Erfüllte Zeit

21. 05. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Friedrich Schorlemmer „Wir sind Bettler“

 

Immer wieder ist es unbegreiflich, wie Jesus Arme selig preisen kann. Er kann es wohl tun, weil er selber ein Armer ist, bei den Armen lebt und zu den Armen steht. Er sieht die Armen Gott näher als die Reichen. Menschen nämlich, die nichts aufzuweisen haben, als geöffnete Hände, die ganz Empfangende sind, Menschen, die sich nichts einbilden, nicht auf Besitz und nicht auf ihre geistige oder geistliche Kraft. Der ganz geöffnete, sich nicht in seine eigenen Güter einsperrende Mensch wird selig gepriesen. Selig gepriesen wird also zunächst ein Mensch, der in einer Bitthaltung lebt, ein Mensch, der weiß, dass er eigentlich nichts aufzuweisen hat, eben arm ist vor Gott. Das ist das fröhliche Eingeständnis der leeren Hände, und es ist das getröstete Einverständnis, dass unser Leben aus mehr Verschuldungen als aus Guttaten besteht. Es ist das Einverständnis, dass wir arm sind, oder wie Luther an seinem Lebensende sagt: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ – Solchen wird das Glück des Lebens in Gottes Frieden versprochen.

 

(Aus: „Dem Leben auf der Spur. Gedanken für jeden Tag des Jahres“, hrsg. von Wolfgang Brinkel, Gütersloher Verlagshaus)