Fachartikel

Götter, Geister, Engel und Dämonen

 

Von Josef Franz Thiel

 

Die Religionswissenschaft und Religionsethnologie haben gezeigt, dass keine religionslosen Völker existieren. Alle Kulturen kennen ein irgendwie geartetes Schöpferwesen, das die Welt erschaffen und ausgestattet hat, so wie sie heute ist. Neben diesem Schöpfer existieren aber immer auch eine Reihe ganz anderer Mächte. Sie stellen vielfach die dynamischen religiösen Kräfte dar, die den religiösen Alltag prägen. Je nach Wirtschaftsform und Sozialstruktur treten dabei Ahnenverehrung, Naturgeister und Fetische auf, denen der Autor in seiner Untersuchung zu den Urbeständen der Religionen schriftloser Völker nachgeht.

Den Ausdruck "Gott" und "Götter" verwendet die Religionsethnologie nur selten, denn beide Begriffe sind in der jüdischchristlichen Religion mit ganz bestimmten Inhalten gefüllt. Die Wesen, die wir mit "Gott" und "Götter" bezeichnen, finden sich kaum einmal in gleicher Weise in den Nichtschriftreligionen, die wir früher auch gerne als "Naturreligionen" oder "archaische Religionen" bezeichnet haben. Es gibt zwar meist irgendein Schöpferwesen, das aber nicht ohne weiteres mit unserem Schöpfergott gleichzusetzen ist. Eine creatio ex nihilo, also Schöpfung aus dem Nichts, ist in allen Naturreligionen so gut wie unbekannt. Die Schöpferwesen sind durchwegs erhabene Wesen, die das menschliche Leben zwischen Geburt und Tod den subalternen Mächten wie Ahnen, Geistern und Fetischen überlassen, aber auch diese aktiven Wesen kann man wieder nicht in vollem Sinne Götter nennen - sie sind übermenschliche Wesen sui generis.

Zugang zur Seele durch den Traum

Das Wort "Geister" wird hingegen in der Religionsethnologie wie in der Religionswissenschaft sehr vielfältig verwendet: Man kennt Ahnengeister, Naturgeister, Erdgeister, Wassergeister usw. Der Religionsethnologie stellte sich im letzten Jahrhundert das Problem, wie der Mensch überhaupt auf die Existenz geistiger Wesen und zum Begriff des Immateriellen gekommen sei. Edward Taylor definierte die Religion als "belief in spiritual beings", und wir wissen, dass man damals der Meinung war, der Mensch sei über den Traum zum Begriff der Seele, also zum Geistigen gekommen. Der Mensch erfuhr durch den Traum, dass sich ein Teil seiner selbst im Schlaf fortbewegte und vieles erlebte, während der Körper an Ort und Stelle blieb und schlief. So schloss der Mensch auf die Seele und gelangte damit zur Existenz des Immateriellen. Wenn wir heute den Begriff "Geist" bzw. "Geister" in der Religionsethnologie verwenden, dann sollten wir ihn für die persönlichen Wesen, die zwischen der Gottheit und dem Menschen stehen, vorbehalten.

Fehlen des Begriffs "Engel"

Der Begriff "Engel" taucht in der Religionsethnologie nirgendwo auf, er entstammt den alten Hochkulturen im Vorderen Orient. Natürlich kennen auch Naturreligionen gute und böse Wesen, die zwischen einer Gottheit und den Menschen vermitteln oder aber unabhängig vom obersten Wesen den Menschen Gutes bzw. Böses bereiten. Man denke hier an die unüberschaubare Zahl der Fetische.

Der Dämon als Personifizierung des Bösen ?

Der vierte Begriff, der in diesem Zusammenhang genannt werden muss, sind die "Dämonen": Ursprünglich stammt das Wort aus dem Griechischen, dort heißt es "daimon". Das Wort macht aber eine gewaltige Wandlung im Laufe der Geschichte durch. Bei Homer sind die "daimones" fast noch identisch mit Göttern. In späteren Schriften wird dann die Reihenfolge: Gott, Daimon, Heros, Mensch festgeschrieben. In der Septuaginta (LXX) sind die "daimones" Wesen zwischen Gott und Mensch. In der weiteren Entwicklung werden vor allem im Christentum alle "Heidengötter" und insbesondere die "gefallenen Engel" zu Dämonen gemacht. Als Religionsethnologe muss man die Vorstellung eines Wesen das in sich ganz und gar böse ist, sehr bezweifeln. Das eigentliche Böse in der Naturreligion ist die Hexerei. Diese ist aber eine Kraft, die gegen die Gesellschaft gerichtet ist. Die Hexerkraft bezieht sich aber nicht ein personifiziertes Wesen, das in sich immer negativ bestimmt wäre. Sie ist eine unpersönliche, negative Kraft, die manchen Menschen innewohnt.

