Erfüllte Zeit

27. 11. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Karl Rahner „Komm“

 

 

Siehe, es ist wieder Advent geworden im Jahre deiner Kirche, mein Gott. Wieder beten wir die Gebete der Sehnsucht und des Harrens, die Lieder der Hoffnung und der Verheißung. Und immer wieder ballt sich alle Not und alle Sehnsucht und gläubige Erwartung in das Wort zusammen: Komm!

 

O seltsames Beten: Du bist schon gekommen und hast dein Zelt unter uns aufgeschlagen, du hast unser Leben geteilt mit seinen kleinen Freuden, seinem langen Alltag und seinem bitteren Ende. Konnten wir dich mit unserem „Komm“ zu mehr einladen als dazu? Konntest du uns durch dein Kommen näher kommen als dadurch, dass du so sehr in unsere Gewöhnlichkeiten eingingst, dass wir dich fast nicht mehr aus den anderen Menschen herausfinden, Gott, der du dich den Menschensohn genannt hast? Und doch beten wir: Komm. Und doch kommt uns dieses Wort noch ebenso von Herzen wie einst den Erzvätern, Königen und Sehern, die deinen Tag nur von Ferne sahen und ihn segneten. Feiern wir bloß Advent, oder ist noch immer Advent? Bist du denn schon wirklich gekommen?

 

 

(Aus: „Dem Leben auf der Spur. Gedanken für jeden Tag des Jahres“, herausgegeben von Wolfgang Brinkel, Gütersloher Verlagshaus)