Louis Massignon: Im Dienste christlich - muslimischer
Verständigung
Von Petrus Bsteh
Als der Präsident der Akademie für arabische Sprache in Kairo,
Ibrahim Madkour, in einer Ansprache vor der UNESCO ausrief:
"Unsere Welt, so arm an Brüderlichkeit und Herzlichkeit,
bedarf des Louis Massignon!" sprach er wohl im Sinne einer
Reihe bedeutender Vertreter des Islams, die alle von der
Persönlichkeit dieses Mannes zutiefst beeindruckt waren. Der Weg zu
solcher Bedeutsamkeit war freilich ein langer und ungewöhnlicher.
Luis Massignon wurde 1883 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in
der Mitte Frankreichs geboren. Weder sein agnostischer Vater,
mittelmäßiger Bildhauer von Beruf, noch seine sehr fromme, aber
vereinnahmende Mutter gaben Anlass, eine besondere Karriere ihres
einzigen Sohnes erwarten zu lassen. Der junge Student wandte sich
der Geographie zu, was ihn nach Algier und Marokko führte, also in
französische Einflusszonen, die eine gewisse Sensibilität hatten.
Seine Begabung fiel auf.
Aufbruch in die arabische Welt in jungen Jahren
1907, also in jungen Jahren, nahm er einen archäologischen
Auftrag in Mesopotamien an, entschied sich aber kurzerhand, nachdem
er von Dolmetschern betrogen worden war, die arabische Sprache in
Paris zu studieren, und zwar sowohl in ihrer Hochform wie auch in
ihren Dialekten. 1906 ging er nach Kairo und tauchte - fernab der
feinen Gesellschaft dieser Stadt - im einfachen Milieu ägyptischer
Siedler unter. Es ist gut möglich, ja wahrscheinlich, dass der
hochtalentierte junge Mann, der weder in Religion noch im
bürgerlichen Anstand Halt hatte, dabei auch sehr bewegten
Beziehungen zu seinesgleichen nachging. Eines jedoch ist sicher, dass
ihn der Übertritt eines seiner christlichen Freunde, eines
Spaniers, zum Islam zutiefst erschütterte, zumal dieser auch
tragisch endete (Suizid). Hier regte sich instinktiv seine eigene
religiöse Passion, vielleicht auch sein nationaler Stolz.
Umzug nach Bagdad in unsicherer politischer Lage
1907 trifft Massignon die Entscheidung, über Hallaj zu
dissertieren. Der Prozess dieser Arbeit wird sich sehr lange
hinausziehen - zunächst jedoch wird er unterbrochen. Im folgenden
Jahr zieht er nämlich nach Bagdad. Dort trifft ihn das
entscheidende Erlebnis auf einer Expedition, die er in Mesopotamien
zu archäologischen Zwecken unternimmt. Die politische Situation ist
prekär, das osmanische Großreich ist am Zerfall, arabische
Aufständische kämpfen um Freiheit, die Kolonialmächte sind in
Intrigen gegen alle und für jeden verstrickt. Der junge
Forschungsbeauftragte Massignon wird nach einem überaus
anstrengenden Wüstenritt bei der Weiterreise zu Schiff als Spion
festgenommen, verhört und am Leben bedroht. Ein Ausbruchsversuch
scheitert, zur schmerzlichen Fesselung kommt eine hochfieberhafte
Erkrankung - das Ende scheint gekommen.
