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Das Land, der Messias und die kommende Welt

Von Clemens Thoma (Biografie)

 

Der Grand Rabbin von Genf, Marc-Raphael Guedj, wurde nach der Ermordung von Yizchak Rabin gefragt, was man bei der Erziehung von jungen religiösen Zionisten und Zionistinnen in Israel neu überdenken müsse. In seiner Antwort betonte er seine Vermutung, dass unter Schülern des Rav Kook ein messianisches Gedankensystem geschaffen wurde, in dem die Territorien und die Ausdehnung des Landes einen hohen Rang einnehmen. Von dem Moment an, wo man eine Ideologie konstruiert, sei man auch nicht mehr weit von Gewaltanwendung entfernt. Dies erfordere eine erhöhte Wachsamkeit innerhalb des Judentums.

Mose ben Maimon (1135-1204) schreibt am Anfang eines Traktates seiner Mischne Tora folgendes (Mischne Tora, Sefer ham-mada' 1 b): "Alle Vorschriften, die dem Mose auf dem Sinai gegeben worden sind, sind ihm zusammen mit ihren Interpretationen gegeben worden; es heißt nämlich: `Ich will dir die Steintafeln, die Tora und die Vorschriften geben' (2 Mose 24, 12). Mit `Tora' ist die schriftliche Tora gemeint. Mit `Vorschriften' sind ihre Auslegungen gemeint. Gott hat uns befohlen, die Tora in Übereinstimmung mit den Vorschriften zu halten. Mit den Vorschriften ist die mündliche Tora gemeint. Die ganze Tora schrieb unser Lehrer Mose mit eigener Hand vor seinem Tod auf. Er überreichte dann jedem Stamm eine Buchrolle und deponierte eine weitere in der Bundeslade; es heißt nämlich: `Nehmt dieses Buch, die Tora, und legt es in den Bundesschrank des Ewigen, eures Gottes, und es sei dort Zeuge gegen euch' (Dtn 31, 26). Die Vorschriften, also die Interpretationen der Tora, schrieb Mose nicht nieder, sondern gab bezüglich ihrer Befehle an die Ältesten, an Josua und an das übrige `ganze Israel' ; es heißt nämlich: `Alle diese Worte, die ich euch heute zur Beobachtung befehle, sollt ihr tun, und ihr sollt nichts hinzufügen und nichts wegnehmen' (Dtn 4, 2). Damit ist die mündliche Tora gemeint.'

Tradenten der schriftlichen und mündlichen Tora

Im folgenden werden dann die weiteren Tradenten der schriftlichen und der mündlichen Tora aufgezählt: die Propheten und die Könige. Alle hätten jeweils eine Lehrer-Schüler Institution besucht und so das ganze Offenbarungsgut unverändert und verlässlich weiter getragen. Der Schwerpunkt der Weitergabe liegt aber nach Maimonides nicht bei den Propheten und Königen, sondern bei den talmudischen Rabbinen, deren wichtigste Vertreter ebenfalls aufgezählt werden. Im Ergebnis liegt das ganze Offenbarungsgut in den heiligen Schriften, besonders in den 5 Büchern Moses, und im babylonischen Talmud vor.

Die Nebenrolle der Propheten

Die Propheten - von Josua bis Maleachi - spielen dabei eine für christliches Verständnis seltsam untergeordnete Rolle. Eine die Propheten zurückschraubende Tendenz ist aber bereits in der Bibel vorhanden. Die am häufigsten beigezogene Stelle ist Num 12, 6-8. Dort spricht der Ewige: "Wenn sich ein Prophet unter euch findet, dann tue ich mich ihm durch Gesichte kund und rede durch Träume mit ihm. Nicht so mit Mose, meinem Knecht: Er ist der zuverlässigste in meinem ganzen Haus. Mit ihm rede ich von Mund zu Mund, klar und nicht in Rätseln. Er wird die Gestalt des Ewigen erblicken." Dazu wird meistens auch der Schluss des 5. Buches Mose zitiert: "In Israel stand fortan kein Prophet auf wie Mose, mit dem der Ewige von Angesicht zu Angesicht geredet hatte" (Dtn 34, 10).