Die Gottesidee in der Wissenschaft

Fast alle sogenannten Naturvölker kennen irgendein Schöpferwesen. Wir nennen es "Höchstes Wesen", bisweilen auch Gott. In der Wissenschaft sprach man vom "Urmonotheismus" des Pater Wilhelm Schmidt, der in seinem zwölfbändigen Werk "Der Ursprung der Gottesidee" die Schöpfergottheit bei den einfachsten Völkern herausgearbeitet hat. Heute hat jedoch diese Theorie keine Gefolgsleute mehre. Ein anderer bedeutender Religionswissenschaftler, der über die Gottesidee gearbeitet hat, war Erzbischof Nathan Söderblom. Er vermied es, von einem Schöpfergott oder gar von einem Monotheismus bei den Naturvölkern zu sprechen. Er schlug vor, jene Zeitwesen als "Urheber" zu bezeichnen. Sie sind eben Schöpferwesen, die aber die Welt nicht aus dem Nichts erschaffen, sondern die bereits irgendwie vorhandene Welt umformen und sie in ihren jetzigen Zustand bringen. Adolf E. Jensen war ein weiterer Religionsethnologe, der sich um die Erforschung der Gottesidee verdient gemacht hat: Er sah in den Dema-Gottheiten einen wesentlichen Bestandteil der Gottesidee: Es sind dies Urzeitwesen, die zerstückelt und deren Leichenteile vergraben wurden. Daraus wuchsen dann die Kulturpflanzen. Diese im ozeanischen Raum sehr verbreitete Idee wollte Jensen weltweit nachweisen. Doch sein Bemühen kann man praktisch als gescheitert ansehen.

Unterschiedliche Vorstellungen vom Schöpferwesen

Die Gottesidee wird ist gerade bei den einfachen Völkern sehr stark von ihrer Wirtschaftsform beeinflusst. Jäger und Sammler benötigen keine Fruchtbarkeitsgötter, da sie den Boden nicht bebauen. Agrarische Völker verabsolutieren gerne die Mutter Erde als Quelle aller Fruchtbarkeit. Wieder andere Völker, häufig Hirten, sehen in Sonne und Regen das Absolute, das ihre Existenz sichert. Bei den Pygmäen Zentralafrikas z. B. ist der Schöpfergott Tore sehr wahrscheinlich nichts anderes als der personifizierte und verabsolutierte Urwald, in dem die Pygmäen seit Jahrtausenden leben. Für sie ist der Wald das Element, das ihnen die Existenz in jeder Weise sichert. Die Eskimos (Inuit) verehren Sedna als jene Gottheit, die ihnen alle Jagdtiere bereithält - oder auch vorenthält - , wenn sie nicht ihre Gebote beachten. Es gibt Texte, in denen Sedna niemand anderer ist als der Seehund, das wichtigste Jagdtier der Eskimos.

Dualität der Gottheit

Wenn von der Gottesidee der Naturvölker die Rede ist, sollte auch die Idee der zweigeteilten Gottheit erwähnt werden. Bei vielen Völkern findet man eine männliche und eine weibliche Gottheit, eine Gottheit, die oben und unten anberaumt ist, oder eine, die gut und böse ist usw. Alles Große ist nicht nur männlich oder nur weiblich, sondern schließt beides in sich. Diese Dualität drückt sich in vielen Symbolen, Zahlen, Farben, Zeichen usw. aus. Man hat dies bisher viel zu wenig beachtet.

Gemeinsamkeit aller Schöpferideen

Eines scheint aber allen diesen Schöpfergottheiten gemeinsam zu sein: Sie sind zurückgezogene Gottheiten, die den Weltenlauf zwischen Geburt und Tod dynamischen Mächten überlassen und nur ganz selten ins Leben eingreifen. Sie werden nur in Todesnot angerufen. Opfer erhalten sie so gut wie nie. Um den religiösen Alltag kümmern sich andere Mächte, wie Ahnen, Geister oder Fetische.

