BUCHTIPP

Der Weg und das Ziel

Seit 30 Jahren reist der Priester, Sozial- und Wirtschaftsethiker und passionierte Wanderer Markus Schlagnitweit. Er ist am liebsten zu Fuß unterwegs, wandert Tausende Kilometer durch ganze Länder, besteigt hohe Berge, durchquert Wüsten und ist stets auf der Suche nach neuen, auch spirituellen Wegen.

 

Gehen ist für Schlagnitweit die aufrichtigste und intensivste Weise, sich seinen Reisezielen zu nähern und den dort lebenden Menschen zu begegnen, aber auch Gott, schreibt er in seinem Buch „Boden unter den Füßen. Aufforderung zur Unruhe“. Als eine Religion in Bewegung versteht er das Christentum.

„Bewegung durch Gott“

„Unruhe ist offenbar ein sicherer Hinweis, es mit Gott zu tun zu haben“, ist die Hauptthese von Schlagnitweits theologischer Kurzprosa. Die ersten Belege für diese „Bewegung durch Gott“ sieht er in der Urgeschichte des christlichen Glaubens, bei Abraham und Sara, Elija, Moses und vielen anderen – bis hin zu Jesus. Dessen Schicksal ist schon vor seiner Geburt von Aufbrüchen und Umzügen, ja Flucht geprägt: Nach Ägypten über Judäa bis nach Nazareth führt der Fluchtweg  seiner Eltern. Auch Jesus selbst ist stets auf Wanderschaft, und er fordert von seinen Anhängern ebenfalls ein Leben in ständiger Bewegung.

Der Wanderer und der Theologe

In Form von Doppelkapiteln stellt Schlagnitweit jedem Gedanken, der ihm als Wanderndem kommt, eine an eine Bibelstelle angelehnte theologische Überlegung gegenüber. Er versteht das Leben in Bewegung auch als eine Spurensuche auf dem Weg zu Gott: „Christ sein, das ist Gehen angesichts einer sich verlierenden Spur“, heißt es. Viele vom Autor stammende Fotos machen seine Reisen in unterschiedlichste Weltgegenden anschaulich.

Gipfelkreuz und Gastrecht

Der Autor streift die Frage nach den Ursprüngen der Verehrung Gottes in der freien Natur in Kombination mit dem Wandern. Zeugnis davon legen nicht nur Pilgerreisen ab, sondern auch Feldmessen und Gipfelkreuze, die eine Verbindung zwischen dem sportlichen Wandern und der Ausübung des Glaubens abbilden. Schlagnitweits Überlegungen berühren auch Themen wie das Gastrecht, dessen Heiligkeit „an den Grenzen Europas derzeit auf das Schamloseste verletzt wird“.

 

„Grenz- und Gesetzesbrecher“ Jesus

Unter dem Begriff „Gastfeindschaft“ fasst er die Ängste der Sesshaften gegenüber den Nomaden zusammen, die seit den Ursprüngen der Geschichte immer wieder zu schrecklichen Konflikten führten. Grenzen und Grenzüberschreitungen sind ein weiteres Thema von Schlagnitweits Buch, „der große, beinahe schon notorische Grenz- und Gesetzesbrecher Jesus, der immer wieder in Konflikt mit den religiösen Eliten und Sittenwächtern seiner Zeit gekommen ist“, kann in dieser unerwarteten Weise erneut zum Vorbild werden.

Unruhe und Verlangsamung

Was „Boden unter den Füßen“ aber immer wieder wie ein roter Faden durchzieht, ist der Wunsch nach Verlangsamung. Dieser Wunsch steht nur scheinbar mit der „Aufforderung zur Unruhe“ des Untertitels im Widerspruch. Nicht das Reisen per Bus oder Auto und schon gar nicht das Fliegen könnten dem dringend notwendigen menschlichen Bedürfnis nach Reflexion und Kontemplation so gerecht werden, ist Schlagnitweit überzeigt, wie das langsame Gehen zu Fuß.

 

(religion.ORF.at / Johanna Grillmayer)

 

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Das Buch

Markus Schlagnitweit: Boden unter den Füßen. Aufforderung zur Unruhe

Styria Verlag, März 2012, 192 Seiten, 19,99 Euro

ISBN: 978-3-222-13349-7