuzeitlichen Atheismus als philosophischen Sachverhalt zu
verarbeiten, sucht Bonhoeffer dasselbe Phänomen vom Kreuz Christi
aus als dezidiert theologischen Sachverhalt zu begreifen. So
erklärt er in Aufzeichnungen, die er in der Gestapohaft gegen Ende
seine Lebens verfasst hat: "Gott als moralische, politische,
naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft,
überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse
Arbeitshypothese (Feuerbach!). Es gehört zur intellektuellen
Redlichkeit, diese Arbeitshypothese fallen zu lassen bzw. sie so
weitgehend wie irgend möglich auszuschalten." (D. Bonhoeffer,
Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg.
v. E. Bethge, Neuausgabe München 1985, S. 393) Darum können nun
auch die Christen nach Bonhoeffer "nicht redlich sein, ohne zu
erkennen, dass wir in der Welt leben müssen – ‚etsi Deus non
daretur'. Und eben dies erkennen wir - vor Gott! Gott selbst zwingt
uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer
wahrhaftigen Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu
wissen, dass wir leben müssen, als solche, die mit dem Leben ohne
Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns
verlässt (Mk 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben lässt
ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd
stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus
der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach
in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft
uns." (D. Bonhoeffer, S. 394)
Durch Mündigkeit wird mit falscher
Gottvorstellung aufgeräumt
Weit davon entfernt die neuzeitliche Autonomie theologisch zu
denunzieren, ist Bonhoeffer davon überzeugt, dass die neuzeitliche
"Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer
falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick freimacht
für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht
und Raum gewinnt" (Ebd.) Statt wie die moderne Religionskritik
aus der neuzeitlichen Erfahrung der Abwesenheit Gottes den Schluss
seiner Nichtexistenz zu ziehen, begreift vielmehr auch Bonhoeffer
diese Abwesenheit als Verborgenheit, welche zur Bedingung seiner
Glaube, Liebe und Hoffnung wirkenden Gegenwart wird. "Gottes
Hand und Führung", so schreibt er in einem Brief aus der Haft,
"ist mir so gewiss, dass ich hoffe, immer in dieser Gewissheit
bewahrt zu werden." (D. Bonhoeffer, S. 427)
Ursprung und Sinn des Leidens
Unter der Prämisse eines monotheistischen Gottesbildes und
Gottesbegriffs mündet die Frage nach Ursprung und Sinn des Leidens
mit innerer Notwendigkeit in das Problem der Theodizee, in die Frage
also, inwieweit der jeweils verehrte Gott selbst für genau jenes
Leiden verantwortlich zu machen ist, von welchem er die Menschen
erlösen will. Die klassische Formulierung des Theodizeeproblems
findet sich bei Laktanz, der drei Möglichkeiten aufzählt, die alle
aporetisch sind: "Entweder will Gott das Böse aus der Welt
nicht entfernen und kann es nicht, oder er kann es und will es
nicht, oder endlich will und kann er es. Will er es und kann es
nicht, so ist das ein Unvermögen, was dem Wesen Gottes
widerspricht; kann er es und will es nicht, so ist es Bosheit, die
seiner Natur nicht minder widerspricht; will er es nicht und kann es
auch nicht, so ist es Bosheit und Unvermögen zugleich; will er es
aber und kann es auch (was der einzige von allen Fällen ist, der
dem Wesen der Gottheit entspricht): woher kommt dann das Böse auf
Erden?" (Laktanz, De ira Dei 13,20; vgl. auch Epikur, Von der
Überwindung der Furcht, eingeleitet und übersetzt von O. Gigon,
Zürich 1949, Seite 10)
Abgrenzung zwischen dem Leid und dem Bösen
Nun ist zunächst hinsichtlich des Leidens und des Bösen eine
begriffliche Differenzierung erforderlich. Das Böse ist von Haus
aus ein moralisches Phänomen und hat seinen Sitz im menschlichen
Wollen und Handeln. Die christliche Tradition spricht - wie die
jüdische - in diesem Zusammenhang von der Sünde, welche als Abkehr
des Menschen von Gott, seinem Schöpfer, zu bestimmen ist. Davon zu
unterscheiden sind die natürlichen Übel wie Krankheit, Unglück
und Tod. Allerdings lassen sich diese in der christlichen Tradition
als physische Übel bezeichneten Leidenserfahrungen nicht vom
Phänomen des moralisch Bösen völlig trennen. Denn es gibt
selbstverschuldetes Leiden und solches, welches Menschen oder Tieren
von anderen Menschen schuldhaft zugefügt wird. Namentlich die
Weisheitstradition Israels hat selbst dort einen schuldhaften und
insofern moralisch zu rechtfertigenden Zusammenhang zwischen
menschlichem Leiden und menschlicher Schuld herzustellen versucht,
wo dieser nicht sogleich auf der Hand liegt.
Leiden ist nicht nur selbstverschuldet
Es entspricht einem in der Religionsgeschichte weit verbreiteten
Denken, mittels eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs menschliches Leiden
einschließlich des Todes als Folge der Sünde bzw. als gerechte
Strafe Gottes für menschliche Verfehlungen zu deuten, wobei diese
Strafe sowohl der Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes als auch der
Läuterung des Menschen dienen kann. Das Hiobbuch zeigt freilich,
dass es menschliches Leiden gibt, welches mit einem solchen Denken
nicht gerechtfertigt werden kann, unschuldiges Leiden, hinter
welchem eine geheime Schuld zu vermuten blanker Zynismus wäre. Die
Frage nach dem Ursprung und Sinn solchen Leidens ist folglich
unabweisbar. Ihren Ernst gewinnt sie freilich nur dann, wenn sie als
existentielle, d.h. aber als religiöse Frage gestellt und nicht als
ein bloßes Gedankenexperiment durchgespielt wird. Die neuzeitliche
Fassung des Theodizeeproblems als philosophisch-metaphysische Frage
versucht demgegenüber, "die unüberschaubare Welt
überschaubar zu machen und eine religiöse, d.h. nur in der
Subjektivität des Glaubens zu überwindende Not in eine
weltanschaulich lösbare Fragestellung zu verwandeln" (W.