Das entscheidende Damaskus - Erlebnis
Hier hat der junge hochbegabte Immoralist sein entscheidendes
"Damaskus-Erlebnis", auf das er immer wieder zurückkommt,
aus dem er immer neu schöpft. Auf Grund der Rezitation eines
Koranverses über den Todeskandidaten, die durch einen gläubigen
Muslim vorgetragen wird, trifft den Ungläubigen die deutliche
Erfahrung der Heimsuchung des Richtergottes als eines heiligen
Gastes - mit all ihren authentischen Insignien: einer totalen
Umnachtung der Sinne, einer lebensbedrohenden Umwandlung seines
Inneren, einer restlosen Hingabe an den Allmächtigen. Diese
unverrückbare Grunderfahrung wird den Umkehrenden immer voll
Dankbarkeit an den Islam binden. Im Gefolge dieser Ersterfahrung der
Nacht der Glaubensentscheidung steht aber noch eine zweite
überwältigendere, nämlich die des unendlich liebenden und
heilenden Gottes, der sich dem wunden und wehen Umkehrenden als der
des Christentums unzweifelhaft offenbart. Auf Grund verschiedener
Interventionen kommt er schließlich frei und macht sich über
Syrien auf die Heimreise. Massignon bittet einen Priester in der
Eisenbahn um die Beichte, die ihm schließlich in Baalbek/Libanon
gewährt wird. Diese Erlebnisse werden nie theologisch
durchreflektiert, führen aber zu einer leidenschaftlichen
Doppelbindung an die beiden großen Weltreligionen.
Sein Wegbegleiter Charles de Foucauld
Inzwischen ist der junge Franzose bekannt geworden. Sowohl die
Kolonialregierung wie auch später die aufbrechende katholische
Erneuerung Frankreichs wird auf ihn aufmerksam: Einer der
wichtigsten Partner seines religiösen Weges wird Charles de
Foucauld sein, der Jahre vor ihm nach einem ebenfalls ausgelassenen
Leben als junger Offizier als Geograph und später Sprachforscher
nach Marokko bzw. Algerien vorausgegangen war und schließlich zu
einer tiefen Bekehrung zum Christentum fand. Dieser große
Einsiedler wurde einsames Vorbild Massignons, konnte ihn aber trotz
langen Werbens nicht dazu gewinnen, ihm in der Wüste des Gebetes
und stillen Wirkens unter den Tuareg Gesellschaft zu leisten.
Immerhin trafen die beiden Bekehrten 1909 in Paris zusammen und
verbrachten eine Nacht des Gebetes vom 21. auf 22. Februar am
Montmartre. 1916 wird ihm de Foucauld, in einem noch nicht ganz
geklärten Handgemenge erschossen, in den Tod vorausgehen.
Höchster Einsatz für die Unabhängigkeit
Algeriens
Massignon kehrt 1909 nach Kairo zurück und erlebt dort zunächst
als Offizier der Orientarmee, dann als Assistent des französischen
Oberkommissars für Syrien und Palästina den ersten Weltkrieg ...
1914 heiratet er seine Kusine, der Ehe mit ihr entspross ein Sohn,
Daniel. Eigenartigerweise findet weder der entsetzliche Erste noch
der noch furchtbarere Zweite Weltkrieg viel Widerhall in seinen
Schriften. Gleichwohl gibt es ein deutliches Engagement für die
Unabhängigkeit arabischer, später nordafrikanischer Länder. Im
Zusammenhang mit den akuten Auseinandersetzungen um die
Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich scheut er nicht,
öffentlich aufzutreten und sich dabei auch in Lebensgefahr zu
begeben. (Bei einem Vortrag in einer Pfarre Frankreichs wird er von
patriotischen Fanatikern niedergeschlagen und war bereit, sein Leben
hinzugeben) Leidenschaftlich korrespondiert er mit großen
Persönlichkeiten der katholischen Erneuerung in Frankreich, v.a.
mit Paul Claudel, der ihm in vielem Weggefährte wird. Besonders
bedeutsam aber wird seine Beziehung mit einem Kreis muslimischer
Gelehrter von Ägypten über den Iran bis nach Indien, die er durch
wiederholte Besuche und eine ausgedehnte Korrespondenz aufrecht
erhielt. Hierbei fand er kongeniale katholische Gefährten, Georges
Anawati OP, Khalil-Marie Kochassarly O.P., Louis Gardet und René
Voillaume. Allesamt vertieften sie sich in muslimische Mystik und
Theologie und suchten sie christlichen Denkern nahezubringen.