Die übergeordnete Rolle des Mose

Mose ist also der Prophet schlechthin. Neben ihm verblassen alle anderen Propheten. Dies wird im rabbinischen Schrifttum ziemlich häufig wiederholt. Laut bYev 49b "schauten alle Propheten durch einen Spiegel, der kein Licht ausstrahlte. Unser Lehrer Mose aber schaute durch den Spiegel, der Licht ausstrahlte". Im Psalmenmidrasch (MTeh 90, 4) wird der auf eine längere rabbinische Tradition zurückgehende Ausspruch überliefert: "Alle Propheten, die prophezeiten, wussten nicht, was sie prophezeiten." Gegen diese und ähnliche antiprophetische rabbinische Aussagen werden dann etwas weiter unten im Psalmenmidrasch einige positivere Aussagen zugunsten der Propheten gemacht: Die Propheten sind die Schüler ihres (und unseres) Meisters Mose gewesen. Sie haben seine Botschaft weitergetragen. Besonders Jesaja, Elia und Hosea werden in auflichtender Weise zitiert.

Kritik am Propheten Hosea

Von Interesse für uns ist die Kritik am Propheten Hosea in bPes 87a. Wie in Hos 1-2 zu lesen ist, werden die Israeliten in einer Strafandrohung von Gott als "Nicht-mein-Volk" bezeichnet (Hos 1, 9). Vielleicht weil die Christen sich mit Berufung auf Hosea als wahres Volk Gottes verstanden haben, tadelten die Rabbinen den Propheten Hosea! Er hätte sich Gott gegenüber ähnlich kräftig fürbittend verhalten sollen, wie sich seinerzeit Mose Gott gegenüber verhalten hat, als die Israeliten das goldene Kalb angebetet hatten (Ex 32-33). Gott warte ja auf die Propheten als Fürbitter Israels. Hosea hätte nach den Rabbinen zu Gott sagen sollen: "Es sind deine Kinder, die Kinder deiner Gnade, die Kinder Abrahams, Isaaks und Jakobs. Wälze dein Erbarmen über sie!" Statt dessen habe Hosea gesagt: "Herr der Welt, die ganze Welt ist dein! Tausche die Israeliten mit einem anderen Volk aus!" Daraufhin habe Gott geantwortet: "Was mache ich mit diesem Alten?"

Rabbinen wichtiger als Propheten

Die Erzählung in Hos 12 - so meinten wohl die Rabbinen sei missverständlich und sei deshalb von Christen für ihre Ansprüche der Erwählung missbraucht worden. Die wahre Aufgabe der Propheten sei es, mitzuringen und mitzuwirken, dass Gottes Erwählung stets bei den Israeliten bleibe. Demgegenüber ist "die Tora, die uns Mose als Erbteil gegeben hat" (bSuk 42a) und ohne die "weder Himmel noch Erde Bestand haben" (bPes 68b), die entscheidende Maxime für alle Gegenwartsbewältigungen und alle Zukunftserwartungen. Damit ist gegeben, dass die Rabbinen wichtiger sind als die Propheten. Ihre Aussagen sind die aktualisierte Tora, deren Worte sogar wichtiger sind als die originalen Worte der Tora: "Die Worte der Schriftgelehrten sind wichtiger als die Worte der Tora", heißt es z. B. in yBer 1,7. Entscheidend für alles Prophetisch-Zukünftige sind im Judentum in erster Linie die Tora des Mose und die sie ins Licht der neuen Zeit hineintragenden Rabbinen.

Die Patriarchen

Die beiden wichtigsten Bedeutungsgruppen neben Mose und den Rabbinen sind die Patriarchen - Abraham, Isaak, Jakob samt seinen zwölf Söhnen - und die Apokalyptiker bzw. das apokalyptische Gedankengut, das sich durch die ganze jüdische Tradition hindurchzieht.

Die Patriarchen gelten als die Prototypen, die Urbilder, die Vorzeichen, die Kennmarken des Judentums. Sie haben das Judentum in sich verkörpert und exemplarisch vorgelebt. "Unser Vater Abraham hat die ganze Tora gehalten", heißt es in bYom 28b. In BerR 48,7 wird Gen 18,1 ausgelegt ("Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang, als ihn der Ewige als Gast besuchte"): Abraham habe aus Ehrfurcht vor dem Gast aufstehen wollen. Aber Gott habe zu ihm gesagt: "Bleib sitzen, denn du bist ein Vorzeichen (siman) für deine Kinder! Wie du hier sitzest, während die Göttlichkeit (Schekhina) bei dir steht, so werden deine Söhne sitzen, und die Göttlichkeit wird bei ihnen stehen. Wenn die Israeliten ihre Bethäuser und ihre Lehrhäuser betreten und dort das `Höre Israel' sagen, dann werden sie zu meiner Ehre sitzen, und ich werde ihnen zur Seite stehen; es heißt nämlich: `Gott steht auf inmitten der Gottesgemeinde' (Ps 82, 1)".

