Das Land, der Messias und die kommende Welt
Der Grand Rabbin von Genf, Marc-Raphael Guedj, wurde nach der Ermordung
von Yizchak Rabin gefragt, was man bei der Erziehung von jungen religiösen
Zionisten und Zionistinnen in Israel neu überdenken müsse. In seiner
Antwort betonte er seine Vermutung, dass unter Schülern des Rav Kook ein
messianisches Gedankensystem geschaffen wurde, in dem die Territorien und
die Ausdehnung des Landes einen hohen Rang einnehmen. Von dem Moment an, wo
man eine Ideologie konstruiert, sei man auch nicht mehr weit von
Gewaltanwendung entfernt. Dies erfordere eine erhöhte Wachsamkeit innerhalb
des Judentums.
Mose ben Maimon (1135-1204) schreibt am Anfang eines Traktates seiner
Mischne Tora folgendes (Mischne Tora, Sefer ham-mada' 1 b): "Alle
Vorschriften, die dem Mose auf dem Sinai gegeben worden sind, sind ihm
zusammen mit ihren Interpretationen gegeben worden; es heißt nämlich: `Ich
will dir die Steintafeln, die Tora und die Vorschriften geben' (2 Mose 24,
12). Mit `Tora' ist die schriftliche Tora gemeint. Mit `Vorschriften' sind
ihre Auslegungen gemeint. Gott hat uns befohlen, die Tora in
Übereinstimmung mit den Vorschriften zu halten. Mit den Vorschriften ist
die mündliche Tora gemeint. Die ganze Tora schrieb unser Lehrer Mose mit
eigener Hand vor seinem Tod auf. Er überreichte dann jedem Stamm eine
Buchrolle und deponierte eine weitere in der Bundeslade; es heißt nämlich:
`Nehmt dieses Buch, die Tora, und legt es in den Bundesschrank des Ewigen,
eures Gottes, und es sei dort Zeuge gegen euch' (Dtn 31, 26). Die
Vorschriften, also die Interpretationen der Tora, schrieb Mose nicht nieder,
sondern gab bezüglich ihrer Befehle an die Ältesten, an Josua und an das
übrige `ganze Israel' ; es heißt nämlich: `Alle diese Worte, die ich euch
heute zur Beobachtung befehle, sollt ihr tun, und ihr sollt nichts
hinzufügen und nichts wegnehmen' (Dtn 4, 2). Damit ist die mündliche Tora
gemeint.'
Tradenten der schriftlichen und mündlichen Tora
Im folgenden werden dann die weiteren Tradenten der schriftlichen und der
mündlichen Tora aufgezählt: die Propheten und die Könige. Alle hätten
jeweils eine Lehrer-Schüler Institution besucht und so das ganze
Offenbarungsgut unverändert und verlässlich weiter getragen. Der
Schwerpunkt der Weitergabe liegt aber nach Maimonides nicht bei den
Propheten und Königen, sondern bei den talmudischen Rabbinen, deren
wichtigste Vertreter ebenfalls aufgezählt werden. Im Ergebnis liegt das
ganze Offenbarungsgut in den heiligen Schriften, besonders in den 5 Büchern
Moses, und im babylonischen Talmud vor.
Die Nebenrolle der Propheten
Die Propheten - von Josua bis Maleachi - spielen dabei eine für
christliches Verständnis seltsam untergeordnete Rolle. Eine die Propheten
zurückschraubende Tendenz ist aber bereits in der Bibel vorhanden. Die am
häufigsten beigezogene Stelle ist Num 12, 6-8. Dort spricht der Ewige:
"Wenn sich ein Prophet unter euch findet, dann tue ich mich ihm durch
Gesichte kund und rede durch Träume mit ihm. Nicht so mit Mose, meinem
Knecht: Er ist der zuverlässigste in meinem ganzen Haus. Mit ihm rede ich
von Mund zu Mund, klar und nicht in Rätseln. Er wird die Gestalt des Ewigen
erblicken." Dazu wird meistens auch der Schluss des 5. Buches Mose
zitiert: "In Israel stand fortan kein Prophet auf wie Mose, mit dem der
Ewige von Angesicht zu Angesicht geredet hatte" (Dtn 34, 10).
Die übergeordnete Rolle des Mose
Mose ist also der Prophet schlechthin. Neben ihm verblassen alle anderen
Propheten. Dies wird im rabbinischen Schrifttum ziemlich häufig wiederholt.