Unsterblichkeit durch Teilsein einer Gruppe

Grundidee menschlichen Strebens ist der Versuch, den Tod zu überwinden, oder anders ausgedrückt: die Suche nach der Unsterblichkeit. Der Vertreter der Naturreligion lebt in einer solidarischen Gruppe. Er ist überzeugt, dass er nur in seiner Gruppe und mit ihr überlebt, d. h. den physischen Tod überdauern kann. Mit ihr steht er in Verbindung. Das Individuum vergeht, die Gruppe bleibt. Daher auch der Glaube, dass man ganz und gar vergeht, wenn die Gruppe auf Erden ausstirbt. Losgelöst von der Gruppe gibt es kein Leben. Hier liegt auch die große Bedeutung des Ausschlusses aus der Gruppe: sie kommt dem Fluch gleich. Wer verflucht ist, der stirbt. Der Tod bedeutet keine Trennung von der Gruppe, sondern nur eine Umwandlung der Existenzweise. Zur Gruppe gehören alle Lebenden und Verstorbenen. Die Verstorbenen im Jenseits sind in viel stärkerem Maße Gruppe als die Lebenden, da sie älter sind.

Verhältnis zu den Ahnen

Die Ältesten der Gruppe der Lebenden sind gleichsam Mittler zwischen denen im Diesseits und jenen im "anderen Dorf", im Jenseits. Sie verhalten sich den Ahnen im Jenseits gegenüber in gleicher Weise wie die Jugendlichen sich den lebenden Ältesten gegenüber verhalten. Der Ahnenkult ist im Grunde genommen eine Projizierung des diesseitigen Verhaltens von jung zu alt ins Jenseits. Je näher man dem Ursprung ist, desto mächtiger ist man; der Urahn ist daher der Mächtigste. Es scheint, dass bisweilen der Urahn der herrschenden Gruppe nicht mehr ohne weiteres von einer Gottheit zu unterscheiden ist.

Unsterblichkeit durch Wiedergeburt

Der Gläubige der Naturreligion wird über die Gruppensolidarität unsterblich. Da er sich mit der Gruppe solidarisiert, ist er, wie die Gruppe selbst, unsterblich. Sich von der Gruppe loslösen, heißt sterben. Ein weiteres Mittel der Verewigung des Individuums besteht in der Wiedergeburt in alternierenden Generationen. Die Ethnien im Zaire-Kasai-Gebiet (Zentralafrika) z. B. kennen alle die Wiederkehr alternierender Generationen, d. h. die Enkel sind Reinkarnationen ihrer Großeltern. Es gibt Ethnien in Zentralafrika, bei denen der Großvater die Tochter seiner Töchter heiraten kann: Sie ist ja eine "Neuauflage" seiner Frau.

Ahnenkult und Religion

In der evolutionistischen Religionsethnologie war man der Meinung, dass der Manismus, der Glaube an die Manen - die Seelen der Verstorbenen - eine Phase in der Entwicklung der Religion schlechthin sei. Nun ist der Ahnenkult zwar ein religiöses Phänomen, aber keine eigene Religion. Neben dem Ahnenkult gibt es immer auch einen Hochgott-Glauben sowie diverse andere religiöse Mächte und Betätigungen ihnen gegenüber wie etwa den Fetischglauben bzw. den Geisterglauben mit jeweils zahlreichen Riten.

Unterscheidung zwischen Totenverehrung und Ahnenkult

Es gibt seit jeher Kontroversen darüber, ob Ahnenkult etwas Religiöses oder rein Profanes sei; man denke z. B. an den Ritenstreit in China. Am besten trifft man folgende Unterscheidung: Ist die verehrte Person keine übermenschliche Gestalt, hat sie also einen Machtbereich ähnlich wie wir lebenden Menschen, dann handelt es sich um keinen Kult, sondern um Verehrung. Die Person ist dann nicht ein Ahne, sondern ein Toter, ein Verstorbener: deshalb sprechen wir von Totenverehrung. Ist die angerufene Gestalt abgehoben, übermenschlich, hat sie ein Betätigungsfeld, das uns Sterbliche weit übersteigt, dann handelt es sich um Ahnenkult. Der Ahnenkult ist ein eminent soziales, aber auch religiöses Phänomen.