Trillhaas, Art. Theodizee III. Systematisch, RGG3 VI,
Tübingen 1962, Seite 746). Tatsächlich aber kann das
Theodizeeproblem auf dem Gebiet der Kosmologie nicht gelöst werden
und bleibt in seiner metaphysischen Fassung naturgemäß eine
unlösbare Frage.
Zwei Argumentationslinien zur
Verantwortlichkeit Gottes für Leiden
Die theologischen Antworten, welche das Christentum im Verlauf
seiner Geschichte zu geben versucht hat, können hier nicht im
einzelnen behandelt werden. Unter dem Eindruck der neuzeitlichen
Religionskritik werden heute zumeist zwei Antworten gegeben. Die
ersteArgumentationsfigur interpretiert die biblische
Schöpfungslehre von der paulinischen Rechtfertigungslehre her. Sie
begreift die Rechtfertigung des Sünders und ihre noch ausstehende
eschatologische Vollendung als die Selbstrechtfertigung des
Schöpfers, welcher den Menschen so geschaffen hat, dass er seine
Freiheit missbrauchen und böse werden konnte. Die zweite
Argumentationsweise reformuliert den Gottesgedanken von der
Christologie her, d.h. kreuzestheologisch. Das ist die Richtung, in
welcher wir selbst im bisherigen Gedankengang einen theologischen
Zugang zum Problem des Leidens gesucht haben. Beide
Argumentationsweisen dürfen für sich beanspruchen, sich vor
billiger Apologetik zu hüten.
Das Theodizeeproblem bleibt dennoch offen
Beide Denkfiguren bringen das Theodizeeproblem freilich nicht zum
Verschwinden, sondern halten es bestenfalls in theologisch
angemessener Weise offen. Der Gedanke der eschatologischen
Selbstrechtfertigung Gottes bedient sich des Argumentes, dass aus
Bösem Gutes entstehen könne. Dieser Satz ist legitim, wenn er als
existentielle Aussage gläubiger Hoffnung formuliert wird. Wenn er
jedoch zu einer theoretisch allgemeingültigen Aussage abgewandelt
wird, läuft er auf die fragwürdige These hinaus, wonach der Zweck
die Mittel heiligt. Gegen diese Behauptung aber lässt sich
einwenden, dass böse Mittel noch so gute Zwecke in ihr Gegenteil
verkehren können. Aber auch die christologische Argumentation, nach
welcher die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz als Teilhabe Gottes am
menschlichen Leiden und die Allmacht Gottes im Sinne der Ohnmacht
der Liebe verstanden werden kann, mündet, wenn sie von ihrer
existentiellen Funktion für den Glauben abgelöst wird, in eine
Aporie. Denn die Deutung der göttlichen Allmacht als Ohnmacht
führt, sofern sie theoretisch abstrakt gedacht wird, entweder zur
sublimeren Form der Verteidigung Gottes vor dem Forum menschlicher
Vernunft oder gar dazu, dass die Theodizee zur gnostischen
Anthropodizee mutiert, wonach es der Mensch ist, welcher den
ohnmächtigen Gott zu erlösen hat, der nicht etwa den Menschen von
dessen Sünden befreien will, sondern das Kreuz auf sich nimmt, um
für seine eigenen Sünden zu büßen, nämlich für die Erschaffung
des Menschen und mit ihr des Bösen und des Leides.
Bei Formulierungen des Problems scheint sich
Gott selbst zu widersprechen
So unabweisbar die Theodizeefrage bleibt, so sehr ist an ihrer
metaphysischen Formulierung Kritik zu üben. Einerseits drängt sie
sich auf Grund existentieller Erfahrungen auf, welche in der Sprache
der christlichen Tradition als Anfechtung zu bezeichnen sind. Die
Anfechtung des christlichen Glaubens besteht nicht einfach darin,
dass er sich menschlichem Widerspruch ausgesetzt sieht. Die tiefste
Anfechtung des Glaubens ist vielmehr darin zu sehen, dass sich Gott
selbst zu widersprechen scheint, der Selbstwiderspruch aber als
Inbegriff des Bösen zu gelten hat, von dem der Gott Jesu Christi
nach dem Zeugnis des Neuen Testaments die Menschen doch gerade
erlösen will. Andererseits kann die Formulierung des
Theodizeeproblems die Funktion einer Entlastungsstrategie annehmen,
mit welcher der Mensch von seiner eigenen Verantwortung abzulenken
und sein Gewissen auf Kosten Gottes zu entlasten versucht. Dies
geschieht freilich um den Preis, dass der Mensch seiner in der
neutestamentlichen Verheißung gründenden Hoffnung auf die
endgültige Überwindung des Bösen und des Leidens beraubt wird.
Gott als Befreier vom Leiden im Neuen Testament
Es gibt aber diese Hoffnung, welche im Glauben an die Gegenwart
Gottes im Kreuzesgeschehen gründet. Und dementsprechend erscheint
Gott im Neuen Testament als derjenige, welcher die Welt von der
Macht des Bösen, des Leidens und des Todes befreit. Diese
Gewissheit hat ihren letzten Halt in der Auferweckung Jesu von den
Toten, durch welche rückwirkend das Leben und Handeln Jesu als
Handeln im Namen Gottes legitimiert wird. Im Zentrum der
Verkündigung und Wirksamkeit Jesu steht die Ansage des kommenden
Gottesreiches. Sie findet sich bereits bei Johannes dem Täufer.