Laut bYev 49b "schauten alle Propheten durch einen Spiegel, der kein
Licht ausstrahlte. Unser Lehrer Mose aber schaute durch den Spiegel, der
Licht ausstrahlte". Im Psalmenmidrasch (MTeh 90, 4) wird der auf eine
längere rabbinische Tradition zurückgehende Ausspruch überliefert:
"Alle Propheten, die prophezeiten, wussten nicht, was sie
prophezeiten." Gegen diese und ähnliche antiprophetische rabbinische
Aussagen werden dann etwas weiter unten im Psalmenmidrasch einige positivere
Aussagen zugunsten der Propheten gemacht: Die Propheten sind die Schüler
ihres (und unseres) Meisters Mose gewesen. Sie haben seine Botschaft
weitergetragen. Besonders Jesaja, Elia und Hosea werden in auflichtender
Weise zitiert.
Kritik am Propheten Hosea
Von Interesse für uns ist die Kritik am Propheten Hosea in bPes 87a. Wie
in Hos 1-2 zu lesen ist, werden die Israeliten in einer Strafandrohung von
Gott als "Nicht-mein-Volk" bezeichnet (Hos 1, 9). Vielleicht weil
die Christen sich mit Berufung auf Hosea als wahres Volk Gottes verstanden
haben, tadelten die Rabbinen den Propheten Hosea! Er hätte sich Gott
gegenüber ähnlich kräftig fürbittend verhalten sollen, wie sich
seinerzeit Mose Gott gegenüber verhalten hat, als die Israeliten das
goldene Kalb angebetet hatten (Ex 32-33). Gott warte ja auf die Propheten
als Fürbitter Israels. Hosea hätte nach den Rabbinen zu Gott sagen sollen:
"Es sind deine Kinder, die Kinder deiner Gnade, die Kinder Abrahams,
Isaaks und Jakobs. Wälze dein Erbarmen über sie!" Statt dessen habe
Hosea gesagt: "Herr der Welt, die ganze Welt ist dein! Tausche die
Israeliten mit einem anderen Volk aus!" Daraufhin habe Gott
geantwortet: "Was mache ich mit diesem Alten?"
Rabbinen wichtiger als Propheten
Die Erzählung in Hos 12 - so meinten wohl die Rabbinen sei
missverständlich und sei deshalb von Christen für ihre Ansprüche der
Erwählung missbraucht worden. Die wahre Aufgabe der Propheten sei es,
mitzuringen und mitzuwirken, dass Gottes Erwählung stets bei den Israeliten
bleibe. Demgegenüber ist "die Tora, die uns Mose als Erbteil gegeben
hat" (bSuk 42a) und ohne die "weder Himmel noch Erde Bestand
haben" (bPes 68b), die entscheidende Maxime für alle
Gegenwartsbewältigungen und alle Zukunftserwartungen. Damit ist gegeben,
dass die Rabbinen wichtiger sind als die Propheten. Ihre Aussagen sind die
aktualisierte Tora, deren Worte sogar wichtiger sind als die originalen
Worte der Tora: "Die Worte der Schriftgelehrten sind wichtiger als die
Worte der Tora", heißt es z. B. in yBer 1,7. Entscheidend für alles
Prophetisch-Zukünftige sind im Judentum in erster Linie die Tora des Mose
und die sie ins Licht der neuen Zeit hineintragenden Rabbinen.
Die Patriarchen
Die beiden wichtigsten Bedeutungsgruppen neben Mose und den Rabbinen sind
die Patriarchen - Abraham, Isaak, Jakob samt seinen zwölf Söhnen - und die
Apokalyptiker bzw. das apokalyptische Gedankengut, das sich durch die ganze
jüdische Tradition hindurchzieht.
Die Patriarchen gelten als die Prototypen, die Urbilder, die Vorzeichen,
die Kennmarken des Judentums. Sie haben das Judentum in sich verkörpert und
exemplarisch vorgelebt. "Unser Vater Abraham hat die ganze Tora
gehalten", heißt es in bYom 28b. In BerR 48,7 wird Gen 18,1 ausgelegt
("Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang, als ihn der
Ewige als Gast besuchte"): Abraham habe aus Ehrfurcht vor dem Gast
aufstehen wollen. Aber Gott habe zu ihm gesagt: "Bleib sitzen, denn du
bist ein Vorzeichen (siman) für deine Kinder! Wie du hier sitzest, während
die Göttlichkeit (Schekhina) bei dir steht, so werden deine Söhne sitzen,
und die Göttlichkeit wird bei ihnen stehen. Wenn die Israeliten ihre
Bethäuser und ihre Lehrhäuser betreten und dort das `Höre Israel' sagen,
dann werden sie zu meiner Ehre sitzen, und ich werde ihnen zur Seite stehen;
es heißt nämlich: `Gott steht auf inmitten der Gottesgemeinde' (Ps 82,
1)".
