Jerusalem, du Stadt des Friedens
Die heilige Stadt Jerusalem hat für Juden, Christen und Muslime
eine sehr hohe Bedeutung. Jerusalem führt diese drei Religionen
zusammen, ist aber gleichermaßen ein Symbol für deren Trennung und
für auftretende Konflikte. Es ist eine Stadt in der politische,
historische, religiöse und emotionelle Belange dreier Religionen
verschmelzen, wodurch sie eine Einzigartigkeit erhält, die sie mit
keiner anderen Stadt dieser Welt vergleichbar macht.
"Heilige Stadt westlich des Jordans" - so definiert das
Concise Oxford Dictionary Jerusalem. Mit dieser Umschreibung ist
schon jene Besonderheit angegeben, welche die Stadt in ihrer
Einzigartigkeit seit Jahrtausenden prägt. Bereits die ägyptischen
Fluchtexte aus dem 19. und 18. vorchristlichen Jahrhundert erwähnen
(a)wshlmm = rushalimum, und auch in der Amarna-Korrespondenz aus dem
14. Jahrhundert ist von Urusalim, Salem und Shalem die Rede.
Der Name Jerusalem
Der Name `Jerusalem', unter dem die Stadt heute weltweit bekannt
ist, geht auf die Christenheit des Mittelalters zurück. Gemäß der
jüdischen Tradition hat die Stadt - wie Gott selbst 70 Namen. Die
folgenden Beispiele seien genannt: Ursalimmu, Urusilimmu, 'Wrwslym,
Slm (Gen 14,15; vgl. Ps 76,2), Moriah (Gen 22,2; 2 Chr 3,1), Zion (Jes
1,27), Jebus (Ri 19,10), die Stadt Davids (2 Sam 5,7-9), die Heilige
Stadt (Jes 52,1 und vielfach in der mittelalterlichen hebräischen
Literatur), Gottes Stadt (Ps 46,5), Ari'el (Jes 29,1-2), die Stadt (Jer
32,24), Freude der ganzen Welt (Ps 48,3) und eben Yrwslm (ca. 700
mal in der hebräischen Bibel). Das Neue Testament greift die
letztgenannte Bezeichnung insgesamt 74 mal auf, der Koran hingegen
kein einziges Mal. Weitere Namen der Stadt sind Hierosolyma,
Ierusalem (LXX), Nabel der Welt, das Leben, Stadt der Gerechtigkeit,
Stadt des Friedens, Aelia Capitolina, Gottes Haus (Domus Domini, 4.
Jh.), Ilia, al-Balat (der Palast), Bait al-Maqdis (das Haus der
Heiligkeit), al-Quds al-Sharif (die vornehme Heiligkeit), al-Quds,
Urshalim (10. Jh.). Die Etymologie des Namens Irusalem ist nicht
gesichert; möglicherweise besteht er aus der Wurzel yrw (errichten,
vgl. Ijob 38,6) und dem Namen einer westsemitischen Gottheit.
Dementsprechend würde er `Gründung des (Gottes) Salem' bedeuten.
Jerusalem als `Stadt des Friedens' ist mit Sicherheit eine
sekundäre, midraschartige Deutung; diese Volksetymologie beruht auf
dichterischen Anklängen und entbehrt jeder historischen
Berechtigung.
Eine Stadt mit vielen Dimensionen
"Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die
rechte Hand verdorren." Mit diesen Worten drückt der Psalmist
seine Sehnsucht nach und Bindung an Jerusalem aus (Ps137, 5). Juden,
Christen und Muslime sind der Heiligen Stadt bis heute auf je eigene
und spezifische Weise verbunden. Jerusalem verkörpert das Zentrum
des arabisch- (und muslimisch-) israelischen Konfliktes in all
seinen Dimensionen: emotional, national, historisch und religiös.
