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Quellenlage und Urheberschaft des Barnabasevangeliums

Von Jan Slomp (Biografie)

 

Das hohe Konfliktpotential des Barnabasevangeliums gibt Anlass die Quelle und Urheberschaft dieses Textes genau zu verfolgen. Er wird ins 14. oder 15. Jahrhundert zurückdatiert und ist schon vielfach als Fälschung überführt worden.

Geldnot leitete den Diplomaten Cramer, Konsul des Königs von Preußen in Den Haag, die italienische Handschrift des Barnabasevangeliums dem Prinzen Eugen von Savoyen 1713 zuzusenden. Cramer, der ein Bücherfreund war, hatte dieses Kuriosum in Amsterdam bei einer Versteigerung der Bibliothek aus dem Nachlass eines namentlich nicht genannten Gelehrten erstanden - dieser dürfte der damals in Amsterdam wohnhafte italienische Historiker Gregorio Leti gewesen sein. Leti war der Biograph von Papst Sixtus V. (1585-1590) dessen Name mit der ,Entdeckung‘ des Barnabasevangeliums in der Vatikanischen Bibliothek eng verbunden ist. Er stand in Venedig in den Diensten der Inquisition, trat später zum Protestantismus über und arbeitete danach vor allem in England und Holland als Gelehrter. Seine Bibliothek wurde am 25. Oktober 1701 öffentlich versteigert.

Schon 1705 Kenntnis von sogenanntem Barnabasevangelium

Der berühmte Islamkenner Adrianus Relandus in Utrecht hatte bereits 1705 Kenntnis von diesem sogenannten Barnabasevangelium. Letis Schwiegersohn, der Theologe Jean le Clerk (1657-1736), veröffentlichte 1718 eine Analyse der italienischen Handschrift. Der Diplomat Cramer zahlte sicher recht wenig für dieses angebliche Evangelium, abgefasst in einer ziemlich modernen europäischen Sprache, einem Gemisch von toskanischen und venetischen Dialekten, mit 222 Kapiteln im übrigen viel zu lange, um als wahres Evangelium betrachtet zu werden. Cramer, der sich wegen seiner Entlassung aus dem diplomatischen Dienst in einer finanziell misslichen Lage befand, knüpfte an seinen Widmungsbrief an den Prinzen Eugen die Erwartung einer großzügigen Remuneration. Ob dieser entsprechend reagierte, ist nicht bekannt.

Konflikte zwischen muslimischen Gelehrten und westlichen Missionaren

Während der Kolonialzeit fanden in Britisch-Indien Disputationen zwischen muslimischen Gelehrten und westlichen Missionaren statt. Berühmt ist die Debatte zwischen Karl Gottlieb Pfander, einem deutschen Missionar im Dienste der anglikanischen "Church Missionary Society", London, und Maulana Rahmatullah Kairanawi 1854 in Agra, in deren Zentrum die Frage stand: "Wurde der Text der Bibel verfälscht?" Christine Schirrmacher hat sie in ihrer Doktorarbeit detailliert beschrieben. (Christine Schirrmacher, Mit den Waffen des Gegners. Christlich-muslimische Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel der Auseinandersetzung um Karl Gottlieb Pfanders ,Mizan al-haqq` und Rahmatullah ibn Halil al-Utmani al Kairanawis ,Izhar al-haqq‘ und der Diskussion über das Barnabasevangelium. Berlin1992, Seite 437).

Erste Fahndung nach dem Barnabasevangelium

In dieser Debatte wurde von muslimischer Seite das Barnabasevangelium als Argument gegen die Missionare angeführt. Muslime hatten nämlich bereits einen Hinweis auf dieses Evangelium im Korankommentar von G. Sale (1734) gefunden. Sale erwähnte ein "Barnabasevangelium" auf Spanisch, zitierte einige Zeilen und verwies auf dessen islamische Züge. Den Muslimen war klar, dass das seit Jahrhunderten von der Kirche versteckte wahre Evangelium, das mit dem Koran im Großen und Ganzen übereinstimmen müsste, endlich entdeckt worden war. Sie zweifelten nicht daran, dass dieses Evangelium nach 1734 im Interesse der kirchlichen Lehre wieder eingezogen worden war. Den schottischen Indienmissionar John W. Youngson irritierten diese Vorwürfe dermaßen, dass er an seinen "Board of Foreign Missions" herantrat. Dieser ließ nach der verschwundenen Handschrift fahnden wobei er überzeugt war, dass sie sofort als Fälschung entlarvt würde, Schließlich wurde dieses Evangelium in Wien entdeckt, aber nicht wie erwartet auf Spanisch, sondern auf Italienisch. Zwei Anglikaner, die Geschwister Laura und Lonsdale Ragg, besorgten 1907 eine Faksimile-Ausgabe der italienischen Handschrift zusammen mit einer englischen Übersetzung. Sie wurde von Clarendon Press in Oxford verlegt.