Das Ahnenbild

Ahnendarstellungen tragen in Zentralafrika wie auch sonst keine individuellen Züge. Es wird ein Ahnentypus in 'statischer Ruhe dargestellt. Oft wird die Fruchtbarkeit des Ahnen in ganz besonderer Weise unterstrichen, z. B. durch große Geschlechtsteile. Dies gilt sowohl für die Ahnin wie für den Ahn. Einen Wert besitzt das Ahnenbild nur so lange, wie es wirkt. Wenn ein Ahnenbild trotz Opfer nicht mehr wirkt, wird es weggeworfen und ausgetauscht. Man sagt, der Geist ist nicht mehr in ihm. L'art pour I'art existierte bis vor wenigen Jahrzehnten in den meisten Regionen Afrikas nicht. Die Ahnen können nur zu ethisch gutem Zweck angerufen werden. Hierin unterscheiden sie sich von den Fetischen, die auch zum eigenen Vorteil und zum Schaden anderer beopfert und angerufen werden können. Freilich sind gut und böse im Sinne der Ahnen zu verstehen. Die Meinung der Ahnen reflektiert immer die Meinung der Ältesten. Die Meinung der Ältesten bzgl. gut und böse muss sich nicht unbedingt mit der Meinung ihrer jüngeren Klanmitglieder decken, im Gegenteil.

Merkmale der Ahnendarstellung

Man achte bei Ahnendarstellungen jeder Art auf die Farb- und Zahlensymbolik. Oft lässt sich schon aufgrund der Farbgebung sagen, ob damit ein Mann oder eine Frau gemeint ist. Weiter ist signifikant, ob das Holz, aus dem das Ahnenbildnis geschnitzt ist, aus dem Wald oder der Savanne stammt oder von einem Baum, der am Wasser wächst. Auch die Beigaben der Ahnenbildnisse oder Masken sind zu untersuchen. Sind es Vegetabilien, die am Wasser vorkommen, dann stehen sie sehr eng mit den Geistern in Verbindung. In der Savanne wiederum hat man mit anderen Geistern zu tun. Alle Pflanzen und Steine, die aus dem unkultivierten Raum kommen. haben mit den Geistern zu tun. Leere Schneckenhäuser stehen ebenfalls häufig mit den Ahnen in Verbindung. Sie gelten als Aufenthaltsort der Ahnenseelen. Eine Figur, die ein Schneckenhaus umgehängt hat, ist deshalb oft eine Ahnenfigur. Aber über alle diese Objekte haben die Ethnologen bisher so gut wie noch nicht gearbeitet, obwohl es uns viel Aufschluss über den letzten Sinn der Ahnenfiguren geben würde.

Der negative Beigeschmack des Fetisch

Was immer wir als "Fetisch" bezeichnen, ist in unseren Augen etwas Minderwertiges: ein schmuddeliges Objekt oder eine negative subalterne Kraft, kurz: ein Gegenstand einer niedrigen Kategorie. Wir sprechen denn auch bald von Fetischen als von "Götzen", von "faulem Zauber", von "Hokus-Pokus", von "Aberglauben", von "Idolen" usw. Es lässt sich kaum eine Arbeit aufzählen, die sich in positiver Weise mit jenen Objekten auseinandersetzt, die wir "Fetische" nennen. Als Religionsethnologe muss man in den Fetischen und in den sie belebenden Kräften und Mächten auch etwas Positives sehen. Wer sich Fetische anschafft, steckt in einer Krise. Er erwartet von ihnen Hilfe. Sie sollen ihm auch helfen, sein Leben zu ordnen. Jeder Mensch erwartet von den Mächten, dass sie ordnend eingreifen und Krisen bewältigen helfen. Genau das tun aber in den allermeisten Fällen die Fetische in Afrika.

Was sind Fetische ?

Ein "Fetisch" ist ein materielles Objekt, in dem eine außer- bzw. übermenschliche Kraft oder Macht wohnt. Der Fetisch besteht somit immer aus zwei Teilen: aus dem materiellen Objekt und der Kraft oder Macht, die in ihm wohnt. Damit der Fetisch zu gegebener Zeit aktiv wird, benötigt er ein Opfer. Jede Materie kann im Grunde genommen Opfergabe für den Fetisch werden. Wenn geopfert wird und der Ritus vorschriftsmäßig vollzogen ist, muss der Fetisch auch helfen. Eine ethische Forderung an den Opfernden stellt der Fetisch nicht. Deshalb ist der Fetischkult immer sehr nahe der Magie. Er muss aber nicht notwendigerweise magisch sein.

