Buchtipp

Walter Homolka: "Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung"

Für Christen ist Jesus von Nazareth der Messias, der Sohn Gottes. Doch wie sieht eigentlich der "jüdische Blick" auf Jesus aus? Der deutsche Rabbiner Walter Homolka beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit der jüdischen Perspektive auf Jesus von Nazareth.

Auf den ersten Blick, so schreibt Walter Homolka zu Beginn seines Buches, "könnte man meinen, Jesus aus jüdischer Sicht sei kein Thema, das Erfolg verspricht". Schließlich sei die Frage, "wer Jesus war oder gewesen sein mag", wie Homolka den britischen Rabbiner Jonathan Magonet zitierend schreibt, "nur für sehr wenige Juden von Interesse". Nichtsdestotrotz macht sich der Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs in seinem neuen Buch auf die Suche nach dem jüdischen Blick auf Jesus.

Dramatische Wirkungsgeschichte

Obwohl, wie Homolka im Vorwort betont, "ein unverstellter Blick" auf Jesus von jüdischer Seite zunächst nur schwer möglich ist: "Zu dramatisch war dessen Wirkungsgeschichte zu einer Gefahr für das Judentum als Ganzes geworden, aber auch ganz existenziell für jeden einzelnen Juden".

Polemik und Zensur

Wie schwierig das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum jahrhundertelang war, zeigen die zahlreichen von Homolka zitierten spätantiken und mittelalterlichen Texte. Während auf jüdischer Seite in Schriften wie etwa der in unterschiedlichen Fassungen überlieferten "Toldot Jeschu" zentrale christliche Glaubensinhalte bekämpft wurden und Jesus als unehelich empfangener Sohn eines römischen Soldaten und selbsternannter Messias geschmäht wurde, kam es auf christlicher Seite vor allem im Mittealter zu einer Verschärfung der antijüdischen Polemik und zu einer kirchlichen Zensur jüdischer Handschriften.

Jesus und die jüdische Überlieferung

Zu einer ersten Annäherung von Christen und Juden kam es, so Homolka, in der Neuzeit. Dabei wandte sich einer der wichtigsten Wegbereiter der jüdischen Aufklärung, der Philosoph Moses Mendelssohn, auch dezidiert gegen die "Toldot Jeschu" und betonte, Jesus hätte sich keineswegs gegen die jüdischen Gesetze gestellt und stimme in seinen Reden und Handlungen "nicht nur mit der Schrift, sondern auch mit der Überlieferung völlig überein."

Suche nach dem "historischen Jesus"

Doch, so betont Homolka, nicht nur auf jüdischer Seite veränderte sich im Laufe der Neuzeit das Jesus-Bild. Durch die vor allem im 19. Jahrhundert erfolgte Hinwendung zum "historischen Jesus" wurden seitens der christlichen Theologie "Berührungspunkte mit dem Judentum als Umfeld und Heimat Jesu" geschaffen. Jedoch wurde das Bemühen um ein historisch-kritisches Jesus-Bild innerhalb der christlichen Theologie, wie Homolka schreibt, "mit der Zeit durch Fragen nach Heilsgeschehen und Heilsbedeutung immer mehr in den Hintergrund gedrängt", schließlich studierten christliche Theologen Jesu Leben im Grunde nie, ohne auch seine Heilsbedeutung im Blick zu haben. Dies sei den Theologen, so betont Rabbiner Homolka, "nicht zu verdenken". Es sei aber ein Verdienst der jüdischen Leben-Jesu-Forschung, "diesen Schleier von uns zu nehmen."

Jüdische Beiträge zur Jesus-Forschung werden als "Anmaßung" empfunden

Vom Dialog mit jüdischen Jesus-Forschern könnten, so betont Homolka, auch christliche Theologen profitieren, da jene ohne den Blick auf die für Christen wesentliche Perspektive der Heilgeschichte das Leben des Jesus von Nazareth studierten und damit gerade "in der ureigensten Domäne der christlichen Theologie, der Interpretation der Gestalt Jesu" wichtige Partner sein könnten. Allerdings würden, so stellt Homolka bedauernd fest, von christlicher Seite "Beiträge der jüdischen Jesusforschung zumeist nicht als heilsame Infragestellung der eignen Position oder vielleicht gar als Gesprächsangebot empfunden, sondern als Anmaßung".

Jesus – ein strenggläubiger Jude

Als wichtige Beispiele jüdischer Jesus-Forscher nennt Homolka unter anderen Abraham Geiger und Leo Baeck. Geiger versuchte in seinem 1863 erschienenen Werk "Das Judentum und seine Geschichte" Jesus vor allem als einflussreichen Pharisäer zu zeigen, von dessen Lehren sich die frühen Christen unter anderem durch die Aufnahme griechischer und römischer Gedanken entfernten. In Baecks 1938 erschienenem Buch "Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte" wird Jesus vor allem als strenggläubiger Jude dargestellt, dem es niemals in den Sinn gekommen wäre, eine neue Religion zu begründen.

Ein bedeutender, aber kein vollkommener Mensch

Aus jüdischer Sicht, so schreibt Homolka abschließend, erscheint Jesus als "bedeutender Mann für seine Zeit, doch er war kein vollkommener Mensch". "Irgendeine übernatürliche Würde " komme Jesus nicht zu, als "Phänomen und fester Bestandteil der abendländischen Kultur sei er aber unübersehbar auch für Juden."

 

Homolkas Buch lädt dazu ein, die zentrale Gestalt des Christentums aus der Perspektive des jüdischen Glaubens zu betrachten. Besonders interessant sind die von Homolka aufgezeigten vielfältigen Versuche jüdischer Wissenschafter, die Lehre Jesu als "integralen Bestandteil der jüdischen Tradition und Geschichte zu begreifen"; Versuche, die auch das christliche Jesus-Bild bereichern können - auch wenn jüdisches und christliches Jesus-Bild letztlich doch auf entscheidende Weise different bleiben.

 

 

Eine Rezension von Leonhard Weiss.

 

 

 

Info:

Walter Homolka: "Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung";

Hentrich & Hentrich, Berlin, 2009;

ISBN 978-3-941450-03-5

 

 

 

 

 

 

 

 
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