Fachartikel

Die islamische Welt als Promotor und Produkt kultureller Transformationen

Von Peter Heine (Biografie)

 

Aus einer Vielzahl von Gründen konzentriert sich die europäische Perspektive vom Islam auf den Nahen und Mittleren Osten. Für die zukünftigen sozialen, politischen, kulturellen, aber auch religiösen Entwicklungen der islamischen Welt sind jedoch auch die "islamischen Peripherien" in Südostasien, Westeuropa und Nordamerika von Bedeutung. Die dort betriebene "Islamisierung des Wissens" gilt als Auseinandersetzung der islamischen Welt mit dem Westen und der Moderne. Die vielfältigen Konsequenzen für die Alltagspraxis der Muslime und deren Rolle in einer durch die Globalisierung immer kleiner werdenden Welt wurden bisher kaum ausreichend analysiert.

Im Gegensatz zu Natur bezeichnet Kultur die Komponenten des menschlichen Lebens, die nicht biologisch determiniert sind, sondern durch den Menschen als ein soziales Wesen geschaffen oder verändert werden. Als Resultat des globalen ökologischen Bewusstseins und der Entwicklung von modernen Bio-Technologien hat sich jedoch die Grenze zwischen Mensch und Natur immer mehr verwischt.

Kulturelle Identitäten verschwimmen

Kultur bezeichnet die Summe von Merkmalen, die eine Gruppe von einer anderen unterscheidet. Die globale Mobilität von Menschen, Gütern und Ideen macht jedoch kulturelle Grenzen immer durchlässiger. Kulturelle Identitäten werden verändert, hybridisiert durch die Verbindung mit Elementen aus anderen Kulturen und durch die Entwicklung zu einer transnationalen ,Weltkultur' überformt. Wie der Neologismus ‚Glokalisierung' (Robertson) zeigt, kommt auch die modische Bezugnahme auf lokale, autochthone oder partikularistische Traditionen ohne die Bezugnahme auf die Globalisierung nicht aus. Weiter bezeichnet der Begriff in der vertikalen normativen Klassifikation menschlicher Gruppen die angeblich überlegene, fortgeschrittene, gebildete Lebensweise. Das Gegensatzpaar ist dann gerne Kultur gegen Barbarei, Hochkultur gegen Volkskultur. Die heute festzustellende Vereinheitlichung von Konsumgewohnheiten und dergleichen macht den Unterschied zwischen ,hoch und niedrig’ nun immer weniger bedeutsam. Einerseits ist das deutlichste Kennzeichen der gegenwärtigen globalen Hegemonie die ‚McDonaldisierung‘ der Welt, andererseits finden wir natürlich auch eine Vereinheitlichung von Trends in den modernen Künsten, in der Literatur usw.

Gegensatz von Geist und Materie

Kultur bezeichnet den Bereich der Produktion immaterieller Werte wie Künste, Wissenschaften, Religionen usw. In diesem Kontext spiegelt ,Kultur` den alten Gegensatz zwischen Geist und Materie wieder. Die Möglichkeiten der audio-visuellen Massenkommunikation und der Zwang, fragmentierte Massengesellschaften zu integrieren durch ‚symbolic politics' machen die Unterschiede zwischen dem immateriellen Bereich der geistigen Kultur und den handfesten materiellen Bereichen wie der Wirtschaft oder der Politik immer weniger bedeutsam. Filmschauspieler werden Politiker und Politiker stellen sich wie Filmschauspieler dar. Unterhaltung und Information über politische oder wirtschaftliche Fragen werden zu Infotainment-Veranstaltungen vermischt. Politische und ökonomische Entscheidungen werden von wissenschaftlichen Experten und Beratern vorbereitet und legitimiert. Kulturelle Sachverhalte wie Vertrauen, Disziplin, Loyalität, Motivation oder Geschmack werden heute als wichtige Probleme in der Ökonomie verstanden. Philosophie und ein geistiges holistisches Denken sind Teile moderner Managementstrategien geworden - von der Verallgemeinerung des Kulturbegriffs, wie z.B. bei Firmenkultur etc., einmal ganz abgesehen.

Faktoren kulturellen Wandels

Das gegenwärtige Nachdenken über kulturellen Wandel im globalen Kontext lässt sich an drei Linien festmachen: 1. Homogenisierung: Man ging und geht auch heute davon aus, dass die Dynamik der modernen Gesellschaften die Welt homogen und politisch isomorph machen würde. Man erwartet eine mehr oder weniger einheitliche Welt und schließlich einen einzigen Weltstaat. 2. Heterogenisierung: Arjun Appadurai meint, "the new global cultural economy has to be seen as a complex, overlapping, disjunctive order, which cannot be seen understood in terms of existing center-periphery-models". Er denkt stattdessen an "the configuration of cultural forms in today's world as fundamentally fractal, that is, as possessing no Euclidian boundaries, structures or regularities". 3. Regionalisierung: Da reicht es in der gegenwärtigen Situation, einen Autor und sein Werk zu nennen: Samuel Huntington, "Clash of Civilisations"

