Fachartikel

Islamischer Religionsunterricht in der Türkei

Von Xavier Jacob (Biografie)

 

Die Kemalisten wollten seinerzeit mit ihrem revolutionären Umbruch (1924 Abschaffung des Kalifats) den Islam aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Türkei verbannen. Kemal Atatürk schaffte mit der Reform des Erziehungswesens schrittweise auch den Religionsunterricht ab. Seit den 50iger Jahren mussten Atatürks Maßnahmen zum Teil zurückgenommen werden. Der Religionsunterricht wurde sukzessive wieder eingeführt. Im folgenden Beitrag wird die Entwicklung des islamischen Religionsunterrichtes in der Türkischen Republik nachgezeichnet und das in ihm vermittelte Christentumsbild erörtert.

 

Nachdem am 3.3. 1924 die türkische Regierung die Abschaffung des Kalifats und die Vereinheitlichung des Unterrichtswesens dekretiert hatte, wurden sämtliche islamischen Bildungsstätten des Landes geschlossen. An deren Stelle wurden in Istanbul eine theologische Fakultät und in 33 Provinzstädten "Imam-Predigerschulen" eröffnet. Diese neuen Lehranstalten fanden jedoch nicht den erhofften Zuspruch. Sie wurden allmählich geschlossen. Seit 1933 gab es in der Türkei keine Lehranstalt mehr zur Heranbildung von Theologen. An diesem Zustand sollte sich bis 1949 nichts ändern. In den Gymnasien und gleichgeschalteten Institutionen wurde der Religionsunterricht bereits im Herbst 1924 abgeschafft. 1930 verschwand er auch als Freifach aus den Mittelschulen. Und an den Grundschulen wurde er schließlich 1936 (bzw. 1938 auf dem Lande) aus dem Lehrplan genommen.

Ruf nach Wiedereinführung des Religionsunterrichtes wird lauter

Das Unterrichtssystem ohne irgendeinen Religionsunterricht wurde unverändert bis 1949 beibehalten. Der Wunsch nach einer Wiedereinführung des Religionsunterrichts artikulierte sich immer drängender. Nach monatelangen Debatten fasste das Parlament den entsprechenden Beschluß. An Argumenten wurde vorgebracht: Der Islam sei einer der Grundpfeiler des nationalen Erbes und sollte zur Festigung der nationalen Einheit beitragen; er sollte ferner als Damm gegen kommunistische Einsickerungen dienen; zudem sollten die im Gefolge der religiösen Unwissenheit aufgeblühten abergläubischen Praktiken und das Sektenwesen eingeschränkt werden. Die Bevölkerung hatte auf die Abschaffung des Religionsunterrichts mit Unmut reagiert. Dem kemalistischen Prinzip des Laizismus eine neue, weiter gefasste Auslegung zu geben und u.a. den Religionsunterricht wieder einzuführen bzw. Ausbildungsstätten für Religionslehrer zu institutionalisieren wurde so zum großen Versprechen im Wahlkampf für den Urnengang im Mai 1950.

Schrittweise Wiedereinführung

Im Februar 1949 hielt der Religionsunterricht als Freifach in der Grundschule Einzug, mit je einer Wochenstunde in den zwei letzten Schuljahren (4. und 5.). Das Lehrprogramm wurde vom Erziehungsministerium festgesetzt und unter seine Aufsicht gestellt. Im Herbst 1956 kam der Religionsunterricht in die Mittelschulen und 1967 an die Gymnasien - als Freifach, um dem Prinzip des Laizismus gerecht zu bleiben. Eine wichtige Neuerung trat im Herbst 1982 ein: Mit dem neuen Grundgesetz der Türkischen Republik wurde der Religionsunterricht (genauer Titel: "Unterricht in Religionskultur und Moral") zum Pflichtfach in sämtlichen Schultypen - von der Grundschule über die Mittelschule bis zum Gymnasium - erklärt. Die Beweggründe waren dieselben wie 1949. Um dem Prinzip des Laizismus - zumindest scheinbar - treu zu bleiben, wird öfters hervorgehoben, dass dieser Religionsunterricht bloß den theoretischen Teil der Religion behandle, die Praxis jedoch jedem persönlich freigestellt bleibe.