Historisch ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Jesu
Gewissheit der Nähe des Gottesreiches auf Ereignisse
zurückzuführen ist, deren Zeuge er nach seiner Taufe durch
Johannes wurde und die er als aktuelles Handeln Gottes betrachtete,
d.h. als Anbruch der von Johannes angekündigten Gottesherrschaft
interpretierte. Zu denken ist an die Jesus nachgesagten Wundertaten,
d.h. seine Krankenheilungen und Exorzismen, die sich Jesus nach
Darstellung der Evangelien nicht selbst, sondern der heilenden Kraft
Gottes zuschreibt.
Leid als Chance zur Erneuerung
Von der Erfahrung der heilenden Macht Gottes aus erschließt sich
die spezifisch christliche Sicht des Leidens, nämlich nicht als
Strafe Gottes, sondern als Symptom der Gottesferne, welche durch das
Kommen Gottes und sein Eingehen in den Zusammenhang menschlichen
Leidens überwunden wird. Aus der Auferweckung des Gekreuzigten
resultiert die Hoffnung des christlichen Glaubens, dass das Ziel des
göttlichen Welthandelns darin besteht, alle Tränen abzuwischen und
die Welt zu erneuern, so dass weder Tod noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz mehr sein werden.(Vgl. Apk 21,4) Sobald diese Hoffnung
freilich theoretisch konsistent gedacht werden soll, gerät das
Denken des Glaubens in Aporien. Diese lassen sich nicht vermeiden,
sondern können theologisch nur als Gestalt der faktischen
Unerlöstheit der Welt begriffen und vom Glauben lediglich in der
Spannung zwischen Bekenntnis und Welterfahrung ertragen werden.
Der Konnex zum Gebet
Sofern die christliche Theologie im Kreuzestod Jesu ihren Grund
hat, ist sie, mit Karl Rahner gesprochen, "selber gekreuzigte
Theologie und redet nicht nur vom Kreuz"(Zit. nach J. Moltmann,
Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik
christlicher Theologie, München 1981, Seite 72). Gerade um des
christologisch begründeten Glaubens an den unbedingten Heilswillen
Gottes willen besteht zwischen der christlichen Theologie und dem
neuzeitlichen Protest-Atheismus eine innere Affinität, insofern sie
sich weigert, den Zusammenhang der unbegreiflichen Verborgenheit
Gottes, für welche die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz
paradigmatisch ist, mit seiner Zusage, dass er das Leben und nicht
den Tod des Sünders will, als gedanklich schlüssig zu erweisen, um
Gott auf diese Weise im Denken zu rechtfertigen. Nicht der Versuch
einer theoretischen Lösung des Theodizeeproblems, sondern das
Gebet, genauer gesagt die Klage, und das mit den Leidenden
solidarische Handeln sind die angemessene Weise, der Anfechtung
durch die Verborgenheit Gottes standzuhalten. Beide, das Gebet wie
das Handeln aus dem Glauben, sind wechselseitig auf einander
angewiesen. Ohne den tätigen Glauben wird das Gebet unglaubwürdig,
ohne das Gebet wird der tätige Glaube seiner Sprachmöglichkeiten
beraubt und muss im Leiden verstummen. Das Gebet, und sei es nur in
Gestalt der Klage oder eines verzweifelten Schreis, vermag dem
Leiden Sprache und somit selbst noch in seiner Negation einen Sinn
zu verleihen, derart, dass es vor Gott gebracht und seiner Hilfe
anheimgestellt wird.
Christlicher Weg führt nicht notwendigerweise
weg vom Leiden
Vom Kreuz Christi her begreift der christliche Glaube das Leiden
freilich nicht nur als bloßen Widerspruch zum unversehrten Leben,
zu welchem der Mensch bestimmt ist. Im Licht des Kreuzestodes Jesu
erscheint es unter Umständen als eine Gestalt des Lebens, die es zu
bejahen und zu ertragen gilt. Der christliche Glaube ist nicht als
ein heilsegoistischer Weg zur Befreiung von jeglichem Leiden zu
verstehen, sondern er führt seinerseits in eine spezifische Weise
des Leidens. Das christliche Leben aus dem Glauben wird im Neuen
Testament als Nachfolge Christi bestimmt. Wie Gott an den Leiden
Christi und somit an den Leiden der Welt teilhat, so gewinnen
umgekehrt die an Christus Glaubenden Anteil an den Leiden Christi.
Worin genau die Leidensbereitschaft des christlichen Glaubens
besteht, ist nun eigens zu bedenken.
Leiden als Form von Liebe und Hoffnung
Das Leiden ist als eine Gestalt der Liebe und der Hoffnung zu
bestimmen. Die Liebe leidet nicht um ihrer selbst, sondern um des
anderen willen. Das Leiden der Liebe ist darum Mitleid, und zwar
tätiges Mitleiden. Zur Liebe aber gehört die Hoffnung, welche
ausgerichtet ist auf das, was noch nicht ist, sondern erst noch
werden muss. Aller Hoffnung liegt darum die Erfahrung des Mangels
zugrunde, den die Hoffnung antizipierend überwindet, zugleich aber
ins Bewusstsein hebt. So ist auch die Hoffnung, welche nicht für
sich selbst, sondern für den anderen hofft, eine Gestalt des
Mitleids. Mitleid in diesem theologisch qualifizierten Sinne ist nun
aber von einer masochistischen Leidenssucht zu unterscheiden. Es
wird auch nicht aus der Angst geboren, sondern aus der befreienden
und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden. Mitleid in dem
christlichen Sinne, dass es sich um die Teilhabe an den Leiden
Christi handelt, gewinnt seine Gestalt in der verantwortlichen Tat,
welche in Freiheit den rechten Augenblick ergreift und nicht davor
zurückschreckt, sich möglichen Gefahren zu stellen.