Die islamische Welt in ihrer gegenwärtigen Ausprägung

Die drei Gedankenlinien schließen einander nicht aus. Sie überdecken und beeinflussen sich gegenseitig, und es liegt nahe, diese sehr theoretischen Überlegungen an einem konkreten Beispiel zu überprüfen, nämlich der islamischen Welt in ihrer gegenwärtigen Ausprägung. Ich weiß, dass ich mich mit der Formulierung ,islamische Welt‘ als Orientalist im Saidschen Sinne "geoutet" habe, da es sich um eine ausgesprochen essentialistische Formulierung handelt. Ich hoffe aber, dass ich im Laufe meiner Ausführungen aufzeigen kann, dass es so etwas wie ,die islamische Welt‘ geben wird oder zumindest geben könnte. Richtig ist natürlich zugleich, dass die islamische Welt zwischen Senegal im Westen und der malaysischen Inselwelt im Osten, zwischen der ostafrikanischen Küste im Süden und den zentralasiatischen Republiken im Norden - von den zahlreichen islamischen Minderheiten in Amerika, Europa oder Ozeanien ganz zu schweigen - beträchtliche kulturelle Unterschiede aufweist. Die Unterschiede können abhängig sein von den gesellschaftlichen Strukturen im engeren Sinne, also den Familienstrukturen, sie können abhängig sein von den Substratreligionen, wie das von Clifford Geertz in seinem Vergleich zwischen dem Islam in Indonesien und Marokko vor schon bald dreißig Jahren aufgezeigt worden ist. Die wirtschaftlichen Bedingungen spielen eine Rolle so wie die historisch-politischen Entwicklungen, und es ist sicherlich falsch, die islamische Welt auf den Nahen und Mittleren Osten reduzieren zu wollen. Schließlich lebt die Mehrheit der Muslime außerhalb dieser Großregion.

Auswirkungen auf soziale Strukturen

Natürlich sind diese Menschen von ihrer näheren kulturellen Umgebung stärker geprägt als von etwas, das man als Gesamt-Islam bezeichnen könnte. Regionale, ja lokale religiöse Vorstellungen, Rituale und andere religiöse Praktiken wirken auf sie ein wie auch Vorstellungen von normativ verstandenen Sozialstrukturen, die als islamisch angesehen werden, auch wenn sie mit dieser Religion an sich kaum etwas zu tun haben mögen. Hier sei vor allem auf die Frage der gesellschaftlichen Stellung von Frauen in islamischen Gesellschaften hingewiesen. Dennoch ist die islamische Welt, sind islamische Gesellschaften nicht von den Aspekten der Globalisierung ausgeschlossen. Ich möchte das an einer einzigen Gruppe von Beispielen verdeutlichen, den über Satelliten verbreiteten Fernsehprogrammen.

Einfluss globaler Elemente auf den Islam

Mit der Zugänglichkeit von Parabolantennen und einer gewissen technischen Fähigkeit ist es heute möglich, überall in der Welt, auch in der islamischen Welt, internationale, vornehmlich in Westeuropa, den USA oder Indien produzierte Fernsehprogramme zu empfangen. So ist der Musik-Sender MTV auch in den westlichen Grenzregionen Pakistans, in afghanischen Flüchtlingslagern oder in den Camps von philippinischen Arbeitsmigranten auf der arabischen Halbinsel zu empfangen, und die saudischen Tageszeitungen drucken täglich die entsprechenden Programmankündigungen. Schon diese Video-Clips verbreiten ein Bild der westlichen Welt, das zwar nicht mit den gesellschaftlichen Realitäten des Westens übereinstimmen mag, dennoch aber von beträchtlicher Wirkung auf die Zuschauer ist. Es gibt bei MTV speziell für muslimische Konsumenten produzierte Programme, die aber immer noch westliche Ideen von Geschlechterbeziehungen, Konsumverhalten usw. transportieren. Unabhängig von den jeweiligen kulturellen, religiösen, politischen oder ökonomischen Besonderheiten müssen sich islamische Gesellschaften, urbane oder ländliche, mit diesem Einfluss auseinandersetzen. Da es sich für sie alle um die gleiche Form von Einfluss handelt, werden die Reaktionen darauf zwar bis zu einem gewissen Grad, abhängig von historischen, sozialen oder ökonomischen Gegebenheiten unterschiedlich ausfallen, im Endeffekt jedoch zu einer Vereinheitlichung der islamischen Welt beitragen. Schließlich sind die Möglichkeiten der Reaktion begrenzt. Im Grunde können sie auf einen binären Code von Plus und Minus reduziert werden.

