kreuz und quer

jeden Dienstag ab 22.30 Uhr in ORF 2

 

kreuz und quer am 12.4.2011:

Das Priesterkind

„Mein Vater hat wahnsinnig gern geplant. Sein Leben hätte nach Plan verlaufen sollen, nur was dann eben nicht geplant war, war ich“, erzählt die 19-jährige Marketing-Studentin Julia Ramsmaier zu Beginn der Kreuz&Quer-Doku von Michael Cencig. Julias Vater, in dessen Lebensplan sie nicht vorgesehen war, hieß Alcantara Gracias, war gebürtiger Inder und er war viele Jahre römisch katholischer Priester in Oberösterreich. „Am Anfang war ich für meine Eltern sicher mehr ein Unfall“, sagt Julia lachend: „Meine Mutter wollte eigentlich nie Kinder haben, aber als ich dann da war, war sie heilfroh. Und mein Vater ebenfalls. Er hat sich dann hingestellt in der Kirche und hat gesagt, ich hab jetzt eine Tochter und eine Freundin, und wem das nicht passt, der kann aufstehen und gehen.“ Wer war dieser römisch-katholische Priester, der seine eigene Tochter taufte? Der eine eigene Sendung im Regionalfernsehen hatte und dort offen gegen den Pflichtzölibat auftrat?

Spurensuche im Vater-Land

Alcantara Gracias wirkte über 20 Jahre in der Pfarre Tabor in Steyr als streitbarer Seelsorger. Und er wollte sich mit dem sozialen Elend in seiner indischen Heimat nicht abfinden und gründete mehrere Kinderdörfer und Schulen. Der Film begleitet Alcantaras Tochter Julia auf einer Reise durch ihr „Vater-Land.“ Sie führt eine Gruppe von Freunden des 2009 verstorbenen Priesters durch Indien. – überwiegend Mitglieder seiner oberösterreichischen Pfarre. Auf dem Programm stehen in erster Linie Besuche der Kinderdörfer, die Alcantara Gracia gegründet hat und für die alle Mitreisenden seit Jahren spenden. Und auch das touristische Pflichtprogramm kommt nicht zu kurz. Allem voran das Taj Mahal in Agra, eines der sieben Weltwunder. Dieses Bauwerk steht für die beiden großen Themen der menschlichen Existenz – für die Liebe und für den Tod. Das Taj Mahal ist die wohl berühmteste Grabstätte der Welt – errichtet von einem Großmogul für seine Geliebte. Liebe und Tod - mit beiden Themen wurde Julia bereits konfrontiert – mit dem Tod des Vaters und der Liebe ihrer Eltern. „Meine Mama hat sich gedacht, als sie den Papa zum ersten Mal gesehen hat: Mein Gott, der Mann kann Berge versetzen“, erinnert sich Julia. Tatsächlich war ihr Vater ein besonders tatkräftiger Mann – bis er an Krebs erkrankte und bis zum letzten Atemzug gegen den Tod ankämpfte. Julia erzählt von den vielen Tagen und Stunden, die sie am Krankenbett ihres Vaters verbracht hat: „Er wollte einfach nicht gehen. Da haben die Mama und ich überlegt, was ihn noch so hält. Und dann haben wir gedacht, dass es dieses Geheimnis ist, dass er seiner Mutter nie gesagt hat, dass es uns gibt.“

"Sie ist von Gott gewollt"

Pfarrer Alcantara Gracias war der älteste von acht Söhnen einer seit Generationen katholischen Familie. Für Lilia, seine 92jährige Mutter, ist der Priester und Wohltäter der größte Stolz - und sein früher Tod ihr größter Schmerz. Darum hat die Familie mehrheitlich entschieden, dass die alte Dame nie erfahren dürfe, dass ihr Sohn den Zölibat gebrochen hat und Vater geworden ist. Ganz einig ist die Familie jedoch in dieser Frage nicht. So meint Florencio, einer seiner Brüder: „Was soll das sein? Sie lebt, sie ist da. Man kann sie nicht wegmachen. Sie ist von Gott gewollt. Und wenn es in dieser Sache Schuldige gäbe – sie hat keine Schuld. Sie ist das Produkt einer Liebe.“ Der Film zeigt schließlich die berührende Szene, in der Alcantaras Schwägerin Gabriela eine Begegnung zwischen Julia und ihrer Großmutter herbeiführt – mit der fadenscheinigen Erklärung, Julia sei die Tochter jener Frau, die Alcantara während seiner Krankheit gepflegt hat: „Wenn ich sie wäre, ich wäre glücklich über dieses Enkelkind“, sagt Gabriela: „Also wenn es mein Sohn wäre, der gestorben ist – ich würde Gott dafür danken, dass er mir zumindest dieses Kind gelassen hat, das ich lieben kann.“ Gabriela fühlt sich entsprechend unwohl mit der Halbwahrheit Julias Herkunft betreffend. Was hindert sie also, Julias Großmutter die ganze Wahrheit zu sagen?

