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Erfüllte Zeit25. 12. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Der Prolog“ (Johannes 1, 1 – 18) von
Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari, Graz-Seckau Nach
alter Tradition feiert die katholische Kirche am Weihnachtstag drei
Gottesdienste: den ersten um Mitternacht oder vorher, möglichst
nahe an Mitternacht, den zweiten früh am Morgen als so genannte „missa
in aurora“ und den dritten am hellen Tag. Während das Evangelium
der ersten Messe von der Geburt des Christuskindes im Stall von
Bethlehem erzählt und in der zweiten Messe von den Hirten die Rede
ist, die dieses Kind staunend verehren, weitet sich die
Weihnachtsbotschaft im dritten Evangeliumstext über den engen Raum
von Bethlehem und Palästina hinaus. Dieser Text ist der Prolog des
Johannesevangeliums. Er redet mit mächtigen Worten, die auch im
Horizont der Weltliteratur zu den kostbarsten Texten zählen, vom
Anfang. Nicht von irgendeinem Beginn, sondern vom Beginn
schlechthin, vom Anfang der Welt, des ungeheuren Universums. „Im
Anfang war das Wort“, sagt der Text und meint damit ein Wort über
und jenseits von allen großen menschlichen Worten und kleinen
geschwätzigen Wörtern. Es ist das Welt erschaffende Wort Gottes,
das im Anfang bei Gott war. Dann aber tritt dieses Wort, der Sohn
Gottes, die zweite Person der göttlichen Dreifaltigkeit in die
Weltgeschichte, in die Geschichte der Menschheit ein und wird ein
Mensch, ein Kind. Ein ungeheurer Bogen wird hier ausgespannt vom Größten
bis zum Kleinsten. „Den alle Welt nicht in sich schloss, der liegt
nun in Mariens Schoß“, singt daher ein alter Weihnachtshymnus.
„Vom Größten nicht umschlossen, aber auch im Kleinsten enthalten
sein, das ist göttlich“, sagt ein Wort antiker Weisheit, das so
gesehen auch mit dem Weihnachtsereignis verbunden werden kann. Die
Weihnachtsbotschaft wird oft zu idyllisch dargestellt. Ihr Kern ist
zwar tröstlich, er ist aber nicht idyllisch. Diese
Weihnachtsbotschaft sagt ja: Gott kommt als Kind in die Welt, und er
findet nur bei wenigen Menschen Aufmerksamkeit und Herberge. Draußen
vor der Tür, draußen vor der Stadt Bethlehem ist Jesus geboren
worden, und draußen vor der Stadt Jerusalem wird er sterben, am
Kreuz erhöht einsam zwischen Himmel und Erde.
Die
idyllischen Weihnachtsbilder mit der Mutter Maria, dem Jesuskind und
musizierenden Engeln, die tausendfach von großen Meistern der Kunst
geschaffen worden sind, und die darauf bezogene Weihnachtsmusik
angefangen beim schlichten schönen Lied „Stille Nacht“ bis zum
großen Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach haben zwar
ihren unbestreitbaren Platz im rechten Feiern von Weihnachten, aber
sie sind nicht das Tiefste und Wichtigste an diesem Fest. Seit
Jahrzehnten wird das Weihnachtsfest tausendfach zerredet und
zersungen, und das prinzipiell so sinnvolle Geben oder Austauschen
von Geschenken erstarrt
oft zur Konvention. Das dritte Weihnachtsevangelium kann aber mit
seinen mächtigen Worten den Nebel aufreißen, der sich vielerorts
über dieses Fest gelegt hat und vor allem junge Menschen davon
entfernt. Dieser Prolog des Johannesevangeliums redet vom Ursprung:
von etwas, das höher ist als unser Höchstes und tiefer als unser
Tiefstes. Er klagt auch darüber, dass viele Türen und Herzen gegenüber
dem Sohn Gottes verschlossen sind, und er sagt verheißungsvoll,
dass alle Menschen, die das Kind von Bethlehem, das ewige Wort
Gottes, bei sich aufnehmen, selbst Kinder Gottes werden können.
Eine größere Verheißung kann es nicht geben. Und das Evangelium
sagt, dass das göttliche Kind ein Licht ist, das trotz seiner
scheinbaren Ohnmacht mächtiger ist als alle Finsternis. Das ist der
tiefste Grund dafür, dass man trotz aller Probleme und Sorgen, die
uns weltweit und auch im eigenen Land und Haus bedrängen, einander
„frohe Weihnachten“ wünschen kann.
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