Islamische Gelehrte fordern Erhalt der islamischen Identität

Islamischen Religionsgelehrten ist diese Situation nur zu bewusst. In einem sehr emotionalen Beitrag sagte der iranische Gelehrte Mohammad Modjahedi Shabestari bei einem deutsch-iranischen Kolloquium in der Nähe von Hamburg: "Unser Problem ist ein Identitätsproblem; wir wollen auf jeden Fall unsere Identität behalten. Wir sind aber nicht der Meinung, dass die Definition und die Interpretation unserer Werte immer, zu jeder Zeit, die gleichen bleiben müssen. Das kann nicht so sein. Die Geschichte zeigt auch, dass dies unmöglich ist. Die Interpretation der Werte hat sich im Laufe der Geschichte verändert. Das wichtigste ist, dass diese Änderung mit dem Bewusstsein der Menschen, um deren Werte es sich handelt, einhergeht, dass sie nicht als eine Vergewaltigung geschieht, von außen, sondern als eine bewusste freie Wahl entsprechend der Realität...Vielleicht gibt es Menschen, die sagen, das gibt viele Schwierigkeiten bzw. ergibt kein harmonisches System. Aber, was kann man denn tun? Gibt es eine andere Wahl? Wir sind der Meinung, dass es keine andere Wahl gibt. Entweder wir sprechen gar nicht mehr von unserer eigenen Identität und sagen, dass alles, was uns die westliche und die östliche Zivilisation anzubieten haben, gut ist, und wir übernehmen dann alles und verlieren unsere Identität, oder wir sagen, dass wir unsere Identität bewahren wollen, aber trotzdem einen Kompromiss eingehen. Unserer Meinung nach ist das unsere einzige Möglichkeit. Wir halten sie für richtig und gut, nicht für antiislamisch und antireligiös, sondern für realistisch" (Peter Heine (Hrsg.), Deutsch-Iranisches Kolloquium: Religion und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, bilaterale Beziehungen, Hamburg, 28. 30. März 1988, Hamburg 1989 Seite 20-21). Der iranische Gelehrte hat das islamische Dilemma auf den Punkt gebracht. Wie soll sich die islamische Welt gegenüber der politisch, militärisch, ökonomisch, technologisch und auch kulturell dominierenden westlichen Welt verhalten, ohne dass sie der McDonaldisierung anheimfällt?

Der Stellenwert der bildenden Kunst in der modernen islamischen Kultur

Lassen Sie mich zunächst als Beispiel einen Bereich herausgreifen, der bisher wenig in die zahlreichen unterschiedlichen innerislamischen und islamisch-westlichen Diskussionen einbezogen worden ist, den der bildenden Kunst. Man mag ihn für marginal halten. Er ist aber sehr konkret und macht mit einem Aspekt moderner islamischer Kultur bekannt, der für die westliche Öffentlichkeit durchaus von Interesse ist. Bekanntlich ist die Haltung des islamischen Rechts gegenüber bildlichen Darstellungen von Menschen oder überhaupt lebenden Wesen eher zurückhaltend. Es ist sicher nicht ausreichend differenziert, wenn man von einem Bilderverbot im Islam spricht, denn viele islamische Hochkulturen haben eine bemerkenswerte Malerei, vor allem im Bereich der Miniaturen, entwickelt.

Islamische bildende Kunst durch die Kalligraphie geprägt

Seit den 20er Jahren unseres Jahrhunderts gibt es nun in der Mehrzahl der islamischen Staaten Kunstakademien, in denen junge Menschen zunächst von europäischen, später auch von einheimischen Lehrern in moderne Formen von bildender Kunst eingeführt und schließlich auch selbst Maler oder Bildhauer werden. Diese jungen Künstler kennen natürlich die europäischen und amerikanischen Kunstentwicklungen dieses Jahrhunderts und haben sich von ihnen inspirieren lassen. Angesichts ihrer Werke wird man in vielen Fällen kaum feststellen können, woher die Künstler stammen. Ihre Werke weisen keinen spezifisch islamischen Charakter auf. Ihre Herkunft lässt sich in der Regel aus den Motiven herleiten, nicht jedoch aus der Technik oder dem Stil. Den Werken älterer Künstler sieht man noch die Suche an. Sie wirken oft recht amateurhaft.

Gegenwartskunst ist sehr vielfältig

Heute ist die Szene insgesamt sehr vielfältig und kaum noch zu überblicken. Es gibt deutliche nationale Sonderentwicklungen. Zugleich besteht aber auch eine enge Verbindung von Künstlern der islamischen Welt zur internationalen Kunstszene unseres Jahrhunderts, von den Impressionisten über die Expressionisten, von Pop- und Op-art bis hin zu aktuellen Bewegungen. Insofern haben wir es mit einer Globalisierung auch im Bereich der bildenden Kunst zu tun. Daneben findet sich aber auch eine spezifische Form von moderner islamischer Kunst, die sich vom Nahen Osten bis nach Südostasien feststellen lässt. Das ist die Rückkehr zur Kalligraphie, die wir in den wichtigsten künstlerischen Zentren der islamischen Welt feststellen können. Diese Art und Weise des Umgangs mit der Linie, die ja eine Vielzahl von künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten bietet, findet sich bisher ausschließlich in einem künstlerischen Kontext mit islamischem Hintergrund, wenngleich sich der ästhetische Reiz dieser Werke auch demjenigen nicht verschließen wird, der aus einem anderen kulturellen Kontext stammt (Peter Heine, Moderne Malerei in der islamischen Welt, in: W. Ende und U. Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart, München 1994, Seite 784 – 793).

Gemeinsamkeiten westlicher und islamischer Kunst

Vergleichbare Entwicklungen ließen sich auch aus dem Bereich der Literatur und des Films beibringen, während sich die Bereiche der E-Musik der gegenseitigen Befruchtung in der Moderne fast verschließen. Dies mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass die sogenannte ernste Musik ein nahezu ausschließliches westliches Phänomen darstellt. Auf den Einfluss der türkischen Musik auf Mozart oder auch Beethoven muss ich nicht weiter eingehen. Aber westliche E-Musik hat auf einen vergleichbaren Musikbereich in der islamischen Welt kaum Einfluss gehabt. Anders wäre es hier mit dem Jazz und der Unterhaltungsmusik, bei denen der Austausch beträchtlich ist. Hier finden sich in der Melodik und in der Rhythmik zahlreiche gegenseitige Beeinflussungen.