Urtext wird ins 14. oder 15. Jahrhundert datiert

In der ,Introduction' machten sie klar, dass es sich um eine spätmittelalterliche Fälschung handle. Sie musste von einem zum Islam bekehrten Christen geschrieben worden sein. Auch Spuren von Dantes Divina Commedia glaubten sie im italienischen Barnabasevangelium zu entdecken. Deshalb datierten sie dessen Urtext in das 14. oder 15. Jahrhundert. Die vorliegende Handschrift konnte - dem Material und der Orthographie nach - nicht vor dem Ende des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Der Missionar Youngson und seine Kollegen hatten gehofft, dass nach der Veröffentlichung und Widerlegung dieses italienischen Barnabasevangeliums die Debatten mit muslimischen Gelehrten ein Ende haben würden. Das war aber nicht der Fall. 1908 wurde eine arabische Übersetzung herausgegeben, weitere 6 bis 8 folgten. 1994 erschien die erste deutsche Ausgabe unter dem Titel "Das Barnabasevangelium. Wahres Evangelium Jesu, genannt Christus, eines neuen Propheten von Gott, der Welt gesandt, gemäß dem Bericht des Barnabas, seines Apostels". Das Evangelium des Barnabas wurde von muslimischen Apologeten stets gegen das Christentum verwendet.

Die Entdeckung eines spanischen Barnabasevangeliums in Sydney

Nach der Entdeckung der italienischen Handschrift fragte man nach dem Verbleib der spanischen, die G. Sale in seinem Korankommentar zitiert hatte. Die Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Erst 1976 wurde von John Fletcher in Sydney eine Kopie von etwa zwei Dritteln des spanischen Textes entdeckt. Die Hauptstadt des jungen Staates Australien hatte in Europa, vor allem in England, alte wissenschaftliche und literarische Bücher aufgekauft. John Fletcher fand den spanischen Text im Depot der Bibliothek - er war nicht katalogisiert worden - und veröffentlichte einen Aufsatz über seine Entdeckung in der Zeitschrift Novum Testamentum.

Der Mönch Fra Marino wird nach der Lektüre Muslime

In der Einleitung dieser spanischen Ausgabe wird berichtet, dass der Mönch Fra Marino dieses "Evangelium" aus der Bibliothek Papst Sixtus V. entwendet hätte, während Seine Heiligkeit schlief. (Zitat aus meinem Artikel: Das "Barnabasevangelium", CIBEDO-TEXTE Nr. 14, 15. März 1982, Seite 16) Fra Marino sei nach dem Lesen des Buches Muslim geworden. Weiter teilt er im Vorwort des spanischen Barnabasevangeliums mit, dass der spanische Text auf einem italienischen beruhe, den der spanische Muslim Mustafa de Aranda angefertigt habe. Bei genauerem Studium des Vorworts entdeckt man sogleich Ungereimtheiten:

Ungereimtheiten im Vorwort

l. Weshalb hat Fra Marino den Text, durch den er die Wahrheit gefunden habe, nicht gleich selbst veröffentlicht? Wenn Muslime heute behaupten, dass Kirchenführer dieses wahre Evangelium versteckt hätten, dann hat dieser Fra Marino selber mit dem Verheimlichen begonnen! 2. Stimmt es überhaupt, dass es sich beim spanischen Barnabasevangelium um eine Übersetzung aus einem italienischen Original handelt? Bereits 1962 äußerte der Schriftsteller Emilio Garzia Gomez die Vermutung, dass die italienische Version von einem Spanier geschrieben worden sei. Der Islamwissenschaftler Mikel de palza, Professor in Alicante, wies 1963 darauf hin, dass der italienische Text sprachliche Fehler enthält, die nur von einem Spanier gemacht werden konnten. Das führt zur Annahe, dass die Originalsprache die spanische ist. (Mikel de Epalza, "Le milieu hispanomoresque de l'Evangile islamisant de Barnabe (XVIe-XVIIes)", Islamochristiana, Rom, Vol.8 (1982) Seite 159-183)) 3. Das Vorwort nennt einen spanischen Muslim, Mustafa de Aranda, wohnhaft in Istanbul, als Übersetzer. Sein Geburtsort ist Aranda, eine Stadt in Nord-Spanien, wo vor einigen Jahren eine wichtige Sammlung von Schriften der Morisken entdeckt wurde. Diese fanden nach dem Verbannungsedikt von 1609 in Istanbul Zuflucht. Von dort aus erwarteten die Morisken des 16. Jahrhunderts auch ihre Befreiung. Sie hofften, dass die ottomanische Armee Spanien zurückerobern würde. Professor Mikel de Epalza und sein Schüler Lois F. Bernabe Pons vermuten die Urheberschaft des italienischen und des spanischen Barnabasevangeliums in den geheimen Bünden der Morisken. Die arabischen Randbemerkungen in der italienischen Handschrift könnten in Istanbul angebracht worden sein.