Das Gleichnis vom Erbprinzen

In ShemR 15,8 heißt es im Gleichnis vom Erbprinzen - vielleicht als Überbietungsversuch gegen die Christologie -, Gott habe dem Abraham alle seine Wünsche nach Erhöhung erfüllt. Er habe ihn auf seinem (Gottes) Thron sitzen lassen und habe ihm auch den Tempelbereich als Herrschaftsbereich ganz und gar überlassen. Ähnliches wird auch von Jakob berichtet. Jakob sei das vollkommene Ebenbild Gottes, der erstgeborene Sohn Gottes. Wegen seiner Gottgleichheit seien sogar die Engel auf der Himmelsleiter in Verwirrung geraten.

Das Endzeit - Thema

Die Patriarchenwürde hat aber nicht nur den Sinn einer exemplarischen Voranzeige. Sie hat auch mit unserem Thema Endzeit-Eschatologie zu tun. Als Beispiel greife ich den großen

mittelalterlichen Kabbalisten Mose ben Nachman (1194-1270) heraus, der in starker Auseinandersetzung mit dem Christentum stand. Für ihn ist der Umstand, dass Abraham sich schon in Sichem befand, bevor das Land verheißen worden war, ein Beweis, dass die Israeliten das Land von Gott bereits erhielten, noch bevor sie existierten (Gen 12,6). Abrahams Auseinandersetzung mit den vier Königen (Gen 14) ist für ihn ein Hinweis darauf, dass Israel zwar unter den vier Weltreichen leiden wird, dass es jedoch schlussendlich den Sieg über alle Reiche dieser Welt davontragen wird. Das damalige mittelalterliche Rom sieht er als das letzte Reich an, das bald dem Untergang geweiht sein wird. Zu Gen 32,4 bemerkt Nachmanides bezüglich Jakobs und Esaus: "Alles, was unserem Vater mit seinem Bruder Esau passierte, wird uns mit den Söhnen Esaus passieren." (Vgl. Amon Funkenstein, Nachmanides' Symbolical Reading of History, in: Joseph Dan/Frank Talamage, Studies in Jewish Mysticism, Cambridge Mass 1982, 129-150)

Die Apokalyptiker

Die Apokalyptik ist zunächst jene hervorbrechende Bewegung, die im 2. Jh. v. Chr. ihre erste Hochblüte erlebte und "die als eine Gottes-, Menschen- und Weltanschauung bezeichnet werden kann, in der alles Sichtbare und alles traditionell Geglaubte radikal und erregt dem bald zu erwartenden Umschwung der Zeiten zu Gericht, Verwerfung und Vollendung zu- und untergeordnet wird."5 Bezüglich der weiteren jüdischen Geschichte gilt aber, dass apokalyptisches Gedankengut stets stark mitgeschwungen hat und dass das Judentum deswegen bis zur Zeit der Aufklärung in viele Strudel des Enthusiasmus und der bitteren Enttäuschung hineingefallen ist. Dabei spielten nicht die Propheten mit ihren Zukunftsutopien die Hauptrolle, sondern Texte aus der Tora, d. h. Texte, die mit den Patriarchen und mit Mose zusammenhängen! Die Theorien über Völkerkriege, Religionskriege, Antimessias, Messias und Anbruch der Endzeit waren stets im Judentum mindestens ebenso stark präsent wie die gesetzlichen Partien der Tora. Bezüglich Endzeittheorien überboten die mittelalterlichen Juden sogar noch das Christentum der Kreuzzugszeit. Midrasch über Midrasch wurde verfasst, um dem Ablauf der Endzeit bis zum Untergang der Feinde und bis zur Verherrlichung Israels nachzusteigen und stets noch neue Aspekte in die Diskussion zu werfen.

Vorstellungen über den Messias gehen auseinander

In außerjüdischen - auch in wissenschaftlichen - Kreisen wird bisweilen zuwenig beachtet, dass messianische Vorstellungen schon in biblisch-vorchristlicher Zeit inhaltlich stark auseinander gingen. Nur selten war eine exklusive Konzentration der Vorstellung nur auf den Messias als Einzelperson vorhanden. Und wenn sie gelegentlich vorhanden war, dann war das Vorstellungspaket über ihn äußerst reichhaltig, vielfarbig, meist auch kontrovers.

