Erfüllte Zeit

11. 06. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Auftrag des Auferstandenen - Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Matthäus 28, 16 - 20)

von Alois Kölbl

 

 

Der Schluss des Matthäusevangeliums ist eigentlich ein Anfang. Er enthält nicht nur einen Auftrag, sondern eine Verheißung. Die lebendige Geschichte Jesu, des Gottessohnes, mit den Menschen, ist durch seinen irdischen Tod nicht beendet. Matthäus schließt sein Buch nicht mit eigenen Worten, sondern mit einem „Manifest“ des Auferstandenen: Der letzte Satz des Evangeliums ist ein einzigartiger Zuspruch: "Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Gottes Heilsgeschichte geht weiter, ist nicht Vergangenheit, sondern lebendige Gegenwart. 

 

Das Evangelium endet dort, wo alles begonnen hat: Die Jünger kehren nach Galiläa zurück. Dort hat ihre Geschichte mit Jesus von Nazareth ihren Anfang genommen. Dort spielte sich ihr Alltag vor ihrer Begegnung mit Jesus ab. Dort haben sie sich von ihm berühren lassen und sind ihm nachgefolgt. Und am Ende des Evangeliums folgen sie wieder seiner Weisung und gehen auf einen Berg, symbolischer Ort der Nähe zu Gott. Dort „sahen“ sie ihn, den Auferstandenen, berichtet der Evangelist ganz schlicht und ohne weitere Details.

 

Das ganze des Evangeliums findet sich hier noch einmal zusammengefasst. Das, wovon die Frohe Botschaft insgesamt handelt, ist in wenigen Sätzen auf den Punkt gebracht: Gott ist greifbar und sichtbar geworden in Jesus von Nazareth, in ihm hat er sich letztgültig ausgesagt. Er ist nicht nur der Ferne, sondern uns Menschen ganz nahe gekommen; eingetaucht in die Begrenztheit unseres Menschseins. Von innen her hat er diese Grenzen gesprengt. Im Auferstandenen schauen die Jünger die Wirkmacht des Evangeliums. Ein Bild des Glaubens, das sich in ihre Herzen einprägt. Bilder vermögen anders zu ergreifen als Worte.

 

Der große Barockbildhauer und –architekt Gianlorenzo Bernini, dem wir so wunderbare Schöpfungen wie den Petersplatz oder den Vierströmebrunnen in Rom verdanken, hat in einer kleinen römischen Kirche ein provozierend sinnliches Werk geschaffen: In einer Gratwanderung an der Grenze zum Kitsch hat er aus weißem Marmor in vollkommener Schönheit eine Ordensfrau auf eine Wolke hingesunken gemeißelt; über ihr ein Engel mit einem Pfeil in der Hand wie ein antiker Eros. Es zeigt die ekstatische Vision der heiligen Theresa von Avila, von der es heißt, dass sie die Anwesenheit Gottes in sich ganz konkret und lebendig fühlte. Ein Bild von der Wirkmacht Gottes, das sich nicht in Worte fassen lässt und auch die Grenzen konkreter Realitätsbilder sprengt. Mächtig wie die Kraft, die zwei Liebende die Bilder voneinander über Raum- und Zeitbarrieren hinweg lebendig halten lässt.

 

Eine ganz andere Sprache sprechen die Christus-Ikonen der östlichen Tradition, und künden doch vom gleichen Glaubensgeheimnis: ein vergeistigtes Antlitz, manchmal in hieratischer Strenge, manchmal zart lächelnd, das im Bild zu fassen versucht, dass der so ferne Gott in einem Menschen uns Menschen nahe gekommen und sinnlich erfahrbar und zugänglich geworden ist. Wer sich schon einmal ergreifen ließ vom Gesicht eines Pantokrators im Goldglanz eines Apsismosaiks einer halbdunklen Kirche, weiß, dass diese sichtbaren Bilder die Ahnung einer inneren Wirklichkeit wiederzugeben vermögen: Wir dürfen uns ein Bild machen von Gott, ein menschliches, persönliches, das hineinreicht und zu tun hat mit seiner Unbegreiflichkeit und Größe. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens, die Zumutung an die Logik unseres menschlichen Verstandes!

 

Dieser manchmal so fern erscheinende Gott hat sich ausgesagt in einem Menschen, der eingetaucht ist in alles, was unser Menschsein ausmacht: die Endlichkeit und Begrenztheit, die Fragen, Nöte und Zweifel. Am Anfang jeder Glaubensgeschichte steht die Erfahrung von etwas Lebendigem und nicht der Versuch ein abstraktes Weltprinzip allein mit menschlicher Vernunft zu ergründen. Von da her erschließt sich auch der missionarische Auftrag der Evangelienperikope in einem neuen Licht: am Anfang steht nicht die Wieder- und Weitergabe einer Lehre oder eines theologischen Systems, sondern unser Lebenszeugnis. „Menschen, in deren Nähe man Sehnsucht nach Gott bekommt“, wie es eine Ordensschwester mir gegenüber einmal sehr treffend formuliert hat, werden auch in anderen den Boden für eine Ahnung dieser Sehnsucht bereiten können.