Es ist dies eines der heikelsten Probleme der gegenwärtigen
internationalen Politik. In der jahrtausendelangen Geschichte
Jerusalems sind Religion und Politik immer miteinander verflochten
gewesen, und es ist äußerst schwierig, eine genaue
Demarkationslinie zwischen beiden Bereichen zu ziehen. Daher ist die
tiefe Bindung von Juden, Christen und Muslimen an die Stadt eine
Mischung von geschichtlichen, religiösen, nationalen und
spirituellen Empfindungen. Die Suche nach für alle Seiten
akzeptablen Vereinbarungen bezüglich des endgültigen politischen
Status von Yerushalaim/al-Quds/Jerusalem ist eine gewaltige Aufgabe,
da die inhaltlichen Positionen der betroffenen Parteien derart
gegensätzlich gelagert sind. Jüdische Fundamentalisten sehen in
den Arabern jene Amalekiter, deren Vernichtung in 1 Sam 15 gefordert
wird, und islamische Fundamentalisten rufen zum Jihad gegen die
Juden auf. Aber auch den gemäßigten Vertretern beider Lager fällt
es alles andere als leicht, inhaltlich aufeinander zuzugehen.
Tragödien wie die Ermordung Yitzhaq Rabins verdeutlichen, wie
mühsam sich schon allein im Blick auf die Westbanks die Einsicht
und der politische Wille durchsetzen, dass es unmöglich ist,
zugleich das Land und den Frieden zu haben. Für Jerusalem selbst
steht eine Lösung freilich noch in den Sternen.
Doppelte Hauptstadt
Offiziell ist Jerusalem seit 23. 5. 1950 Hauptstadt des Staates
Israel. Allerdings ist dies von der internationalen
Staatengemeinschaft nie anerkannt worden, und es befinden sich
folglich auch keine ausländischen Botschaften dort (wenn man von
der sogenannten `International Christian Embassy', einer 1980
gegründeten, eher fundamentalistisch orientierten Institution,
absieht). Die Altstadt wurde von Israel offiziell am 30. 7. 1980
annektiert (inoffiziell am 28. 6. 1967). Noch 30 Jahre vor dem
Sechstagekrieg von 1967 hatte der erste Präsident Israels, Chaim
Weizmann, erklärt: "Die Altstadt würde ich nicht [einmal] als
Geschenk annehmen, zu viele Komplikationen sind damit
verbunden." - Dieselbe Stadt ist von der Exilpalästinensischen
Regierung, die sich am 15. 11. 1988 in Algier formiert hat, zur
Hauptstadt erklärt worden. Das erste Treffen der PLO im Jahre 1964
hatte in Jerusalem stattgefunden.
Ungeheuere Konzentration religiöser Kräfte
Nicht selten verhalten sich Menschen in einer Art und Weise, die
nichts mit den Lehren ihrer Religion zu tun hat, und beanspruchen
dennoch gleichzeitig, ihren heiligen Schriften in jedem einzelnen
Wortlaut Folge zu leisten. In Jerusalem gibt es keine kleinste
Kleinigkeit, keinen Augenblick, keinen Quadratzentimeter, die
bedeutungslos wären. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in
einem überaus sensiblen Gefüge aus Leidenschaft, Sinngebung und
Stolz miteinander verwoben. Religiöse Motive durchdringen alle
Formen und Äußerungen des Lebens. Dies wird durchaus auch von den
internationalen Medien registriert: "Wir betreten einen der
heiligsten Orte der Erde, geheiligt für drei Religionen, beugen Sie
daher bitte Ihr Haupt!" - Diese zweideutigen Worte erschienen
unter einer entsprechenden Karikatur im Magazin Newsweek vom 22. 10.
1990 nach der Ermordung von zwanzig Palästinensern in der Nähe des
Friedenstores am Areal des Tempelberges. Eine ähnliche
Sensibilität tritt auch immer wieder im Zusammenhang mit
christlichen Forderungen, die heiligen Stätten betreffend, zutage;
verständlicherweise lösen v.a. die gelegentlichen Stimmen, die
nach UN-Schutz rufen oder gar die Internationalisierung der Stadt
befürworten, negative Reaktionen jener israelischen Verwaltung
hervor, mit welcher der Heilige Stuhl im vergangenen Jahr
diplomatische Beziehungen aufgenommen hat.
