Der lange Weg zur "Ehre der Altäre"
Der offiziellen Selig- oder Heiligsprechung durch den Papst geht ein
kompliziertes, im Kirchenrecht genau festgelegtes Verfahren voraus, das
mitunter Jahrhunderte dauern kann.
Eines der kürzesten Verfahren war jenes von Franz von Assisi: Er wurde
bereits zwei Jahren nach seinem Tod 1226 heilig gesprochen. Diesen
"Rekord" kann nicht einmal mehr Mutter Teresa von Kalkutta
(gestorben 1997) übertreffen, deren Seligsprechungsprozess ebenfalls mit
bewundernswerter Geschwindigkeit voranschreitet.
Rasche Heiligsprechung des "Opus Dei"-Gründers
Besonders lange dauerte es bis zur Heiligsprechung der "Jungfrau von
Orleans", Jeanne d’Arc: 1431 hingerichtet wurde sie erst 1920
heiliggesprochen. "Opus Dei"-Gründer Josefmaria Escriva wird 27
Jahre nach seinem Tod 1975 "zur Ehre der Altäre erhoben – die
"Causa Escrivar" ist damit eher zu den raschen Heiligsprechungen
zu zählen.
Keinen Unterschied zwischen "selig" und "heilig"
Eine wichtige Begriffsklärung zu Beginn: Zwischen "selig" und
"heilig" gibt es keinen qualitativen Unterschied. In beiden
Fällen geht die Kirche davon aus, dass der oder die Verstorbene der
"ewigen Herrlichkeit teilhaftig" ist. Das heißt: Heilige sind –
mit Sicherheit im Himmel. Der einzige Unterschied zwischen Seligen und
Heiligen ist ein ganz irdischer: Selige haben nur regionale Bedeutung –
sie werden nur in einzelnen Diözesen oder einzelnen Gemeinschaften verehrt.
Heilige haben hingegen weltweite Bedeutung für die Gesamtkirche.
Märtyrer als die "Ur"-Heiligen
Begonnen hat die Heiligenverehrung mit den ersten Märtyrern der
Urkirche. Ihr Andenken als "Blutzeugen" des Glaubens wurde
hochgehalten – auch weil ihnen eine besondere Verbindung zu Gott im
jenseits nachgesagt wurde. An der Stelle ihres Martyriums wurden Kirchen
errichtet. Das berühmteste Beispiel: Der Petersdom in Rom wurde mit hoher
Wahrscheinlichkeit an jener Stelle errichtet, an der Petrus – mit dem Kopf
nach unten – gekreuzigt worden war.
Erste Heiligsprechung 993
Die Heiligsprechungen erfolgte also immer durch das Volk. Heilig war, wer
als Heiliger verehrt wurde. Die erste formelle Heiligsprechung erfolgte am
29. Jänner 993, als Papst Johannes XV. einen gewissen Ulrich von Augsburg
zur Ehre der Altäre erhob. Ein geordnetes Verfahren gibt es erst seit 1588.
Heiligmäßiges Leben
Im ersten Schritt des Seligsprechungsprozesses wird das Leben des
Verstorbenen durchleuchtet. So noch vorhanden werden auch persönliche
Freunde, Bekannte und Familienmitglieder gehört. Böse Zungen behaupten, so
manches Verfahren sei erst nach dem Tod des letzten Zeitzeugen so richtig in
Gang gekommen.
"Weit verbreitete Verehrung durch das gläubige Volk"
Danach wird im "de non cultu"-Verfahren die – theologisch
betrachtet – wichtigste Voraussetzung für eine Seligsprechung
überprüft: die "weit verbreitete Verehrung durch das gläubige
Volk". Damit soll verhindert, dass kleine, aber einflussreiche Lobbys
gewisse Verfahren aus politischen Gründen vorantreiben. Das soll trotzdem
bereits vorgekommen sein.