Kein passives Leidensverständnis
Die christliche Leidensbereitschaft darf also nicht einfach mit
Passivität oder Quietismus verwechselt werden. Eine verantwortliche
Aktivität kann ihr unter Umständen viel eher entsprechen als
Schicksalsergebenheit. "Tatenloses Abwarten und stumpfes
Zuschauen sind keine christlichen Haltungen." So notiert
Bonhoeffer 1943 in einer Bilanz nach zehn Jahren
nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.(D. Bonhoeffer, Widerstand
und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. E,
Bethge, Neuausgabe München 1985, Seite 24) Zugleich
warnt er freilich vor einer religiösen Überhöhung christlich
motivierten Mitleids: "Wir sind gewiss nicht Christus und nicht
berufen, durch eigene Tat und eigenes Leiden die Welt zu erlösen,
wir sollen uns nicht Unmögliches aufbürden und uns damit quälen,
dass wir es nicht tragen können, wir sind nicht Herren, sondern
Werkzeuge in der Hand des Herrn der Geschichte, wir können das
Leiden anderer Menschen nur in ganz begrenztem Maße wirklich
mitleiden." (D. Bonhoeffer, Seite 23f) Christlich motiviertes
Mitleid hat die schwierige Gratwanderung zwischen dem Widerstand
gegen das Leiden und der Ergebung ins Leiden zu vollziehen. Solche
Handlungs- und Lebensweise orientiert sich wiederum an dem Lebensweg
Jesu von Nazaret, der keineswegs als leidenssüchtiger Mensch
beurteilt werden kann. Er entzog sich durchaus dem Leiden, freilich
nicht aus Feigheit oder Egoismus, sondern nur solange, bis seine
Stunde gekommen war, um ihm dann allerdings in Freiheit
entgegenzugehen, es auf sich zu nehmen und so zu überwinden.
Wechselspiel zwischen Widerstand und Ergebung
Die spannungsvolle Dialektik von Widerstand und Ergebung
gegenüber dem Leiden ist die Konsequenz des Glaubens, der sich von
Gott selbst dazu herausgefordert weiß, in der Welt ohne ihn zu
leben; die Praxis des christlichen Glaubens, welcher der Nähe des
Gottes gewiss ist, der uns dauernd verlässt und in seiner
Verborgenheit als Abwesender anwesend ist. Dabei kann sowohl der
Widerstand als auch die Ergebung eine Quelle des Leidens sein.
Bonhoeffer, der bereits mehrfach zu Wort gekommen ist, hat hierzu
ausgeführt: "Ich habe mir [...] oft Gedanken darüber gemacht,
wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das ‚Schicksal‘
und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. Der Don Quichote ist das
Symbol für die Fortsetzung des Widerstandes bis zum Widersinn, ja
zum Wahnsinn - ähnlich Michael Kohlhaas, der über der Forderung
nach seinem Recht zum Schuldigen wird ... der Widerstand
verflüchtigt sich ins Theoretisch-Phantastische; der Sancho Pansa
ist der Repräsentant des satten und schlauen Sichabfindens mit dem
Gegebenen.
Handlungsspielraum zwischen Schicksal und
Führung
Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich
unternehmen und doch zugleich das Selbstverständlich- und
Allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem ‚Schicksal‘ - ich
finde das ‚Neutrum‘ dieses Begriffes wichtig - ebenso
entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit
unterwerfen. Von ‚Führung‘ kann man erst jenseits dieses
zweifachen Vorgangs sprechen. Gott begegnet uns nicht nur als Du,
sondern auch ‚vermummt' im ‚Es‘, und in meiner Frage geht es
also im Grunde darum, wie wir in diesem `Es`(`Schicksal`) das ‚Du‘
finden, oder mit anderen Worten, wie aus dem ‚Schicksal‘
wirklich ‚Führung‘ wird. Die Grenzen zwischen Widerstand und
Ergebung sind also prinzipiell nicht zu bestimmen; aber es muss
beides da sein und beides mit Entschlossenheit ergriffen werden. Der
Glaube fordert dieses bewegliche Handeln. Nur so können wir die
jeweilige gegenwärtige Situation durchhalten und fruchtbar
machen."(D. Bonhoeffer, Seite 244)
Die Gewissheit von der Nähe Gottes gibt Kraft
Die Kraft zu solch einem beweglichen Handeln gewinnt der Glaube
aber aus der Gewissheit der verborgenen Nähe Gottes, welche in der
neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu gründet. In solcher
Gewissheit haben auch jene Aussagen, mit welchen der christliche
Glaube auf das Theodizeeproblem antwortet, ihren einzig legitimen
Ort. Die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung und dem Sinn
menschlichen Leidens kann nicht theoretisch, sondern letztlich nur
durch den Einsatz des eigenen Lebens gegeben werden. Die
Theodizeeproblematik krankt daran, dass sie - wie alle Metaphysik -
vergeblich nach theoretischen Letztbegründungen sucht. "Wenn
es überhaupt letzte Gründe gibt, dann im Handeln, nicht aber im
Denken. Denn handeln" - so gibt der evangelische Theologe
Dalferth zu bedenken - "müssen wir alle, denken aber -
jedenfalls in nur einer bestimmten Weise - muss niemand, und weil
wir immer weiter und anders denken können, ohne zum Handeln zu
kommen, ersetzt oder erübrigt kein Gedanke das Handeln. Letzter
Grund ist daher kein theoretisches Grundprinzip, sondern immer nur
diejenige Einsicht, die unser Handeln praktisch bestimmt."
