Erfüllte Zeit

25. 06. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Sturm auf dem See“ (Markus 4, 35 – 41)

von Pfarrer Hans-Peter Premur

 

 

Ein einziges Mal im gesamten Neuen Testament wird davon berichtet, dass Jesus geschlafen habe. Und zwar nicht nächtens, zur Bettzeit in einem Haus, sondern am frühen Abend mitten auf dem See in einem Boot. Dieser einzigartige Schlaf Jesu hat etwas Besonderes und darf deshalb von mehreren Seiten betrachtet werden. Auch ist es eher unüblich zur damaligen Zeit, auf Fischerbooten Ruhekissen mitzuführen, doch bei Jesus ist vieles unüblich und die Boote waren wohl längst nicht mehr Fischerboote, sondern Instrumente des Menschenfischers geworden. Und da war ein großes Kissen sicher von Nöten. Es heißt, dass Jesus oft und lange zu den Menschenmengen sprach – und dies auch vom Boot aus in Ufernähe. Auf Kissen konnte er in orientalischer Weise thronen, sitzen und predigen. Gegebenen Falls waren sie auch ideal zum Ausruhen. Das griechische Wort für „schlafen“, das der Evangelist hier verwendet, bedeutet auch: „sich der Ruhe überlassen, untätig sein und eben ruhen“. Um diese Ruhe Jesu geht es mir heute.

 

Wenn ich auf meinen Meditationskissen sitze und zur Ruhe kommen möchte, dann habe ich manchmal das heutige Evangelium vor Augen. Regelmäßiges „Zur – Ruhe – kommen“ gehörte immer schon zu einem geistlichen Leben. In den kontemplativen Klöstern, aber auch im Gebetsleben jedes Einzelnen spielte die Stille immer schon eine bedeutsame Rolle. Heute wird dies besonders durch den Blick auf die außerchristliche Spiritualität sichtbar. So ist die älteste Definition des indischen Yogaweges erhellend für den heutigen Markustext. Yoga ist, nachzulesen bei Patanjali, ca. 200 vor Chr.,  „das zur Ruhe kommen der Wirbel im Bewusstsein“. Die Wirbelstürme am See sind für mich ein äußeres Bild für die inneren Wirbel und die Unruhe des Herzens. Viele Menschen beklagen, dass sie in unserer hektischen Zeit oft nicht zur Ruhe kommen können, dass Sorgen, Ängste sie in Gedanken bis in den Schlaf verfolgen. Wenn ein Mensch oder eine ganze Gesellschaft beständig so einem äußeren und inneren Szenario ausgesetzt ist, dann ist die Gefahr groß, dass wir die eigene Mitte verlieren. Wenn es heute manchmal heißt, dass sich die Menschen zwar vermehrt nach Spiritualität sehnen, sich aber vom kirchlichen Leben immer mehr entfernen, so wäre hier ein Schnittpunkt für beides zu finden. An vielen Orten in der Kirche beginnt man die Welt des Gebetes und der Innerlichkeit neu zu entdecken. Die alte kirchliche Tradition der Wüstenväter, der ersten Mönche im antiken Ägypten wird derzeit aus dem Sand der Vergessenheit gegraben. Dabei kommt immer wieder die Meditation des Herzensgebetes zu Tage. In der inneren Verbindung mit Jesus, sich ganz der Ruhe überlassen, führt als Gebetsweg, ähnlich wie manche Wege der asiatischen Meditation, zu einer geistigen Erfahrung. Im Evangelium heißt es, als sich der Wind gelegt hatte, trat völlige Stille ein. Ebenso ist es mit dem inneren Sturm zu allen Zeiten gewesen. Nur heute wird die innere Unruhe von äußeren Umständen mehr angefacht denn je. In einer unruhigen Zeit, in der alle möglichen „Wellen“ ins eigene Lebensboot zu schwappen drohen, ist deshalb eine ruhige Mitte zu haben lebens-, ja überlebensnotwendig. Lassen wir uns deshalb vom heutigen Text inspirieren. Legen wir uns so ein Ruhekissen, eine Meditationsecke oder einen Gebetsteppich zu, damit im hektischen Boot unseres Lebensraumes ein Ort ist, an dem die Wirbel des Bewusstsein, der unruhigen Gedanken zur Ruhe kommen können. Lassen wir uns von der Seelenruhe Christi anstecken um immer wieder selber in die Stille zu kommen, die unser Leben zentriert. Die Empfehlungen Jesu ernst nehmen und sich beim Gebet nicht viele Gedanken zu machen, einen Ort im Verborgenen zu suchen und das innere Gebet zu pflegen. Es heißt, sowohl bei den meditierenden Yogis, als auch bei den Wüstenvätern, dass durch die Übung so eines Gebetes der Weg zum inneren Frieden leichter falle. Dass Ängste zurücktreten und der Mensch eine innere Gelassenheit gewinnt. Ja ein einziges Mal wird davon Berichtet, dass Jesus geschlafen habe und das mitten im Sturm.