Erste Begegnungen mit Fetischen

Wer den Ausdruck erstmals in die Literatur eingebracht hat, ist bis heute nicht ganz klar; doch in Reiseberichten des frühen 17. Jahrhunderts ist das Wort "Fetisch" bereits gebräuchlich. Der berühmte Beschreiber Zentralafrikas im 17. Jahrhundert, Giovanni Antonio Cavazzi, berichtete, dass die Wahrsager (banganga ngombo) mit dem Teufel im Bunde wären. Forschungen haben jedoch gezeigt, dass die banganga ngombo jener Region mit Hilfe eines Verstorbenen aus dem eigenen Klan wahrsagen, der früher ebenfalls Wahrsager war. Der Hamburger Prediger Wilhelm Müller, von 1661-1669 an der Goldküste tätig, berichtet, dass die Bewohner der Goldküste bereits im 17. Jahrhundert das Wort "Fetisch" verwendet hätten. Er schreibt: "Wann die Schwarzen mit uns Blanken reden, so nennen sie ihren Götzen-Dienst Fitiseken." Offensichtlich haben sich die Afrikaner der Ausdrucksweise der Weißen bedient, um von ihnen verstanden zu werden. Der Niederländer Olfert Dapper schreibt 1670 schließlich von den Bewohnern des "Goldstrandes" (gemeint ist das heutige Ghana in Westafrika): "Damit sie sich nun vor allen Unfällen beschirmen und eine glückliche Reise mit diesen Schuten [es ist vom Bootsbau die Rede] tun möchten, so behängen und bemalen sie sich zuweilen mit unterschiedlichen Fetisen oder Heiligen... Etlich, wenn sie eine ferne Reise tun wollen, schlachten ihrem Heiligen auch ein Schaf oder Böcklein und hängen dies geschlachtete und aufgeschnittene Tier voran auf der Schute zur Schau..." Als der französische Senatspräsident Charles de Brosses in seinem Buch "Du culte des dieux fetiches" von 1760 das Wort "Fetisch" mit dem Gottesbegriff der Afrikaner gleichsetzte, fand der Ausdruck in die wissenschaftliche Literatur Europas ganz allgemein Eingang. Er bezeichnete aber immer Objekte oder Gottheiten, die im Gegensatz zu Kultgegenständen der eigenen Religion als minderwertig galten und bis heute gelten.

Fetische als Träger außermenschlicher Kräfte

Die im Fetisch wohnende Kraft ist eigentlich wertneutral. Ihre Bestimmung erhält sie durch die Gesellschaft. Ist nämlich die Kraft für die Gesellschaft positiv, dann ist der Fetisch eine gute Kraft. Wird die Fetischkraft für ein Individuum positiv, aber für die Gesellschaft als negativ erfahren, so sprechen wir von Hexerei, also von einer bösen Kraft. Im Grunde genommen kann jedes materielle Objekt Träger einer Fetischkraft werden. In Zentralafrika heißt auch jedes Objekt, dem eine außermenschliche Kraft innewohnt, nkisi - sowohl eine Kopfwehtablette als auch ein Fetisch, eine Maske, eine Ahnenstatue; alles ist nkisi, weil es die Kraft des Normalmenschen übersteigt.

Die Gestalt des Fetisch

Wir assoziieren vielfach eine schöngeschnitzte Statuette mit einem Fetisch, aber dies ist nicht immer der Fall, meistens sind Fetische sogar überhaupt keine Statuetten, sondern irgendein Körbchen, ein Bündel, das Horn eines Wildtieres usw. Das zentrale Problem im Fetischismus ist der Glaube an die Gegenwart der Kraft oder Macht im Objekt. Deshalb kann man auch sagen, dass die Fetische, die wir in unseren Museen ausstellen und aufbewahren, tote Fetische sind, d. h. sie sind nur die Hüllen, die leeren Hülsen, die Kadaver; die Macht und der Glaube an diese Mächte ist in Afrika geblieben. Der Fetisch ist in Afrika kein totes Objekt, sondern ein lebendiges Wesen: Der Fetisch kann sprechen, er fordert Opfer, er warnt seinen Besitzer, er hilft ihm, er ist sogar noch klüger als der Mensch und kann deshalb viel helfen. Die Fetischmacht ist auch nicht blind, sondern sie sieht, sie ist intelligent, sie erkennt ihren Besitzer. Wenn in Afrika jemand einen Fruchtbaum hat und nicht will, dass ein anderer an seine Früchte geht, legt er einen Fetisch aus. Wenn jemand aus der Familie an den Fruchtbaum kommt und sich Früchte nimmt, schadet der Fetisch nicht, wenn aber ein Fremder kommt und sich der Früchte bedient, wird der Fetisch ihn verfolgen, vielleicht sogar krank machen und in Extremfällen sogar töten.