Aufnahme theologischer Studienrichtungen

Parallel zur Einführung des Religionsunterrichtes wurden in sieben Städten des Landes Kurse für Imam-Prediger veranstaltet - zwei Jahre später wurden sie in Imam-Predigerschulen umgewandelt. Zur gleichen Zeit wurden auch Ausbildungsinstitute höheren theologischen Grades eingerichtet: Im Herbst 1949 wird wieder eine Theologische Fakultät eröffnet diesmal nicht in Istanbul, sondern in der neuen Hauptstadt Ankara. Und im Herbst 1959 nahm das erste Institut für Höhere Islamstudien seinen Betrieb in Istanbul auf. Diese Einrichtungen haben sich im Laufe der Jahre stark entwickelt und vermehrt. Die Zahl der Imam-Predigerschulen beträgt heute mehr als 450 mit mehr als 600.000 Schülern. Zweck dieser Schulen war es zunächst, Imame, Prediger, Muezzine usw. oder ganz allgemein Moscheendiener - und später dann auch Religionslehrer - heranzubilden. In den 70er Jahren waren diese Schulen den Gymnasien gleichgestellt, womit deren Absolventen auch zur Aufnahmeprüfung für irgendeine der Fakultäten berechtigt sind. Seither entscheidet sich der Großteil von ihnen für das Weiterstudium. Nur ein kleiner Prozentsatz bleibt im Dienste des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten, d.h. im Dienste des Islams. Auch diese Sachlage ist zur Erklärung der großen Zahl dieser Schulen wichtig. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Theologischen Fakultäten festzustellen. Als 1983 die Institute für Höhere Islamstudien zu Theologischen Fakultäten erhoben wurden, stieg ihre Zahl zunächst auf neun. Kaum 10 Jahre später, 1992, waren 13 neue Theologische Fakultäten gegründet, und heute ist deren Zahl auf 25 gestiegen - gegenwärtig zählen sie etwa 8.500 Studenten. Diese Zahl wird jedoch in den nächsten Jahren weiter anwachsen.

Alle Einrichtungen werden vom Staat geleitet

Wichtig ist die Tatsache, dass sämtliche Einrichtungen - von den Grundschulen bis zu den Fakultäten - vom Staat geleitet, finanziert und überprüft werden. Auch deren Richtlinien und Lehrpläne werden vom Staat festgelegt. Diese Institutionen sind samt und sonders dem Erziehungsministerium unterstellt. Dem Präsidium für Religiöse Angelegenheiten hingegen unterstehen die Korankurse, die sich im Laufe der Jahre ebenfalls stark vermehrt haben. 1980 gab es etwa 1.500, heute sind es mehr als 6.000 mit 100.000 bis 110.000 Schülern. Diese Kurse finden während des ganzen Schuljahres statt. Daneben sind die Sommer-Korankurse entstanden, in denen während der Sommermonate, d.h. während der Schulferien, Religionsunterricht erteilt wird. Dieser Religionsunterricht wird als Korankurs bezeichnet, weil der Koran die Basis des Unterrichts bildet. Er wird meistens in Moscheen oder deren Nebengebäuden erteilt. (Nahezu jede Moschee bietet Sommerkurse an und die Zahl der Moscheen beträgt mehr als 72.000.)

Geheimer Religionsunterricht

Neben den offiziellen Korankursen hat sich noch eine andere Kategorie entwickelt: der mehr oder weniger geheime Religionsunterricht, zuerst als Ersatz für den abgeschafften, offiziellen Religionsunterricht, dann als Ergänzung oder auch als Gegenpol zum offiziellen Religionsunterricht. Die Behörden versuchen, diese illegalen Korankurse zu unterbinden, oder aber ihren Status zu legalisieren, um sie unter ihre Kontrolle zu bringen und deren Lehrinhalte zu überwachen. Im allgemeinen sind diese Korankurse der letztgenannten Art Kritik und Vorwürfen ausgesetzt, weil religiöse Sekten sowie politische Parteien immer wieder bemüht sind, diese für ihre Zwecke zu nutzen.