Für Kinderdorf, gegen Zölibat

„Manchmal bin ich versucht, es zu tun. Aber es gibt dieses eine Prozent Wahrscheinlichkeit, dass die Großmutter negativ reagiert, und dann würde man mir die Schuld geben. Denn sie ist 92, und es ist ein zerbrechliches Alter, und man weiß nie. Sie haben mich auch schon gewarnt, halte deinen Mund, und daher sage ich lieber nichts.“ Julia hat gelernt, mit der Geheimniskrämerei zu leben, die rund um ihre Existenz veranstaltet wird, und konzentriert sich darauf, das Andenken ihres Vaters lebendig zu halten: “Als Erbe meines Vaters sehe ich das Kinderdorf und den Kampf gegen das Pflicht-Zölibat. Wohler fühle ich mich natürlich mit dem Kinderdorf, denn mit dem Zölibat kann ich nicht so viel anfangen“, sagt Julia – obwohl sie die Zölibatsfrage die junge Studentin zurzeit besonders hautnah betrifft, denn „das Gleichheitsprinzip ist in der Verfassung verankert, trifft auf mich aber nicht zu, weil mir, als Tochter eines Priesters, keine Waisenrente zusteht.“

 

Ein Film von Michael Cencig

 

 

Designerbabies

Die Vorstellung, man könne ein Kind planen wie eine neues Auto - ausgestattet mit Merkmalen nach freier Wahl -, das mag für manche Eltern verlockend klingen. Doch für viele ist das ein Horrorgedanke, erinnert er doch an den Rassenwahn der Nazis im 20. Jahrhundert. Dennoch erlauben die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin und vor allem in der Erforschung des menschlichen Erbguts immer mehr Einflussnahme auf künftiges menschliches Leben. Was ursprünglich als Hilfe für ungewollt kinderlose Paare gedacht war, entwickelt sich mittlerweile zu einem boomenden Wirtschaftszweig. Weltweit bieten Samenbanken Sperma von anonymen Spendern an. Mittlerweile gibt es auch schon Agenturen, die befruchtungsfähige Eizellen vermitteln. Auch wenn solche Praktiken in vielen Ländern nach wie vor verboten bzw. sehr rigiden gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, gibt es immer noch den Ausweg, in Ländern mit liberalerer Gesetzgebung auszuweichen.

Kinder aus dem Katalog

So bieten zum Beispiel dänische Samenbanken auf ihren Internet-Seiten Sperma an wie in einem Versandhauskatalog. Mit dem genauen Eigenschaftsprofil des Spenders - Haar- und Augenfarbe, ethnischer Typus, Intelligenzquotient und beruflicher Werdegang, Kindheitsfoto eingeschlossen. Damit soll es Müttern ohne Partner ermöglicht werden, ein Kind nach ihren Wunschvorstellungen zu bekommen. Durch Zeugung im Reagenzglas – In-Vitro-Fertilisation genannt – bei der Ei- und Samenzelle in einer Labor-Schale vereinigt werden, lässt sich Selektion noch viel weiter treiben. Hier geht es in den heftig diskutierten Bereich der Präimplantationsdiagnostik, d.h. der gentischen Untersuchung eines Embryos bevor er in die Gebärmutter transferiert wird. Dabei kann der Embryo nicht nur auf Erbkrankheiten wie Down Syndrom, Zystische Fibrose und andere Krankheiten untersucht werden, es lässt sich auch das Geschlecht des werdenden Wesens bestimmen. Ein Wissen, das oft zu Abtreibungen führt, wenn der Embryo nicht den Wunschvorstellungen entspricht.

Selektion nach Geschlecht

Eine andere, schlimme Form der Selektion von Kindern wird in Indien betrieben. Nach wie vor gelten in Indien Frauen weniger als Männer. Daher hofft jede Familie auf möglichst viele männliche Nachkommen. Durch Ultraschalluntersuchungen lässt sich bereits in einem verhältnismäßig frühen Schwangerschaftsstadium das Geschlecht des Ungeborenen feststellen. Fazit: Weibliche Föten wurden vielfach abgetrieben. Das hat dazu geführt, dass in Indien die Geschlechtsbestimmung durch Ultraschall gesetzlich verboten wurde. Doch die gesetzlichen Regelungen werden oft umgangen, in Hinterzimmern führen Ärzte illegale Untersuchungen durch. Mittlerweile gibt es in manchen Bundesstaaten wie z.B. im nordindischen Haryana einen eklatanten Überschuss an Männern. Das „Wunschkind nach Maß“ – ein Ausblick in eine neue, bessere Welt ohne Krankheiten? Oder ein Rückfall in die gnadenlose Selektion von Menschen? Eine Dokumentation, die viele Fragen aufwirft.

 

Gestaltung: Camille le Promellec Deutsche Bearbeitung : Rosemarie Pagani-Trautner

 

 

Redaktion: Christoph Guggenberger