Die Bewegung der ,Islamisierung des Wissens'

Ein anderer interessanter Aspekt kultureller Produktion hat bisher kaum das Interesse westlicher Beobachter der islamischen Welt über den engen Kreis der Spezialisten hinaus gefunden. Es ist der, der unter der Bezeichnung ‚Islamisierung des Wissens‘ die Debatten unter muslimischen Intellektuellen in der gesamten islamischen Welt mitbeeinflusst. Auf die Konfrontation mit dem Westen haben muslimische Gelehrte und Intellektuelle seit jeher auf verschiedene Arten reagiert. Sie sahen in den westlichen Errungenschaften und Erfindungen auf technologischem, wirtschaftlichem, sozialem oder politischem Gebiet zunächst ideale Ergebnisse menschlichen Schöpfergeistes und gingen vereinzelt sogar so weit, die wissenschaftlichen Bemühungen westlicher Herkunft als eine ideale Form islamischer Praxis zu betrachten. Je bekannter Muslimen der Westen jedoch wurde und je deutlicher z.B. die wirtschaftlichen, strategischen und politischen Interessen westlicher Mächte an der islamischen Welt wurden, um so kritischer betrachteten sie nun auch die Ergebnisse westlicher intellektueller Bemühungen. Vor allem aber wehrten sie sich gegen jede Art der Verächtlichmachung des Islams und islamischen Lebens durch den Westen und gegen das Vorurteil der mangelnden schöpferischen Kraft der islamischen Kulturen. Die Kontroverse zwischen dem muslimischen Reformer Djamal al Din al-Afghani und dem französischen Philosophen Ernest Renan zu Ende des vergangenen Jahrhunderts ist der Beginn von Auseinandersetzungen, die bis zum heutigen Tag angehalten haben. Die Debatte um die Islamisierung des Wissens muss in diesem Kontext gesehen werden. Wichtige Zentren dieser Bewegung finden sich in verschiedenen Regionen der Welt: in Ägypten, Malaysia, den USA und auch in Deutschland. Angesichts der wachsenden Bedeutung, die der Islam in Südostasien für den Weltislam gewinnt, soll die Bewegung in Malaysia besonders betrachtet werden.

Islamisierung durch entsprechende Koraninterpretationen

Träger der ,Islamisierung des Wissens` sind nicht etwa die Religionsgelehrten Malaysias, die ihre Ausbildung häufig an den großen Zentren islamischer Gelehrsamkeit in Ägypten, Marokko oder in Mekka genossen haben. Traditionell ausgebildete Gelehrte wie Muhammad Abduh oder Muhammad Rashid Rida z.B., versuchten durch entsprechende Interpretation des Korans nachzuweisen, dass auf das Sonnensystem oder die Kernspaltung schon im heiligen Buch der Muslime hingewiesen worden sei. Die Debatte um die ,Islamisierung I des Wissens` geht vielmehr von Personen aus, die entweder an westlich orientierten Universitäten des Landes oder an Universitäten im Westen, also in den USA oder Westeuropa - vor allem England - studiert haben. Viele von ihnen sind darüber hinaus von muslimischen Wissenschaftlern, die vor allem in den USA lehren oder gelehrt haben, beeinflusst. Zu nennen wären hier Sayid Husein Nasr oder Ismail al-Faruqi.

Fallbeispiel Malaysia

Als typisches Beispiel dieser Gruppe der ,Islamisierung des Wissens‘- Bewegung mag Osman Bakar gelten, der zu Beginn der achtziger Jahre Generalsekretär des "Muslim Youth Movernent of Malaysia" und einer der Gründungspräsidenten der "Islamic Academy of Science" von Malaysia (Gründungsjahr 1977) war. Wie Sayid Husein Nasr betont Bakar in seinen Schriften die Bedeutung des Glaubens bei der wissenschaftlichen Forschung. Er stellt fest: "The extensive use of logic in Islam did not lead to the kind of rationalism and logicism one finds in the modern West precisely because the use of reason was never cut off from faith in divine revelation" (Osman Bakar, Tawhid and Science. Essays on the History and Philosophy of Islamic Science, Kuala Lumpur 1991, Seite 4). Der zentrale Begriff des Denkens der ,Islamsierung des Wissens‘ - Bewegung ist ,tawhid‘ (Einheit), also die zentrale Idee islamischen Denkens überhaupt. Um noch einmal Bakar zu zitieren: "In Islam religious consciousness is the source of scientific spirit in all domains of knowledge... Similarly, the idea of objectivity which is so essential to the scientific enterprise is inseparable from religious consciousness and spirituality" (A.a.O., Seite 11).

Die Wichtigkeit des Begriffes "tawhid"

Die überragende Bedeutung und vielseitige Anwendung des Begriffs ,tawhid' im Denken dieser Malaysier wird auch deutlich bei Anwar Ibrahim, der Finanzminister des Inselstaates war. Er geht von der Einheit Gottes aus und schließt von ihr auf die Einheit der Menschheit. So kann er dann auf die Ablehnung jeder Form von rassischer oder nationaler Diskriminierung im Islam schließen. Ein anderer Aspekt von ,tawhid’ ist die Vorstellung einer Wissenshierarchie. Osman Bakar schreibt: "As long as Muslims were faithful to the true spirit of ,tawhid', implying the faithfulness to the idea of hierarchy and unity of knowledge, they were spared of that unfortunate and intellectually precarious situation whereby one mode of knowing is affirmed at the expense of other modes"(Bakar 1991, Seite 5). Wissenschaftliches Arbeiten und Forschen ohne eine Verankerung oder einen festen Bezug zu religiösen Vorstellungen wird hier als vom Ergebnis her unbefriedigend oder problematisch angesehen. Weil die Bewegung der ,Islamisierung des Wissens' die Verbindung von Forschung und Glauben im Gegensatz zur westlichen Wissenschaft nicht aufgegeben hat, ist sie dieser notwendigerweise überlegen.

