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Erfüllte Zeit29. 01. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Aus: Enzyklika „Deus caritas est“
von Papst Benedikt XVI.
Die
erotische Liebe verheißt Unendlichkeit, Ewigkeit – das Größere
und ganz andere gegenüber dem Alltag unseres Daseins. Zugleich aber
hat sich gezeigt, dass der Weg dahin nicht einfach in der Übermächtigung
durch den Trieb gefunden werden kann. Reinigungen und Reifungen sind
nötig, die auch über die Straße des Verzichts führen. Das ist
nicht Absage an den Eros, nicht seine „Vergiftung“, sondern
seine Heilung zu seiner wirklichen Größe hin. Dies
liegt zunächst an der Verfasstheit des Wesens Mensch, das aus Leib
und Seele gefügt ist. Der Mensch wird dann ganz er selbst, wenn
Leib und Seele zu innerer Einheit finden; die Herausforderung durch
den Eros ist dann bestanden, wenn diese Einung gelungen ist. Wenn
der Mensch nur Geist sein will und den Leib sozusagen als bloß
animalisches Erbe abtun möchte, verlieren Geist und Leib ihre Würde.
Und wenn er den Geist leugnet und so die Materie, den Körper, als
alleinige Wirklichkeit ansieht, verliert er wiederum seine Größe.
Aber es lieben nicht Geist oder Leib – der Mensch, die Person,
liebt als ein einziges und einiges Geschöpf, zu dem beides gehört.
Nur in der wirklichen Einswerdung von beidem wird der Mensch ganz er
selbst. Nur so kann Liebe – Eros – zu ihrer wahren Größe
reifen. Heute
wird dem Christentum der Vergangenheit vielfach Leibfeindlichkeit
vorgeworfen, und Tendenzen in dieser Richtung hat es auch immer
gegeben. Aber die Art von Verherrlichung des Leibes, die wir heute
erleben, ist trügerisch. Der zum „Sex“ degradierte Eros wird
zur Ware, zur bloßen „Sache“; man kann ihn kaufen und
verkaufen, ja, der Mensch selbst wird dabei zur Ware. In
Wirklichkeit ist dies gerade nicht das große Ja des Menschen zu
seinem Leib. Im Gegenteil: Er betrachtet nun den Leib und die
Geschlechtlichkeit als das bloß Materielle an sich, das er
kalkulierend einsetzt und ausnützt. Es erscheint nicht als Bereich
seiner Freiheit, sondern als ein Etwas, das er auf seine Weise
zugleich genussvoll und unschädlich zu machen versucht. In
Wirklichkeit stehen wir dabei vor einer Entwürdigung des
menschlichen Leibes, der nicht mehr ins Ganze der Freiheit unserer
Existenz integriert, nicht mehr lebendiger Ausdruck der Ganzheit
unseres Seins ist, sondern gleichsam ins bloß Biologische zurückgestoßen
wird. Ja,
Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst
hinausführen, aber gerade darum verlangt er einen Weg des
Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen.
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