Erfüllte Zeit

15. 06. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Paschamahl - Ich bin bei euch“ (Markus 14, 12 - 16. 22 – 26)

von Univ. Prof. Dr. Wolfgang Langer

 


Heute ziehen sie wieder durch die Städte und Dörfer: die Prozessionen, bei denen in der goldenen Monstranz die in den Leib Christi „gewandelte“ Hostie über die Straßen getragen wird.

Das Evangelium, das wir gehört haben, weiß von einem solchen Brauch noch nichts. Es erzählt, dass Jesus am Abend vor seiner nächtlichen Gefangennahme mit seinen Jüngern das Pessachmahl gehalten hat. Dabei hat er wie jeder jüdische Hausvater am Anfang das Brot gebrochen und am Ende den Segensbecher gereicht. Überraschend neu aber ist, dass er diesen altvertrauten Gesten eine andere Bedeutung gegeben hat: „Das ist mein Leib.“ „Das ist mein Blut.“

Wie sollen wir das verstehen? Die Theologie hat sich seit dem Mittelalter immer mehr auf die „Substanzen“ von Brot und Wein konzentriert. Und sie hat die Worte Jesu nach damaliger Auffassung als „Wesensverwandlung“ des Brotes in den Leib und des Weines in das Blut Christi verstanden (wobei eben nur das „Wesen“ verwandelt wird, die äußeren Eigenschaften: Gestalt, Farbe, Geschmack usw., von Brot und Wein aber erhalten bleiben).

Und was hat Jesus gemeint? Im Sprachgebrauch seiner Zeit bezeichnet „Leib“ den ganzen Menschen und „Blut“ sein Leben (jeweils als pars pro toto). In unsere Sprache und Verstehensweise übersetzt lauten seine Worte also: „Das bin ich“. Jesus weiß, dass er sehr bald sterben wird. Und er ist davon überzeugt, dass er durch den Tod hindurch in die Herrlichkeit des Vaters gehen wird. Darum sagt er bei diesem letzten gemeinsamen Mahl als irdischer Mensch den Jüngern und damit den Christen aller Zeiten seine bleibende Gegenwart zu. Wann immer sie sich „in seinem Namen“ versammeln, das eine Brot brechen und miteinander davon essen, den Wein aus dem einen Kelch trinken, da ist er „mitten unter ihnen“ (vgl. Mt 18, 20).

Aber wir glauben und hoffen doch, dass er immer bei und mit jedem und jeder von uns ist, „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (vgl. Mt 28, 20)! Er ist doch „wiedergekommen“ in dem vom Vater gesandten Heiligen Geist. Schon, doch seine Gegenwart in der Gemeinde, die Eucharistie feiert, ist von anderer, nicht nur „geistiger“ Art. Im Essen und Trinken nehmen wir ihn mit unseren Sinnen wahr – ebenso wie wir seine und unsere Schwestern und Brüder um uns sehen und hören. Sie sind ja die lebendigen Glieder seines Leibes, der Kirche (vgl. 1Kor 12, 27; Röm 12, 5). Alles zusammen genommen kann man von einer „leibhaftigen“ Anwesenheit Christi in der Gemeinde sprechen, die sein Abendmahl begeht.

Brot will gegessen sein. Es soll nicht nur gezeigt und angeschaut, verehrt und angebetet werden. Bezeichnend ist, dass das Fronleichnamsfest aus Zeiten stammt, in denen die Gläubigen während der Messe kaum noch zur „Kommunion“ gingen. Die Angst, wegen ihrer Sünden „unwürdig“ zu sein, war ihnen kräftig eingebläut worden. Verehrend anschauen („geistliche Kommunion“) schien weniger gefährlich als essen. Das widerspricht dem Evangelium, nach dem Jesus sich gerade den Sündern zugewandt und mit ihnen – zum Entsetzen der „Frommen“ seiner Zeit – gegessen und getrunken hat.

Was Jesus zum Zeichen seiner bleibenden Gegenwart gemacht hat, gewinnt seine volle Bedeutung und seine vergegenwärtigende Wirkung erst dort, wo seine Jünger, also wir, miteinander essen und trinken und so mit ihm Mahl halten. In dieser Vereinigung (Kommunion) mit ihm, unserem „Retter“, versöhnt sich Gott mit uns.