Krypto-Muslime wollten dass das Urchristentum dem Islam ähnelt

Als Morisken werden jene spanische Muslime bezeichnet, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts gezwungen wurden, zum Christentum zu konvertieren. Sie praktizierten aber den Islam in aller Heimlichkeit weiter. Sie werden deshalb auch "Krypto-Muslime" genannt. Unter ihnen befanden sich Gelehrte, die mit zwei Sprachen, Kastilisch (Spanisch) und Arabisch, und zwei Religionen, Islam und Christentum, vertraut waren. Der letzte Schliff fehlte ihnen zumeist. In ihren Schriften finden sich Fehler (wie es auch im Barnabasevangelium oft der Fall ist). Sie verfassten ihre Bücher, um die eigene Glaubensgemeinschaft zu ermutigen und ihre Gegner zu verwirren. Dieselben Autoren schrieben vor dem Exil in synkretistischer, danach in polemischer Diktion. Als Krypto Muslime waren sie fast alle darauf erpicht aufzuzeigen, dass das Urchristentum des ersten Jahrhunderts dem Islam mehr ähnelte als der spanische Katholizismus des 16. Jahrhunderts. Als Beweise zogen sie protestantische Schriften und Bibelübersetzungen heran. Andererseits schrieben sie die Geschichte Spaniens um und produzierten Fälschungen mutmaßlicher apostolischer Schriften des 1. Jahrhunderts. Dieses Umfeld bildet auch den unmittelbaren Hintergrund für das Barnabasevangelium.

Erwartung einer muslimischen Zukunft für Spanien

Professor Mikel de Epalza hat auf eine ganze Reihe von Geschichtsbüchern aufmerksam gemacht, die von Morisken angefertigt worden waren, die Jofores (Vorhersagen). In diesen erklärten bekannte muslimische und auch einige christliche Persönlichkeiten, dass sie eine islamische Zukunft für Spanien erwarteten. Derartige Prophezeiungen waren unter Morisken weit verbreitet. Mikel de Epalza machte auch auf Fälschungen aufmerksam, die in Granada zwischen 1588 und 1595 auftauchten und als Vorläufer des Barnabasevangeliums galten. Auf deren Spuren hat Lois Bernabe die Forschungsarbeit weitergeführt und in drei großen Studien zusammengefasst.

Barnabasevangelium als Teil einer größeren Anzahl von Fälschungen

Lois Bernabe zeigt, dass das spanische Barnabasevangelium nahtlos in die Reihe der obenerwähnten Fälschungen aus Granada passt. Dort wurde am 18. März 1588 unter den Trümmern eines Minarets eine Bleikiste mit Texten in arabischer Sprache entdeckt. Die Moschee musste einer Kathedrale weichen. (Zum Fund gehörte auch ein Knochen des Schutzheiligen Cecilo von Granada.) Man vermutete, dass die Schriftstücke aus apostolischer Zeit stammten. Der Erzbischof von Granada freute sich über dieses Ursprungszeugnis für seine Diözese! An deren Errichtung wären demnach die Jungfrau Maria und der Apostel Jacobus beteiligt gewesen. Papst Sixtus V. ordnete mit einem Schreiben vom 3. Oktober die Fortsetzung der Forschungen bezüglich Reliquien und Schriften an. Der Historikerstreit über Herkunft und Art der Handschriften endete erst 1682 mit einer päpstlichen Verurteilung derselben. Vermutet wurde, dass zwei moriskische Dolmetscher an der Fälschung beteiligt gewesen waren.