Das Gleichnis vom Erbprinzen
In ShemR 15,8 heißt es im Gleichnis vom Erbprinzen - vielleicht als
Überbietungsversuch gegen die Christologie -, Gott habe dem Abraham alle
seine Wünsche nach Erhöhung erfüllt. Er habe ihn auf seinem (Gottes)
Thron sitzen lassen und habe ihm auch den Tempelbereich als
Herrschaftsbereich ganz und gar überlassen. Ähnliches wird auch von Jakob
berichtet. Jakob sei das vollkommene Ebenbild Gottes, der erstgeborene Sohn
Gottes. Wegen seiner Gottgleichheit seien sogar die Engel auf der
Himmelsleiter in Verwirrung geraten.
Das Endzeit - Thema
Die Patriarchenwürde hat aber nicht nur den Sinn einer exemplarischen
Voranzeige. Sie hat auch mit unserem Thema Endzeit-Eschatologie zu tun. Als
Beispiel greife ich den großen
mittelalterlichen Kabbalisten Mose ben Nachman (1194-1270) heraus, der in
starker Auseinandersetzung mit dem Christentum stand. Für ihn ist der
Umstand, dass Abraham sich schon in Sichem befand, bevor das Land verheißen
worden war, ein Beweis, dass die Israeliten das Land von Gott bereits
erhielten, noch bevor sie existierten (Gen 12,6). Abrahams
Auseinandersetzung mit den vier Königen (Gen 14) ist für ihn ein Hinweis
darauf, dass Israel zwar unter den vier Weltreichen leiden wird, dass es
jedoch schlussendlich den Sieg über alle Reiche dieser Welt davontragen
wird. Das damalige mittelalterliche Rom sieht er als das letzte Reich an,
das bald dem Untergang geweiht sein wird. Zu Gen 32,4 bemerkt Nachmanides
bezüglich Jakobs und Esaus: "Alles, was unserem Vater mit seinem
Bruder Esau passierte, wird uns mit den Söhnen Esaus passieren." (Vgl.
Amon Funkenstein, Nachmanides' Symbolical Reading of History, in: Joseph
Dan/Frank Talamage, Studies in Jewish Mysticism, Cambridge Mass 1982,
129-150)
Die Apokalyptiker
Die Apokalyptik ist zunächst jene hervorbrechende Bewegung, die im 2.
Jh. v. Chr. ihre erste Hochblüte erlebte und "die als eine Gottes-,
Menschen- und Weltanschauung bezeichnet werden kann, in der alles Sichtbare
und alles traditionell Geglaubte radikal und erregt dem bald zu erwartenden
Umschwung der Zeiten zu Gericht, Verwerfung und Vollendung zu- und
untergeordnet wird."5 Bezüglich der weiteren jüdischen Geschichte
gilt aber, dass apokalyptisches Gedankengut stets stark mitgeschwungen hat
und dass das Judentum deswegen bis zur Zeit der Aufklärung in viele Strudel
des Enthusiasmus und der bitteren Enttäuschung hineingefallen ist. Dabei
spielten nicht die Propheten mit ihren Zukunftsutopien die Hauptrolle,
sondern Texte aus der Tora, d. h. Texte, die mit den Patriarchen und mit
Mose zusammenhängen! Die Theorien über Völkerkriege, Religionskriege,
Antimessias, Messias und Anbruch der Endzeit waren stets im Judentum
mindestens ebenso stark präsent wie die gesetzlichen Partien der Tora.
Bezüglich Endzeittheorien überboten die mittelalterlichen Juden sogar noch
das Christentum der Kreuzzugszeit. Midrasch über Midrasch wurde verfasst,
um dem Ablauf der Endzeit bis zum Untergang der Feinde und bis zur
Verherrlichung Israels nachzusteigen und stets noch neue Aspekte in die
Diskussion zu werfen.
