Elemente monotheistischer Gotteserfahrung
Den Ort der Gottesfrage sieht man in der Moderne vielfach im
Feld kosmologischer Theorien. Biblisch erscheint die Schöpfung im
Horizont von "Bund", d.h. als Berufung in ein personales
Verhältnis. Damit sind
Welt und Natur nicht ausgeschlossen. Sie bilden jedoch nicht den
überzeitlichen Rahmen von Menschengeschichten, sondern werden
einbezogen in die Freiheits-Geschichte zwischen dem rufenden Gott
und dem aus dem Nichts gerufenen "Hörer des Wortes". In
diesem Beitrag werden Spezifika der christlichen Glaubenssicht
artikuliert, um sie für die Begegnung mit asiatischen Konzepten
fruchtbar zu machen.
Es gibt ein Verständnis des Redens von Gott, welches dies und
Religion überhaupt unter den Weltanschauungen einreiht: als eine
Welterklärung unter anderen. Danach ist es dem Menschen vor allem
um kosmische Theorien zu tun, um Hypothesen-Systeme. Die gab es
mythisch, so in den Vorstellungen von kosmogonischem Eros; es gibt
sie in den großen Natur-Religionen. Westlich-neuzeitlich bietet die
Wissenschaft sie, vor allem die Physik; heute wollen Biologen diesen
"Paradigma"-platz besetzen. Entscheidend hierbei ist der
Wille zu "objektiver" Erkenntnis: alles so zu sehen, wie
es "an sich" ist; ohne jedes Hinein-Spiegeln dessen,
"für den" es da ist. - Das schien in der neuzeitlichen
Wissenschaft gelungen: bei ihren Messungen war es gleich(gültig),
wer sie vornahm. - Bis der mikrophysikalische Schock offenbarte,
dass das Subjekt im Spiel bleibt. Objektivität =
Gegenständlichkeit gibt es unweigerlich nur für das/den, dem dies
entgegensteht (oder [,obicio`] -geworfen ist).
Konstruktivismus: Alles ist subjektiv
konstruiert
Die Reaktion auf diesen Schock ist der Konstruktivismus, wonach
"alles nur subjektiv", von uns konstruiert sei. Der Mensch
und jeder einzelne in sich gefangen, ohne Ausweg. Jede
"Erkenntnis", bei ihm selbst begonnen bis zu
Weltentwürfen und Gottesvorstellungen, zeige einzig die ihm eigene
Perspektive. Allgemeingültige Wahrheit(s-Erkenntnis) gebe es nicht.
In diese Heillosigkeit trifft nun die Verheißung der großen
östlichen Religionen, das verlorene Ich erlösend in das große
Eine aufzulösen. Wo dies geschehe, sei dann alle Unwahrheit
verschwunden - in "die Fülle des Nichts".
Der Wert der eigenen Erfahrung
Gänzlich anders stellt sich alles dar, wenn wir nicht fraglos
dies theoretische Verständnis zum Ausgangspunkt nehmen, sondern die
Erfahrung, persönlich angesprochen und beansprucht zu sein. Dies
ist der Einsatz der Bibel und ihrer drei Religionen. Als
Nicht-Theologe beginne ich nicht bei ihr selbst. Man kann das
bedauern; doch hat es den Vorteil, dass niemand sich auf den Boden
der Schrift stellen muss, um weiter mitzudenken. Nicht einmal
religiöser Erfahrung bedarf es; nur dessen, was wir beieinander
stets vorauszusetzen haben: nämlich Gewissenhaftigkeit, moralisches
Bewusstsein. Dies nun philosophisch; d.h. es geht um
Gewissenserfahrung "als solche". Das meint zweierlei: das
ganze "Objekt" soll in Betracht genommen werden, nicht
bloß bestimmte Seiten daran; und die Betrachtung ihrerseits soll
dieser Ganzheit entsprechen. Unser Bedenken des Gewissens (als
Gewissen) muss selbst (reflektiert) gewissenhaft sein. Niemand also
wird "als (Natur-) wissenschaftler" angesprochen, jeder
als Mensch, als Person: als er selbst. (Nur so nämlich hat er, auch
in Beruf und Wissenschaft, Gewissen.) Klar sein dürfte, dass es
nicht um Gefühle, um Emotion geht. Die dürfen nicht fehlen; aber
sie bilden nicht die Mitte des Personalen. Sie heißt in der Bibel -
und auch später, über Augustinus noch bis B. Pascal - das Herz. Es
ist ebenso wenig gefühlig zu nehmen. Es meint mich und dich
"als solche", inseits aller Rollen und Positionen, einen
jeden als ihn selbst.