(I.U. Dalferth, Subjektivität und Glaube. Zur Problematik
der theologischen Verwendung einer philosophischen Kategorie, NZSTh
36, 1994, Seite 49)
Das Gottvertrauen ist berechtigt
Die Einsicht, welche aus der biblischen Deutung des Todes Jesu zu
gewinnen ist und das Handeln des christlichen Glaubens praktisch
bestimmt, hat Bonhoeffer in einige Glaubenssätze über das Walten
Gottes in der Geschichte gefasst: "Ich glaube, dass Gott aus
allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen
lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel
Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie
nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein
auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der
Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und
Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer
fällt, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen
Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern
dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und
antwortet." (Bonhoeffer, Seite 20 f)
Ursprung und Sinn des Leidens
Unter der Prämisse eines monotheistischen Gottesbildes und
Gottesbegriffs mündet die Frage nach Ursprung und Sinn des Leidens
mit innerer Notwendigkeit in das Problem der Theodizee, in die Frage
also, inwieweit der jeweils verehrte Gott selbst für genau jenes
Leiden verantwortlich zu machen ist, von welchem er die Menschen
erlösen will. Die klassische Formulierung des Theodizeeproblems
findet sich bei Laktanz, der drei Möglichkeiten aufzählt, die alle
aporetisch sind: "Entweder will Gott das Böse aus der Welt
nicht entfernen und kann es nicht, oder er kann es und will es
nicht, oder endlich will und kann er es. Will er es und kann es
nicht, so ist das ein Unvermögen, was dem Wesen Gottes
widerspricht; kann er es und will es nicht, so ist es Bosheit, die
seiner Natur nicht minder widerspricht; will er es nicht und kann es
auch nicht, so ist es Bosheit und Unvermögen zugleich; will er es
aber und kann es auch (was der einzige von allen Fällen ist, der
dem Wesen der Gottheit entspricht): woher kommt dann das Böse auf
Erden?" (Laktanz, De ira Dei 13,20; vgl. auch Epikur, Von der
Überwindung der Furcht, eingeleitet und übersetzt von O. Gigon,
Zürich 1949, Seite 10)
Abgrenzung zwischen dem Leid und dem Bösen
Nun ist zunächst hinsichtlich des Leidens und des Bösen eine
begriffliche Differenzierung erforderlich. Das Böse ist von Haus
aus ein moralisches Phänomen und hat seinen Sitz im menschlichen
Wollen und Handeln. Die christliche Tradition spricht - wie die
jüdische - in diesem Zusammenhang von der Sünde, welche als Abkehr
des Menschen von Gott, seinem Schöpfer, zu bestimmen ist. Davon zu
unterscheiden sind die natürlichen Übel wie Krankheit, Unglück
und Tod. Allerdings lassen sich diese in der christlichen Tradition
als physische Übel bezeichneten Leidenserfahrungen nicht vom
Phänomen des moralisch Bösen völlig trennen. Denn es gibt
selbstverschuldetes Leiden und solches, welches Menschen oder Tieren
von anderen Menschen schuldhaft zugefügt wird. Namentlich die
Weisheitstradition Israels hat selbst dort einen schuldhaften und
insofern moralisch zu rechtfertigenden Zusammenhang zwischen
menschlichem Leiden und menschlicher Schuld herzustellen versucht,
wo dieser nicht sogleich auf der Hand liegt.
Leiden ist nicht nur selbstverschuldet
Es entspricht einem in der Religionsgeschichte weit verbreiteten
Denken, mittels eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs menschliches Leiden
einschließlich des Todes als Folge der Sünde bzw. als gerechte
Strafe Gottes für menschliche Verfehlungen zu deuten, wobei diese
Strafe sowohl der Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes als auch der
Läuterung des Menschen dienen kann. Das Hiobbuch zeigt freilich,
dass es menschliches Leiden gibt, welches mit einem solchen Denken
nicht gerechtfertigt werden kann, unschuldiges Leiden, hinter
welchem eine geheime Schuld zu vermuten blanker Zynismus wäre. Die
Frage nach dem Ursprung und Sinn solchen Leidens ist folglich
unabweisbar. Ihren Ernst gewinnt sie freilich nur dann, wenn sie als
existentielle, d.h. aber als religiöse Frage gestellt und nicht als
ein bloßes Gedankenexperiment durchgespielt wird. Die neuzeitliche
Fassung des Theodizeeproblems als philosophisch-metaphysische Frage
versucht demgegenüber, "die unüberschaubare Welt
überschaubar zu machen und eine religiöse, d.h. nur in der
Subjektivität des Glaubens zu überwindende Not in eine
weltanschaulich lösbare Fragestellung zu verwandeln" (W.
Trillhaas, Art. Theodizee III. Systematisch, RGG3 VI,
Tübingen 1962, Seite 746). Tatsächlich aber kann das
Theodizeeproblem auf dem Gebiet der Kosmologie nicht gelöst werden
und bleibt in seiner metaphysischen Fassung naturgemäß eine
unlösbare Frage.