Kritische Stimmen zur Islamisierung

Natürlich ist dieBewegung der ,Islamisierung des Wissens’ nicht ohne Kritik geblieben, die vor allem von säkularistischen Intellektuellen aus islamischen Ländern vorgetragen wurde. Dabei kritisierten sie vor allem jene Bereiche der Bewegung, in der mit quasi-naturwissenschaftlichen Methoden koranische Aussagen verifiziert werden sollten, wie das schon zu Beginn unseres Jahrhunderts unter sogenannten Modernisten in der islamischen Welt üblich gewesen war. Sie machen sich lustig über die Behandlung der Frage, wie hoch die Temperaturen in der Hölle seien oder wie die Himmelfahrt des Propheten Muhammad technisch vor sich gegangen sei. Dennoch wird man vor allem in den Bereichen von Philosophie, Soziologie und Anthropologie die Bedeutung der ,Islamisierung des Wissens' für die weitere Entwicklung islamischen Denkens kaum gering schätzen dürfen.

Konzentration auf nur ein bestimmtes Wissen ist ein globaler Trend

Man kann den Komplex der Islamisierung des Wissens unter den verschiedensten Aspekten betrachten und beurteilen. Er könnte verglichen werden mit den Vorstellungen von protestantischen amerikanischen Creationisten, die sich scharf gegen evolutionistische Theorien wenden, oder mit der wissenschaftlichen Praxis, wie sie von der Bar Ilan-Universtät in Israel bekannt ist, die einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre im Bereich der Naturwissenschaften aufweist, an der es jedoch keine medizinische Fakultät gibt, weil das jüdische Recht die Sektion von menschlichen Körpern verbietet. Insofern ist die islamische Bewegung der ,Islamisierung des Wissens` Teil einer globalen Bewegung. Interessant ist aber im malaysischen Fall ein anderer Aspekt: Es sind vor allem Teile der neuen, westlich ausgebildeten Eliten, die sich in dieser Bewegung engagieren. Man könnte im Fall Malaysia von einer Re-Islamisierung von oben sprechen, also dem Versuch der politischen Eliten, durch die ,Islamisierung des Wissens' einem Phänomen zu begegnen, das z.B. in Ägypten oder Algerien den herrschenden Kreisen große Schwierigkeiten bereitet, nämlich der sogenannte islamische Fundamentalismus, der dort in nicht geringem Maße eine Bewegung der Unter- und unteren Mittelschicht darstellt und deren soziale Momente jedem Beobachter offenbar sind. Indem die malaysische Führung den Islam in einer modernen, den Gegebenheiten des heutigen Malaysia angemessenen Form propagiert, verhindert sie fundamentalistische Exzesse nahöstlicher oder nordafrikanischer Form (Friedemann Büttner, Zwischen Politisierung und Säkularisierung - Möglichkeiten und Grenzen einer Integration der Gesellschaft, in: Erhard Forddran (Hrsg.), Religion und Politik in einer säkularisierten Welt, Baden-Baden 1991).

Entwicklung in der islamischen Welt als Reaktion auf den Westen

So bedeutsam die genannte Bewegung für die weitere Entwicklung der islamischen Welt in den kommenden Jahrzehnten auch sein mag, sie wird stets eine Reaktion auf den Westen in einer nicht-westlichen Umgebung bleiben. Der Westen wird weiterhin die dominierende politische, ökonomische, technologische und auch intellektuelle Größe in der durch die Globalisierung immer enger zusammenrückenden Welt bleiben. Von daher sind die Muslime, die in den verschiedenen westlichen Staaten in der Diaspora leben, für die Zukunft des Islams von entscheidender Bedeutung. Sie sehen sich in besonderer Weise dem Einfluss westlicher Vorstellungen ausgesetzt und müssen mit den besonderen Bedingungen westlicher Gesellschaften umzugehen lernen. Dies ist ein komplizierter Prozess, der hier unmöglich in allen Aspekten dargestellt werden kann, selbst wenn alle bisherigen Quellen der Analyse zugänglich wären. Gerade diejenigen, die sich in der westlichen Welt der wissenschaftlichen Erforschung des Islams widmen, müssen sich zurecht den Vorwurf gefallen lassen, dass sie hier auf geradezu sträfliche Weise ein in jeder Hinsicht wichtiges Forschungsfeld unbeackert gelassen haben.

