Erfüllte Zeit

23. 04. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

 

In diesen wenigen Worten finden wir im Grunde das Herz der ganzen Bibel, den Kern der monotheistischen Religion: Sie bedeutet, geschichtlich betrachtet, eine Kulturschwelle. Alle Religionen außerhalb der Bibel glaubten bis dahin an Götter, an vielerlei Mächte, die in Konkurrenz zueinander das menschliche Herz zerreißen können. Es gab einen Gott der Liebe, es gab einen Gott des Krieges, es gab einen Gott der Wege und des Handels, es gab Götter für Haus und Herd – alles hatte eine eigene göttliche Kraft. Der olympische Himmel der Griechen und der Römer war bevölkert von allen möglichen Zielprojektionen menschlicher Sehnsüchte. In der Bibel hingegen wird die monotheistische Existenz so klar ausgesprochen, wie sie geschichtlich allenfalls in der Reformbewegung des 14. Jahrhunderts. v. Chr. im Alten Ägypten unter dem Pharao Echnaton versucht wurde. Der ägyptische Pharao wollte, dass der ganze Götterhimmel überstrahlt werde vom Lichtglanz der Sonne, die alles belebt und alles beseelt. Echnaton erhob den Sonnengott Aton zum alleinigen Gott. Manche glauben, dass der israelitische Monotheismus aus diesen Wurzeln erwachsen sei. Das lässt sich nicht beweisen; aber fest steht: Der Mensch braucht ein Gegenüber, in dem er sich spiegelt und wieder findet. Erst der Glaube an einen Gott schafft einen Menschen, der in sich selber und mit sich selber einig werden kann.

 

 

(Aus: Eugen Drewermann „Die Zehn Gebote. Zwischen Weisung und Weisheit. Gespräche mit Richard Schneider“, Patmos-Verlag)