Zwei Argumentationslinien zur
Verantwortlichkeit Gottes für Leiden
Die theologischen Antworten, welche das Christentum im Verlauf
seiner Geschichte zu geben versucht hat, können hier nicht im
einzelnen behandelt werden. Unter dem Eindruck der neuzeitlichen
Religionskritik werden heute zumeist zwei Antworten gegeben. Die
erste Argumentationsfigur interpretiert die biblische
Schöpfungslehre von der paulinischen Rechtfertigungslehre her. Sie
begreift die Rechtfertigung des Sünders und ihre noch ausstehende
eschatologische Vollendung als die Selbstrechtfertigung des
Schöpfers, welcher den Menschen so geschaffen hat, dass er seine
Freiheit missbrauchen und böse werden konnte. Die zweite
Argumentationsweise reformuliert den Gottesgedanken von der
Christologie her, d.h. kreuzestheologisch. Das ist die Richtung, in
welcher wir selbst im bisherigen Gedankengang einen theologischen
Zugang zum Problem des Leidens gesucht haben. Beide
Argumentationsweisen dürfen für sich beanspruchen, sich vor
billiger Apologetik zu hüten.
Das Theodizeeproblem bleibt dennoch offen
Beide Denkfiguren bringen das Theodizeeproblem freilich nicht zum
Verschwinden, sondern halten es bestenfalls in theologisch
angemessener Weise offen. Der Gedanke der eschatologischen
Selbstrechtfertigung Gottes bedient sich des Argumentes, dass aus
Bösem Gutes entstehen könne. Dieser Satz ist legitim, wenn er als
existentielle Aussage gläubiger Hoffnung formuliert wird. Wenn er
jedoch zu einer theoretisch allgemeingültigen Aussage abgewandelt
wird, läuft er auf die fragwürdige These hinaus, wonach der Zweck
die Mittel heiligt. Gegen diese Behauptung aber lässt sich
einwenden, dass böse Mittel noch so gute Zwecke in ihr Gegenteil
verkehren können. Aber auch die christologische Argumentation, nach
welcher die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz als Teilhabe Gottes am
menschlichen Leiden und die Allmacht Gottes im Sinne der Ohnmacht
der Liebe verstanden werden kann, mündet, wenn sie von ihrer
existentiellen Funktion für den Glauben abgelöst wird, in eine
Aporie. Denn die Deutung der göttlichen Allmacht als Ohnmacht
führt, sofern sie theoretisch abstrakt gedacht wird, entweder zur
sublimeren Form der Verteidigung Gottes vor dem Forum menschlicher
Vernunft oder gar dazu, dass die Theodizee zur gnostischen
Anthropodizee mutiert, wonach es der Mensch ist, welcher den
ohnmächtigen Gott zu erlösen hat, der nicht etwa den Menschen von
dessen Sünden befreien will, sondern das Kreuz auf sich nimmt, um
für seine eigenen Sünden zu büßen, nämlich für die Erschaffung
des Menschen und mit ihr des Bösen und des Leides.
Bei Formulierungen des Problems scheint sich
Gott selbst zu widersprechen
So unabweisbar die Theodizeefrage bleibt, so sehr ist an ihrer
metaphysischen Formulierung Kritik zu üben. Einerseits drängt sie
sich auf Grund existentieller Erfahrungen auf, welche in der Sprache
der christlichen Tradition als Anfechtung zu bezeichnen sind. Die
Anfechtung des christlichen Glaubens besteht nicht einfach darin,
dass er sich menschlichem Widerspruch ausgesetzt sieht. Die tiefste
Anfechtung des Glaubens ist vielmehr darin zu sehen, dass sich Gott
selbst zu widersprechen scheint, der Selbstwiderspruch aber als
Inbegriff des Bösen zu gelten hat, von dem der Gott Jesu Christi
nach dem Zeugnis des Neuen Testaments die Menschen doch gerade
erlösen will. Andererseits kann die Formulierung des
Theodizeeproblems die Funktion einer Entlastungsstrategie annehmen,
mit welcher der Mensch von seiner eigenen Verantwortung abzulenken
und sein Gewissen auf Kosten Gottes zu entlasten versucht. Dies
geschieht freilich um den Preis, dass der Mensch seiner in der
neutestamentlichen Verheißung gründenden Hoffnung auf die
endgültige Überwindung des Bösen und des Leidens beraubt wird.
Gott als Befreier vom Leiden im Neuen Testament
Es gibt aber diese Hoffnung, welche im Glauben an die Gegenwart
Gottes im Kreuzesgeschehen gründet. Und dementsprechend erscheint
Gott im Neuen Testament als derjenige, welcher die Welt von der
Macht des Bösen, des Leidens und des Todes befreit. Diese
Gewissheit hat ihren letzten Halt in der Auferweckung Jesu von den
Toten, durch welche rückwirkend das Leben und Handeln Jesu als
Handeln im Namen Gottes legitimiert wird. Im Zentrum der
Verkündigung und Wirksamkeit Jesu steht die Ansage des kommenden
Gottesreiches. Sie findet sich bereits bei Johannes dem Täufer.
Historisch ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Jesu
Gewissheit der Nähe des Gottesreiches auf Ereignisse
zurückzuführen ist, deren Zeuge er nach seiner Taufe durch
Johannes wurde und die er als aktuelles Handeln Gottes betrachtete,
d.h. als Anbruch der von Johannes angekündigten Gottesherrschaft
interpretierte. Zu denken ist an die Jesus nachgesagten Wundertaten,
d.h. seine Krankenheilungen und Exorzismen, die sich Jesus nach
Darstellung der Evangelien nicht selbst, sondern der heilenden Kraft
Gottes zuschreibt.