Heroischer Tugendgrad
Im Anschluss wird eine ausführliche Biografie, die sogenannte "positio",
nach Rom weitergeleitet, die den heiligmäßigen Lebenswandel des Kandidaten
nachweisen soll. Die zuständige Kongregation im Vatikan stellt dabei hohe
Ansprüche: Beim Kaiserjäger Jakob Kern musste beispielsweise nachgewiesen
werden, dass er während seines Fronteinsatzes keinen Menschen getötet
hatte. Erst dann wurde ihm der "heroische Tugendgrad" – bzw. das
Beiwort "venerabilis" – als erste Vorstufe zur "Ehre der
Altäre" attestiert.
Himmlisches Zeichen
Danach warten die zuständigen kirchlichen Behörden auf ein
"himmlisches Zeichen": ein Wunder – und zwar ein medizinisches!
– muss auf Fürsprache des Verstorbenen nachgewiesen werden. Auch hier
gelten strenge Kriterien: Die Krankheit muss nach dem jeweiligen Stand der
Medizin unheilbar gewesen sein, die Heilung muss plötzlich und medizinisch
nicht erklärbar sein. Da der katholische Wunderbegriff auch eine
"dauerhafte" Heilung verlangt, kann es wieder zu jahrzehntelangen
Verzögerungen kommen.
Märtyrer brauchen keine Wunder
Damit ist der Weg zur Seligsprechung abgeschlossen. Für die
Heiligsprechung ist dann – neben der weltweiten Bedeutung – noch ein
zweites Wunder erforderlich. Für Märtyrer gelten hingegen andere Regeln:
Sie brauchen keine Wunder für die Heiligsprechung. Allerdings ist es auch
nicht immer einfach nachweisbar, ob ein gewaltsamer Tod ein Martyrium im
Sinne des Glaubens gewesen ist.
Terminschwierigkeiten
Bei der Festsetzung des Termins für die Seligsprechung ergeben sich dann
mitunter weitere Probleme. So manches "einfache Ordensmitglied"
soll schon jahrelang auf die Seligsprechung gewartet haben – bis auch das
Verfahren für den Ordensgründer endlich abgeschlossen werden konnte.
Statuen, Bilder und Kirchen
In der Praxis haben Selig- und Heiligsprechungen die gleichen
Konsequenzen: Es wird ein Gedenktag im liturgischen Kalender festgelegt
(meist der Todestag – also der "himmlische Geburtstag"). Statuen
und Bilder dürfen dann offiziell mit einem "Heiligenschein"
versehen und verehrt werden. Kirchen und Kapellen dürfen offiziell nach dem
Verstorbenen benannt werden.
Patronate und Zuständigkeiten
Von den Gläubigen werden Heilige vor allem als "Fürsprecher"
angenommen. Manche Heilige haben bestimmte "Zuständigkeiten": Der
Heilige Blasius wird beispielsweise bei Halskrankheiten angerufen, der
Heilige Urban ist Patron der Weinbauern, viele Gläubige tragen ständig
eine kleine Statue des Heiligen Antonius von Padua in der Geldbörse. Der
Vatikan bestimmt auch hochoffiziell "Patrone" für bestimmte
Bereiche: So ist die Heilige Klara für das Fernsehen zuständig, der
Heilige Franz von Sales gilt als "Medienpatron" insgesamt. Ein
"Internet-Heiliger" wird noch gesucht.
Heilige, die nie gelebt haben
Die genaue Zahl der Heiligen und Seligen lässt sich nicht erfassen. Im
Heiligenkalender finden sich noch urkirchliche Heilige wie Christoph,
Nikolaus oder Cäcilie – die nie ein offizielles Verfahren durchlaufen
haben, bei denen sogar fraglich ist, ob sie jemals gelebt haben. Viele
zeitweilig populäre Heilige sind in Vergessenheit geraten. Auch Personen
aus dem Alten Testament finden sich im Heiligenkalender – wie
beispielsweise Adam und Eva am 24. Dezember.
Neuer Rekord
Und es kommen immer neue hinzu. Johannes P aul II. hat in dieser Hinsicht
alle Rekorde gebrochen. Nach Angaben des Vatikans wurden während
seiner Amtszeit 482 Menschen heilig und weitere 1338 selig gesprochen. Im
Vergleich dazu kamen alle seine Vorgänger zusammen auf insgesamt 302
Heilig- sowie 1310 Seligsprechungen.
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