Beispiel: Religionsunterricht für muslimische Kinder in Deutschland

Ich möchte im folgenden auf ein spezifisch deutsches Problem eingehen, das zugleich die Situation des Islams in ganz Europa beleuchtet. Von den zwei bis drei Millionen Muslimen in Deutschland ist ein sehr großer Teil noch im schulpflichtigen Alter. Die muslimischen Kinder gehen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, in die deutschen Regelschulen, also Grund- und Hauptschulen und die verschiedenen weiterführenden Schulen. Zurechtist festgestellt worden, dass die Bildungsbereitschaft in der muslimischen Bevölkerung sehr hoch ist, auch wenn sich diese in der Realität nicht in allen Fällen umsetzen lässt. Gemäß der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, haben alle Kinder Anspruch auf Religionsunterricht. Viele Juristen sind der Meinung, dass dieses Recht auch für muslimische Kinder zu gelten habe. Nun steht die Frage des Religionsunterrichts derzeit in Deutschland ganz allgemein zur Diskussion. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass sich im Rahmen des Einigungsprozesses das Problem ergeben hat, dass in einigen der neuen Bundesländer die Zahl der Deutschen, die sich überhaupt einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen - ob sie nun praktizieren oder nicht - teilweise unter 10 Prozent liegt. Ich selbst lebe in einer kleinen Stadt am Rande von Berlin, in der von 27.000 Einwohnern ca. 1.600 Protestanten und 300 Katholiken sind. Die weit überwiegende Mehrheit gehört überhaupt keiner Religionsgemeinschaft an. Der Streit in den Bundesländern Berlin und Brandenburg geht darum, ob anstelle des Religionsunterrichts ein Fach ‚Lebenskunde - Ethik - Religion' (LER) betreiben sollte, in dem dann auch religionsgeschichtliche und religionswissenschaftliche Kenntnisse über die großen Weltreligionen vermittelt werden sollten. Hier hätte sicherlich auch der Islam seinen Platz. Im größeren Teil der Bundesrepublik Deutschland wird jedoch Religionsunterricht angeboten, der für christliche Kinder bis zum 14. Lebensjahr obligatorisch ist.

Problem bei der Abhaltung muslimischen Unterrichts

Angesichts dieser Sachlage darf es nicht verwundern, dass die verschiedenen kleineren oder größeren islamischen Organisationen in Deutschland seit vielen Jahren auch eine religiöse Unterweisung für muslimische Kinder in deutschen Schulen fordern. Sie werden dabei von den großen christlichen Kirchen unterstützt. Die deutschen Schulbehörden hatten ihrerseits darauf verwiesen, dass in dem für ausländische Kinder obligatorischen muttersprachlichen Unterricht die Möglichkeit einer religiösen Unterweisung bestehe. Hier entstand nun ein recht vielschichtiges Problem: Die überwiegende Zahl der Muslime in Deutschland stammt aus der Türkei, die sich als säkularer Staat sieht. Zahlreiche aus der Türkei entsandte Lehrer kamen seit den 70er Jahren nach Deutschland, um diesen Unterricht für Kinder aus der Türkei durchzuführen.

Wer soll die Kinder unterrichten?

Es ergaben sich eine Reihe von Schwierigkeiten, was den Aspekt der religiösen Unterweisung betrifft. Zunächst einmal fehlte einem Teil dieser Lehrer eine ausreichende Kenntnis des Islams, da sie aus einem religionssoziologischen Kontext in der Türkei stammten, in dem Religion keine besondere Rolle spielte oder der, im Gegenteil, von anti-religiösen Vorstellungen geprägt war. Von diesen war eine religiöse Unterweisung für muslimische Kinder nur schwer zu erwarten. Auch Lehrer, die sich als praktizierende Muslime sahen, fanden sich in einer Konfliktsituation, da sie Repräsentanten eines säkularen Staates waren, der seit Jahrzehnten die Vorstellung von Religion als Privatsache zu einem seiner wichtigsten ideologischen Grundsätze gemacht hatte.

Koranschulen entstehen

Dazu kam, dass sich im Schutze der verfassungsmäßig verbrieften Religions- und Meinungsfreiheit in Deutschland eine Reihe von islamischen - vornehmlich türkischen - Organisationen, etablierten. Sie richteten Beträume und Moscheen ein, boten den aus der Türkei stammenden Migranten die Möglichkeit, sich zu treffen und entwickelten verschiedene Sozialprogramme. Schließlich richteten sie auch Koranschulen ein, die von den Familien weniger religiöser Migranten gerne genutzt wurden, da sie als eine Art von Aufbewahrungsstätten für Kinder von Eltern fungierten, die durch die entsprechenden zeitlichen Arbeitsregelungen ihre Kinder nicht beaufsichtigen konnten. Diese Koranschulen waren allerdings recht problematische Einrichtungen. Die dort tätigen, meist älteren Lehrkräfte waren in der Regel für den Unterricht nicht religionspädagogisch ausgebildet, sodass sie auf die Kinder, die ja zugleich eine deutsche Schule besuchten, entsprechend eingehen hätten können. Sie gingen bei der Vermittlung des heiligen Buches der Muslime so vor, wie sie es in ihrer Jugend erfahren hatten. Sie vermittelten also nur ein rein phonetisches Memorieren des arabischen Textes ohne nähere Erklärungen, nicht zuletzt, weil sie selbst des Arabischen nicht mächtig waren. Körperstrafen waren nicht unüblich.