Leid als Chance zur Erneuerung
Von der Erfahrung der heilenden Macht Gottes aus erschließt sich
die spezifisch christliche Sicht des Leidens, nämlich nicht als
Strafe Gottes, sondern als Symptom der Gottesferne, welche durch das
Kommen Gottes und sein Eingehen in den Zusammenhang menschlichen
Leidens überwunden wird. Aus der Auferweckung des Gekreuzigten
resultiert die Hoffnung des christlichen Glaubens, dass das Ziel des
göttlichen Welthandelns darin besteht, alle Tränen abzuwischen und
die Welt zu erneuern, so dass weder Tod noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz mehr sein werden. (Vgl. Apk 21,4) Sobald diese Hoffnung
freilich theoretisch konsistent gedacht werden soll, gerät das
Denken des Glaubens in Aporien. Diese lassen sich nicht vermeiden,
sondern können theologisch nur als Gestalt der faktischen
Unerlöstheit der Welt begriffen und vom Glauben lediglich in der
Spannung zwischen Bekenntnis und Welterfahrung ertragen werden.
Der Konnex zum Gebet
Sofern die christliche Theologie im Kreuzestod Jesu ihren Grund
hat, ist sie, mit Karl Rahner gesprochen, "selber gekreuzigte
Theologie und redet nicht nur vom Kreuz" (Zit. nach J. Moltmann,
Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik
christlicher Theologie, München 1981, Seite 72). Gerade um des
christologisch begründeten Glaubens an den unbedingten Heilswillen
Gottes willen besteht zwischen der christlichen Theologie und dem
neuzeitlichen Protest-Atheismus eine innere Affinität, insofern sie
sich weigert, den Zusammenhang der unbegreiflichen Verborgenheit
Gottes, für welche die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz
paradigmatisch ist, mit seiner Zusage, dass er das Leben und nicht
den Tod des Sünders will, als gedanklich schlüssig zu erweisen, um
Gott auf diese Weise im Denken zu rechtfertigen. Nicht der Versuch
einer theoretischen Lösung des Theodizeeproblems, sondern das
Gebet, genauer gesagt die Klage, und das mit den Leidenden
solidarische Handeln sind die angemessene Weise, der Anfechtung
durch die Verborgenheit Gottes standzuhalten. Beide, das Gebet wie
das Handeln aus dem Glauben, sind wechselseitig auf einander
angewiesen. Ohne den tätigen Glauben wird das Gebet unglaubwürdig,
ohne das Gebet wird der tätige Glaube seiner Sprachmöglichkeiten
beraubt und muss im Leiden verstummen. Das Gebet, und sei es nur in
Gestalt der Klage oder eines verzweifelten Schreis, vermag dem
Leiden Sprache und somit selbst noch in seiner Negation einen Sinn
zu verleihen, derart, dass es vor Gott gebracht und seiner Hilfe
anheimgestellt wird.
Christlicher Weg führt nicht notwendigerweise
weg vom Leiden
Vom Kreuz Christi her begreift der christliche Glaube das Leiden
freilich nicht nur als bloßen Widerspruch zum unversehrten Leben,
zu welchem der Mensch bestimmt ist. Im Licht des Kreuzestodes Jesu
erscheint es unter Umständen als eine Gestalt des Lebens, die es zu
bejahen und zu ertragen gilt. Der christliche Glaube ist nicht als
ein heilsegoistischer Weg zur Befreiung von jeglichem Leiden zu
verstehen, sondern er führt seinerseits in eine spezifische Weise
des Leidens. Das christliche Leben aus dem Glauben wird im Neuen
Testament als Nachfolge Christi bestimmt. Wie Gott an den Leiden
Christi und somit an den Leiden der Welt teilhat, so gewinnen
umgekehrt die an Christus Glaubenden Anteil an den Leiden Christi.
Worin genau die Leidensbereitschaft des christlichen Glaubens
besteht, ist nun eigens zu bedenken.
Leiden als Form von Liebe und Hoffnung
Das Leiden ist als eine Gestalt der Liebe und der Hoffnung zu
bestimmen. Die Liebe leidet nicht um ihrer selbst, sondern um des
anderen willen. Das Leiden der Liebe ist darum Mitleid, und zwar
tätiges Mitleiden. Zur Liebe aber gehört die Hoffnung, welche
ausgerichtet ist auf das, was noch nicht ist, sondern erst noch
werden muss. Aller Hoffnung liegt darum die Erfahrung des Mangels
zugrunde, den die Hoffnung antizipierend überwindet, zugleich aber
ins Bewusstsein hebt. So ist auch die Hoffnung, welche nicht für
sich selbst, sondern für den anderen hofft, eine Gestalt des
Mitleids. Mitleid in diesem theologisch qualifizierten Sinne ist nun
aber von einer masochistischen Leidenssucht zu unterscheiden. Es
wird auch nicht aus der Angst geboren, sondern aus der befreienden
und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden. Mitleid in dem
christlichen Sinne, dass es sich um die Teilhabe an den Leiden
Christi handelt, gewinnt seine Gestalt in der verantwortlichen Tat,
welche in Freiheit den rechten Augenblick ergreift und nicht davor
zurückschreckt, sich möglichen Gefahren zu stellen.