Lehrpläne wurden reformiert

Nach der Intervention der Militärs im September 1980 sind viele Reformen durchgezogen worden - auch auf dem Gebiet des Religionsunterrichts. Lehrpläne und Richtlinien für sämtliche Schultypen wurden neu formuliert und in der Fassung vom März 1982 veröffentlicht - sie besitzen bis heute ihre Gültigkeit. Es würde zu weit führen, hier den gesamten Gesetzestext wiederzugeben. Einige Richtlinien, die als Einführung dienen und den Grundtenor des gesamten Unterrichts bestimmen, sollen jedoch angeführt werden. Das Hauptziel des Religionsunterrichts wird folgendermaßen umschrieben: "Dem Schüler sind, gemäß der Orientierung, den Zielen und den Prinzipien der Türkischen Nationalen Erziehung und gemäß dem atatürkischen Prinzip des Laizismus, die nötigen Grundkenntnisse der Religion des Islams und der Moral beizubringen. Auf diese Weise sind der Kemalismus, die nationale Einheit und Gemeinschaft, die Menschenliebe vom religiösen und moralischen Standpunkt aus zu verstärken und Menschen von guter Moral und Tugend heranzuziehen."

Richtlinien des Unterrichts

Als Grundsätze des religiösen und moralischen Unterrichts werden folgende aufgezählt: zunächst "das Prinzip des Laizismus unseres Staates" ; dann "die Gewissens- und Gedankenfreiheit"; die Möglichkeit "wohlwollender und freundlicher Beziehungen mit Nationen anderer weltanschaulicher Orientierung"; aber auch dass "die guten Beziehungen mit Nationen derselben religiösen Prägung sich manchmal verschlechtern können"; das religiöse Moment in der Gestaltung der nationalen Einheit; die Vervollständigung der Unterrichtsthemen durch die atatürkischen Prinzipien; die religiöse Praxis bleibe frei; anhand von Beispielen werde man verständlich machen, dass der Islam "eine rationale, zeitgemäße und von jeglichem Aberglauben freie Religion ist"; endlich wird die Pflicht ins Gedächtnis gerufen, in den Suren und Gebeten nicht die alte (arabische) Schrift zu gebrauchen.

Inhalte der Lehrpläne

Die Lehrpläne für den Religionsunterricht in der Grundschule (5 Schulstufen) schreiben folgende Themen vor: der Glaube an Gott; unser Prophet; das rituelle Gebet, Fasten, Almosen, die Pilgerfahrt; die Engel; die Offenbarungsbücher; die letzten Dinge und die Lehren Atatürks über Religion und Laizismus. Für den weiterführenden Schultypus, die Mittelschule (3 Klassen), wird der Lehrstoff bezüglich der Glaubenslehren erheblich ausgeweitet. Mit Nachdruck wird nun auch die Überlegenheit des Islams als "der letzten und vollkommensten Religion" (Nr.2) unterstrichen. Erst danach werden die Prinzipien der Toleranz, des Laizismus, der Rechtschaffenheit, der Sauberkeit betont. Ferner wird die Entwicklung eines religiösen und nationalen Bewusstseins unterstrichen, das sich auf den nationalen Charakter und auf die Quellen der Religion zu stützen habe - mit dem Verweis auf "die Verdienste der Türken um den Islam im Laufe der Geschichte" (Nr. 12).

Stärkung des islamischen Wir-Gefühls

Schließlich werden in den Zielen für den Religionsunterricht an den Gymnasien mit Nachdruck jene Werte betont, die die Religion und das Nationalgefühl der Türken stärken. Es wird nun das Hauptgewicht auf die theoretischen Aspekte des Islams sowie auf seine Ethik, das moralische Leben und die kemalistischen Prinzipien gelegt. Die Bedeutung, die im Islam der Wissenschaft und der Vernunft beigemessen wird, wird unterstrichen. Die Geschichte des Islams und insbesondere die aktive Rolle der Türken bei dessen Verbreitung soll im Religionsunterricht der Gymnasien ausgeführt werden. Die positive Einwirkung des Islams auf das türkische Nationalgefühl und auf die türkische Nation steht wieder an zentraler Stelle der Richtlinien für die Lehrpläne. Schließlich wird die Behandlung der Weltreligionen und deren Beziehungen zum Islam ausdrücklich gefordert. (Weitere Details zu den Lehrplänen können in CIBEDO-Texte Nr. 21/22, Frankfurt 1983, nachgelesen werden.)