Vorstellungen über den Messias gehen auseinander
In außerjüdischen - auch in wissenschaftlichen - Kreisen wird bisweilen
zuwenig beachtet, dass messianische Vorstellungen schon in
biblisch-vorchristlicher Zeit inhaltlich stark auseinander gingen. Nur
selten war eine exklusive Konzentration der Vorstellung nur auf den Messias
als Einzelperson vorhanden. Und wenn sie gelegentlich vorhanden war, dann
war das Vorstellungspaket über ihn äußerst reichhaltig, vielfarbig, meist
auch kontrovers.
Zukunftsvorstellungen als Erwartungen einer zerrissenen
Volksgemeinschaft
Seit dem Ende des babylonischen Exils im 6. Jh. v. Chr. stand die
Rückführung, Zusammenführung und Vollendung des in alle Windrichtungen
zerstreuten, teils unauffindbaren israelitischen Volkes Gottes im Zentrum
aller Hoffnungen und Zukunftskonstruktionen. Die wichtigsten Stimuli
hierfür finden sich in Ez 36-37 und in Jes 60-66. Zum zentralen Stichwort
wurde die "Einsammlung der Exile" (qubbuz galuyot). Die sich nach
dem Exil entwickelnde jüdische Identität war die einer Restgemeinschaft,
die sich bis zur erwarteten vollen Wiederauffüllung allein verantwortlich
für die Weitergabe und Verwirklichung der Traditionen und Vorschriften von
"ganz Israel" wusste. Das dauernde Unterdrückt sein rief
Vorstellungen und Vorbereitungen für eine repressionsfreie und
kommunikative Endzeit hervor. Mit den Stichworten Reich Gottes,
Endherrschaft Gottes oder Bestätigung der Erwählung Israels wird der
israelitische Erwartungshorizont besser umschrieben als mit endzeitlicher
Prophetie, Messianismus oder Eschatologie. Nach dem schweren Einschnitt in
die jüdische Geschichte im Jahre 70 n. Chr. - Tempelzerstörung,
Zusammenbruch der Priesterhierokratie, Beginn einer Zerstreuung, Verlust des
Landes - zeigte sich die besondere Stärke von zwei weiteren religiösen
Faktoren im Judentum: der Halakha in der Auslegungsart der Rabbinen und der
Zentrierung der Theologie auf den neu zu erringenden Zion.
Halakhische Grundlegungen
Zwei Beispiele müssen hier genügen: Aus der Zeit unmittelbar nach dem
BarKochba-Aufstand (132-135) stammt folgende Halakha: "Man darf den
Nichtjuden im Lande Israel keine Häuser vermieten. Es ist nicht nötig,
ausdrücklich zu erwähnen, dass sich dies auch auf Felder bezieht. In
Syrien darf man ihnen Häuser vermieten, aber keine Felder. Außerhalb des
Landes darf man ihnen Häuser verkaufen und Felder vermieten. So Rabbi Meir
(um 140 n.). Rabbi Josse bar Chalafta (um 150 n.) aber sagte: Im Land darf
man ihnen Häuser vermieten, aber keine Felder. In Syrien darf man ihnen
Häuser verkaufen und Felder vermieten (mAZ 1,8)."
Mit dieser Bestimmung wollte man der Neigung vieler Juden entgegentreten,
angesichts der drückenden Not aus Judäa auszuwandern. Andererseits bildete
diese Bestimmung auch die Basis für stete Hinwendungen und Rückwendungen
zum Land Israel. Sie hat die uralte Sehnsucht nach dem gelobten und
verheißenen Land gebündelt und verstärkt.
Entsagen aller ketzerischer Elemente
Die Absonderung, die Exklusivität und die Wahrung des Besitzes bezog
sich in rabbinischer Zeit aber nicht nur auf das Land und seine
Besitztümer, sondern auch auf die Religion! Sie sollte von allen
götzendienerischen und fremden Elementen frei bleiben. In Ergänzung zur
herangezogenen Mischnastelle ordneten die Rabbinen im 3./4. Jh. an:
"Man darf mit den Ketzern in keinerlei Verkehr stehen, auch darf man
sich von ihnen keine Heilung angedeihen lassen" (bAZ 27b). Anderswo
wird gefordert, "man dürfe keine Geldgeschenke von Ketzern annehmen (bAZ
6b). Auch dürfe man kein Vieh in eine nichtjüdische Herberge einstellen,
weil die Nichtjuden der Bestialität verdächtig sind" (bAZ 14b). Aus
dieser letzten Stelle wird deutlich, dass das Misstrauen gegen Nichtjuden
aus der Angst vor Verunreinigung des Landes und des Volkes entsprang. Auch
aus diesem Grund war den Juden der Besuch nichtjüdischer Institutionen,
besonders von Heiligtümern (vgl. bAZ 17a-19a) verboten. Im Ganzen sah es
das rabbinische Judentum als seine Hauptaufgabe an, das Land Israel und alle
Wohnorte der Juden von den Spuren des Götzendienstes und der rituellen
Unreinheit zu reinigen, um auf Erden mitten im erwählten Volk und rund um
es herum eine Gottesprovinz zu errichten!