Medien greifen Situation in den Koranschulen auf

Im Zusammenhang mit den innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Türkei der 70er und frühen 80er Jahre, die sich auch auf die aus der Türkei stammenden Migranten auswirkten, wurde dann in verschiedenen deutschen Medien immer wieder auf die Situation in den Koranschulen hingewiesen. Mit einem wachsenden Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der islamischen Welt und damit auch an den damals schon ca. 1,8 Millionen Muslimen in Deutschland Ende der 70er Jahre wurden auch die ersten ernsthaften Überlegungen für eine religiöse Unterweisung von muslimischen Kindern in Deutschland angestellt. Pädagogen und Vertretern der Schulverwaltungen wurde wohl als erster größerer Gruppe in Deutschland klar, dass der Islam ein dauerhaftes Phänomen in diesem Land geworden ist. Die inzwischen gegründeten islamischen Großorganisationen forderten ebenfalls immer deutlicher das durch das Grundgesetz verbriefte Recht muslimischer Kinder auf religiöse Unterweisung. Vorreiter in diesem Bereich war dann die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, an deren Landes-Institut für Curricularforschung ein Lehrgang zur religiösen Unterweisung von muslimischen Kindern an deutschen Schulen entwickelt wurde.

Probeweise zweisprachiger Unterricht

Dabei ging man von der Überlegung aus, dass Unterrichtssprache Deutsch sein sollte. Zwar stammt die überwiegende Mehrzahl der in Deutschland lebenden Muslime aus der Türkei, doch beherrschen nicht alle türkischen Staatsbürger das Türkische als Muttersprache. Zudem kommen etwa 20 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime aus anderen Teilen der islamischen Welt. Inzwischen hat etwa eine Viertelmillion Muslime die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Kurs wurde also zweisprachig, deutsch-türkisch, ausgearbeitet und in einigen Schulen des Landes probeweise im Unterricht verwendet. Zu den Autoren des Unterrichtswerks gehörten deutsche nicht muslimische und nicht-deutsche muslimische Mitarbeiter. In der Einleitung dieser Veröffentlichung wurde deutlich gemacht, dass die Verfasser die fachkundige Hilfe von westlichen Islamwissenschaftlern ebenso wie von muslimischen Wissenschaftlern eingeholt hätten. Zu letzteren gehört z. B. der gegenwärtige ägyptische Minister für religiöse Angelegenheiten Zaqzuq, der in Deutschland mit einer philosophiegeschichtlichen Arbeit über al-Ghazzali und Descartes promovierte und lange Jahre Professor für Philosophie an der Azhar-Hochschule in Kairo war.

Zweisprachiges Modell ruft Konflikte hervor

Allerdings ergaben sich bald eine Reihe von Konflikten um dieses Unterrichtswerk, die einen bezeichnenden Blick auf die Situation des Islams in Deutschland möglich machen. Die offiziellen Vertreter des Islams in der Türkei, die in den diplomatischen Vertretungen des Landes als ,Religions-Attaches' installiert sind, lehnen dieses Soester Modell ab, weil als Unterrichtssprache Deutsch vorgeschlagen wird. Von offizieller türkischer Seite wird befürchtet, dass die Schüler durch die deutsche Unterrichtssprache ihrer Herkunftskultur weiter entfremdet werden und dass sie ihre türkisch-muslimische Identität zugunsten einer deutsch-muslimischen aufgeben. Dass damit der Einfluss türkischer staatlicher Autoritäten auf in Deutschland lebende Türken zurückgehen wird, wird nicht gesondert angesprochen, spielt aber in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende politische Rolle. Aus meiner Sicht können die deutschen Schulaufsichtsbehörden allerdings auf diese Position der türkischen Seite keine Rücksicht nehmen. Formalrechtlich ist der Schulunterricht eine hoheitliche Aufgabe, die von staatlichen Stellen bestimmt und überwacht werden muss. Daher ist es nicht statthaft, dass ein fremder Staat Einfluss auf deutsche hoheitliche Aufgaben zu nehmen versucht. Etwas anderes wäre es, wenn in Deutschland Schulen mit türkischem Curriculum eingerichtet würden, die auch von der türkischen Seite finanziert würden. So etwas wäre formal rechtlich möglich, wenngleich es eine ganze Reihe von Problemen hinsichtlich des Zusammenlebens von Deutschen und aus der Türkei stammenden Migranten mit sich brächte.

Ungenügend hohe Bedeutung der türkischen Sprache

Neben diesen rechtlichen Bedenken spielt ein anderes aber eine größere Rolle. Der Islam ist eine Universalreligion, in der der türkische Islam eine bestimmte, bezüglich der aktuellen religiösen oder theologischen Diskussionen aber durchaus keine bestimmende Rolle spielt. Traditionell bestimmend ist weiterhin die arabische Welt mit ihren Zentren in Kairo, Tunis, Fez und Mekka. Lingua franca in diesem Kontext war immer das Arabische, zu dem sich inzwischen das Englische gesellt hat. Letzteres hängt gewiss mit der Tatsache zusammen, dass an Universitäten in Kanada und den USA, zu nennen wären McGill und Tempelton, einige der originellsten muslimischen Denker (Ismail Radji al-Faruqi, Sayid Husein Nasr, Fazlur Rahman, Sayid Naqub al-Attas) gelehrt haben oder noch lehren, die eine Vielzahl von begabten Studenten aus der gesamten islamischen Welt angezogen haben, die ihrerseits in ihrer Heimat die Vorstellungen ihrer Lehrer bekannt machen. In allen diesen theologischen Diskussionszusammenhängen spielen türkische Gelehrte derzeit keine herausragende Rolle. Unabhängig davon kann es aber nicht angehen, dass religiöse Unterweisung für türkische, kurdische, arabische, pakistanische, berberische, somalische und nicht zuletzt deutsche Kinder an einer deutschen Schule in türkischer Sprache erfolgt.

