Erfüllte Zeit

28. 05. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Das Abschiedsgebet des Herrn" (Johannes 17, 6a. 11b - 19)

Kommentar: Univ. Prof. Dr. Wolfgang Langer

 

 

„Die Welt hat sie gehasst.“ Die Feindschaft der Gegner hat die Christen immer begleitet. Von Anfang an und bis auf den heutigen Tag. In allen möglichen Formen: vom mitleidigen Lächeln über den verletzenden Spott, die politische Diskriminierung in totalitären Regimes bis zur blutigen Verfolgung. Auch bis heute: in Pakistan und Indonesien, in Algerien und im Sudan und anderswo.

Und warum? „Weil sie nicht von der Welt sind.“ Was soll das heißen? Wir tun uns schwer mit einer solchen Welt-Sicht. Klingt das nicht nach Weltverachtung und Weltverneinung, die man den Christen so lange vorgeworfen hat? Wir haben doch gelernt, dass man der Erde treu bleiben, sie bewahren muss. Aber Gottes gute Schöpfung ist gar nicht gemeint. Im Johannes-Evangelium ist das Wort „Welt“ eine Chiffre für alles, was Gott widerspricht. Was dem Leben entgegensteht, das er uns zugedacht hat und schenken will.

Es ist die uralte Tragik des Menschen, dass er so schwer und oft gar nicht erkennt, wer er eigentlich ist. Dass er so kurzsichtig ist, nur das für wirklich und wahr zu halten, was er mit seinem kleinen Verstand begreifen kann. Dass er zu stolz ist, sich etwas schenken zu lassen. Dass er meint, nur er selbst könne und müsse etwas aus sich machen.

Die „Welt“ – in diesem Sinn des Johannes-Evangeliums – ist tatsächlich verführerisch. Sie lässt den Menschen groß und unabhängig erscheinen: nur sich selbst verpflichtet und verantwortlich. Es ist ganz die Mentalität unserer Leistungsgesellschaft. Sie durchdringt uns und unseren Alltag so vollständig, dass wir uns ihr kaum entziehen können.

Ein Anderer muss uns davor „bewahren“, uns ganz und gar an sie zu verlieren. Aber wer und wie? Für das Johannes-Evangelium ist Jesus der, den Gott der Vater als Mensch in diese Welt „gesandt“ hat, um uns seinen Namen mitzuteilen. Sein Name ist JHWH: Ich bin der, der da ist für euch. Im Evangelium wird dieser Name Gottes durchbuchstabiert: „Ich bin das Brot des Lebens – Ich bin das Licht der Welt – Ich bin der Gute Hirte – Ich bin die Auferstehung und das Leben – Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Es sind lauter lebensfreundliche Bilder, die uns einen menschenfreundlichen Gott zeigen. Er will, dass wir „das Leben in Fülle haben“ (Joh 10, 10). Nicht ein nur irdisches, zeitlich beschränktes, irgendwann abbrechendes, letztlich sinnloses, im Nichts endendes Leben. Sondern ein Leben, das nicht nur nicht aufhört, sondern erst jenseits des Todes mit und in Gott seine Vollendung findet.

Aber das ist Zukunft. Jetzt sind wir noch hier: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst.“ Die Welt, in der Gott keinen Ort und keine Stimme zu haben scheint, ist der Ort, an dem Christen sich bewähren müssen. In eben diese Welt werden sie „gesandt“. Dort sollen sie Zeugen sein für jenes andere, größere Leben. Es ist uns geschenkt worden, weil Jesus unser menschliches Leben für uns gelebt hat, am Kreuz für uns gestorben ist und von Gott aus den Toten zu diesem neuen Leben auferweckt wurde.

Darum sind wir schon jetzt nicht mehr „von der Welt“. Wir sind nicht mehr dem gnadenlosen Kampf ums Dasein verfallen, der doch nur in einem hoffnungslosen Sterben endet. Unser Vertrauen zum Gott des Lebens ist der Glaube, der „die Welt besiegt“ (Vgl. 1Joh 5, 4). Er kann uns auch schon „in der Welt“ verwandeln: von kleinmütigen und verzagten zu hoffnungsstarken Menschen. Von verzweifelt nur um das Ihrige Bedachten zu solchen, die mit anderen mitfühlen und für sie da sind. Nicht gezwungen und verbissen gegen unsere ganz anderen Neigungen ankämpfend, sondern aus freien Stücken und mit jener inneren Freude, die von Ihm kommt.

Wir dürfen nicht meinen, damit immer und überall auf offene Herzen zu treffen. Wir werden vielmehr sehr schnell merken, dass wir in einer ganz anders gepolten Welt zu Fremden werden. Der Widerstand, den wir erfahren, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir unser Christsein ernst nehmen. Wehe, wenn wir ununterscheidbar sind von den Bürgern „dieser Welt“.