Verwendung völlig neuer Religionsbücher

Mit diesen Richtlinien des Erziehungsministeriums vom März 1982 sind auch sämtliche in Verwendung stehenden Religionsbücher (4 für die Grundschule, 15 für die Mittelschulen und 9 für die Oberschulen) hinfällig geworden. Ab Februar 1983 sind nun die neuen Religionsbücher erschienen, konzipiert gemäß den erlassenen Richtlinien. Dem Wunsche der Militärregierung entsprechend, wurde nun pro Schulstufe nur mehr ein Schulbuch aufgelegt. Ihr Umfang bewegt sich zwischen 80 und 175 Seiten. Den Richtlinien und Lehrplänen getreu, werden zunächst die Glaubenslehren und die Glaubenspraxis des Islams dargestellt. Daneben erhalten nun Inhalte, die früher nur beiläufig ausgeführt waren, verstärkte Gewichtung: das Prinzip des Laizismus; die Wichtigkeit der Gemeinschaft; die nationale Einheit und Einigkeit; das Nationalgefühl; das Bewusstsein, der islamischen Gemeinschaft anzugehören, und die Betonung der kemalistischen Prinzipien, die die Lehren des Korans bekräftigen und vervollständigen sollen. In sämtlichen Büchern ist auf den ersten Seiten das Bildnis Atatürks sowie die Nationalhymne abgedruckt. Allein dies lässt schon auf die enge Verknüpfung von Islam und Nation schließen. Wegen dieser Gleichschaltung von Staatszugehörigkeit und Religionsbekenntnis ist nun der offizielle Religionsunterricht von den "echten Muslimen" vehement kritisiert worden. Ihrer Meinung nach ist dies ein vom Staat gesteuerter und für seine Zwecke missbrauchter Islam.

Das Christentum in türkischen Religionsbüchern

In den Richtlinien für den Religionsunterricht in den Grund- und Mittelschulen sowie an den Gymnasien wird auch von den nicht-muslimischen Religionen gesprochen. Es ist wohl von Interesse, was in den öffentlichen Schulen der heutigen Türkei den Kindern und Jugendlichen über das Christentum gesagt wird und wie das Christentum in den Schulbüchern dargestellt wird. In der Grundschule wird einige Male auf das Christentum Bezug genommen. Im 5. (letzten) Schuljahr heißt es bei der Aufzählung der vier "Großen heiligen Bücher": "Das Evangelium wurde zu Jesus herabgesandt. Unter dem Namen `Das Heilige Buch' ist es heute, mit der Tora und den Psalmen vereint, das heilige Buch des Christentums." Nach einigen Ausführungen über den Koran und seine Offenbarung heißt es: "Die heiligen Bücher, die dem Koran vorangingen, sind uns nicht in der schriftlichen Form, die sie zur Zeit ihrer Propheten hatten, überliefert worden." Der Koran allein habe seine echte originale Form bewahren können. An Propheten, die "ein Buch gebracht haben", werden vier aufgezählt: Moses, David, Jesus und Muhammad. Jesus wird folgenderweise dargestellt: "Gott hat Jesus viele Wunder gegeben. Aber aus seinem Volk haben nur wenige Personen an ihn geglaubt. Sie haben ihn für einen Zauberer gehalten, haben ihn verfolgt und gesteinigt. Gott hat den Geist des Propheten Jesus zu sich aufgenommen." (Seite 47 f)