Jerusalem, eine zweigeteilte Stadt
Jerusalem mit seinen zwei Teilen ist, wie wir sehen werden, in
vieler Hinsicht einzigartig, und jeglicher Vergleich mit Städten
wie Belfast, Brüssel oder Montreal greift eindeutig zu kurz. Allein
schon das Problem der Benennung macht dies deutlich: Die Araber
sprechen einerseits vom 'alten Teil der Stadt', dem 'arabischen'
oder auch 'besetzten Jerusalem' sowie auf der anderen Seite vom 'neuen
Teil' ; die Juden hingegen von 'Ostund Weststadt' bzw. vom 'vereinten'
und 'befreiten Jerusalem', der 'ewigen Hauptstadt Israels' .
Zuzug von Juden nach Jerusalem wurde stark
vorangetrieben
Die Gesamtbevölkerung Jerusalems betrug 1994 ca. 567 000
Einwohner, von denen rund 28 Prozent (= 155 000) Araber waren. Der
Zuzug zigtausender jüdischer Immigranten seither sowie der Ausbau
der jüdischen Siedlungen rund um die Stadt hat das Verhältnis
entsprechend modifiziert. Seit 1967 sind mit staatlicher
Finanzierung über 100 000 neue Wohnungen für Juden in Jerusalem
errichtet worden; für Araber waren derartige Projekte nicht
vorgesehen. Die Altstadt ist von einem sogenannten
`Sicherheitsgürtel' umschlossen worden (Ma`ale Edomim, French Hill,
Ramat Eshkol, East Talpiot und Gilo), dessen Ziel war und ist,
jegliche zukünftige Teilungslinie zu verhindern. Auch nach Westen
hin ist das Gebiet der Stadt erweitert worden. Von 1990 bis 1992
sind andererseits über 600 Abriß-Bescheide erlassen worden, und
die Anzahl der erteilten Baugenehmigungen im arabischen Sektor liegt
weit unter den Bedürfnissen.
Jerusalems Christen
Die Zahl der in Jerusalem lebenden christlichen Araber nimmt
ständig ab, v.a. seit der Intifadah (jenem Aufstand, der vom 9.
Dezember 1987 bis zu den israelisch-palästinensischen
Friedensverhandlungen das öffentliche Leben in den gesamten
Westbanks und daher auch im Ostteil Jerusalems stark eingeschränkt
hat). Sie dürfte heute um die 10 000 betragen. Bedenkt man die
Vielfalt der Christenheit der Stadt, auf die ich im folgenden noch
zu sprechen kommen werde, so ist diese Entwicklung besonders
bedrückend. Sicherlich könnte rein theoretisch die spezifische
Situation der Christen als möglicher Ausgangsort für eine
Vermittlerfunktion zwischen muslimischen Arabern und jüdischen
Israelis gesehen werden. Doch in Realität und Praxis gleichen die
Christen der Stadt eher jemandem, der zwischen den beiden berühmten
Stühlen sitzt: Einerseits von den israelischen Behörden kaum als
von den muslimischen Palästinensern verschieden wahrgenommen,
andererseits von den Muslimen des Verrates am Aufstand gegen Israel
angeklagt, ist der verbleibende Spielraum derart eng, dass das
bloße Überleben vor Ort bereits als Erfolg zu werten ist. Wenn
allerdings die gegenwärtige Auswanderungswelle der christlichen
Araber aus ihrer Heimat anhält, dann könnte Jerusalem sehr bald
zur lediglich musealen Präsenz des Christentums werden: Nur mehr
die ehrwürdigen historischen Bauten, die farbenprächtigen Ornate
ostkirchlicher Würdenträger sowie natürlich das unverwüstliche
Devotionalienhandwerk würden den westlichen Besucher an den
dortigen, orientalischen Ursprung seiner Religion erinnern. - Im
Gegensatz dazu steigt natürlich sowohl die Zahl der jüdischen
Einwohner (vor allem durch russische Immigranten) als auch die der
Muslime (dort primär aufgrund der natürlichen Geburtenrate von
sechs bis sieben Kindern pro Familie).