Mächte des Fetisch

Die Fetischmacht kann vielgestaltig sein: Einmal ist sie unpersönliche Kraft, dann auch persönliches Wesen; der Fetisch kann auch ausschließlich für ein Individuum da sein. Aus diesem Grunde hat jede Ethnie so zahlreiche Fetische, dass kein Mensch alle kennen kann. Man kennt gewöhnlich nur die ganz großen Klanfetische, die der gesamten Ethnie oder doch großen Teilen bekannt sind. Dem Fetisch kann aber auch eine persönliche Macht innewohnen. Meistens handelt es sich dann um einen weit zurückliegenden Ahn oder Urahn, zu dem kein Klan mehr eine direkte Genealogie aufzeigen kann. Solange nämlich die genealogische Herkunft bekannt bleibt, ist der Ahn immer nur für seine eigenen Nachkommen zuständig. Erst wenn die verwandtschaftliche Abfolge unbekannt ist, kann er für eine größere Gruppe als

den Klan um Hilfe angegangen werden.

Die Notwendigkeit von Opfern

Ein wesentlicher Punkt des Fetischs ist, dass er durch Geschenke und Opfer kraftvoll aufgeladen und aktiviert werden kann. Es ist deshalb die vornehmlichste Aufgabe des Fetischpriesters, dass er seine Fetische beopfert, damit sie ihm zu Diensten sind. Da sich zwischen Priester und Fetisch häufig ein "do-ut-des-Geschäft" abspielt, befinden wir uns sozusagen an der Nahtstelle von Religion und Magie. Als je größer und mächtiger Fetische gelten, um so zahlreicher und hochwertiger müssen die Opfer für sie sein. Nicht selten verlangt ein Fetisch Menschenopfer, wenn er wirken soll. Von den großen Nagelfetischen der Bayombe (Zentralafrika), Konde genannt, heißt es, dass man früher der Figur, bevor sie aktiv wurde, ein Mädchen zuführte. Sie verbrachten eine Nacht zusammen auf einem Lager; morgens war das Mädchen tot. Auf diese Weise war der Geist des Mädchens im Fetisch aktiv. Meist jedoch bestehen die Menschenopfer darin, dass der Priester dem Fetisch erlaubt, einen Menschen aus seiner Sippe oder aus einem bestimmten Dorf zu holen. Jedenfalls wird häufig gesagt, wenn jemand eines unerwarteten Todes stirbt, dieser oder jener Fetisch habe ihn geholt und der Priester habe es ihm erlaubt. Menschenopfer sind die Ausnahme. Normalerweise opfert der Priester seinen Fetischen Kleintiere, und zwar besonders Hühner, Ziegen und vielleicht noch ein Schaf.

Das Fetischopfer

Fetische erhalten aber nicht nur Opfer, wenn man von ihnen Hilfe erwartet, sondern sie werden auch regelmäßig verehrt. So berichtet R. Schott von den Lyela in Burkina Faso, dass bestimmte Fetische alle 7 x 6 = 42 Tage ihre "Blutwäsche" erhalten müssen; andere Fetische nach der Ernte. In der alten Yansi-Woche (von 4 Tagen) war ein Tag der Verehrung der Fetische vorbehalten. Bisweilen werden Fetische wie lebende Älteste behandelt: Sie erhalten dann von allem, was man isst und trinkt, und zwar erhalten sie immer vorab. Man gibt ihnen Palmwein und Kolanüsse, die Ehrengaben für die Ältesten; man schenkt ihnen aber auch Salz und Geld, gekochte Speisen und Stoffe, als wären sie Menschen unter den Lebenden. Der Priester als Spezialist weiß immer, welches Opfer in welcher Situation gebracht werden muss. Der magische Aspekt des Opfers spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Der Fetisch und das Christentum