Betonung der Gegensätze zwischen Christen und Juden

In der Mittelschule werden dem Christentum etwa 6-7 Seiten gewidmet. Es wird noch einmal betont, dass die Juden trotz der Wunder Jesu Lehre nicht angenommen haben, im Gegenteil, Jesus feindlich gesinnt waren. Sie hätten ihn beim römischen Befehlshaber verklagt und wollten ihn auch töten, aber Gott habe ihn zu sich erhoben. Auch später noch seien die Juden den Christen gegenüber feindlich gesinnt gewesen. Von Jesus selbst wird gesagt, er sei ohne Vater zur Welt gekommen, und aus diesem Grunde hätten ihm die Christen später die Eigenschaft der Göttlichkeit zugesprochen, obwohl er, wie der Koran betont, nur ein Mensch, "ein Knecht Gottes", gewesen sei. Es war ihm jedoch die "prophetische Aufgabe" gegeben worden. "Der Name des heiligen Buches, das der erhabene Gott zu Jesus herabgesandt hat, ist das Evangelium." Es sei von den christlichen Theologen verfälscht worden. Zudem gab es eine Vielzahl an Evangelien, bis man schließlich in Nizäa (325) ihre Zahl auf vier reduzierte. Aber auch zwischen diesen vieren bestehe keine Übereinstimmung.

Erklärung der Unterschiede des geistlichen Standes

Weiter wird ausgeführt, dass es "im Unterschied zur christlichen Welt" bei den Muslimen keinen geistlichen Stand gebe: "Was wir im Islam als Religionsdiener bezeichnen, wie z.B. Mufti, Prediger, Imam, Muezzin usw., darf man nicht mit dem geistlichen Stand im Christentum verwechseln. Denn der geistliche Stand verfügt über gewisse spezielle Eigenschaften, Privilegien, Überlegenheiten anderen Menschen gegenüber. Ohne ihn ist eine religiöse Zeremonie unmöglich, aber auch Gebete und Reue können nicht erhört werden." Bezüglich der Gotteslehre wird festgehalten: "Im Christentum gibt es den Glauben an den dreifachen Gott. Diese sind Gott (Gott Vater), Jesus (Gottes Sohn) und der Heilige Geist und befinden sich im Himmelsgewölbe." Das Christentum sei in drei Hauptkonfessionen aufgeteilt: Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus.

Aufzeigen der Uneinigkeit der Christen

In den Religionsbüchern der Gymnasien, 3 Klassen, werden der Darstellung des Christentums etwa 10-12 Seiten gewidmet. Zunächst wird der Ursprung des Wortes "Christ" erklärt. Sodann werden Inhalte, die in den unteren Klassen schon erwähnt wurden, noch einmal aufgegriffen und eingehender erläutert. Auch neue Aspekte kommen hinzu. Es wird hervorgehoben, dass das Christentum vieles mit dem Judentum gemein habe, aber auch Neuerungen kenne, wie z.B. die Trinität, die Erbsünde, die Erlaubnis, Schweinefleisch zu genießen usw. Die wichtige Rolle des Apostels Paulus in der Gestaltung und Verbreitung des Christentums wird unterstrichen. Im Blick auf die Kirchengeschichte wird festgehalten, dass unter den Kirchen selber keine Einheit erreicht werden konnte. "Außerdem haben selbst Mitglieder der Kirche in ihrem heiligen Buch dem Verstand und der Wissenschaft widersprechende Elemente ausfindig gemacht und sogar die Frage diskutiert, ob Jesus überhaupt gelebt habe. Dies alles zeigt, dass diese Religion sich von ihrer ursprünglichen Quelle entfernt hat." In der kurzen Biographie Jesu wird hervorgehoben, dass eigentlich nicht er, sondern ein anderer, nämlich derjenige, der ihn verraten hatte, gekreuzigt worden sei. Aus der Kirchengeschichte werden einzig die Christenverfolgungen der ersten vier Jahrhunderte, das Konzil von Nizäa, die Kirchenspaltungen des XI. und des XVI. Jahrhunderts beschrieben.

Der Abschnitt "Die christlichen Glaubenslehren"

