|
||||
Erfüllte Zeit18. 06. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Das Gleichnis vom Wachsen der Saat, vom Senfkorn und Schlussbemerkung zu den Gleichnissen“ (Markus 4, 26 – 34) von Schwester Beatrix Mayrhofer
Gönnen Sie sich am Sonntag auch zum Frühstück ein weiches Ei? Bei uns im Kloster ist das eine nette Tradition. Am Sonntag gibt es ein Frühstücksei. Das könnte heute eine Gelegenheit sein zu einer kleinen Meditation. Sie könnten einen Moment lang ihr warmes Ei in die Hand nehmen und hochhalten, es so fest halten, dass es nicht herunterfällt, aber auch so vorsichtig, dass es nicht zerbricht. Damit haben Sie jetzt ein afrikanisches Symbol gelernt. Die Menschen in Ghana, die die Symbole lieben, verwenden diese Geste als Gleichnis für die Ausübung von Autorität. Wer Autorität hat, der behandelt die Menschen wie ein rohes Ei. Er gibt ihnen den Halt, den sie brauchen, damit sie nicht fallen, aber er hält sie mit aller Behutsamkeit, damit sie nicht zerbrechen. Wer Autorität hat, der macht es so wie ein Mensch, der mit drei Fingern einer Hand ein rohes Ei in der Höhe hält. Was für ein Gleichnis für Autorität, was für ein Bild für das so sehr missbrauchte Geheimnis der Macht! So viele Menschen verbinden mit Macht nur Misstrauen, Missbrauch, Gewalt und Zerstörung. Keine Frage, wir haben das alle auch schon selber erlebt. Und die Last der Geschichte macht es uns schwer, das Wort vom Reich in den Mund zu nehmen. Aber es gibt die andere Wahrheit. Es gibt die Macht, die als Freiheit schenkende Autorität wachsen und groß werden lässt. Es gibt das Reich Gottes, in dem die Liebe uns Menschen groß werden lässt. Die Bibel kennt beide Seiten der Machtausübung. Schon auf den ersten Seiten der Genesis, im Schöpfungslied, hören wir, wie unser Schöpfergott die liebende auctoritas ausübt, wie er das Wachsen und Mehren zum Grundprinzip seiner Schöpfung macht und uns Anteil gibt an diesem machtvollen Wirken. Freilich wächst mit der Freiheit auch die Möglichkeit zum Missbrauch der Macht, zur Unterdrückung, zur Demütigung. Wer wüsste das besser als Jesus, der Menschensohn, der die letzte Erniedrigung erfahren hat! Aber Jesus weiß auch um das Geheimnis der göttlichen Autorität, die da ist, da ist und wirkt. Es ist ihm ein Herzensanliegen, dass wir dieses Geheimnis verstehen. Er müht sich in der Verkündigung. In „vielen Gleichnissen“, so heißt es im heutigen Evangelium, versucht er den Zuhörern diese gute Nachricht zu bringen: Gottes Macht ist da, sie wirkt, unaufhörlich wächst sie mitten unter uns. Die göttliche Liebeskraft ist noch viel wirksamer als menschliche Autorität. Wie ein Getreidekorn aufwachsen kann zur vollen Ähre, so wächst Gottes Wort, wie ein winziges Senfkorn in sich die Kraft hat, ein riesiger Baum zu werden, so ist Gottes Wirken mitten unter uns. Es ist eine starke Dynamik in diesen beiden Bildern, mit denen der Evangelist Markus im vierten Kapitel seines Evangeliums die Reihe der Gleichnisse über das Reich Gottes abschließt. Da ist der Bauer, der viele Samen auf den Acker sät und das Wachsen der Saat zuversichtlich erwartet. Der Tag der Ernte kommt. „Er legt die Sichel an, denn die Zeit der Ernte ist da“, heißt es im 29. Vers. Was für uns heute wie ein schlichter Vergleich aus der Landwirtschaft klingt, war für die Zuhörer Jesu damals eine aufrüttelnde Anspielung. Diese Worte verwendet nämlich der Prophet Joel in seiner großen Rede vom kommenden Heil, von der Ausgießung des Geistes und dem Gericht über die Völker. „Dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr, euer Gott, bin“, heißt es in Joel 4,17. Im zweiten Vergleich wird die Aussage noch einmal zugespitzt. Jetzt ist nur mehr von einem einzigen Korn die Rede, von einem winzigen Senfkorn. Aus ihm wächst ein Baum, in dem die Vögel des Himmels ihre Nester bauen können. Und wieder könnten den Zuhörern zur Zeit Jesu Prophetenworte in den Sinn kommen, die das überraschende Handeln Gottes ankündigen. Mit Jesus, in ihm und durch ihn ist Gottes Reich da. Wir dürfen es erleben. Heute. Zur kleinen Freude über das Frühstücksei kommt die große Sonntagsfreude über das Gotteswort: die Gewissheit, dass Gottes Schöpferhand uns hält, die Gelassenheit, weil sein Wort beständig wirkt und das große Glück, dass unsere Bitte schon erhört ist: Sein Reich kommt. Es ist schon da!
|