Erfüllte Zeit

05. 06. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Frage der Unsterblichkeit“

von Peter Strasser, Rechts- und Religionsphilosoph, Graz

 

Der Tod ist eine absolute Schwelle. Wir können sie nicht überschreiten, solange wir leben. Das ist trivial. Aber schon zu Lebzeiten wissen wir Folgendes: Mit dem Zerfall unseres Körpers zerfällt auch jene Art von personaler Identität, auf die wir uns beziehen, wenn wir uns als Lebende auf uns selbst beziehen. Das erledigt in einer bestimmten Hinsicht die Frage des Lebens nach dem Tod. Von einem solchen Leben haben wir keinen Begriff. Doch heißt das, dass wir der Trostlosigkeit überantwortet sind? Nein, denn die Trostlosigkeit ist die Folge davon, dass wir uns auf den Tod konzentrieren wie auf ein schwarzes Loch, in dem alles, was uns lieb und teuer ist, verschluckt wird. Wir verlieren in diesen Momenten der Konzentration auf den Tod (die uns mehr bedroht als jede Form der Todesverdrängung), unser Gefühl für all das, was uns trotz der Übel sagen ließ: „Es ist, wie es ist, und es ist gut.“

 

Die richtige Art, den Tod nicht zu verdrängen, ist meines Erachtens, sich auf die objektive Werthaftigkeit des Lebens zu konzentrieren, auf die Schönheit und das Wunder der Existenz. Deshalb ist es – ein wenig paradox gesprochen – wohl angemessen, über das „Leben nach dem Tode“ so zu denken, als ob es sich darum handelte, alles behalten zu dürfen, was hierorts zu den guten Dingen unseres Lebens gehört. Ich will die Menschen, die ich liebe, nicht für immer verlieren. Das kann, solange ich lebe, nur heißen, dass ich mich bemühe, meine Liebe zu vervollkommnen. Im Kontext des guten Lebens begreife ich meine Liebe als ein Modell – eine religiöse Analogie – dafür, wie ich möchte (und tatsächlich wollen kann), dass sie für immer besteht. Denn etwas an meiner Liebe ist nicht an meine individuelle Existenz gebunden.

 

 

Aus: Peter Strasser „Theorie der Erlösung. Eine Einführung in die Religionsphilosophie, Wilhelm Fink Verlag