Erfüllte Zeit

06. 01. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Huldigung der Sterndeuter“ (Matthäus 2, 1 – 12)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

Die Sterndeuter, mit der Beobachtung des immer gleichen Laufs der Gestirne befasst, gewohnt an die Wiederkehr des immer Gleichen, folgen dem Hinweis auf einen Neubeginn. Sie machen sich auf den Weg, diesem Neuen zu begegnen. Und so unscheinbar war dieses Neue, so verborgen, dass sie durch Gestirne und alte Prophezeiungen geführt werden mussten.

 

Bethlehem ist eine kleine Stadt in der Nähe von Jerusalem. Nach einer alten Prophezeiung sollte in ihr der Messias geboren werden, der von Gott gesandte Retter der Juden. Denn dieser Heiland würde, so sagte die alte Weissagung, aus dem Haus und dem Geschlecht König Davids stammen. David stammte aus Bethlehem. Aber das war, als die Sterndeuter in Jerusalem auftauchten, bereits tausend Jahre her.

 

Die Geschichte der Sterndeuter klingt märchenhaft. Sie ist in vielen Bildern dargestellt worden.  Die Ankunft dieser Männer bei Maria und dem Kind, wo sie mit dem Glanz ihrer Gewänder und Gaben, mit dem exotischen Reichtum ihres Gefolges so völlig fehl am Platz scheinen. Die Bilder weisen auf etwas hin. Sie machen etwas deutlich. Sie zeigen, dass Wissen und Schönheitssinn den Weg zu diesem Kind gefunden haben. Wissen sicherlich, doch auch Schönheitssinn. Der Blick in die Weite und Tiefe von Zeit und Raum schärft den Sinn für die große Ordnung der Dinge. Und die Freude der Sterndeuter angesichts des Sterns, eine überaus große Freude, weist darauf hin, wie sehr diese Ordnung für sie zur persönlichen Botschaft geworden ist. Zur Botschaft von einer Schönheit, die in den Weiten des Alls wahrzunehmen und zu erkennen dem Menschen möglich ist. In Bethlehem angekommen erkennen die Sterndeuter im Kleinen und Unscheinbaren dieses Kindes etwas, das sie von ferne her gerufen hat. Den Anfang von etwas Neuem. Ihnen, den Fremden, gibt sich das Geheimnis des Neuen dort zu erkennen, wo andere achtlos vorübergehen. Im Unscheinbaren und Bedeutungslosen ist ihnen die Gegenwart Gottes, seine Ankunft bei den Menschen offenbar geworden.

 

Diese Ankunft geschieht auch heute. Doch wird sie wahrgenommen? Sind wir nicht all zu sehr an das Alte und Gewohnte gebunden, an die Wiederkehr des immer Gleichen? Die Gegenwart des Neuen fällt gar nicht auf. Sie wird übersehen. Vermittelt etwa die Kirche in Europa heute den Eindruck, in ihr würde Tag für Tag voll Staunen die Entdeckung der Ankunft Gottes gemacht? Ich wüsste nicht. Diese Kirche scheint vielmehr oft damit beschäftigt, alte Bestände sicher zu stellen. Die Wiederkehr des Alten in immer gleichen Formen zu beschwören. Gewohntes nicht zu stören, Machtstrukturen nicht zu ändern. Wie oft werden Wissen und Schönheitssinn zu wenig gepflegt. Welche Mittelmäßigkeit macht sich da breit.

 

Doch auch heute sind Sterndeuter unterwegs. Fremde, die von außen kommen. Denen Wissen und Schönheitssinn einen Weg weisen zum Ort der Ankunft Gottes. Wissenschafter und Künstler sind oft nicht in der Kirche beheimatet. Doch gerade sie verstehen Dinge zu erkennen, an denen viele in der Kirche achtlos vorübergehen. Sie verstehen, Fragen  zu stellen, die Unruhe stiften. Sie weisen auf etwas hin, das vor aller Augen geschieht, im Verborgenen, im Unauffälligen, im Unbedeutenden.

Die Ankunft Gottes geschieht auch heute, neu, in anderer Gestalt. Wer in der Kirche greift die Hinweise von Wissenschaftern und Künstlern auf? Wer folgt ihnen hin zu jenen Orten, wo sie dem Unscheinbaren, dem Unbedeutenden, dem Vernachlässigten und Übersehenen begegnen? Vielleicht bleiben sie nur kurz und gehen gleich weiter. Vielleicht ist gerade dort, am Ort der Begegnung, eine Entdeckung zu machen. Ich glaube, es ist wichtig, ihnen zu folgen und das von ihnen Entdeckte zu pflegen und zu bewahren. Aber wie das Neue zur Zeit Jesu bedroht war, ist es auch heute bedroht. Um Gott neu zu entdecken, braucht die Kirche die Fremden, die von außen kommen. Und sie braucht jene Menschen, die diesem Neuen die Treue halten. So wie Maria und Josef bei dem Kind geblieben sind.