Besinnung auf eigene Gewissenserfahrung
Jede(r) ist gebeten, sich auf eine persönliche
Gewissens-Erfahrung zu besinnen. Da heißt nicht auf eine Situation
des Urteils über jemand anderen, ob politisch oder im privaten
Umkreis, sondern auf das schmerzliche Betroffensein durch eigene
Schuld. Und keine eindrucksvoll große - hier haben Entschuldigungen
zumeist recht-, sondern eine (im Doppelsinn) gewöhnliche
"Gemeinheit": nur allzumenschlich, aber im Kern auch uns
selbst nicht verständlich. Weshalb der Reuige nach "Was hab
ich getan!" - sich fragt: "Wer bin ich, dass ich solches
tun konnte!" Dieser konkrete Einstieg erübrigt Dispute über
phylo- wie ontogenetischen Nonnenerwerb, "Überich",
"Gen-Egoismus", Kultur-Differenzen, "gesundes
Eigeninteresse" und so fort. Denn unbestreitbar zeigt er die
Gutheit und das Sein-sollen des Guten, die Verwerflichkeit und das
schlechthinnige Nicht-Sein-Sollen von Lieblosigkeit. Bestimmen wir
diese Erfahrung genauer.
Es geht darum, was gewollt werden soll
Es geht a) um Einsicht, um Vernunft-Erfahrung. Dies gegen alle
Spielarten des Dezisionismus, heute so verbreitet, weil man Vernunft
"wissenschaftlich" auf konstatierende Rationalität
reduziert und diese dann für das Ästhetische, Ethische und
Religiöse nur "emotional" zu ergänzen vermag. Diese
Einsicht ist b) dennoch nichtrein objektiv theoretisch; vielmehr
lässt man sich - in praktischer Vernunft ergreifen: nicht durch ein
Gefühl, sondern von einem Anspruch. Dies gegen den Intuitionismus
und alle Formen des Rationalismus, für welche Sittlichkeit zuletzt
aus der Erkenntnis der Zuträglichkeit (oder auch Unabdingbarkeit)
des Guten entspringt. - Beide Momente: Einsichtigkeit des Gesollten
und Unbedingtheit des Gesollt-seins, ohne dass eins auf das andere
zurückzuführen wäre, bilden die einzigartige Gegebenheit der
sittlichen Erfahrung. Statt bloß um das, was man will (sei es auch
"eigentlich" oder "im Grunde"), geht es darum,
was gewollt werden soll. Philosophen wie geistliche Lehrer von
Platon bis F'ichte, von den biblischen Autoren bis H. U. v.
Balthasar, haben zum Bildwort des Lichtes gegriffen, um die
einleuchtende Selbstverständlichkeit des Gesollten und zugleich das
Selbstgerechtfertigtsein, die Hoheitlichkeit des Du-sollst
auszudrücken. Wer wirklich gut = sittlich handelt, verhält sich
eben nicht bloß klug (gar klüglich). Er "gibt der Wahrheit
die Ehre" und sucht der "Herrlichkeit" des Guten zu
entsprechen.
Die Rolle der Innenansicht
Bewusst habe ich mich auf eine solche Erfahrung bezogen. Leichter
fiele uns die Erinnerung daran, dass uns Unrecht geschah. Dies macht
übrigens die Eigen-Qualität des Sittlichen selbst Leugnern klar.
Ärger, Wut, weil jemand stärker, glücklicher, erfolgreicher war
als man selbst, unterscheiden sich deutlich von unserem Zorn und
Protest, wenn hierbei Ungerechtigkeit oder Betrug im Spiel war. Doch
fehlt hierbei die "Innenansicht" sowohl der Schuld (wir
schauen dem anderen nicht ins Herz) als auch von Recht und
"Herrlichkeit" des Guten, dem der Reuige die Ehre gibt.