Nicht-türkische Kinder sind ausgeschlossen

Der gegenwärtige Stand ist aber doch wohl, dass Türkisch benutzt wird und dadurch nicht-türkische Kinder von dieser Form der religiösen Unterweisung ausgeschlossen sind. Das hängt nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, dass das entsprechende Unterrichtspersonal türkischer Herkunft ist. Es mangelt an qualifizierten Lehrkräften aus anderen islamischen Ländern oder aus Deutschland. Zwar ist die Zahl junger muslimischer Studierender an deutschen Hochschulen und Universitäten auch in den Lehramtsstudiengängen beständig im Steigen begriffen. Die entsprechenden religionspädagogischen Angebote der Universitäten für diese Studierenden sind bisher jedoch immer noch sehr gering. Es fehlt in Deutschland eine islamischtheologischen Hochschule oder eine entsprechende Fakultät an einer der Universitäten.

Fundamentalistische Tendenzen im Unterrichtsmaterial

Ein anderes Problem des Islams in Deutschland, das auch auf der europäischen Ebene feststellbar ist, wird im Zusammenhang mit der religiösen Unterweisung für muslimische Kinder ebenfalls deutlich. Durch einen Zufall hatten sich in Soest Ende der 60er Jahre der Islamrat der Muslime in Deutschland und das Deutsche Islamarchiv angesiedelt, beide seinerzeit unter der Leitung des deutschen Muslims Muhammad Salim Abdullah. Es lag für die Mitarbeiter des Unterrichtswerks für die religiöse Unterweisung von muslimischen Kindern an deutschen Schulen nahe, sich an diese benachbarte Einrichtung zu wenden und eine Kooperation zu beginnen. Kaum war der erste Band des Unterrichtswerks veröffentlicht, hagelte es auch schon Kritik und Proteste von konkurrierenden islamischen Organisationen. Dem Islamrat und dem Islamarchiv wurde große Nähe zu oder gar Kontrolle durch die Milli-Görüsh-Bewegung vorgeworfen. Muslimische Kritiker sahen daher in dem Unterrichtswerk entsprechende ,fundamentalistische‘ Tendenzen. Sie bedauerten, dass sie selbst von der Mitarbeit an dem Werk ausgeschlossen worden seien.

Fehlen einer gemeinsamen Linie

Diese Reaktion ist typisch. Es ist dem Islam in Deutschland bisher noch nicht gelungen, einheitliche Strukturen aufzubauen, die es ihm möglich machen, mit einer Stimme gegenüber der deutschen Öffentlichkeit aufzutreten und seine Anliegen und berechtigten Interessen zu vertreten. Die immer wieder nach außen dringenden Kontroversen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland schwächen diese. Dieses Problem wird von zumindest einem Teil der in Deutschland lebenden Muslime inzwischen auch erkannt. Mit einer weiteren Germanisierung des Islams in Deutschland, d.h. mit einer Zunahme deutscher Staatsbürger muslimischen Glaubens, einer größeren Zahl von deutschen Muttersprachlern usw., werden sich in dieser Hinsicht sicherlich positive Veränderungen ergeben. Die islamische Welt hat sich in einem erstaunlichen Maße auf die Herausforderungen der Globalisierung im kulturellen Bereich eingestellt. Sie ist in ihrer Gesamtheit keinesfalls der rückwärts gewandte Teil der Welt, als der sie immer wieder beschrieben wird. Ihre Probleme mit einer säkularisierten Welt unterscheiden sich kaum von denen der anderen großen Religionsgemeinschaften. Ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die islamische Welt aufgrund ihrer andersgearteten historischen Erfahrungen - vor allem in der Zeit des Kolonialismus - sehr viel flexibler reagiert als z.B. die christlichen Kirchen.

 

Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn

 

>> Kulturelle Identitäten verschwimmen

>> Gegensatz von Geist und Materie

>> Faktoren kulturellen Wandels

>> Die islamische Welt in ihrer gegenwärtigen Ausprägung

>> Auswirkungen auf soziale Strukturen

>> Einfluss globaler Elemente auf den Islam

>> Islamische Gelehrte fordern Erhalt der islamischen Identität

>> Der Stellenwert der bildenden Kunst in der modernen islamischen Kultur

>> Islamische bildende Kunst durch die Kalligraphie geprägt

>> Gegenwartskunst ist sehr vielfältig

>> Gemeinsamkeiten westlicher und islamischer Kunst

>> Die Bewegung der ,Islamisierung des Wissens'

>> Islamisierung durch entsprechende Koraninterpretationen

>> Fallbeispiel Malaysia

>> Die Wichtigkeit des Begriffes "tawhid"

>> Kritische Stimmen zur Islamisierung

>> Konzentration auf nur ein bestimmtes Wissen ist ein globaler Trend

>> Entwicklung in der islamischen Welt als Reaktion auf den Westen

>> Beispiel: Religionsunterricht für muslimische Kinder in Deutschland

>> Problem bei der Abhaltung muslimischen Unterrichts

>> Wer soll die Kinder unterrichten?

>> Koranschulen entstehen

>>Medien greifen Situation in den Koranschulen auf

>> Probeweise zweisprachiger Unterricht

>> Zweisprachiges Modell ruft Konflikte hervor

>> Ungenügend hohe Bedeutung der türkischen Sprache

>> Nicht-türkische Kinder sind ausgeschlossen

>> Fundamentalistische Tendenzen im Unterrichtsmaterial

>> Fehlen einer gemeinsamen Linie

 
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