Foto: ORF/Langbein+Partner Foto: ORF/Houchang Allahyari/Gabriel Krajanek
   
 

kreuz und quer

jeden Dienstag ab 22.30 Uhr in ORF 2

 

„kreuz und quer“ am 21. Juni 2011:

 

Vom Sinn des Gebens – Die Evolution der Nächstenliebe

Zwei Menschen treffen aufeinander: Frau Klinger und Herr Weiss. Die beiden kennen einander nicht besonders gut, dennoch verbindet sie eine gemeinsame Geschichte:  Herr Weiss ist vor eineinhalb Jahren an einem Nierenleiden erkrankt.

Mit einem Schlag musste sein aktives Leben beenden. Anstatt Ausflüge auf dem Mountainbike zu planen, bereitete er sich auf ein Leben mit der Dialyse vor: Mindestens drei Nächte pro Woche würde er im Krankenhaus verbringen müssen, damit dort Maschinen die Funktion seiner erkrankten Organe erledigen. „Als ich von diesem Schicksalsschlag hörte, wusste ich sofort, dass ich helfen will“, sagt Frau Klinger. Dabei ist sie Herrn Weiss zuvor nur wenige Male begegnet, er ist der Sohn einer Zufallsbekanntschaft. Trotzdem legte sie sich für ihn unters Messer: Ärzte im Allgemeinen Krankenhaus in Wien entnahmen ihr eine ihrer beiden gesunden Nieren und implantierten sie Herrn Weiss. Dem brachte das neue Organ sein gewohntes Leben zurück. „Ich weiß bis heute nicht, womit ich ein so großzügiges Geschenk verdient habe. Warum hat sie mir für mich ein derart großes Opfer gebracht?“ Mit dieser Frage ist Herr Weiss nicht allein.

Über den „Struggle for life“ hinaus

Jahrzehntelang haben Wirtschaftswissenschaften den Menschen als ein Wesen porträtiert, das kühl berechnend nur den eigenen Vorteil und Profit sucht. Viele beriefen sich dabei auf die Feststellung des britischen Vaters der Evolutionstheorie, Charles Darwin. Der hatte gemeint, das Leben an sich sei ein einziger Kampf ums Überleben, ein „Struggle for life“. Gemäß diesem Bild betrachten viele Ökonomen bis heute die globalen Märkte und ihre Mechanismen: Menschen jagen nun einmal mit aller Kraft nach individuellem Erfolg – und sei es auch auf Kosten ihres Nächsten. Erfolgreich ist, wer für sich am meisten zur Seite schaffen kann. Selbstlose Geschenke, Hilfsbereitschaft oder Kooperation erscheinen vor diesem Hintergrund als sinnloses Verhalten, fast schon als Irrtum der Evolution.

Doch vor kurzem haben Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen begonnen, diese Sicht der Dinge zu hinterfragen. Die Finanzkrise verlieh dieser Arbeit besondere Dringlichkeit. Mittlerweile stellen Hirn- und Evolutionsforscher sowie Wirtschaftswissenschafter das alte, pseudo-darwinistische Bild des Menschen auf den Kopf: Sie kommen zu dem Schluss, dass der Mensch durch seine Stammesgeschichte auf gegenseitige Unterstützung, Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit geprägt ist. Gier aber auch Aggression und Gewalt sind dagegen lediglich Reaktionen auf ungünstige äußere Umstände.

Erfolgsrezept Kooperation

Der aus Österreich stammende Mathematiker Martin Nowak ist einer der weltweit renommiertesten Vertreter des neuen Forschungszweiges der Kooperationsforschung. An der amerikanischen Elite-Universität Harvard erforscht er mit Methoden der Mathematik, warum sich trotz des evolutionären Konkurrenzkampfes gerade die Lebensformen durchsetzten, die prinzipiell Kooperativ sind: Von Einzellern zu Mehrzellern, hin zu Ameisenstaaten und großen Wirtschaftsunternehmen. Für ihn ist die Fähigkeit zur Kooperation eine wesentliche Triebfeder der Evolution.