Die Anlage der Stadt
Jerusalem liegt auf 31 Grad nördlicher Breite und 35 Grad
östlicher Länge, als Stadt auf einem steinigen Hochland, 700 bis
830 Meter über dem Mittelmeerspiegel. Der Durchmesser seiner
Altstadt beträgt vier Kilometer. In Jerusalem gibt es ungefähr
tausend Synagogen, dreißig Kirchen und einige Dutzend Moscheen. Die
Altstadt hat eine Fläche von rund 2,5 Quadratkilometern und besteht
aus vier Vierteln: dem der Armenier, der Christen, der Juden und der
Muslime. Vor 1948 lebten die Juden in den westlichen Gebieten der
Neustadt, die Christen im Süden und die Muslime im Norden.
Jerusalem ist bekannt für seine Mauer, 2,5 Kilometer lang und ca.
13 Meter hoch, im 16. Jh. errichtet unter dem berühmten türkischen
Sultan Süleiman dem Prächtigen. Die Stadt hat 34 Türme, wie z.B.
den Davidsturm, der als einziger aus der Zeit des Herodes heute noch
existiert, den Turm der lutheranischen Erlöserkirche aus dem Jahre
1898 mit seinem beeindruckenden Blick auf die Dächer der Altstadt
oder den Turm der Benediktinerabtei Dormitio, der bei den
Einheimischen `French Soldier' heißt. Es gibt sieben offene Tore,
darunter von Westen das Jaffa-Tor (Bab il-Khalil, Hebronstor), 1538
unter Süleiman erbaut; im Osten das Löwentor bzw. Stephanstor aus
demselben Jahr, das zum Ölberg führt und nahe am Beginn der Via
Dolorosa mit ihren 14 Stationen (die freilich erst in der
Türkenzeit nach europäischen Vorstellungen lokalisiert worden
sind) liegt; im Norden das Damaskustor (Bab il-'Amud = Säulentor)
aus dem Jahr 1530, das wohl den schönsten Eingang in die Heilige
Stadt darstellt.
Heimat für verschiedenste Völker und
Religionen
In den vergangenen 1900 Jahren hat die herrschende Religion in
Jerusalem nicht weniger als elfmal gewechselt. Während ihrer fast
4000jährigen Geschichte war die Stadt Heimat für verschiedenste
Völker und Religionen: Ägypter, Amoriter, Kanaanäer, Hittiter,
Hurriter, Seevölker, Jebusiter, Hebräer, Midianiter, Edomiter,
Moabiter, Ammoniter, Aramäer, Babylonier, Perser, Griechen, Römer,
Araber, Franken, Türken, Palästinenser und Israelis zählten bzw.
zählen zu ihren Bewohnern, zum Teil auch zu ihren Herren.
Mindestens fünfzig größere Belagerungen, Plünderungen,
Eroberungen und Zerstörungen sind aus den letzten 3000 Jahren
überliefert.
Eine Stadt der kulturellen Vielfalt
Jerusalem ist eine Stadt der scharfen Kontraste, in der Religion
einen wesentlichen, ja sogar dominierenden Faktor darstellt. Die
Stadt war, ist und bleibt eine multi-nationale, multi-ethnische und
multi-religiöse. Dreißig Konfessionen beten hier Gott in
wenigstens fünfzehn Sprachen an und benützen dafür acht
verschiedene Alphabete: das arabische, armenische, äthiopische,
griechische, hebräische, lateinische, russische und syrische. Die
beiden größten nationalen und religiösen Gruppen, Juden und
Palästinenser, leben weitgehend getrennt voneinander. Allein von
den jüdischen Einwohnern werden rund einhundert Ursprungsländer
repräsentiert und über siebzig Sprachen gesprochen. Jerusalem ist
eine dreifachheilige Stadt. Ein Forscher, der sich zur Aufgabe
gestellt hatte, die Feiertage zu zählen, die von den verschiedenen
Gemeinschaften in Jerusalem begangen werden, kam zu dem Ergebnis, dass
sie die Anzahl der Tage des Jahres überschreiten.