Die Schmerzlichkeit dieser Erfahrung erklärt unsere Vorbehalte
gegenüber der Moral. In der Tat: wo jemand soll, da darf er anders
werden, als er ist; er ist demnach nicht so, wie er sein soll.
Ist ein gutes Gewissen berechtigt?
Es war niemals bloß ein Bonmot, dass ein gutes Gewissen
eigentlich ein schlechtes sein müsse. Nach beiden Seiten gelesen:
Wie das "sanfte Ruhekissen" vielleicht nur ein
"dickes Fell" ist, so bewegt anderseits ein waches
Gewissen mehr als getanes Böses das unterlassene Gute. Und auch in
dem günstigen Fall, wo angesichts einer Beschuldigung mich mein
Gewissen freispricht, nennt es mich nicht gut. Anders gesagt, eine
Ist-Soll Bilanz zeigt den Menschen nicht bloß am gleichsam
wertfreien Null-Punkt, sondern "im Minus". Wie also,
hätten wir nach einer schweren Verfehlung das Gewissen verloren?
Zunächst mag uns hier so etwas wie Erleichterung anwehen: Natur
Unschuld - oder derber: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's
völlig ungeniert." Bis uns aufgeht, man lebte dann als ein
Tier auf zwei Beinen dahin. Und das macht bewusst: Gut sein zu
sollen ist dennoch etwas, das wir dürfen. Wir werden dessen
"gewürdigt". - Woher: von wem?
Wie die Erfahrung erklären?
Man muss die Erfahrung nicht verstehen wollen (wenn man ihr nur
entspricht!). Will man dies aber, dann darf die Erklärung sie nicht
"wegerklären", vor allem nicht ihre "doxische"
Lichthaftigkeit. Darum geht es jetzt. Erstens richtet ein
kategorischer Anspruch sich bloß an Personen, statt an
Unterpersonales. Im Blick auf die schmerzliche Erinnerung wird man
nicht bereit sein, Vergleiche mit dem "schlechten
Gewissen" von Tieren zuzulassen - nicht weil man diese abwerten
wollte, sondern aufgrund der Weigerung, sich selber zu
"ent-schuldigen". Zweitens kann ein so unbedingtes
Gemeintsein auch seiner Herkunft nach nicht weniger als personal
sein. Das heißt, er kann nicht erst vom Hörer als Anspruch
vermeint und aufgefasst werden, er muss ursprünglich als solcher
gemeint sein. Aus Fakten, Strukturen, auch Werten allein ergeht nie
ein kategorisch fragloses Du-sollst. Der Zeitgenosse fürchtet hier
gleich "Fremdbestimmung". Aber zu Unrecht, ist das
Gebotene doch in sich gut; Dennoch begründen nicht Warum und Wozu
die fraglose Unbedingtheit des Sollens; denn Begründungen sind
niemals fraglos. Eben die Einheit von Einsichtigkeit und
Unbedingtheitsanspruch, die den besonderen Eigengeschmack des
Sittlichen ausmacht, "nimmt den Charakter des... nicht weiter
Begreifbaren an, sobald man unterstellt: non est Deus" (B.
Schüller). Entweder muss man dann - rationalistisch - den
Anspruchs-Charakter bestreiten oder man leugnet die innere
Einsichtigkeit, womit das gebieterische Moment im Gewissen zum
autoritären Über-Ich wird anstatt wahrer Autorität.
"Du sollst" wird von klassischer
Philosophie nicht behandelt
Dies Du-sollst hat auch die klassische Philosophie nicht
"realisiert". (Sokrates spricht zwar vom Daimonion, das
ihn von Falschem abhält; doch in Fragen der Sittlichkeit kommt er
mit seiner Vernunft aus. Und zwar darum, weil sich den Griechen der
personale Schöpfer-Gott nicht offenbart hat. Für sie besteht die
Welt schon seit je aus sich selbst; durchwaltet vom
über-göttlichen Schicksal. Da lässt sich grundsätzlich weder
etwas machen noch tun. Die edelste Haltung ist die des Zuschauers
beim Lebensdrama (Pythagoras). Darum ist die klassische Ethik nicht
eine des Imperativs, sondern des wohlverstandenen Selbst-Interesses.