Wenn man Fetische als kraftgeladene Objekte definiert, die durch Opfergaben aktiviert werden können, dann kann es selbstverständlich in jeder Religion Fetische geben. Die Geschichte des Christentums zeigt, dass es in christlichen Volksreligionen immer wieder zu fetischistischen Tendenzen kommt, ohne dass deshalb das Christentum als solches dafür verantwortlich wäre. Ohne den Kraftglauben kommt eine Volksreligion nicht aus, und vom kraftgeladenen Objekt bis zum Fetisch ist nur noch ein kleiner Schritt. Vor allem in der christlichen Mission des alten Kongoreiches hat sich gezeigt, wie leicht christliche Andachtsgegenstände (Devotionalien) zu Fetischen umfunktioniert werden können. Es ist bekannt, dass auf Druck des portugiesischen Königs und der Missionare die Kongokönige, besonders Afonso I. (1506-1543), den Fetischkult strengstens verboten haben. Aus der Religionsethnologie weiß man jedoch, dass sich lebenswichtige Elemente einer Kultur, Wirtschaft oder Religion nicht einfach verbieten lassen. Fetische und Ahnenkult hatten jedoch in der Gesamtkultur der Bakongo eine zentrale Funktion.

Das Kruzifix als Fetisch

Es war nur eine logische Entwicklung, dass christliche Devotionalien zu Fetischen umgedeutet wurden, um diese zu ersetzen. Das mächtigste Objekt des Christentums, das Kruzifix, wurde damit zum mächtigsten Fetisch. Nur wurde nun Christus in afrikanischem Sinne umgedeutet: da alles Große männlich und weiblich zugleich ist, wurde auch der Gekreuzigte zweigeschlechtlich dargestellt. Der heilige Antonius von Padua - er war von Geburt Portugiese - wurde zum vielgebrauchten Fruchtbarkeitsfetisch; wohl deshalb, weil er immer mit dem Jesuskind auf dem Arm dargestellt wird. Im Osten des Kongoreiches wurde das Kreuz (ohne Korpus) zum Jagdfetisch, den man "Santu" nannte. Im Süden des Reiches bei den Baholo sind "Nzambi-nkisi" genannte Fetische bekannt, die sehr wahrscheinlich auf ein Kreuzigungsbild im Bilderrahmen zurückgehen. Die Liste der vom Christentum inspirierten Fetische ließe sich noch lange fortführen.

Erkennbare Nähe zum Fetisch auch im Christentum

Die Konzentration der Macht in einem bestimmten Objekt und die Steigerung derselben durch Gebete und Opfer scheinen zu den allgemein verbreiteten Phänomenen der Religionen zu gehören. Gibt es nicht auch in unserer Kultur Bilder und Statuen, die besonders wirkkräftig sind ? Man wallfahrtet, bringt Kerzenopfer, lässt Messen lesen und an einem bestimmten Altar in Rom kann durch eine Messe eine Seele sogar aus dem Fegefeuer in den Himmel befördert werden. All dies ist zwar noch kein Fetischglaube, aber doch eine Art Kraftglaube, von dem es zum Fetischglauben nicht mehr weit ist.

 

Bearbeitet und gekürzt von Ernst Pohn

 

>> Zugang zur Seele durch den Traum

>> Fehlen des Begriffs "Engel"

>> Der Dämon als Personifizierung des Bösen ?

>> Die Gottesidee in der Wissenschaft

>> Unterschiedliche Vorstellungen vom Schöpferwesen

>> Dualität der Gottheit

>> Gemeinsamkeit aller Schöpferideen

>> Unsterblichkeit durch Teilsein einer Gruppe

>> Verhältnis zu den Ahnen

>> Unsterblichkeit durch Wiedergeburt

>> Ahnenkult und Religion

>> Unterscheidung zwischen Totenverehrung und Ahnenkult

>> Das Ahnenbild

>> Merkmale der Ahnendarstellung

>> Der negative Beigeschmack des Fetisch

>> Was sind Fetische ?

>> Erste Begegnungen mit Fetischen

>> Fetische als Träger außermenschlicher Kräfte

>> Die Gestalt des Fetisch

>> Mächte des Fetisch

>> Die Notwendigkeit von Opfern

>> Das Fetischopfer

>> Der Fetisch und das Christentum

>> Das Kruzifix als Fetisch

>> Erkennbare Nähe zum Fetisch auch im Christentum

 
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