Zukunftsvorstellungen als Erwartungen einer zerrissenen Volksgemeinschaft

Seit dem Ende des babylonischen Exils im 6. Jh. v. Chr. stand die Rückführung, Zusammenführung und Vollendung des in alle Windrichtungen zerstreuten, teils unauffindbaren israelitischen Volkes Gottes im Zentrum aller Hoffnungen und Zukunftskonstruktionen. Die wichtigsten Stimuli hierfür finden sich in Ez 36-37 und in Jes 60-66. Zum zentralen Stichwort wurde die "Einsammlung der Exile" (qubbuz galuyot). Die sich nach dem Exil entwickelnde jüdische Identität war die einer Restgemeinschaft, die sich bis zur erwarteten vollen Wiederauffüllung allein verantwortlich für die Weitergabe und Verwirklichung der Traditionen und Vorschriften von "ganz Israel" wusste. Das dauernde Unterdrückt sein rief Vorstellungen und Vorbereitungen für eine repressionsfreie und kommunikative Endzeit hervor. Mit den Stichworten Reich Gottes, Endherrschaft Gottes oder Bestätigung der Erwählung Israels wird der israelitische Erwartungshorizont besser umschrieben als mit endzeitlicher Prophetie, Messianismus oder Eschatologie. Nach dem schweren Einschnitt in die jüdische Geschichte im Jahre 70 n. Chr. - Tempelzerstörung, Zusammenbruch der Priesterhierokratie, Beginn einer Zerstreuung, Verlust des Landes - zeigte sich die besondere Stärke von zwei weiteren religiösen Faktoren im Judentum: der Halakha in der Auslegungsart der Rabbinen und der Zentrierung der Theologie auf den neu zu erringenden Zion.

Halakhische Grundlegungen

Zwei Beispiele müssen hier genügen: Aus der Zeit unmittelbar nach dem BarKochba-Aufstand (132-135) stammt folgende Halakha: "Man darf den Nichtjuden im Lande Israel keine Häuser vermieten. Es ist nicht nötig, ausdrücklich zu erwähnen, dass sich dies auch auf Felder bezieht. In Syrien darf man ihnen Häuser vermieten, aber keine Felder. Außerhalb des Landes darf man ihnen Häuser verkaufen und Felder vermieten. So Rabbi Meir (um 140 n.). Rabbi Josse bar Chalafta (um 150 n.) aber sagte: Im Land darf man ihnen Häuser vermieten, aber keine Felder. In Syrien darf man ihnen Häuser verkaufen und Felder vermieten (mAZ 1,8)."

Mit dieser Bestimmung wollte man der Neigung vieler Juden entgegentreten, angesichts der drückenden Not aus Judäa auszuwandern. Andererseits bildete diese Bestimmung auch die Basis für stete Hinwendungen und Rückwendungen zum Land Israel. Sie hat die uralte Sehnsucht nach dem gelobten und verheißenen Land gebündelt und verstärkt.

Entsagen aller ketzerischer Elemente

Die Absonderung, die Exklusivität und die Wahrung des Besitzes bezog sich in rabbinischer Zeit aber nicht nur auf das Land und seine Besitztümer, sondern auch auf die Religion! Sie sollte von allen götzendienerischen und fremden Elementen frei bleiben. In Ergänzung zur herangezogenen Mischnastelle ordneten die Rabbinen im 3./4. Jh. an: "Man darf mit den Ketzern in keinerlei Verkehr stehen, auch darf man sich von ihnen keine Heilung angedeihen lassen" (bAZ 27b). Anderswo wird gefordert, "man dürfe keine Geldgeschenke von Ketzern annehmen (bAZ 6b). Auch dürfe man kein Vieh in eine nichtjüdische Herberge einstellen, weil die Nichtjuden der Bestialität verdächtig sind" (bAZ 14b). Aus dieser letzten Stelle wird deutlich, dass das Misstrauen gegen Nichtjuden aus der Angst vor Verunreinigung des Landes und des Volkes entsprang. Auch aus diesem Grund war den Juden der Besuch nichtjüdischer Institutionen, besonders von Heiligtümern (vgl. bAZ 17a-19a) verboten. Im Ganzen sah es das rabbinische Judentum als seine Hauptaufgabe an, das Land Israel und alle Wohnorte der Juden von den Spuren des Götzendienstes und der rituellen Unreinheit zu reinigen, um auf Erden mitten im erwählten Volk und rund um es herum eine Gottesprovinz zu errichten!