Gefragt wird - statt, was man soll - , was man "eigentlich und
im Grunde" (stets schon) wolle; im Unterschied zu
vordergründigen Wünschen, Sehnsüchten und Wollungen, bei denen
wir - getäuscht - uns täuschen können. (So spielen die meisten
Konflikte zwischen Sinnlichkeit und Vernunft.) Auch bei den
christlichen Theologen wirkt dies Denken fort, das den Menschen
fundamental vom Eros her bestimmt, dem Fülle-Streben eines
Mängel-Wesens. Darin treffen sich Osten und Westen, nur mit
unterschiedlichen Konsequenzen. Nach dem Platonischen Mythos sind
die Eltern des Eros Armut und (nicht: Reichtum = ploutos, sondern
poros = ) Wegfinder [Furt, Pore], Findigkeit.
Konsequenzen aus dem Wort-Charakter der
Schöpfung
Den Hauptgrund dafür, dass der Schöpfungs-Glaube nicht
umprägend wirkt, sehe ich darin, dass diese sachhaft gedacht wird:
als "Machen". Erst R. Guardini hat aus dem
"Wort-Charakter" der Schöpfung die nötige Konsequenz
für das menschliche Selbstverständnis gezogen: "Das
Unpersönliche, Lebloses wie Lebendiges, schafft Gott einfachhin,
als unmittelbares Objekt seines Wollens. Die Person kann und will er
nicht so schaffen, weil es sinnlos wäre. Er schafft sie durch einen
Akt, der ihre Würde vorwegnimmt und eben damit begründet, nämlich
durch Anruf. Die Dinge entstehen aus Gottes Befehl; die Person aus
seinem Anruf."
Wahrer Ort des Wortes ist das Ohr, nicht der Mund
So aber steht nicht als erstes die Sinn-Frage, Ziel- und Wegsuche
an, sondern Antwort. Wobei die Grundantwort - vor aller weiteren
"Rückäußerung" - das Hören selbst ist. Denn statt
"rein theoretisch", "neutral", geschieht
Erkennen hier als Anerkennen. Wirksamer Anruf erwirkt Hören als
(vor allem Handeln) urspringenden Seins-Gehorsam; ist der wahre Ort
des Wortes doch nicht der Mund, sondern das Ohr. Person entsteht aus
Anruf. Es gibt sie nicht vorher, so dass sie frei zwischen Ja und
Nein zum Rufwählen könnte. Darin liegt die Wahrheit der Rede vom
"Machen": der Ruf ist unwiderstehlich. Doch was ihm
entspringt, ist eben Freiheit: der freie "Hörer des
Wortes" (K. Rahner). - Zwar stimmt es: er fängt nicht sich an,
erwird angefangen. Aber begründet wird Freiheit: eine Wirklichkeit,
die - angefangen - (selber) anfängt. Weniger kompliziert lässt
sich wohl nicht sagen, dass hier statt eines Dings, eines
"Topfes" (Röm 9, 21 ), jemand geschaffen wird: nicht ein
was, sondern ein wer.
Das "Sich-ergreifen-lassen"
Darum hat dieser sich gleich zu seiner Erst-Antwort zu verhalten:
bestätigend oder im Widerruf Wobei dieser uns in Widerspruch zu uns
selbst bringt: zum eigenen Ur-Ja. - Dies sahen die Klassiker als
"eigentliches" oder Grundgewilltsein des Menschen. Jetzt
zeigt es selbst sich - statt als Streben, Verlangen - als Hören und
Antwort auf einen Anruf. Unser Urschwung heißt nicht eros/appetitus.
Unser Grundvollzug ist weder ein aktiv-strebender Ausgriff noch ein
passives Gedrängt-getrieben-werden; noch werden wir anders passiv,
nämlich "ungerührt" rein-theoretisch beeindruckt wie
eine "unbeschriebene Tafel" (Aristoteles), und ebenso
wenig "fühlen" oder erfühlen wir "Werte" (M.