Die religiöse Bedeutung der Stadt
Für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum
und Islam ist das Land sehr bedeutsam: Es ist zugleich Ursprungsort
der beiden ersteren und drittheiligster Ort der letzteren (nach
Mekka und Medina). Der Hügel im Osten der Altstadt Jerusalems ist
sowohl Juden als auch Muslimen heilig. Während ihn die Juden
`Tempelberg' (Har-haBait) bzw. ‚Moriah‘ nennen, heißt er bei
den Muslimen `das vornehme Heiligtum' (al-Haram al-Sharif).
Jüdische Gläubige verehren dort den Platz, an dem sowohl der
Tempel Salomos (bis zum Fall Jerusalems unter den Neubabyloniern 586
v. Chr.) als auch der Zweite Tempel (bis zu seiner Zerstörung durch
die Römer im Jahre 70 n. Chr.) gestanden ist. Ein kleiner Teil der
Mauer (ca. 10 Prozent) der herodianischen Ausbauphase des letzteren
ist noch erhalten: die sogenannte `Westmauer‘(auch `Klagemauer‘
genannt, was aber insofern irreführend ist, als das Beklagen der
Zerstörung des Tempels weder den einzigen noch den wesentlichen
Inhalt der dortigen Gebete und Zeremonien darstellt), für viele
Juden das bedeutendste Heiligtum. Einige Randgruppen aus dieser
Religionsgemeinschaft glauben sogar, dass der Bau eines `Dritten
Tempels' das Kommen des Messias beschleunigen würde, was natürlich
nicht nur von den staatlichen Behörden zurückgewiesen, sondern
auch von der breiten Mehrheit gläubiger, ja selbst orthodoxer Juden
entschieden abgelehnt wird.
Die Bedeutung Jerusalems für den Islam
Auf dem erwähnten Tempelplatz liegen zwei muslimische
"Sakralbauten": der Felsendom aus dem Jahre 691 und die
al-Aqsa-Moschee von 709. Gemäß der islamischen Tradition ist der
Prophet Muhammad von hier aus in den Himmel aufgefahren:
"Gepriesen sei der, der mit seinem Diener bei Nacht von der
heiligen Kultstätte (in Mekka) nach der fernen Kultstätte (in
Jerusalem), deren Umgebung wir gesegnet haben, reiste, um ihn etwas
von unseren Zeichen sehen zu lassen" (Koran, Sure 17,1).
"Es gibt keine Direktflüge von Mekka in den Himmel, man muß
in Jerusalem einen Zwischenstop einlegen", wie R. J. Zwi
Werblowsky formuliert (Werblowsky, The Meaning of Jerusalem to Jews,
Christians and Muslims, Jerusalem 1983, Old City Press, Seite 3).
Allem Anschein nach ist auch die ursprüngliche Gebetsrichtung der
Muslime, die Qiblah, bis 624 Jerusalem gewesen und erst dann in
Richtung Mekka umgeändert worden (vgl. Koran, Sure 2, 141 ff).
Viele Jahrhunderte lang, ja abgesehen von kurzen Unterbrechungen in
der Kreuzfahrerzeit (1099 bis Mitte des 15. Jahrhunderts) sogar
durchgehend von 638 bis zum Ersten Weltkrieg, hat die Goldene Stadt
unter muslimischer Herrschaft gestanden. Im Mittelalter glaubten die
Muslime, dass sich am Tag des Gerichtes Abraham, Mose, Jesus und
Muhammad am Tempelberg treffen werden.
Die Bedeutung Jerusalems für die Christen
Für Christen gründet die Heiligkeit der Stadt in der Tatsache,
dass sie Ort des Wirkens Jesu, seines Prozesses und seiner
Verurteilung, seiner Kreuzigung, seines Begräbnisses und seiner
Auferstehung ist. Das `Heilige Land' insgesamt ist gleichsam der
Schauplatz der Evangelien, der frühen apostolischen Zeit und damit
auch der jungen Kirche. Der Umstand, dass Jerusalem für die
Christenheit zwar heilige Stadt par excellence, nicht aber Zentrum
der Kirche ist, gibt manchen Theologen einige Fragen auf. Unzählige
Stränge von Traditionen und Geschichte binden Juden, Christen und
Muslime an Jerusalem. In allen drei Religionen ist die Literatur,
welche die unterschiedlichsten Aspekte der Stadt beleuchtet,
wahrhaft Legion - Schriften insgesamt, die die Heiligkeit Jerusalems
und seine Bedeutung in beeindruckender Weise darlegen.