Massignons Publikationen
1919 wird Massignon Assistenz-Professor für Soziologie und
Soziographie der Muslime am College de France in Paris, um
schließlich von 1926 bis 1954 Ordinarius daselbst zu werden. Sein
gewaltiges Werk über Hussein al-Hallaj wird er erst 1922 vollenden.
Die Herausgabe des laufenden "Jahrbuches der Arabischen
Welt" und zahlreiche Beiträge in einschlägigen
Fachzeitschriften und Lexika werden ihn weiter beschäftigen - ein
größeres Zweitwerk jedoch hat er nie verfasst. Am 31. 10. 1962
stirbt Massignon in Paris.
Massignons Gotteserfahrung aufgrund einer
arabisch rezitierten Sure des Koran
Wichtig an dieser eigenartigen Persönlichkeit, die wie ein
Pionier Brücken zwischen dem Islam und dem Christentum schlagen
sollte, ist sicher seine persönliche Umkehrerfahrung auf Grund der
Heimsuchung des Gottes des Korans und der Bibel. Von beiden
Weltreligionen wurde er nicht nur als Wegbereiter betrachtet,
sondern auch als naiver Enthusiast, dem Respekt zu zollen, aber
keine Gefolgschaft zu leisten ist. Es lohnt sich deshalb, die innere
Struktur dieses Mannes näher zu untersuchen. Die unverrückbare
Urerfahrung des nahen Richtergottes bot sich dem in extremer Krise
befindlichen Massignon also im Gewand einer in arabisch rezitierten
Sure des Korans. Hier trat der geheimnisvolle, abbildlose Gast an
ihn heran, um gläubigen Einlass zu finden. Dieser wurde ihm um den
Preis jener leidenschaftlich geliebten Begleiter gewährt, die er
zurückzulassen hatte. Die Umkehrentscheidung musste grundsätzlich
getroffen werden und blieb weiterhin dem ringenden Beter erhalten.
Auf arabisch, und nur auf arabisch, wollte er in Gottes Gegenwart
leben und zu ihm beten. Hier unterscheidet er sich wesentlich von
jenen aufgeklärten Geistern, die im Westen den unverbindlich
allgegenwärtigen Gott des Schönen und Guten aus dem
geschichtlichen Gewand mühsamer Pilgerschaft des einzelnen und der
gemeindlichen Gläubigen herauslösen wollten. Hier ist er auch
jenem kühnen Sucher Gottes und der Muslime begegnet, der ihm als
Christ in die Einsamkeit Nordafrikas vorausgegangen war, Charles de
Foucauld.
Passion als Brückenbauer zwischen dem Gott der
Muslime und der Christen
Diese religiöse Haltung ist sehr wohl von seiner wahrscheinlich
etwas französisch-romantisierenden Vorliebe für die Ostkirchen zu
unterscheiden. Sich für den Ritenwechsel in die melchitische
Tradition anzuschicken, bewog ihn nur die arabische Gebetssprache
und die (freilich vielfach vergeblich gesuchte) Lebensform dieser
Christen. Dass er sich - wie sein Vorbild und Freund in Algerien -
sogar still zum Priester weihen ließ, hat mit theologischen
Einsichten wenig zu tun, viel jedoch mit seiner Passion als
Brückenbauer zwischen "dem Gott der Muslime und der
Christen".
Liebe zu Christus in Anlehnung an das
französische Christentum
Konkret wie sein Verhältnis zum Richtergott war auch seine Liebe
zum Gott des Erlösers und Heilands Christus. Es lag ganz im Kontext
des französischen Christentums seiner Zeit; wir erwähnten bereits
die prägenden Gestalten des "renouvau catholique"
Frankreichs, mit denen er selbstbewusst in Verbindung stand. Unter
ihnen ragt vor allem Paul Claudel heraus, mit dem er in engem
Briefverkehr stand und auch seine intimsten Entscheidungen
freundschaftlich beriet. Noch nicht erwähnt haben wir jedoch jene
eigenartige Umkehr- und Bußbewegung dieses Landes, die mit Lourdes,
La Sallette und ähnlichen Erscheinungsorten zu tun haben, denen er
sich mit kindlichem Ernst anschloss.