Scheler). Der Grundvollzug gerufener Freiheit ist vielmehr ein
Sich-ergreifen-lassen. Da hier nicht ausdrücklich das Thema
"Gottesbeweise" ansteht, verzichte ich auf Entfaltung und
Einwände-Diskussion." Auch so ist wohl deutlich geworden,
inwiefern, mit I. Kant gesprochen, Moral "unumgänglich zur
Religion [führt]". F. W. J. Schelling nennt so das Gewissen
den "einzigen offnen Punkt, durch den der Himmel
hereinscheint". Dies aber, wie gesagt, als "Gewürdigtsein".
,Gott‘ meint hier nicht irgendeine Macht und Mächtigkeit, auch
keinen "Hochbetagten" (Dan 7, 9), wie er uns unweigerlich
dank Michelangelo in den Sinn kommt. Was uns hier in den Sinn kommen
soll, ist das souveräne "Woher" - ich formuliere bewusst
so ungemäß formal(istisch) – "unseres bedingungslosen
Gut-sein-sollens". Nicht bloß das gesollte Gute ist gut; dem
zuvor schon das Gut-sein-sollen. Wie aber dann erst dessen Woher:
das Gute = die Güte selbst: "in Person". Dafür kenne ich
kein schöneres Zeugnis als einen Satz von E. Levinas - aus seinem
Buch De Dieu qui vient à l'idée: "Er überhäuft mich nicht
mit Gütern, sondern drängt mich zur Güte, die besser ist als alle
Güter, die wir erhalten können." So aber kehrt, wie gesagt,
die Richtung der Lebensbewegung sich um.
Wissen als Macht
An die Stelle des Suchens tritt der Versuch, recht zu empfangen,
einem Angebot an uns gehörig zu entsprechen. Nicht Weisheit und
Macht sind die obersten Maßgaben rechten Lebens, sondern Gehorsam,
Rechtheit und Treue. Wissen als Macht entdeckt ja nicht erst die
europäische Neuzeit; seit je haben Menschen deswegen um
Namenkenntnis gerungen, bei ihresgleichen wie Dämonen und Geistern,
zuhöchst bei den Göttern. Oder man denke an die Machtanhäufung
indischer Asketen, die göttliche Abwehr-Maßnahmen auslöst
(ihrerseits aber m.E. vor dem Welt-Durchbruch der
"Erleuchtung" verblasst). Hier will man wissen und die
"Spielregeln" kennen, um die Natur durch Nachgiebigkeit zu
besiegen (Bacon I Seite 157). Gut oder Böse spielen dabei eine
kleine oder keine Rolle. ,Nützlich - schädlich, krankmachend -
heilsam' heißen die Kategorien. Es geht um Kenntnis und Können
(sinnvoll darum, zu hoffen, der Bildungsprozess setze sich durch
mehrere Leben hin fort).
Sich ansprechen, es sich "gesagt
sein" lassen
Anders vor dem Zuspruch der Liebe, der vor die Entscheidung
zwischen Ja und Nein stellt. Lernen und Üben, Reifung gibt es auch
hier; doch bleibt dies nachrangig gegenüber der grundsätzlichen
Entscheidung. Und die meint nicht zuerst das Gebotene:
Nächstenliebe und Sorglichkeit für die Umwelt, sondern zuerst den
Gebietenden selbst. - Was man formal-philosophisch den ethischen
Grundentschluss nennen könnte (Entschluss dazu, "der Wahrheit
die Ehre zu geben", das Gute zu wollen, das Böse zu meiden;
bzw. "sachlich" und nicht "unsachlich" zu sein),
zeigt sich hier vorgängig als dialogisches Geschehen: Sich
ansprechen, es sich "gesagt sein" lassen. Unverblümt im
Sch`ma Israel: "Du wirst Ihn lieben mit ganzem Herzen, mit
ganzer Seele (mit all deinem Verstehen, fügt Jesus [nach der LXX]
hinzu) und all deiner Kraft" (Dtn 6, 5; Mk 12, 30). ,Ganz` sagt
in der Sicht von Klugheit, Weisheit, Bildung: unverkürzt, nicht
fragmentarisch, vollumfassend "rund" ; hier aber:
ungeteilt und rückhaltlos im Gegenüber-zu. Gewusst wird auch
hier, doch nicht um das Spiel (und den anderen) zu beherrschen; man
will die Regeln beherrschen, um ihnen zu folgen - und darin Ihm.