Zionssehnsucht

Die jüdische Zionssehnsucht ist in biblischer und nachbiblischer Zeit reichlich dokumentiert. Den wichtigsten Haltegriff und Verstärker der traditionellen Zionssehnsucht bilden ohne Zweifel die beiden jüdischen Hauptgebete, das Achtzehngebet und das "Höre Israel". Man hat das Achtzehngebet das "Bürgergebet für Jerusalem" (Elias Bickermann) genannt oder das Gebet des Ablaufs der in Jerusalem gipfelnden messianischen Erlösung (Kimmelman). Ähnlich bringt auch das "Höre Israel" (Dtn 4,6 ff) die Zionssehnsucht zum Ausdruck. In keiner liturgischen Ordnung wird dieses Glaubensbekenntnis zum einen und einzigen Gott Israels ohne Einschluss von Sach 14,9 gesagt. Der Glaube Israels an seinen Gott wird also liturgisch stets mit der Hoffnung auf das endzeitliche Einschwenken der Völker zum monotheistischen Glauben der Juden verbunden.

Forderung nach Hinterfragung von Geschichte und Bibel

Es gibt heute einen Realitätsschock bezüglich aller zitierten jüdischen Vorstellungen und Erwartungen. Es führt nicht sehr weit für unsere heutige Problematik, wenn wir die Propheten verherrlichen und in allem nur fragen, was sie gemeint haben. Noch weniger weit führt es, wenn wir die religiöse, soziale und politische Geschichte des Judentums samt der es begleitenden Überzeugungen und Ideologien einfach akzeptieren. Die Geschichte kann jedenfalls nicht als Bestätigung aller biblischen Auslegungen und Anwendungen von Bibelstellen akzeptiert werden. Sie muss vielmehr kritisch hinterfragt werden, damit die Zügel heute herumgerissen werden können. Die Bibel selbst darf nicht fundamentalistisch gelesen werden. Auch sie muss hinterfragt werden. Sie kann im Grunde nur in unschöpferischer Weise für heute beigezogen werden.

Aufruf dem Frieden zu dienen

Alles, was zu tun bleibt, ist: dem Frieden zu dienen, dem Frieden zwischen den Völkern, Religionen, gesellschaftlichen Schichten und zwischen Familien und Kleingruppen. Das kann durch die Beziehung vieler Traditionen unter Umständen sehr günstig und eindrucksvoll unterstützt werden. Hier wird nur ein Beispiel angeführt. Es betrifft den großen jüdischen Lehrer Rabban Jochanan ben Zakkai, der ca. 80 n. Chr. gestorben ist, nachdem er zuvor alle seine Kräfte aufgeboten hatte, um die Sinnlosigkeit des ersten jüdischen Aufstandes gegen Rom darzulegen. Sein in ARN B 31 (Seite 66f) zu findender Spruch lautet: "Wenn du mit deiner Hand einen Schössling pflanzest und man sagt zu dir: Geh, der Messias ist da, dann pflanze den Schössling weiter und geh erst danach weg, um den Messias zu empfangen. Und wenn Kinder zu dir sagen: Lasst uns gehen, wir wollen den Tempel aufbauen, dann höre nicht auf sie. Und wenn Greise zu dir sagen: Komm, wir wollen den Tempel niederreißen, dann höre auf sie. Denn der Aufbau von Kindern ist ein Niederreißen, und das Niederreißen von Alten ist ein Aufbau. "Die Propheten, die Rabbinen, die Patriarchen, die Apokalyptiker und auch die Tora selbst müssen angesichts der heutigen Umwälzungen teilweise in den Wartestand treten, damit nicht unnötiger Zündstoff in die heutige explosive Lage gerät.

 

Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn

 

>> Tradenten der schriftlichen und mündlichen Tora

>> Die Nebenrolle der Propheten

>> Die übergeordnete Rolle des Mose

>> Kritik am Propheten Hosea

>> Rabbinen wichtiger als Propheten

>> Die Patriarchen

>> Das Gleichnis vom Erbprinzen

>> Das Endzeit - Thema

>> Die Apokalyptiker

>> Vorstellungen über den Messias gehen auseinander

>> Zukunftsvorstellungen als Erwartungen einer zerrissenen Volksgemeinschaft

>> Halakhische Grundlegungen

>> Entsagen aller ketzerischer Elemente

>> Zionssehnsucht

>> Forderung nach Hinterfragung von Geschichte und Bibel

>> Aufruf dem Frieden zu dienen