Hinweis auf islamische Fälscher

Es wurde festgestellt, dass die häufige Erwähnung des Satzes "Es gibt keine Gottheit außer Gott" auf den islamischen Einfluss hinweist. Auch im Barnabasevangelium findet er sich häufig. Den Zusammenhang mit dem Barnabasevangelium stellt Lois Bernabe deutlich her: "Nach den bleiernen Büchern kam Jakobus nicht nur mit seinen Jüngern - unter denen Cecilo, der Bischof von Granada, herausragt - nach Spanien, sondern brachte außerdem noch eine Reihe von Büchern mit, insbesondere eines mit dem Titel ,Wahrheit des Evangeliums', das er von der Jungfrau Maria bekommen hatte." "Es handelt sich stets", schreibt Lois Bernabe, "um ein von Jesus verkündetes Evangelium, dessen himmlische Wahrheit Maria auf übernatürlichem Wege erfahren hat und dessen von einem Menschen niedergeschriebene Kopie versteckt wurde, um sie vor den Verdrehungen der Schrift zu bewahren, zu denen es in der Zukunft kommen würde." In den Texten ist auch von einem König die Rede, der nicht selber Araber ist (gemeint ist der türkische Sultan von dem die Morisken die Befreiung erwarteten): "Dieser König wird die Wahrheit des Evangeliums und ein Buch in einem Konzil auf der Insel Zypern durchsetzen."

Zweck zu Annäherung Koran an Bibel nicht mehr gegeben

Die Bühne war also frei für das Barnabasevangelium. Der historische und apostolische Barnabas war ja der Gründer der Kirche auf der Insel Zypern, die zu jener Zeit von den Ottomanen besetzt war. Kurz nach diesem Zwischenfall in Granada wurde das Verbannungsedikt 1609 erlassen - damit hatten die Morisken nicht gerechnet. Innerhalb von fünf Jahren mussten die meisten von ihnen in muslimische Länder auswandern. Eine theologische Annäherung zwischen Koran und Bibel in einem Buch wie dem Barnabasevangelium hatte keinen Zweck mehr. Anstatt einer Annäherung gab es nach der Verbannung nur noch Grund zur Polemik. Der Moriske Juan Perez, der seit seiner Verbannung in Tunesien wohnhaft war und sich dort Ibrahim al-Taybili nannte, erwähnte 1634 zum ersten Mal das Barnabasevangelium. Er behauptete, dass die Christen die Bibel nicht lesen dürften, weil sie ansonsten die Wahrheit über Muhammad entdecken würden. "Deshalb ist die Bibel auf lateinisch veröffentlicht", schrieb er. Dasselbe trifft auf das Barnabasevangelium zu, "in welchem (Buch) man das Licht (Muhammads) finden kann."

Der spanische Text - die ursprüngliche Fassung

De Epalza und Lois Bernabe haben gute Gründe anzunehmen, dass der spanische Text der ursprüngliche ist. Wie schon erwähnt, weist die italienische Handschrift sprachliche Fehler auf, die nur von einem Spanier gemacht werden konnten. Der spanische Text hat auch Ähnlichkeiten mit der Orthographie der spanischen Schriften von al-Taybili aus Tunesien. Die italienische Fassung wurde deshalb als die ursprüngliche dargestellt, weil ein "wahres" Evangelium aus dem Zentrum der Kirche, also aus Rom, stammen müsste. Welcher Papst war als Ursprungsautorität mehr geeignet als Sixtus V., alias der Inquisitor Montalto, der Vulgatapapst, der Bücherpapst, der die vatikanische Bibliothek erbauen ließ, derselbe, der den Auftrag zur Untersuchung der Bleikisten in Granada gegeben hatte! In der Bibliothek seines Biographen G. Leti in Amsterdam wurde wahrscheinlich das italienische Barnabasevangelium Anfang des 18. Jahrhunderts aufgefunden (siehe oben). Die Geschichte im spanischen Vorwort, dass die italienische Handschrift dem schlafenden Papst unter der Nase gestohlen worden sei, ist also bloße Erfindung. Auch durch diese literarischen Kniffe gleicht das Barnabasevangelium anderen bekannten Fälschungen. Durch diese Forschungsergebnisse kann ein Hindernis im Dialog zwischen Christentum und Islam ausgeräumt werden.

 

Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn

 

>> Schon 1705 Kenntnis von sogenanntem Barnabasevangelium

>> Konflikte zwischen muslimischen Gelehrten und westlichen Missionaren

>> Erste Fahndung nach dem Barnabasevangelium

>> Urtext wird ins 14. oder 15. Jahrhundert datiert

>> Die Entdeckung eines spanischen Barnabasevangeliums in Sydney

>> Der Mönch Fra Marino wird nach der Lektüre Muslime

>> Ungereimtheiten im Vorwort

>> Krypto-Muslime wollten dass das Urchristentum dem Islam ähnelt

>> Erwartung einer muslimischen Zukunft für Spanien

>> Barnabasevangelium als Teil einer größeren Anzahl von Fälschungen

>> Hinweis auf islamische Fälscher

>> Zweck zu Annäherung Koran an Bibel nicht mehr gegeben

>> Der spanische Text - die ursprüngliche Fassung

 
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