Übergang zur Religion als Gottesbezug
Das markiert den Übergang von Ethik/ Moral - und auch
Religiosität - zur Religion als Gottes-Bezug. Darum ist dem Frommen
das Gesetz eine Freude - im Gegenüber zu Gott. Und diese
alttestamentliche Formulierung wird im Christentum - für Ethiker
noch ärgerlicher - überboten. Außer dem Theorie-Missverständnis
von Religion, von dem wir ausgegangen sind, herrscht ja noch ein
zweites: das moralische bzw. moralistische. Danach bildet die
Bergpredigt den Haupt- und Mittelpunkt der christlichen Botschaft.
In Wahrheit ist dies jedoch Jesus als Christus. Und den Christen
macht das Bekenntnis zu ihm als dem Herrn (Röm 10, 9; Phil 2, 11;
was niemand natürlich vermag, nur "im Geist": 1 Kor 12,
3). Das lässt sich kurz und schlagend gerade an einem Text
demonstrieren, der den "Ethikern" besonders lieb ist -
weil "unreligiös": der Gerichtsrede Mt 25. Dort wird den
Gerechten nicht deshalb das Reich aufgetan, weil sie zu Notleidenden
menschlich waren, sondern weil sie darin Ihm geholfen haben. Dies
der ungeheure Anspruch des Nazareners - heute oft von Gegnern eher
festgehalten als von human-pastoral entgegenkommenden Christen.
Mensch findet sich im Schoß einer
"Gesamtperson"
Der Mensch erwacht nicht schlicht in einer zeitlos webenden
Natur, wie auch immer zu deuten. Schon zu Anfang, als der einzelne
sich noch nicht der "letzten Einsamkeit" seines
Personseins bewusst ist, findet er sich doch - im Schoß einer
"Gesamtperson" - einer heiligen Macht gegenüber, die sich
konkret eben dieser "Person": diesem Volk verbunden hat
und zuspricht. All das sagt gewiss zuerst und vor allem etwas über
uns. Es meint zunächst "nichts anderes, als dass der
Sprechende sich dem, was er Du nennt, vollkommen als Ich übergibt.
Du-Sagen drückt hier nicht nur den Verzicht aus auf alles
Gebrauchen und Verfügen und das Vorstellen nach Begriffen apriori,
das Du-Sagen setzt jetzt vielmehr zugleich die Einsicht voraus, dass
alles, was der Mensch in diesem Verhältnis tut, ursprünglich als
Antwort geschieht... In diesem Du-Sagen geht es nicht darum, das
Absolute als Person zu bezeichnen, sondern sich selbst aus dem Sein
in der Beziehung auf das Absolute als Person zu verstehen." Und
doch sagt dies zumindest mit, das Absolute/Unbedingte sei derart,
"dass wir erst in der Offenheit zu ihm Personen sind und dass
wir uns als Personen zu ihm verhalten müssen "- dass wir zu
ihm Du sagen müssen. In diesem Sinn hat B. Welte es das Du-hafte
genannt. Das meint, es kann nicht als "nur etwa ,geltende‘
Idee interpretiert werden", noch bloß als Grenzbegriff unseres
Ich und Wir; vielmehr weiß der Glaubende sich von ihm her und auf
es hin: dass es uns um es selbst gehen soll (so wie unserem Denken
und Reden um Wahrheit).
