Erfüllte Zeit

12. 03. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Die Verklärung Jesu“ (Mk 9, 2 – 10)

von Univ. Prof. Dr. Gerhard Langer

 

 

Das heutige Evangelium zählt zu jenen zahlreichen Berichten, die nicht darauf abzielen, das Leben und Werk Jesu nachzuerzählen, sondern eine tiefe Botschaft des Glaubens zu vermitteln.

Auch wenn man den angeblichen Berg, auf dem das Ereignis stattgefunden haben soll, heute besuchen kann, so hatte der Erzähler keineswegs einen konkreten Ort im Blick. Der Berg ist wie alle anderen Elemente des Evangeliums vielmehr ein Verweis auf eine Wirklichkeit, die jenseits geografischer Längen- und Breitengrade im kollektiven Erinnern der Leserinnen und Leser liegt. Juden wie Christen denken beim Berg an den Sinai, an den Ort, an dem Mose die Tafeln des Bundes, die Zehn Gebote, entgegennimmt und an den sich Elija zurückzieht.

 

Für das Verständnis des Evangeliums ist aber auch entscheidend, über die einzelnen Erzählungen hinaus die Funktion des Mose und Elija in der hebräischen Bibel überhaupt in Erinnerung zu rufen. Mose symbolisiert nämlich die Tora, also den Pentateuch bzw. die Fünf Bücher Mose, während Elija für die gesamte Prophetie steht, deren Aufgabe es ist, die Tora des Mose zu aktualisieren. Beide zusammen symbolisieren die Gesamtheit der Bibel. An sie will der Evangelist anknüpfen und sie äußerst geschickt mit Jesus in Verbindung setzen. Die Person Jesus ist untrennbar mit Mose und Elija, also mit der hebräischen Bibel, dem Alten Testament, verbunden. Jesus setzt nicht nur die Botschaft dieser Bibel fort, sondern wird erst aus ihr versteh- und interpretierbar.

 

Die Begegnung geschieht im Rahmen einer Verwandlung Jesu. Jesus entrückt für einige Zeit der normalen Welt und wird Teil der himmlischen Wirklichkeit. Das strahlende Weiß der Kleider ist Ausdruck der Erhabenheit in der göttlichen Sphäre, der Zugehörigkeit zum himmlisch Anderen.

 

Wie der Berg an den Sinai erinnert, so stellen die Hütten, welche die Begleiter Jesu aufstellen wollen, ebenfalls einen Bezug zur alttestamentlichen Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten her, dessen Mitte der Aufenthalt unter dem Berg darstellt. Der Bau der so genannten Laubhütten in der Wüste ist bis heute wichtiger Bestandteil jüdischer Erinnerung und wird in einem eigenen Laubhüttenfest, auf Hebräisch Sukkot, jedes Jahr im Herbst gefeiert. Die dabei aufgestellten Hütten, deren Dach einen Blick in den Himmel zulassen muss, symbolisieren nicht zuletzt die Abhängigkeit des Menschen vom Schutz Gottes, denn sie erinnern an die beständige Hilfe, die Israel in der Wüste von Gott zukam. In dieser so feindlichen Wüste schützte Gott sein Volk und zog mit ihm an den Berg Sinai, den er schließlich wie eine Wolke überschattete. Niemand außer Mose konnte diesem Gott damals direkt begegnen. Er aber ging in die Wolke hinein und empfing die Tafeln. Und er stieg wenig später noch ein zweites Mal hinauf, um Gott zu versöhnen, der über den Bau des Goldenen Kalbes bitter enttäuscht war.

 

An diesem wichtigen Punkt der biblischen Erzählung im Buch Exodus wird Mose Gott nicht nur besänftigen und seine Barmherzigkeit spüren, er wird auch seine Gestalt sehen können, wenigstens den Rücken Gottes wahrnehmen, seine kraftvolle Gegenwart unbeschadet überleben, aber, wie in unserem Evangelium gerade Jesus, verklärt sein von dieser Gegenwart, für alle Zeiten verändert und neu, strahlend.

Elija wird Gott am selben Berg als zartes Säuseln des Windes wahrnehmen, also ebenfalls sanft und versöhnt.

 

Der biblische Bericht thematisiert die außergewöhnliche Nähe ausgewählter Menschen zu Gott, eine Unmittelbarkeit, die diese Menschen schließlich zu großen Verkündern seines Willens legitimiert. So setzt aus der Wolke heraus Gott auch Jesus auf unnachahmliche Weise als autoritativen Boten ein. Das Zitat vom geliebten Sohn verwendet den Psalm 2, in dem ursprünglich wohl der König legitimiert wurde, der später jedoch als Psalm vom Messias gilt, der sich dank Gottes Hilfe in einer feindlichen Umwelt durchsetzen wird. Freilich denken Christen beim Begriff Sohn an die besondere Sohnschaft Jesu im Rahmen der Trinität, doch steht sie im Evangelium nicht im Vordergrund. Jesus soll vielmehr als legitimer Verkünder Gottes eine ausgezeichnete Stellung einnehmen, die ihn ganz in die Fußstapfen von Mose und Elija stellt. Dass die Jünger im Evangelium nur noch ihn sehen und nicht mehr Mose und Elija, darf nicht so missverstanden werden, als wäre deren Botschaft nach Jesus überflüssig oder ungültig. Vielmehr ist Jesu Botschaft gänzlich von deren Verkündigung aufgeladen und erweist sich gerade dadurch als besonders strahlend.

 

Wie sehr es also im Evangelium um die Verkündigung geht, beweist auch die Auswahl der Jünger. Mit Petrus und den Zebedäussöhnen Jakobus und Johannes sind es jene drei, die Jesus besonders als Menschenfischer auszeichnete, also als jene Personen, die Jesu Botschaft den Menschen anbieten und nahe bringen sollen, um sie für Gott zu gewinnen. Diese Aufgabe weist über den Tod und die Auferstehung Jesu selbst hinaus, auf die sich der Evangelist am Schluss bezieht, und die den Jüngern zu diesem frühen Zeitpunkt des Evangeliums noch unbegreifbar erscheint.