Gründung einer Vereinigung Gleichgesinnter
Wichtiger als sie sind jedoch jene kirchengeschichtlichen
Ereignisse und deren Träger, die schon einmal für
christlich-muslimische Beziehungen wichtig wurden, nämlich während
der Kreuzzüge in der Gestalt des heiligen Ludwig, vor allem aber
des heiligen Franz. Die buchstäbliche Feuerprobe von Damiette, zu
der ersterer bereit war, die ihm aber erst später auf La Verna
zuteil werden sollte, brachten den Gedanken der Stellvertretung (von
ihm oft etwas unglücklich deutsch "Ersatz" genannt) in
Massignons Interesse. Zusammen mit einer vornehmen, hochgebildeten,
jedoch etwas einfältigen Dame der ägyptischen, aber auch der
europäischen (österreichischen!) Gesellschaft, Mary Kahil,
gründete er eine Vereinigung gleichgesinnter Brückenschläger, die
"Badaliya". Seine eigene Haltung diesbezüglich wurde
immer geläuterter und reifer, d.h. auch sprachlich für uns heute
annehmbarer. Theologisch, also auch kirchengeschichtlich angemessen
durchdacht wurde sie nie, eher intuitiv erfasst und in der Folge
persönlich durchlitten und durchlebt.
Verschiedene Ordensgründungen
Es wäre zu überlegen bzw. nachzuforschen, inwieweit
Ordensgründungen, wie etwa die der Gemeinschaft der "Merzedarier"
in einem den Zeitverhältnissen Massignons angemessenen Vorbild auch
für die "Badaliya" Pate stand. (Die "Merzedarier"
waren ein typischer Spätritterorden des ausgehenden 12.
Jahrhunderts, der sich zum Ziele gesetzt hatte, die große Anzahl
von "Raubhäftlingen", die zumeist im muslimischen
Nordafrika festgehalten wurden, durch Loskäufe bzw. auch durch
persönlichen Austausch freizubekommen. Laut verlässlichen Angaben
wurden etwa 900.000 ausgelöst). Es gab später dann noch die
sogenannten Weiß-Spanier, ebenfalls eine Ordensgründung, die sich
aber eher um die pastorale und karitative Betreuung von (Galeeren)
Sklaven - hüben und drüben - bemühte. Derartige christliche
Belange bewegten die Gesellschaften vor allem Spaniens und
Frankreichs bis ins 17. Jahrhundert. Es ist dem sehr konkreten
religiösen Genie Massignons durchaus zuzutrauen, in solchem Geiste
etwas gänzlich Neues zu konzipieren und zu exemplifizieren.
Die Bedeutung von Ephesos für Massignon
Zum christlichen "Urgestein" biblischer Liturgie hat er
kaum eine tragende Beziehung aufgebaut. Dies zeigt sich vor allem
auch in seinem faktisch fehlenden Verhältnis zum Judentum, das
freilich durch persönliche Unliebsamkeiten und zeitbedingte
Schwierigkeiten getrübt war. Groß und stark tritt jedoch das Erbe
Abrahams in Erscheinung - es bleibt die große Basis der
Gemeinsamkeit. Etwas später in seinem Leben wird die
legendenumwobene, jedoch damals noch bedeutsame apokryphe Stadt
Ephesos wichtig für ihn. Ephesos war nicht nur Zufluchtsort
Johannes’ und der Mutter Jesu, Wohnstatt des Lazarus und der Maria
Magdalena, sondern auch Zeugnis des Martyriums jener sieben
Schläfer, das dann im Islam eine so große Bedeutung gewann. Louis Massignon war in seiner Menschlichkeit Zeuge der Größe
Gottes, wie sie sich sowohl im Christentum als auch im Islam
offenbart. So verbindet dieses Zeugnis auch Gläubige beider
Religionen in Achtung und Dankbarkeit.
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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