Nicht jede Offenbarung ist im vorhinein gleich
gültig
Nun ist nach religiös weit geltender Überzeugung alles
"Wissen um Gott... ein Wissen auch durch Gott". Wenn dies
zutrifft, dann hat man kein Recht, von vornherein jede mögliche
Offenbarung für gleich gültig und gleich revidierbar, das heißt
am Ende, für gleichgültig zu erklären. Denn könnte nicht der
Offenbarer selber Unterschiede darin machen, in welchem Maß,
welcher Vorläufigkeit oder Tiefe, aus welcher Intimität er sich
mitteilt? - Wie wären zudem etwa der Wiedergeburtenweg einer
lebens- und endlichkeitsgequälten Seele in ein Nirwana, das sie von
sich und allem Mit erlöst, und die leibhaftige Auferstehung des vom
personalen Gott bei seinem Namen Gerufenen zusammenzudenken? Die
einen sehen subjektive Ansichten darin. Dazu jetzt nur die
Gegenfrage, ob dies Urteil weniger dogmatisch und
"intolerant" sei als die Wahrheitsansprüche der
konkurrierenden Religionen, die es abweisen und überbieten möchte.
- Agnostizismus und Relativismus sind ja mitnichten
neutral-objektiv. Sie bilden ihrerseits eine Konfession und müssen
sich genau so fragen lassen, wie sie sich begründen. Andere suchen
die unterschiedlichen religiösen Lehren auf "Ansichten"
im objektiven Wortsinn zurückzuführen: also auf Aspekte eines
es-haften Weltbestands oder -grundes. Doch auch hier ist es in
keiner Weise sachgeboten, sondern Sache persönlicher Wertung, wenn
Autoren die Person-Kategorien der Einzigkeit, freier Treuezusage und
entschiedener Selbst-Festlegung Gottes als anthropomorph herabsetzen
gegenüber apersonalen Naturbildern wie Lebensfluss, Energieballung,
Weltmusik oder dem in verschiedenen Wassern je anders sich
spiegelnden Mond.
Das Verhältnis von Glaube und Wissen
Entspringt aber die Glaubens-Rede nicht jener Denk-Form, die auf
Hypothesenbildung abzielt, dann stellt sich sowohl das Verhältnis
von "Glauben und Wissen" wie das von Glaube und Zweifel
anders dar, als allermeist verstanden. Glaube meint hier ein
Gesamtverständnis von Fakten und Daten in einem
Interpersonalverhältnis. Daran ist zweierlei wichtig. Erstens
ergibt es sich obzwar in Berufung auf Gründe - auf grund von
Entscheidung. Das gilt von jeder Fakten-Interpretation; nur bleibt
es oftmals unbeachtet, weil man "vorentscheidend" schon
den Rahmen abgesteckt hat, etwa wenn Äpfel wie Birnen als Stücke
Obst gezählt werden sollen - oder auch nur sechs Äpfel; gleicht
doch keiner dem anderen; oder wenn ein Puzzlestück eingepasst wird.
Stärker bewusst ist es schon bei der qualitativen Abschätzung von
Obst (wenn es nicht bloß gezählt, sondern geteilt werden soll) -
oder bei Deutung und Wertung des Puzzle-Bildes als ganzen.
Die Entscheidung erfolgt bindend
Zweitens - und das unterscheidet die Deutung von anderen -
erfolgt diese Entscheidung nicht versuchs- und probeweise (das gab's
unterwegs zu ihr), sondern "entschieden" und bindend. Je
lebenbestimmender die Entscheidung ist, desto ernster muss sie
verantwortet werden können. Doch natürlich wird die Rechenschaft
nicht rechnerisch gegeben; ihr Organ ist ja das Gewissen.
Leichtgläubigkeit verfehlt sich dagegen, doch ebenso ungehöriger
Argwohn - ohne dass dies hier und jetzt vertieft werden könnte. Der
große Name zu dieser Thematik: J. H. Newman. Warum aber wäre dem
positiven Ergebnis solcher Entscheidung der Name "Wissen"
vorzuenthalten? , Wissen` ist nicht leicht zu definieren; ich
schlage vor: sagen können, dass man sagen könne, was (der Fall)
ist. Sollte man dies nur können, wo man etwas mit eigenen Augen
erblickt hat? (Immerhin hätte man ihnen zu trauen.) Bei reinen
Sach-Fragen ist der Weg vom Faktum zum eigenen Auge tatsächlich
kürzer - und weniger "störanfällig" - als der über
Auge und Mund eines andern zum eigenen Ohr. Wie aber, wo es um die
Deutung (des Gemeintseins) von Fakten geht - die der andere in
Beziehung auf mich setzt? "Bundesschluss" besagt den
Übergang aus einem hypothetischen Abwägen zur entschiedenen
Anerkennung des andern und seiner Aufrichtigkeit. Wer sich
entschied, vermutet nicht mehr; er vertraut.