Geeint oder gespalten?
Wen verwundert es, dass die heiligste Stadt der Menschheit eine
Geschichte reich an Glanz und Glorie, aber auch an Elend und
Katastrophen hat? Jerusalem ist heilig für fast die Hälfte der
Bevölkerung dieser Erde! Die Stadt ist selbst heute noch völlig
heterogen: Das sogenannte `vereinigte Jerusalem' ist auch nach dem
Verschwinden jener künstlichen Grenze, die durch das Mandelbaumtor
symbolisiert wurde, ein deutliches Beispiel für jene
Doppelgesichtigkeit, die geteilten Städten besonders zueigen ist:
zwei offizielle Sprachen (Hebräisch und Arabisch), zwei
Elektrizitätsnetze, zwei Hadassah-Spitäler, zwei große Museen
(das Israel-Museum im Westen und das Rockefeller-Museum im Osten),
zwei YMCA Gebäude, zwei Universitätsgelände, zwei Flughäfen,
zwei `zentrale Busbahnhöfe', zahllose doppelte Konsulate usw.
Jerusalem - eine faszinierende Stadt
Es gibt wohl auf der ganzen Welt keine andere Stadt, die
jahrhundertelang so heftige Auseinandersetzungen hervorgerufen hat
wie Jerusalem. In seiner endlosen Leidensgeschichte vergeht kaum
eine längere Episode ohne Zwischenfälle in einem Teufelskreis von
Misstrauen, Hass und Gewalt. In strategischer Hinsicht ist die Stadt
kaum bzw. sogar überhaupt nicht bedeutend; ihre Größe liegt in
ihrer politischen, nationalen, geschichtlichen und religiösen
Symbolik. Auch kulturell hat Jerusalem nie jene Rolle gespielt, die
anderen Orten der antiken Welt (in Ägypten und Mesopotamien oder
Athen und Rom) zugekommen ist. Papst Paul VL, Könige, Prinzen,
Kalifen, Fürsten, Generäle und alle möglichen anderen
Persönlichkeiten haben Jerusalem besucht; gar nicht selten hat die
Stadt gerade auch verschrobene Charaktere besonders angezogen. Das
"Jerusalem-Syndrom", die Kluft zwischen Vorstellung und
Wirklichkeit, ist eine Erfahrung, die vielen Touristen aus dem
Westen nicht fremd ist. Jedes Jahr besuchen über eine Million
Menschen aus dem Ausland Jerusalem. Und dieser Boom ist keineswegs
neu: Allein in England sind zwischen 1840 und 1880 nicht weniger als
1 600 Bücher über Jerusalem geschrieben worden!
Eine politische Lösung steht aus
Die vorangehenden Ausführungen machen deutlich, dass die
Jerusalem Frage alles andere als einfach zu lösen ist. Dass eine
Seite allein gleichzeitig im Besitz von beidem, nämlich von
Jerusalem und von Frieden, sein kann, ist kaum vorstellbar. Alle
Kräfte, die am israelisch arabischen Konflikt beteiligt sind, sind
sich darüber im klaren, dass es ohne eine Lösung dieser Frage
keinen Frieden geben wird. Wenn die Menschen eines Tages einsehen,
dass sich der echte Gottesdienst "in Geist und Wahrheit"
vollzieht (vgl. Joh 4, 21. 23) und nicht an Zeit und Raum gebunden
ist, werden die heiligen Stätten aller drei monotheistischen
Religionen in Jerusalem vielleicht mehr an Sinn und Bedeutung
erfahren und vermitteln können. Einst hieß es, dass Wunder nur in
der Heiligen Stadt geschehen könnten. - Wie immer man auch zur
Vision des himmlischen Jerusalem stehen mag, wir haben uns
einstweilen mit dem irdischen Jerusalem zu befassen.
Deutsche Bearbeitung:
Markus Ladstätter
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
|