Im Abschnitt über "die christlichen Glaubenslehren" wird nur von der Trinität gesprochen. Sie sei "ein sehr schwer zu erklärendes Thema". Zwei Punkte würden dabei von den Christen hervorgehoben, nämlich dass Gott der Schöpfer des Weltalls sei und dass die drei Personen sich in einem Wesen, in einer Gottheit, vereinten. Nach der Aufzählung der sieben Sakramente (im Protestantismus nur zwei), werden "die gemeinsamen Punkte in den Himmelsreligionen" behandelt. (Himmlische Religion, Göttliche Religion, Buchreligion werden als gleichbedeutende Ausdrücke für die Offenbarungsreligionen, d.h. Judentum, Christentum und Islam, verwendet.) Alle drei Buchreligionen glaubten an einen einzigen Gott, Schöpfer aller Dinge, der die Menschen je nach ihren Handlungen bestrafen oder belohnen werde. Dabei wird jedoch nachdrücklich betont, dass im Islam die Einheit Gottes das Grundprinzip sei und dass ihm menschliche Verhältnisse wie Vaterschaft, Mutterschaft und Sohnschaft fremd seien - so werde durch den Koran (Sure 112) die christliche Vater-Sohn Vorstellung korrigiert. Des weiteren wird die vom Islam gewährte Religionsfreiheit eingehend dargestellt. Im Kapitel "Die Weltreligionen und der Islam" wird hauptsächlich die geographische Verbreitung der verschiedenen Religionen und christlichen Konfessionen zusammengefasst. (Weitere Einzelheiten siehe CIBEDO, Beiträge, 1992, Nr. 2/3, Seite 58-73

Re-Islamisierung?

Richtlinien und Lehrpläne des Erziehungsministeriums legen den Inhalt der Schulbücher fest. Neben den seit 1983 amtlicherseits aufgelegten dürfen neuerdings einzelne Autoren wieder nach den ministriellen Vorgaben Religionsbücher abfassen. Wenn auch die Darstellung des Christentums in den türkischen Schulbüchern insgesamt in keiner Weise polemisch erscheint, so werden doch manche Behauptungen immer wie Schablonen angelegt, wie z.B. die Erklärung der Trinität als Vielgötterei, die Unechtheit der Evangelien u. a. Sie werden von Veröffentlichung zu Veröffentlichung übernommen, ohne dass sich jemand die Mühe machte, diesen verzerrt dargestellten Lehren des Christentums nachzuforschen und sie zu revidieren. Die Traktate über das Christentum befragen nicht christliche Quellen, sondern stützen sich allein auf den Koran und die islamische Tradition. Für die vermittelten Inhalte und Haltungen ist darüber hinaus die Einstellung des jeweiligen Lehrers von Wichtigkeit. Er gibt Kommentare ab, zählt Beispiele auf, illustriert geschichtliche Fakten wie z.B. Kreuzzüge, Inquisition, Kirchenspaltungen, Kolonialismus. Das Bild vom Christentum wird in der Türkei neben den Religionsbüchern von weiteren Publikationen, Büchern, Zeitschriften und Zeitungen geprägt. Besonders Veröffentlichungen des "parallelen Islams" führen eine apologetische und polemische Feder. Traditionalistische Kreise klagen den "offiziellen Islam", wie er in den Schulen unterrichtet wird, als "unecht und verfälscht" an, während sie den "wahren und reinen Islam" lehrten.

Frage der Trennung zwischen Kirche und Staat

Der Bruch mit der islamischen Tradition durch die Trennung von Religion und Staat (Laizismus) produziert seit den zwanziger Jahren Spannungen, die der "parallele Islam" auffängt. Seit Mitte der 80er Jahre verliert nun der Staat, die kemalistische Bürokratie, zusehends seine Kontrollfunktion über diesen Islam, der nicht zuletzt von einer engen Verflechtung muslimischer Ordensgemeinschaften mit politischen Parteien geprägt ist.

 

Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn

 

>> Ruf nach Wiedereinführung des Religionsunterrichtes wird lauter

>> Schrittweise Wiedereinführung

>> Aufnahme theologischer Studienrichtungen

>> Alle Einrichtungen werden vom Staat geleitet

>> Geheimer Religionsunterricht

>> Lehrpläne wurden reformiert

>> Richtlinien des Unterrichts

>> Inhalte der Lehrpläne

>> Stärkung des islamischen Wir-Gefühls

>> Verwendung völlig neuer Religionsbücher

>> Das Christentum in türkischen Religionsbüchern

>> Betonung der Gegensätze zwischen Christen und Juden

>> Erklärung der Unterschiede des geistlichen Standes

>> Aufzeigen der Uneinigkeit der Christen

>> Der Abschnitt "Die christlichen Glaubenslehren"

>> Re-Islamisierung?

>> Frage der Trennung zwischen Kirche und Staat

 
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