Erfüllte Zeit

22. 01. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Zeit ist erfüllt – glaubt dem Evangelium oder Erstes Auftreten in Galiläa“ (Markus 1, 14 – 20)

 

von Dr. Helga Kohler-Spiegel

 

 

Markus interessiert sich noch nicht für die Kindheit Jesu, er beginnt seine Erzählung beim erwachsenen Jesus, der zu Johannes dem Täufer geht. Bei der Taufe am Jordan erkennt Jesus in einer Vision seine Erwählung und seine Sendung. Danach zieht er sich in die Wüste zurück, in wenigen Worten überliefert Markus die „Versuchung Jesu“, diese Phase der inneren Auseinandersetzung, des Ringens Jesu um seine Sendung.

 

Danach – die Berufung der Jünger. Da Jesu Verkündigung deutlich ist, sammelt er Jünger, die Betonung liegt auf dem „Sofort, sogleich“ der Nachfolge. „Die Zeit ist erfüllt“, nun darf keine Zeit mehr vertan werden. Dieses schnelle Nachfolgen ohne zu zögern klingt unrealistisch, fremd. Auf der psychischen Ebene aber ist das verständlich: Ein Gedanke, eine Idee, etwas in uns ist lange gereift, lange habe ich überlegt und gebrütet und mich sicher auch gequält, was richtig ist, ob der Schritt nicht falsch ist. Ob es um die Nähe zu einem Menschen oder um Trennung von einem Menschen geht, um eine berufliche Umorientierung, um das Beenden einer Leidenssituation oder um einen neuen Lebensschritt geht – die lange Zeit der inneren Klärung kann wie eine „Versuchung“ umschrieben werden: wochenlang wie in der Wüste lebend, bei den wilden Tieren...(Mk 1, 12f). Und dann ist endlich klar, dann weiß ich endlich wieder, was ich will, wohin der Weg gehen soll – und dann will ich diese Schritte auch tun. Dann gibt es kein Zögern, dann gibt es kein weiteres Nachdenken, dann muss ich leben, was ich innerlich errungen und durchgerungen habe. Deshalb – nach Versuchungen und Kämpfen – ist die Botschaft Jesu klar: „Die Zeit ist erfüllt, die Zeit ist reif.“

 

Was aber ist diese frohe Botschaft? Nicht zufällig beginnt der heutige Abschnitt mit dem Satz: Johannes der Täufer wird ins Gefängnis geworfen, und Jesus tritt mit seiner Botschaft auf. Die Zeit des Johannes ist vorbei, die Zeit Jesu beginnt. Wofür aber stehen die beiden? Was meint es, wenn Jesus sagt: Glaubt der frohen Botschaft.

 

Neuere Arbeiten zu Jesus und seiner Botschaft machen das deutlich, gut nachzulesen bei Jürgen Roloff und Meinrad Limbeck.

 

Die Zeit, in die Jesus hineingeboren wurde, war eine Krisenzeit. Die Bedrohung der kulturellen und religiösen Identität spitzte sich massiv zu. Fast alle Gruppierungen zurzeit Jesu rufen dazu auf, das Einschreiten Gottes im Gericht zu provozieren und so die heilvolle Wende zu bewirken. Die Wege, wie dieses Einschreiten Gottes im Gericht hervorgerufen werden kann, waren verschieden. Johannes der Täufer wollte das Einschreiten Gottes durch Umkehr und Buße bewirken, die Pharisäer durch kultische Reinheit und das Befolgen der Thora, die Zeloten durch offenen politischen Widerstand. Man ging also davon aus, dass das Weltende unmittelbar bevorstehe und Gott durch das Gericht hindurch sein Reich errichten werde. Johannes der Täufer rief deshalb zur Umkehr und zur Erneuerung durch die Taufe auf. Das drohende Gericht Gottes wurde durch die Taufe vorweggenommen, die Taufe dient(e) der Vergebung der Sünden (Mk 1,4). In der Taufe wird das Gericht symbolisiert. „Stellvertretend für den kommenden Weltrichter und von Gott autorisiert, vollzog Johannes einen zeichenhaften Akt der Vernichtung und Tötung, der das kommende Gericht in abgeminderter Form vorwegnahm. Wer sich der Wassertaufe unterzog, dem war – unter der Voraussetzung tatsächlicher Umkehr – Bewahrung vor der kommenden Feuertaufe zugesagt (Lk 3, 16/Mt 3,11 [Q]).“

 

Johannes und Jesus war die Vorstellung einer unmittelbar bevorstehenden Weltenwende gemeinsam – Gott greift ein und schafft sein Reich. Doch in einer Vision erkannte Jesus, dass dies nicht im Gericht geschehen wird. Die Erde ist nicht mehr der Ort, wo Gut und Böse miteinander kämpfen, sondern wo der Himmel, das Reich Gottes bereits wachsen soll und kann. „Die Macht des Bösen ist zwar noch nicht ausgeschaltet. Sie ist immer noch spürbar und erfahrbar, doch sie ist gebrochen.“

 

Jesus also verkündet, dass der Machtbereich Gottes nicht durch ein Gericht einbricht in diese Welt, sondern jetzt schon da ist, indem Menschen einander zugewandt sind, indem die Zuwendung erfahrbar wird. Jesu große Botschaft heißt, dass Gott die Welt nicht durch ein Gericht richtet, sondern dass Gott die Welt durch die Liebe, die bereits begonnen hat, die schon da ist, verändern wird

 

 Wir können jetzt schon diese heilvolle Nähe erfahren und uns durch sie verändern lassen. Das ist die Zusage der Botschaft Jesu, das ist auch der Auftrag: Wir können in der Zuwendung Gottes leben, und wir können diese Nähe selbst weiterleben und anderen erfahrbar machen. Auf diesem Weg, durch uns „schreitet Gott ein“ und verändert die Welt zum Heil. Das ist der Kern der Botschaft „Kehrt um, das Reich Gottes ist nahe, es ist im Anbruch.“

 

Diesen Konflikt gibt es bis heute in der Kirche: Geschieht Veränderung durch das Gericht, durch die Trennung zwischen Gut und Böse, oder werden Menschen durch Zuwendung, durch Liebe verändert. Das Gottesbild des Täufers war geprägt vom Gericht und der Notwendigkeit, durch Umkehr und Taufe dem Gericht zu entkommen. In der Vision bei der Taufe hat Jesus ein anderes Gottesbild entdeckt, für das er gerade gestanden hat: Die Umkehrung der Welt, die neue Welt beginnt durch Zuwendung. Vor allem durch Zuneigung zu den Schwachen wird die Umkehrung der Welt sichtbar, das Magnifikat der Maria singt davon, die Heilungsgeschichten Jesu machen das erfahrbar.

 

Jesu Leben zeigt es: Die Zeit ist erfüllt, etwas Neues beginnt. So verstanden ist klar, dass Simon und Andreas und Jakobus und Johannes und all die anderen Männer und Frauen alles stehen und liegen ließen, weil etwas Neues beginnt…

Vielleicht lasse ich heute auch alles stehen und liegen – damit etwas Neues beginnen kann….