Erfüllte Zeit

26. 03. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Ziel der Sendung Jesu“ (Johannes 3, 14 – 21)

von Dompfarrer Anton Faber

 

 

Das Evangelium des heutigen Sonntags ist Teil des so genannten Nikodemus-Gesprächs. Nikodemus, ein Jude, Mitglied des Hohen Rates in Jerusalem, sucht Jesus auf. Die Optik ist nicht besonders gut. Ein angesehener Mann schleicht sich im Schutz der Nacht zu Jesus. So steht es einige Verse vor dem heutigen Evangelium geschrieben.

Gespräche in der Nacht sind mitunter besonders vertraulich, oft dringt man dabei viel tiefer vor, als es der Alltag zulässt. Auch heute nennen wir solche vertrauten Gespräche „Nikodemusstunden“. Die Nacht, sie ist die Zeit der Geborgenheit, der Ruhe, sie ist aber auch Zeit der Angst, der Unsicherheit, des Fragens, Zeit mancher Sehnsüchte.

In dieser Nachtstunde gibt Gott eine Liebeserklärung an die Welt:

Gott will nicht richten, nicht vernichten – Gott will retten.

 

Im Evangelium des heutigen Sonntags, setzt Jesus bei einem ihm als Juden vertrauten Bild an: als die Israeliten mit Mose in der Wüste unterwegs waren lehnten sie sich wieder einmal gegen Gott auf. Als sie daraufhin von Giftschlangen überfallen wurden, lässt Gott den Mose auf seine Bitten hin eine kupferne Schlange machen und auf einen Fahnenmast hängen. Jeder, der gebissen wurde und zu dieser Schlange aufsah, sollte gerettet werden. (Num 21,1-9)

Mit dieser erhöhten Schlange vergleicht sich Jesus. Der Evangelist spielt mit der „Erhöhung“ auf Kreuzestod und Auferweckung Jesu an.

Gottes Handeln geschieht wie bei Mose zur Rettung und nicht um zu richten.

 

Jeder von uns kennt das Kreuz, weiß um seine Bedeutung, dass es das Zeichen des Christentums schlechthin ist und bleibt. Es ist der Inbegriff göttlicher Liebe und Barmherzigkeit, aber auch menschlicher Ohnmacht und Niederlage. Die Frage, die sich mir stellte, war nur die: Haben wir uns nicht schon allzu sehr an dieses Zeichen gewöhnt?

Wir begegnen dem Kreuz in unseren Wohnungen und Büros, auf den Kirchtürmen unserer Kirchen, auf den Bergen, in unseren Kirchen, als schmückendes Ornament auf den Messkleidern und als Schmuckstück um den Hals getragen.

 

Erinnern wir uns beim Anblick dieses Schandpfahles an die Erlösungstat Christi für uns und die gesamte Menschheit?

Finden wir das Kreuz Jesu Christi verträglich?

Können wir bei seinem Anblick erschrecken?

Sind wir noch empfindsam gegenüber dem, was sich im Kreuz zeigt?

Vielleicht ist es nichts anderes als eine Wahrnehmungsfrage. Es kommt nur auf die Art des Hinschauens an.
Gewöhnungsbedürftig: Das Kreuz zeigt Jesus entblößt und nackt, durchbohrt von Nägeln und Lanze, die Dornenkrone sitzt fest, über dem Kopf eine Schmähinschrift. Wir nehmen einen Menschen wahr, dem die Mächtigen zugesetzt haben und der selbst wehrlos blieb; ein Opfer von Hass und Ungerechtigkeit; einer, auf den menschliche Gewaltsamkeit und Rohheit in ihrem ganzen schrecklichen Ausmaß zugegriffen hat; einer ohne Platz in der Welt der Mächtigen und Starken.

 

Und Gott geht in Jesus auch den schmerzhaften Weg der Ohnmacht und der Niederlagen mit, steckt darin gleichsam in unserer menschlichen Haut. Er kennt den Schmerz und die Verlassenheit, die Todesangst und alle Pein.

 

Weil es Gott ist, der sich in seinem Sohn auf solche Weise offenbart, ist das Kreuz auch Zeichen der Hoffnung und des Lichts. Daher sagt uns das Kreuz auch: Dies ist nicht das Ende! Der Tod hat nicht das letzte Wort.

 

Im Wiener Stephansdom gibt es im rechten Seitenschiff auf einer der mächtigen Domsäulen die Darstellung des gekreuzigten Jesus.

Diese Figuren-Gruppe ist für mich eine der ausdrucksstärksten und inhaltsschwersten, die es hier im Dom gibt. Die Gesichtszüge des gepeinigten Herrn sind nicht schmerzverzerrt, er blickt ernst zu Boden, während Maria und Johannes in fast andächtiger Ruhe zum Betrachter schauen. Zu Füßen des Gekreuzigten erkennt man die Figur von Maria Magdalena, die ihre Hände flehentlich und bittend zum Herrn erhebt, und auf gleicher Stufe mit dieser großen Sünderin, als die sie immer wieder bezeichnet wird, knien die Stifter, die ihr Heil bei Jesus suchen. Und der Heiland selbst – seine Arme sind übergroß, so als wollte er die zu seinen Füßen Knienden, also auch uns, an sich ziehen. Mir fällt bei der Betrachtung dieser Szene immer der Spruch aus dem Johannes-Evangelium ein: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“ (Joh 12, 32)

 

Wer an Christus glaubt, wird nicht gerichtet. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt das ewige Leben hat.

In diesen Worten schimmert schon ein wenig das Licht des Ostermorgens durch. Darüber darf ich mich freuen. Gerade heute, am Sonntag „Laetare“, dem Sonntag der Freude.

 

Ich möchte schließen mit dem Ruf, den wir alle aus der Mitfeier der heiligen Messe kennen:

 

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir.

Und deine Auferstehung preisen wir. Bis du kommst in Herrlichkeit!