Zionssehnsucht
Die jüdische Zionssehnsucht ist in biblischer und nachbiblischer Zeit
reichlich dokumentiert. Den wichtigsten Haltegriff und Verstärker der
traditionellen Zionssehnsucht bilden ohne Zweifel die beiden jüdischen
Hauptgebete, das Achtzehngebet und das "Höre Israel". Man hat das
Achtzehngebet das "Bürgergebet für Jerusalem" (Elias Bickermann)
genannt oder das Gebet des Ablaufs der in Jerusalem gipfelnden messianischen
Erlösung (Kimmelman). Ähnlich bringt auch das "Höre Israel" (Dtn
4,6 ff) die Zionssehnsucht zum Ausdruck. In keiner liturgischen Ordnung wird
dieses Glaubensbekenntnis zum einen und einzigen Gott Israels ohne
Einschluss von Sach 14,9 gesagt. Der Glaube Israels an seinen Gott wird also
liturgisch stets mit der Hoffnung auf das endzeitliche Einschwenken der
Völker zum monotheistischen Glauben der Juden verbunden.
Forderung nach Hinterfragung von Geschichte und Bibel
Es gibt heute einen Realitätsschock bezüglich aller zitierten
jüdischen Vorstellungen und Erwartungen. Es führt nicht sehr weit für
unsere heutige Problematik, wenn wir die Propheten verherrlichen und in
allem nur fragen, was sie gemeint haben. Noch weniger weit führt es, wenn
wir die religiöse, soziale und politische Geschichte des Judentums samt der
es begleitenden Überzeugungen und Ideologien einfach akzeptieren. Die
Geschichte kann jedenfalls nicht als Bestätigung aller biblischen
Auslegungen und Anwendungen von Bibelstellen akzeptiert werden. Sie muss
vielmehr kritisch hinterfragt werden, damit die Zügel heute herumgerissen
werden können. Die Bibel selbst darf nicht fundamentalistisch gelesen
werden. Auch sie muss hinterfragt werden. Sie kann im Grunde nur in
unschöpferischer Weise für heute beigezogen werden.
Aufruf dem Frieden zu dienen
Alles, was zu tun bleibt, ist: dem Frieden zu dienen, dem Frieden
zwischen den Völkern, Religionen, gesellschaftlichen Schichten und zwischen
Familien und Kleingruppen. Das kann durch die Beziehung vieler Traditionen
unter Umständen sehr günstig und eindrucksvoll unterstützt werden. Hier
wird nur ein Beispiel angeführt. Es betrifft den großen jüdischen Lehrer
Rabban Jochanan ben Zakkai, der ca. 80 n. Chr. gestorben ist, nachdem er
zuvor alle seine Kräfte aufgeboten hatte, um die Sinnlosigkeit des ersten
jüdischen Aufstandes gegen Rom darzulegen. Sein in ARN B 31 (Seite 66f) zu
findender Spruch lautet: "Wenn du mit deiner Hand einen Schössling
pflanzest und man sagt zu dir: Geh, der Messias ist da, dann pflanze den
Schössling weiter und geh erst danach weg, um den Messias zu empfangen. Und
wenn Kinder zu dir sagen: Lasst uns gehen, wir wollen den Tempel aufbauen,
dann höre nicht auf sie. Und wenn Greise zu dir sagen: Komm, wir wollen den
Tempel niederreißen, dann höre auf sie. Denn der Aufbau von Kindern ist
ein Niederreißen, und das Niederreißen von Alten ist ein Aufbau. "Die
Propheten, die Rabbinen, die Patriarchen, die Apokalyptiker und auch die
Tora selbst müssen angesichts der heutigen Umwälzungen teilweise in den
Wartestand treten, damit nicht unnötiger Zündstoff in die heutige
explosive Lage gerät.
Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn
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