Kein passives Leidensverständnis
Die christliche Leidensbereitschaft darf also nicht einfach mit
Passivität oder Quietismus verwechselt werden. Eine verantwortliche
Aktivität kann ihr unter Umständen viel eher entsprechen als
Schicksalsergebenheit. "Tatenloses Abwarten und stumpfes
Zuschauen sind keine christlichen Haltungen." So notiert
Bonhoeffer 1943 in einer Bilanz nach zehn Jahren
nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. (D. Bonhoeffer, Widerstand
und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. E,
Bethge, Neuausgabe München 1985, Seite 24) Zugleich
warnt er freilich vor einer religiösen Überhöhung christlich
motivierten Mitleids: "Wir sind gewiss nicht Christus und nicht
berufen, durch eigene Tat und eigenes Leiden die Welt zu erlösen,
wir sollen uns nicht Unmögliches aufbürden und uns damit quälen,
dass wir es nicht tragen können, wir sind nicht Herren, sondern
Werkzeuge in der Hand des Herrn der Geschichte, wir können das
Leiden anderer Menschen nur in ganz begrenztem Maße wirklich
mitleiden." ( D. Bonhoeffer, Seite 23f) Christlich motiviertes
Mitleid hat die schwierige Gratwanderung zwischen dem Widerstand
gegen das Leiden und der Ergebung ins Leiden zu vollziehen. Solche
Handlungs- und Lebensweise orientiert sich wiederum an dem Lebensweg
Jesu von Nazaret, der keineswegs als leidenssüchtiger Mensch
beurteilt werden kann. Er entzog sich durchaus dem Leiden, freilich
nicht aus Feigheit oder Egoismus, sondern nur solange, bis seine
Stunde gekommen war, um ihm dann allerdings in Freiheit
entgegenzugehen, es auf sich zu nehmen und so zu überwinden.
Wechselspiel zwischen Widerstand und Ergebung
Die spannungsvolle Dialektik von Widerstand und Ergebung
gegenüber dem Leiden ist die Konsequenz des Glaubens, der sich von
Gott selbst dazu herausgefordert weiß, in der Welt ohne ihn zu
leben; die Praxis des christlichen Glaubens, welcher der Nähe des
Gottes gewiss ist, der uns dauernd verlässt und in seiner
Verborgenheit als Abwesender anwesend ist. Dabei kann sowohl der
Widerstand als auch die Ergebung eine Quelle des Leidens sein.
Bonhoeffer, der bereits mehrfach zu Wort gekommen ist, hat hierzu
ausgeführt: "Ich habe mir [...] oft Gedanken darüber gemacht,
wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das ‚Schicksal‘
und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. Der Don Quichote ist das
Symbol für die Fortsetzung des Widerstandes bis zum Widersinn, ja
zum Wahnsinn - ähnlich Michael Kohlhaas, der über der Forderung
nach seinem Recht zum Schuldigen wird ... der Widerstand
verflüchtigt sich ins Theoretisch-Phantastische; der Sancho Pansa
ist der Repräsentant des satten und schlauen Sichabfindens mit dem
Gegebenen.
Handlungsspielraum zwischen Schicksal und
Führung
Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich
unternehmen und doch zugleich das Selbstverständlich- und
Allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem ‚Schicksal‘ - ich
finde das ‚Neutrum‘ dieses Begriffes wichtig - ebenso
entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit
unterwerfen. Von ‚Führung‘ kann man erst jenseits dieses
zweifachen Vorgangs sprechen. Gott begegnet uns nicht nur als Du,
sondern auch ‚vermummt' im ‚Es‘, und in meiner Frage geht es
also im Grunde darum, wie wir in diesem 'Es'('Schicksal') das ‚Du‘
finden, oder mit anderen Worten, wie aus dem ‚Schicksal‘
wirklich ‚Führung‘ wird. Die Grenzen zwischen Widerstand und
Ergebung sind also prinzipiell nicht zu bestimmen; aber es muss
beides da sein und beides mit Entschlossenheit ergriffen werden. Der
Glaube fordert dieses bewegliche Handeln. Nur so können wir die
jeweilige gegenwärtige Situation durchhalten und fruchtbar
machen." (D. Bonhoeffer, Seite 244)
Die Gewissheit von der Nähe Gottes gibt Kraft
Die Kraft zu solch einem beweglichen Handeln gewinnt der Glaube
aber aus der Gewissheit der verborgenen Nähe Gottes, welche in der
neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu gründet. In solcher
Gewissheit haben auch jene Aussagen, mit welchen der christliche
Glaube auf das Theodizeeproblem antwortet, ihren einzig legitimen
Ort. Die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung und dem Sinn
menschlichen Leidens kann nicht theoretisch, sondern letztlich nur
durch den Einsatz des eigenen Lebens gegeben werden. Die
Theodizeeproblematik krankt daran, dass sie - wie alle Metaphysik -
vergeblich nach theoretischen Letztbegründungen sucht. "Wenn
es überhaupt letzte Gründe gibt, dann im Handeln, nicht aber im
Denken. Denn handeln" - so gibt der evangelische Theologe
Dalferth zu bedenken - "müssen wir alle, denken aber -
jedenfalls in nur einer bestimmten Weise - muss niemand, und weil
wir immer weiter und anders denken können, ohne zum Handeln zu
kommen, ersetzt oder erübrigt kein Gedanke das Handeln. Letzter
Grund ist daher kein theoretisches Grundprinzip, sondern immer nur
diejenige Einsicht, die unser Handeln praktisch bestimmt."
(I.U. Dalferth, Subjektivität und Glaube. Zur Problematik
der theologischen Verwendung einer philosophischen Kategorie, NZSTh
36, 1994, Seite 49)
Das Gottvertrauen ist berechtigt
Die Einsicht, welche aus der biblischen Deutung des Todes Jesu zu
gewinnen ist und das Handeln des christlichen Glaubens praktisch
bestimmt, hat Bonhoeffer in einige Glaubenssätze über das Walten
Gottes in der Geschichte gefasst: "Ich glaube, dass Gott aus
allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen
lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel
Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie
nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein
auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der
Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und
Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer
fällt, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen
Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern
dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und
antwortet." (Bonhoeffer, Seite 2)
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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