Und der Zweifel?
Tatsächlich gehört der Zweifel zum Glauben. Doch am rechten
Platz. Dem schon genannten Zeugnis (Anm. 23) "Ich weiß, wem
ich glaube" gesellt sich das Wort (Mk 9, 24): "Ich glaube,
hilf meinem Unglauben." Der Zweifel meint also nicht, was - vor
allem nicht den, dem der Glaubende glaubt; er gilt dem eigenen
Glauben. Liebe nämlich kann allein von Liebe erkannt und anerkannt
werden. Nach der Schrift selbst scheint darin das Kernproblem des
Gottesglaubens zu liegen. Es heißt dort Kleinglaube - oligopistia.
Da der Mensch im innersten durchaus weiß, wie wenig liebenswürdig
er ist, kann er kaum glauben, als der, der er ist, und so, wie er
ist, von Gott gewollt und reuelos bejaht zu sein. Die Kurzformel
aller Glaubenskritik (und in wem meldet sich nicht Einverständnis
damit): "Zu schön, um wahr zu sein."
Fragen des Übels
Sieht die Welt denn so aus, wie sie aussehen sollte, wenn Gott
sie und uns liebt? Hier meldet sich, was auch nicht selten Zweifel
heißt, aber korrekt als "Anfechtung" bezeichnet werden
muss: die Versuchung zum Zweifel. Auch sie gehört also zum Glauben;
doch nicht wünschenswerterweise, sondern als sein
"Schatten". Unmöglich, jetzt auch die Fragen um Gott und
das Übel zu diskutieren. So viel aber sei angedeutet: Dass Gott
heilig-gut ist - statt gut-böse wie das Sakrale - zeigt sich
unzweifelhaft darin, dass Er "zur Güte drängt". Und
immer wieder gibt Er die Kraft, diesem Drängen zu folgen (darum
ist, wem es glückte, gut zu sein, nicht bloß froh, sondern
dankbar). Dass wir den Weltlauf im großen wie kleinen mit dieser
Einsicht oft nicht vereinbaren können, führt zu Protest und
Anklage: "Warum?" "Wie lange noch?" Sie
durchziehen die Schrift bis zum Schlussbuch, der Apokalypse. (Hier
haben Christen, die sich das als Anmaßung verboten, Nachholbedarf).
Klagen an Gott
Aber Protest und Anklage enthalten ein doppeltes: a) Gott ist
verantwortlich und "zuständig". Die Rede von Seiner
Ohnmacht läuft auf die Leugnung Seiner hinaus. Man hätte Ihn dann
weder anzuklagen noch etwas von ihm zu erwarten. b) Gott ist
ansprechbar und gut. Der Klagende beschwert sich nicht bloß über
ihn, sondern ausdrücklich bei ihm. Er ist ihm ein Gott der
Hoffnung, freilich vollen Ernstes "wider alle Hoffnung" (Röm
4, 18). Ein Kernereignis darum ist im Alten Bund die "Bindung
Isaaks" - zum Erweis nicht des Gehorsams als vielmehr der
Hoffnung Abrahams (denn Kinderopfer waren damals üblich; doch in
eben diesem Sohn hatte ihm Gott die Zukunft verheißen - Und das
neubundliche Gegenstück dazu ist Jesus am Ölberg. Man könnte fast
meinen, die Kreuzigung hätte es nicht gegeben, wenn man im
Hebräerbrief liest (5, 7): "Als er auf Erden lebte, hat er mit
lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den
gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und
aus seiner Angst befreit worden." Derart aber - Gehorsam
gelernt (5, 8) - ist er der "Urheber und Vollender des
Glaubens" (Hebr 12, 2), eines Glaubens, der jetzt noch als
Hoffnung lebt (Hebr 11, 1), in wechselvoller und oftmals dunkler
Geschichte, doch in der Zuversicht, dass deren Wahrheit offenbar
wird (1 Joh 3, 2).
Gekürzt und bearbeitet von Ernst Pohn
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