Ein Weg, menschliches Verhalten zu studieren, sind ausgeklügelte Experimente der neuen Forschungsrichtung „experimentelle Wirtschaftsforschung“. Schauspieler haben für diese Dokumentation einige dieser Versuche noch einmal nachgespielt. Dabei zeigt sich etwa, dass der Mensch ein starkes Gefühl für Fairness hat. Überprüft wurde das mit folgendem Versuch: Ein Teilnehmer bekommt Spielmünzen im Wert von 100 Euro und den Auftrag, das mit einem Menschen zu teilen, den er nicht kennt. Laut herrschender ökonomischer Lehrmeinung dürfte die Versuchsperson ihrem Gegenüber nur einen Euro anbieten – Schließlich denkt sie ja nur an ihren eigenen Gewinn. „Fast alle schrecken vor einem so unfairen Angebot zurück und bieten zwischen 40 und 50 Euro“, erzählt der Innsbrucker Wirtschaftsforscher Martin Sutter. „Offenbar achten Menschen nicht nur auf ihren persönlichen Geld-Gewinn sondern auch auf das Wohlergehen ihres Gegenübers.“

Hilfsbereitschaft angeboren

Der Neurobiologe Joachim Bauer berichtet von Strukturen im Hirn, die den Menschen dazu anregen, zu kooperieren. „Wenn wir Anderen gutes Tun, wenn wir durch Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel erreichen, dann belohnt uns unser Gehirn mit der Ausschüttung von Wohlfühl-Substanzen.“ Geiz und Egoismus sind demnach keineswegs menschliche Ur-Instinkte, sondern lediglich eine Reaktion auf äußere Umstände. Kriege sind für Bauer nicht Ausdruck einer evolutionären Notwendigkeit, sondern werden durch den Streit um knappe Ressourcen ausgelöst. Im Grunde sei der Mensch aber auf das Wohl seiner Mitmenschen hin orientiert.

Felix Warneken kann diese tief verankerte Neigung des Menschen schon bei Kleinkindern nachweisen. In Laborversuchen gaukelt er den kleinen Probanden vor, dass er nicht in der Lage sei, eine herunter gefallene Wäscheklammer aufzuheben. Daraufhin machen sich die Kinder ohne jegliche Aufforderung auf ihre wackeligen Beine, durchqueren den Raum, bücken sich nach der Wäscheklammer und reichen sie Felix Warneken. „Damit wird klar, dass Hilfsbereitschaft nicht anerzogen, sondern angeboren ist“, so Warneken.

 

Ein Film von Kurt Langbein und Gottfried Derka

 

 

„Mama Bock“

„Man kann nur gut leben, wenn man weiß, dass es auch den anderen gut geht“: Dies ist das Lebensrezept von Ute Bock, die in Österreich zu einem Symbol für den menschlichen Umgang mit Asylwerbern geworden ist.

Ute Bock hilft denen, die keiner haben will – damit diese Menschen sich wenigstens ihre grundlegendsten Bedürfnisse erfüllen können. Bei ihrer Hilfe für andere stellt sie ihre eigenen Bequemlichkeiten völlig zurück, so übernachtet sie auf einem Klappbett in den Räumlichkeiten des Vereins „Ute Bock“. Auf der einen Seite wird sie mit  Preisen überhäuft, auf der anderen heftigst angefeindet oder kriminalisiert. Für viele verzweifelte Flüchtlinge ist sie einfach „Mama Bock“.

Erste Adresse und letzte Hoffnung

Ihr Wohnprojekt bietet 300 Menschen aus Tschetschenien, Nigeria, Iran, Afghanistan und anderen Krisenregionen der Welt in rund 60 Wohnungen Unterkunft. Für diese Menschen ist sie zugleich erste Adresse und letzte Hoffnung. Dennoch ist Ute Bock keine Romantikerin, und ihre Hilfe kommt ohne Ideologie aus. Sie will einfach helfen: „Ich kann die doch nicht einfach auf der Straße lassen, das geht doch nicht“

"Privatmensch" Ute

Der Film stellt diese öffentliche Figur Ute Bock und ihren unglaublichen persönlichen Einsatz dar. Er geht aber auch auf die verschiedenen Facetten des „Privatmenschen“ Ute ein und versucht, die tieferen Motive dieser Frau zu entdecken. Wie kommt jemand dazu, sein eigenes Leben derart zurück zu stellen um anderen zu helfen? Houchang Allahyari und Tom-Dariusch Allahyari zeigen aber auch Ute Bocks Klienten, von denen in der Öffentlichkeit ein eher diffuses Bild existiert.

Das Lokal "Ute Bock"

Im Zentrum des Films steht das Lokal des Vereins „Ute Bock“ im zweiten Bezirk, nahe der Karmeliterkirche – einem Grätzel, das vor allem von türkischen Marktstandlern und orthodoxen Juden geprägt ist. In das Vereinslokal kommen am Samstag Bedürftige, um sich Lebensmittel abzuholen. Ohne Arbeitsmöglichkeit und Einkommen sind in Österreich ganze Familien mit Kindern auf diese Spenden angewiesen.

 

Ein Film von Houchang Allahyari und Tom-Dariusch Allahyari

Wiederholung vom 31.3.2009